Totentanz am Strand (eBook)
384 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490481-8 (ISBN)
Klaus-Peter Wolf, 1954 in Gelsenkirchen geboren, lebt als freier Schriftsteller in der ostfriesischen Stadt Norden, im selben Viertel wie seine Kommissarin Ann Kathrin Klaasen. Wie sie ist er nach langen Jahren im Ruhrgebiet, im Westerwald und in Köln an die Küste gezogen und Wahl-Ostfriese geworden. Seine Bücher und Filme wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Bislang sind seine Bücher in 26 Sprachen übersetzt und über fünfzehn Millionen Mal verkauft worden. Mehr als 60 seiner Drehbücher wurden verfilmt, darunter viele für »Tatort« und »Polizeiruf 110«. Der Autor ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland. Die Romane seiner Serie mit Hauptkommissarin Ann Kathrin Klaasen stehen regelmäßig mehrere Wochen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste, derzeit werden mehrere Bücher der Serie prominent fürs ZDF verfilmt und begeistern Millionen von Zuschauern.
Klaus-Peter Wolf, 1954 in Gelsenkirchen geboren, lebt als freier Schriftsteller in der ostfriesischen Stadt Norden, im selben Viertel wie seine Kommissarin Ann Kathrin Klaasen. Wie sie ist er nach langen Jahren im Ruhrgebiet, im Westerwald und in Köln an die Küste gezogen und Wahl-Ostfriese geworden. Seine Bücher und Filme wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Bislang sind seine Bücher in 26 Sprachen übersetzt und über fünfzehn Millionen Mal verkauft worden. Mehr als 60 seiner Drehbücher wurden verfilmt, darunter viele für »Tatort« und »Polizeiruf 110«. Der Autor ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland. Die Romane seiner Serie mit Hauptkommissarin Ann Kathrin Klaasen stehen regelmäßig mehrere Wochen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste, derzeit werden mehrere Bücher der Serie prominent fürs ZDF verfilmt und begeistern Millionen von Zuschauern.
Wolf hält mit diesem Buch nicht nur das Niveau seines ersten Sommerfeldt-Romans, er toppt es sogar noch mit überraschenden Wendungen und einem genial gestrickten Plot.
Ohne Zweifel ist Wolf ein Superstar der Szene.
Auch dieser neue Fall kann sich unbedingt sehen (lesen) lassen. Eigentlich ein Muss für alle Krimifans.
Liebevoll entwickelt Wolf seine Personen ständig weiter. Manchmal voller Skurrilität, oft voller Ironie über die menschlichen Abgründe.
[...] eine interessante Fortsetzung. Ein guter Sommerkrimi, den man zügig im Urlaub weglesen kann.
Langweilig? Ganz und gar nicht!
Herrliche Unterhaltung.
Endlich mal eine Krimireihe, die nicht aus der Sicht der Ermittler, sondern aus der Sicht des Täters erzählt wird.
3
Und nun bin ich in Bärbels Praxis. Sie sitzt locker, völlig entspannt, in einem Ohrensessel, der mich an meinen erinnert, den ich in Norddeich zurücklassen musste.
Sie hat lange, glatte schwarze Haare. Vielleicht ein bisschen nachgefärbt. Sie ist garantiert Vegetarierin, wenn sie nicht sogar vegan lebt. Sie macht viel Sport oder zumindest Yoga. Aber ihr fehlt dieser verkniffene Zug um die Lippen, der solchen Menschen sonst manchmal zu eigen ist. Stattdessen wirkt sie auf mich wie jemand, dem es Spaß macht, zu feiern und das Leben zu genießen. Nur eben anders als andere. Undenkbar, dass sie mit einem Kater wach wird.
Sie trägt eine bunte Strickjacke, darunter ein weißes T-Shirt und einen dunklen, knielangen Rock. Sie schlägt die Beine übereinander und lächelt mich an.
Ich habe ihr gegenüber im Sessel Platz genommen. Er ist ganz anders als ihrer, aber auch sehr bequem. Der Sessel ist alt. Bestimmt ein Erbstück. Klobig.
Darauf liegt – vielleicht, um die durchgesessenen Stellen zu verbergen – eine gehäkelte Decke, als hätte jemand viele Topflappen zusammengenäht.
Neben jedem der zwei Sessel steht ein Tischchen aus Kirschholz. Darauf ein Glas und eine Karaffe mit Wasser. In der Karaffe eine Glasphiole, in der bernsteinfarbene Steine liegen. Es sieht schön aus, originell, bunt. Aber ich glaube, es ist keine reine Dekoration, sondern möglicherweise irgendetwas Esoterisches, das das Wasser beeinflussen soll.
Auf meinem Tischchen eine geöffnete Packung Papiertaschentücher. Glaubt sie, dass ich gleich heule, oder was soll das?
Außer den genannten Möbelstücken ist der Raum leer. Die Wände in Sand- und Erdfarben gestrichen. Raufasertapete, vermutlich selbst angepinselt. Zwischen uns kein Schreibtisch, sondern nur ein kleiner, dicker Teppich mit Sonnen drauf, die wie Blumen aussehen.
