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Altenteil (eBook)

Österreich-Krimi
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-51821-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Altenteil -  Rainer Nikowitz
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«Wer bringt denn bitte Leute um, die sowieso bald von selber sterben?» Der Suchanek hat schon immer ein Drogenproblem gehabt. Findet zumindest der Richter und brummt ihm Sozialstunden im Altersheim auf. Einen ganzen Monat gleich! Nun wirkt die Lebensphase mit Nachmittagsbingo, Schnabeltasse und Erwachsenenwindel im grauen Wiener Winter natürlich noch einmal trüber, aber was soll's. Und natürlich sterben die Leute im «Haus Sonne» ohnehin wie die Fliegen. Nur geht das offenbar jemandem nicht schnell genug. Irgendeinem Angehörigen mit Erbwunsch? Dem Pfleger mit dem unappetitlichen Nebenerwerb? Oder einem von den Alten? Unter denen gibt es ja auch solche und solche. Mit dem widerborstigsten seiner Schutzbefohlenen verbindet den Suchanek bald so etwas wie eine Freundschaft. Der Mann ist Pflegefall, hasst alte Menschen und wird doch zur treibenden Kraft hinter Suchaneks Ermittlertätigkeit ... Rainer Nikowitz und sein Held Suchanek: wochenlang Platz 1 auf der österreichischen Bestsellerliste!

Rainer Nikowitz, geboren 1964, ist Kolumnist des Wochenmagazins «profil». Er lebt in Wien und hat mit «Volksfest», «Nachtmahl» und «Altenteil» bereits drei Kriminalromane um den vornamenlosen Suchanek geschrieben. 

Rainer Nikowitz, geboren 1964, ist Kolumnist des Wochenmagazins «profil». Er lebt in Wien und hat mit «Volksfest», «Nachtmahl» und «Altenteil» bereits drei Kriminalromane um den vornamenlosen Suchanek geschrieben. 

1


Das war jetzt doch ein wenig ärgerlich. Der Höhepunkt der Woche und keine Zeugen.

«Das ist sie? Die suchen Sie?»

«Ein besseres Foto hab ich nicht.»

Der Baumarktverkäufer in dem speckigen roten Gilet schaute suchend über seine Schulter. Nicht ein Kollege in Sicht. Er fühlte sich wie ein Kunde.

«Da sind Sie bei mir falsch. Sie müssen zum Bahnhof Hütteldorf.» Er gab Suchanek das Foto zurück. «Gleis 2, 11.31 Uhr. Da fährt der Intercity nach Taka-Tuka-Land.»

–––

Wenn es jemanden gab, dem man keinesfalls das Bemühen absprechen konnte, im Haus Sonne für ein wenig Abwechslung zu sorgen, dann war das die Frau Zillinger. Frau Zillinger ging sehr gerne spazieren, und dies konnte man an sich nur uneingeschränkt loben. Dass regelmäßige Bewegung auch und gerade für unsere älteren Mitbürger sehr wichtig ist, darf wohl als im Kanon der populärmedizinischen Expertise fest verankert gelten. Allerdings hatte Frau Zillinger das kleine Problem, dass mitunter vor dem Eingang zu ihrem reichen Erfahrungsschatz, den sie in einem nun doch schon schöne 92 Jahre andauernden Leben zusammengetragen hatte, mitunter schlagartig der Vorhang fiel. Nicht immer. Aber immer öfter. Dass sie dann nicht mehr wusste, wer sie schnell noch einmal war, hätte dabei für sich allein genommen ihre Wanderungen noch gar nicht so schlimm beeinträchtigt. Auch gedankenverloren durch Hain und Flur schreitende Philosophen stehen bisweilen vor ähnlich kniffligen Fragestellungen. Als gröber hinderlich erwies sich eher, dass Frau Zillinger mit einem Mal auch nicht mehr wusste, wo sie war. Und dabei ging es nicht nur um die Feinheit, ob Hasengasse oder Gunschweg, Frau Zillingers Navigationsinsuffizienz war in Momenten wie diesen weitaus grundlegender. Welches Land? Und: Jupiter oder Neptun?

Frau Zillinger musste jetzt immer öfter wieder eingefangen werden. Damit wäre sie an sich schon ein Fall für die Pflegestation des Hauses Sonne gewesen, aber zwischen ihr und dem letzten Umzug lag eisern Frau Hamsik. Und die war nicht sehr kooperativ. So schwach und zerfallen sie in ihrem Bett auch aussehen mochte und so lang sie schon kein sinnstiftendes Wort mehr geäußert hatte – es war das Herz.