Alles irgendwie voll die Achtziger, denke ich, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, auf diesem bequemen Sessel gegrillt zu werden wie eine Rostbratwurst.
»Wie geht es dir?«, fragt sie lächelnd.
In der Entspannungsgruppe haben sich alle von Anfang an geduzt. Überhaupt glaube ich, in Gelsenkirchen siezt man nur Leute, die man nicht leiden kann.
Warum macht mich die Frage, wie es mir geht, so nervös?
»Gut«, lüge ich.
Sie legt den Kopf schräg und schaut mich so an, dass ganz klar wird: Sie glaubt mir nicht.
Bevor Sie mich einer Lüge überführen kann, füge ich hinzu: »Das sagt man so …«
»Wen meinst du mit«, sie malt mit den Fingern Anführungsstriche in die Luft, »m a n?«
»Ja, schon klar. Also, es geht m i r nicht so gut. Sonst wäre ich ja wohl nicht hier.«
Sie lobt mich. »Herzlichen Glückwunsch. Die meisten Menschen leiden still vor sich hin und genieren sich für ihre Probleme. Sie würden sich lieber operieren lassen, als darüber zu reden. Sie nehmen lieber Medikamente, als therapeutische Hilfe zu suchen.«
»Ich nicht.«
Mein Satz lässt sie strahlen. »Also, worum geht es? Wir sollten in einem Erstgespräch die Ziele der Therapie festlegen.«
»Ziele festlegen?«
»Ja. Genau. Ich glaube nicht an diese Fragebogen-Psychologie. Ich rede lieber mit den Menschen. Wo stehst du jetzt? Wo willst du hin?«
Ich merke, dass ich, ganz gegen meine Gewohnheit, mit den Händen ringe und mit den Fingern knacke.
Ich denke an den jungen Mann, der in Norddeich mit einem schlimmen Sonnenbrand in meine Praxis kam. Er trug ein lockeres T-Shirt mit der Aufschrift: Ich brauche keine Therapie, ich muss nur ans Meer.
Ich sage einfach, was mir gerade durch den Kopf schießt, und erzähle von ihm.
Bärbel setzt sich anders hin. »Du wärst jetzt also lieber am Meer, als hier zu sitzen?«
»Ja«, sage ich, »ich glaube schon.«
»Was hindert dich? Warum bist du dann hier und nicht am Meer?«
Weil ich ein paar Leute umgelegt habe und rasch verschwinden musste, um keine gesiebte Luft zu atmen. Ich heiße auch nicht Ditzen, ja, nicht mal Sommerfeldt ist mein richtiger Name. Ich bin jemand, der ich nicht mehr sein will: Johannes Theissen. Und ich bin jemand, der ich nicht mehr sein kann: Dr. Bernhard Sommerfeldt. Ich möchte ein freier, besserer Mensch werden, und ich plane gleichzeitig einen mörderischen Rachefeldzug nach Oberfranken. Aber sonst geht es mir ausgezeichnet.
Das alles sage ich natürlich nicht. Ich hoffe, sie kann keine Gedanken lesen.
Wir schweigen eine Weile, dann sagt sie: »Ich kann deinen Leidensdruck spüren, Rudi. Es ist manchmal, als würde dich eine dunkle Wolke umgeben, und du sitzt mittendrin und grinst.«
»Ja«, sage ich, »damit kann ich etwas anfangen.«
»Du hast vom Meer gesprochen, als sei es für dich das Symbol einer großen, unterdrückten Sehnsucht.«
»Ja, verdammt, da ist etwas dran.«
»Ist es die Sehnsucht nach dem Meer, der Freiheit, der Weite oder nach einer Person?«
Ich schiele zu dem Wasser, nehme aber nichts.
»Alles. Es ist alles.«
Mein Hals wird trocken, als wäre ich durch die Wüste marschiert. Ich nehme jetzt doch einen Schluck Wasser.
»Hat sie dich verlassen?«
»Nein. Ich sie.«
»Warum?«
»Weil ich … ich habe Scheiße gebaut.«
»Und statt um Verzeihung zu bitten, bist du geflohen?«
Schon während es passiert, tut es mir leid. Enorme Wut steigt hoch, und ich brause auf. »Um Verzeihung bitten kann man, wenn man Mist gebaut hat. Ich habe richtigen Bockmist gebaut!«
»Du hast etwas Unverzeihliches getan?«
»Hm.« Ich wische mit der Hand durch die Luft. »Ich will nicht darüber reden.«
»Warum nicht?«
Weil ich dich dann töten müsste, um mich selbst zu schützen.
Ich stehe auf. »Diese ganze Therapie ist keine gute Idee. Ich gehe jetzt besser.«
»Was berührt dich so stark? Habe ich etwas gesagt, das dich wütend macht?«
Meine Hände werden eiskalt. Meine Füße werden in den Schuhen zu Eisklumpen.