«Ein Herz wie ein Büffel», pflegte die Ärztin nach jeder Blutdruckmessung zu sagen. «Die wird uns noch hundert.»

Also durfte sich Frau Zillinger mangels Platz in der Pflegestation im Prinzip nach wie vor frei bewegen, denn so ein modernes Altersheim war ja kein Gefängnis, sondern praktisch eine riesige WG, in der jeder seine eigene Wohnung hatte und im Rahmen der Hausordnung tun und lassen konnte, was auch immer er wollte. Wann denn auch sonst, wenn nicht jetzt? Wo’s endlich egal war? Und nach einem Leben, das für alle Bewohner hier mehr Müssen als Wollen bereitgehalten hatte?

Meistens versuchte das Personal zwar, Frau Zillingers Bewegungsdrang in den hauseigenen Garten umzuleiten, aber manchmal entwischte sie eben doch. Für sich genommen kein Drama. Nur wohnte ab einer gewissen Zeit in dieser Kälte leider jeder weiteren Minute ihrer Abwesenheit zusehends die Gefahr schlechter Presse inne.

Was dann zwangsläufig folgte, durfte man als klassischen positiven Synergieeffekt verbuchen. Gesundheitsberufe sind ja für alle gesund, außer für jene, die sie ausüben. Das Personal im Haus Sonne war da keine Ausnahme. Tagtäglich alte Leute am Sterben zu hindern war anstrengend, ging auf die Bandscheiben und bei den Sensibleren auch aufs Gemüt. Nie kam man an die Luft, eine Extraration Sauerstoff gab es normalerweise höchstens im Raucherhof zwischen den hastigen Zügen an der Pausenzigarette, was die medizinische Bilanz erst recht wieder ins Soll trieb. Ein kleiner Ausflug war da doch eigentlich was Schönes. Und trotzdem musste man für den netten Spaziergang, der im Idealfall in der Dingfestmachung von Frau Zillinger gipfelte, nicht groß eine Warteliste anlegen. Die Auswahl erfolgte stattdessen nach einem der wesentlichsten Prinzipien, auf denen die menschliche Zivilisation seit Anbeginn fußt: Einer muss der Trottel sein. Und da man im Haus Sonne nunmehr über einen Suchanek verfügte, war für die nächste Zeit die doch oft belastende Unklarheit ausgeräumt, wer.

«Manchmal geht sie zum Würstelstand.»

«Schau zu der Bank in der Bujattigasse. Dort hat sie einmal den Bankomaten gegen alle verteidigt, weil sie gemeint hat, die stehlen ihr Geld.»

«Der Baumarkt ist auch ein guter Tipp. Sie scheint eine Schwäche für Schlagbohrmaschinen zu haben.»

«Und wenn sie da nirgends ist, dann bleibt noch die Ruinenvilla im Dehnepark. Hat einmal dem Willi Forst gehört, diesem Schauspieler von früher. Auf den steht sie. Er hat ihr angeblich einmal ein Autogramm gegeben, wie sie ein junges Mädchen war. Und ihr dabei auch noch ein Kompliment gemacht, wie hübsch sie ist. Selbst, wenn sie wieder einmal nicht weiß, wo hinten und vorne ist: Das vergisst sie nie. Und wenn du sie in einer Stunde nicht hast, ruf an. Dann kommt die Kavallerie.»

«Aber, selbst wenn ich sie finde», hatte Suchanek eingewendet, «warum sollte sie mit mir mitkommen? Sie kennt mich doch gar nicht.»

«Das ist egal. Wenn sie gerade wieder ein Blackout hat, kennt sie eh niemanden.»

Und dann hatte Suchanek noch etwas ausgespielt, das er irrigerweise für einen Trumpf gehalten hatte. «Ich weiß ja nicht einmal, wie sie aussieht.»

«Sie hat immer so einen Pelzhut auf. Nerz, glaub ich», hatte sich Robert, der Leiter der Hausbetreuung, sachdienlich gegeben. «An dem wirst du sie schon erkennen.»

Aber alte Frauen hatten doch quasi immer Pelzhüte auf. Sogar im Juli. Man wusste ja, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen ihre ungeschriebenen Gesetze hatten. Die Mafia hatte die Omerta, bei jugendlichen BMW-Fahrern mit eher südlichem Migrationshintergrund bestand Trainingshosen- und Heckspoilerpflicht. Und bei alten Frauen gab es da diese Pelzhut-Verordnung.

«Ich hab ein Foto!» Uschi, Assistentin in der Hausbetreuung, eine junge, dünne Frau mit der Ausstrahlung eines Regentages im November, war aufgesprungen und hatte es von der Pinnwand gepflückt.