»Bitte nimm das jetzt nicht persönlich, Bärbel. Aber ich … Also, ich zahle selbstverständlich, was ich dir schuldig bin … Immerhin habe ich deine Zeit in Anspruch genommen …«
Sie sieht mich staunend an. »Du sprichst plötzlich wie ein kleiner Junge, Rudi.«
Ihre Aussage verwirrt mich schlagartig.
»Wie ein kleiner Junge?« Ich fühle mich ertappt.
»Ja, wie ein kleiner Junge, der Angst hat, dass seine Mama oder seine Lehrerin wütend auf ihn ist.«
Ihre Worte treffen mich wie eine heiße Nadel einen Luftballon. Ich beginne zu schrumpfen, sacke zusammen.
»Genauso fühle ich mich auch … Ich will dich nicht verletzen und nicht traurig machen …«
»Du versuchst«, erklärt sie, »in vorauseilendem Gehorsam alles zu tun, damit ich nicht böse auf dich werde?«
Ich nicke und kann mich nur mit Mühe daran hindern, an den Fingernägeln zu kauen.
»Woher kennst du dieses Gefühl, dich entschuldigen zu müssen und einem anderen alles recht machen zu wollen?«
Ich muss nicht nachdenken. Es platzt aus mir heraus: »Aus meiner Kindheit! Ich habe immer versucht, es meinen Eltern recht zu machen. Besonders meiner Mutter. Es ist, als wäre sie jetzt hier im Raum anwesend, und ich habe das Gefühl, zu schrumpfen und alles falsch zu machen.«
Bärbel schweigt eine Weile. Sie sieht mich sehr mitfühlend an. »Jetzt, während wir miteinander reden, ist also praktisch eine dritte Person mit im Raum? Deine Mutter?«
Es fällt mir schwer, es zu sagen. Es kommt mir vor wie Verrat, aber ich tue es trotzdem: »Ja, verdammt, genauso ist es!«
Der Rest der Stunde rauscht an mir vorbei. Eine Bilderflut aus meiner Kindheit steigt in mir auf.
Wie meine Mutter mich mit Blicken fertigmachen konnte … Da fiel kein böses Wort. Das war gar nicht nötig. Sie konnte ein Spielzimmer in eine Schlangengrube verwandeln. Einen Sommergarten in eine Raubtierhöhle.
Aus mir machte sie mühelos einen dressierten Tanzbären, der, sobald die Musik erklingt, herumhopst, aus Angst, die Tatzen könnten auf den glühenden Kohlen verbrennen.
Ich verlasse meine erste Therapiestunde mit dem Wissen, wie sehr ich meine Mutter immer noch hasse und dass ich mich genau deswegen schäme. Weil es ein Tabu ist. Man darf alles hassen. Politiker. Raucher. Fußballer. Lehrer. Dosenbier. Fastfood. Aber seine Eltern, die muss man lieben und ehren, egal was sie einem angetan haben.
Ich radle rasch zurück in den Weißen Riesen. Hier, in meiner Burg, meinem Aussichtsturm, fühle ich mich sicher.
Ich will das Erlebte sofort aufschreiben. Mit schwarzer Tinte und einem Kolbenfüller. Das ist für mich sehr stimmig. Die Tinte hat die Farbe meiner Seele, und dieses alte Schreibutensil ist mir näher als jeder Computer.
Natürlich benutze ich die moderne Technik. Aber nicht, um zu mir selbst zu finden und mich zu verstehen, sondern um zu sehen, was mit meinen Feinden los ist.
Meine Frau in Franken, von der ich nach meinem Wissen nie geschieden wurde, ist ja jetzt praktisch meine Exfrau. Ich vermute, sie hat mich für tot erklären lassen. Jedenfalls ist sie neu verheiratet. Sie heißt jetzt Miriam von Rosenberg. Nun ist sie nicht nur reich, sondern auch noch adlig.
Eigentlich müsste sie ja jetzt, da ich von der Polizei gejagt werde, als Bigamistin angeklagt werden, denn niemand zweifelt daran, dass ich lebe.
Ich denke mal, dass ich ohne mein Zutun geschieden wurde. Vielleicht wurde unsere Ehe auch für null und nichtig erklärt. Keine Ahnung, wie sie das gedreht haben. Die Kontakte meiner Eltern waren schon immer großartig. Offensichtlich gelingt es meiner...
Erscheint lt. Verlag | 20.6.2018 |
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Reihe/Serie | Sommerfeldt | Sommerfeldt |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller | |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Ann Kathrin Klaasen • Bamberg • Café Ten Cate • Dr. Bernhard Sommerfeldt • Gelsenkirchen • Hausarzt • Hochstapler • Identitätswechsel • Kriminalroman • Langeoog • Norddeich • Norden • Ostfriesland • Weißer Riese |
ISBN-10 | 3-10-490481-2 / 3104904812 |
ISBN-13 | 978-3-10-490481-8 / 9783104904818 |
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