–––

Suchanek betrachtete noch einmal ebendieses Foto, das ihm der Baumarktverkäufer gerade zurückgegeben hatte. Zwischen zwei jüngeren Frauen mit Fellohren stand eine merklich gealterte Pippi Langstrumpf. Einer ihrer Zöpfe war auch schon ganz schwach. Das Bild sei vom letzten Fasching, hatte Uschi noch angemerkt. Und: «Die Haare sind nicht echt.»

Nicht auszudenken, sie hätten Suchanek ohne diese Information losgeschickt.

Er verließ den Baumarkt und schaute missmutig nach oben. Wer hatte noch einmal immer schon gefunden, dass eine Kopfbedeckung prinzipiell spießig war? Der Wind schien sogar noch zugelegt zu haben und beschoss Suchanek von rechts oben mit scharfkantigen Graupeln. Im Jänner war nämlich auch in Wien Winter. Aber ein anderer. In den Bergen des Westens, wo sich die Menschen rätselhafter Sprache und interessanter Gewohnheiten befleißigten, mochte die Gletschersonne im Jänner ja durchaus so prächtig gleißen, dass sich bei Marijke noch eine Woche nach ihrer Rückkehr nach Leeuwarden die verbrannte Haut vom Nasenrücken schälte. Hoffentlich das einzige lästige Souvenir vom Skiurlaub. Andere brachten Gipsbeine heim. Oder Chlamydien. Diese Risiken waren in Wien überschaubarer. Auch die Lawinengefahr ging selten über Stufe eins hinaus. Aber ansonsten war der Jänner im Flachland nur dazu erfunden worden, um der Suizidrate nach dem Hoch zu Weihnachten keine allzu schlimme Konjunkturdelle zu bescheren. Die Wettervorhersage für den Winter wurde Anfang November erstellt und blieb dann bis Ende März dieselbe: Hochnebel. Manchmal gab es auch ein bisschen Abwechslung, wenn es nämlich aus dem Hochnebel schneite. Und wenn wieder einmal der Sturm ordentlich ging, konnte es sogar sein, dass der Hochnebel einmal Pause hatte. Aber nur kurz.

Trotz dieser erheblichen Hindernisse auf dem Weg zu einem glücklichen Leben war die Straßenbahn schon frühmorgens voller Leute gewesen. Das war erstaunlich, musste aber irgendwie mit dem Konzept der Lohnarbeit zu tun haben, von dem Suchanek schon einmal gehört hatte. Und neuerdings war er sogar Teil davon. Nur eben ohne Lohn.

Bei Frau Zillingers privatem Bankomaten war er schon gewesen und hatte dort festgestellt, dass ihr Geld dort zwar immer noch nicht sicher, aber dennoch unbewacht war. Nächster Halt also: Würstelstand. Suchanek schlug den Kragen hoch, rammte seine Fäuste tief in die Jackentaschen und ging los.

–––

«Was machen wir nur mit Ihnen, Herr Suchanek?», hatte der Richter gefragt. Ganz so, als ob die Antwort nicht glasklar auf der Hand gelegen hätte, weil sie natürlich nur lauten hätte können:

«Das ist alles ein unglaublicher Skandal! Ich möchte mich in aller Form für die Hexenjagd entschuldigen, der Sie durch die entmenschte Staatsanwaltschaft ausgesetzt waren, und Sie hiermit aber so was von freisprechen. Und als kleine Wiedergutmachung: Hätten Sie vielleicht gern die Telefonnummer von meiner Tochter?»

Aber darauf hatte Suchanek leider vergeblich gewartet, wie er so dagesessen und an seiner der Breite nach zu schließen in den späten siebziger Jahren geborenen Krawatte genestelt hatte, die ihm sein in Stylingangelegenheiten auch nicht letztgültig firmer Freund Grasel nicht nur geborgt, sondern auch noch so lang gebunden hatte, dass sie als blaugrün gestreiftes Textilsuspensorium bis weit zwischen die Schenkel heruntergereicht hatte.

Vielleicht hätte es auch geholfen, wenn der...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2017
Reihe/Serie Suchanek ermittelt
Suchanek ermittelt
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Altersheim • Cannabis • Erbschleicher • Heimatkrimis • Krimi mit Humor • Lustige Krimi-Romane • Mord • Österreich • Österreichische Literatur • Österreichischer Kriminalroman • Schwarzer Humor • Wien • Wien Krimi • Wien Roman
ISBN-10 3-644-51821-1 / 3644518211
ISBN-13 978-3-644-51821-6 / 9783644518216
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