Backfischalarm (eBook)
288 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43119-4 (ISBN)
Krischan Koch wurde 1953 in Hamburg geboren. Die für einen Autor üblichen Karrierestationen als Seefahrer, Rockmusiker und Kneipenwirt hat er sich geschenkt. Stattdessen macht er Kabarett und Kurzfilme und schreibt seit vielen Jahren Filmkritiken u.a. für die >DIE ZEIT< und den NDR. Koch lebt mit seiner Frau in Hamburg und auf der Nordseeinsel Amrum, wo er mit Blick aufs Watt seine Kriminalromane schreibt.
Krischan Koch wurde 1953 in Hamburg geboren. Die für einen Autor üblichen Karrierestationen als Seefahrer, Rockmusiker und Kneipenwirt hat er sich geschenkt. Stattdessen macht er Kabarett und Kurzfilme und schreibt seit vielen Jahren Filmkritiken u.a. für die ›DIE ZEIT‹ und den NDR. Koch lebt mit seiner Frau in Hamburg und auf der Nordseeinsel Amrum, wo er mit Blick aufs Watt seine Kriminalromane schreibt.
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Das Lokal »Zum Lustigen Seehund« ist brechend voll. Der spritige Dunst von Rumgrog hängt im ganzen Raum über den Tischen und dem schummrigen Tresen. Die zahlreichen Gäste sind in angeregten Diskussionen und versuchen sich gegenseitig zu übertönen. Das Stimmengewirr mischt sich mit ›Yellow Submarine‹, das gerade aus der alten Wurlitzer-Truhe leiert. Die Musikbox ist ein Original aus den späten Fünfzigern, und das vielfältige, überwiegend maritime Repertoire ist im Schnitt nicht viel jünger. Es reicht von dem Hans-Albers-Klassiker ›La Paloma‹ und Freddys ›Die Gitarre und das Meer‹ bis zu den Beatles und Donovans Ballade ›Atlantis‹, die Vogelwart Nils Gerckens immer wieder drückt. Die maschinengeschriebenen Schildchen mit den Titeln neben den Tasten sind verblichen. Aber die Stammgäste wissen, wo sie für ihre Favoriten drücken müssen. Außerdem kennt der kneipeneigene Papagei Käptn Flint, der normalerweise im Flaschenregal über dem Tresen sitzt, sämtliche zu den Songs gehörenden Buchstaben-Zahlen-Kombinationen.
Seit Raik Rettmer die heruntergekommene Kneipe im Sommer übernommen hat, ist sie zur echten Touristenattraktion geworden. Der Laden ist immer noch gammelig, aber gerade das macht seinen Reiz aus. Draußen über der Tür hängt noch die alte, verblichene Leuchtreklame mit dem Seehund, die nachts schummrig bis auf die Steenodder Mole hinüberleuchtet. Drinnen ist die Seefahrerspelunke eher noch düsterer geworden, seit Rettmer sie mit allerlei Strandgut, Schiffslaternen, einem Steuerrad, zerrissenen Fischernetzen, alten, verrosteten Schildern und Ölkanistern ausstaffiert hat. Über dem reichlich mit Rum aus der Karibik gefüllten Flaschenregal hängt ein geschnitztes hölzernes Wappen Nordfrieslands mit dem wellenförmig geschwungenen Satz »Lewwer duad üs Slaav!« darunter. Diesen Satz aus Detlev von Liliencrons berühmter ›Pidder-Lyng‹-Ballade hatte Rettmer vor einigen Jahren in Selbstmordabsicht vom Balkon des Amrumer Leuchtturms in die Mondnacht geschrien, nachdem er einen Hamburger Grundstücksmakler ins Jenseits befördert hatte. Thies und Nicole hatten sich zunächst gewundert, dass Rettmer schon wieder auf freiem Fuß war. Aber sein Strafverteidiger hatte es im Prozess hinbekommen, dass die Tat nur als »minderschwerer Fall von Totschlag« bewertet wurde. Und dann hatte sich Rettmer offenbar gut geführt.
Während seiner Haft in der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel hatte Rettmer zusammen mit einem Journalisten ein Buch geschrieben, in dem er sich selbst zum nordfriesischen Freiheitshelden verklärt und sich eine Familienlegende aus der Walfängerzeit zurechtgezimmert hat. Das Buch war sogar einige Zeit auf der Bestsellerliste gewesen und ist seitdem ein Verkaufsschlager in den Inselbuchläden der gesamten Nordseeküste. Durch ehrliche Arbeit als Koch und Hausmeister hatte er seinen Traum vom eigenen Lokal nicht verwirklichen können. Ein vergifteter Krabbencocktail und mehrere spektakuläre Todesfälle hatten ihm schließlich zur erträumten Seemannskneipe verholfen.
Gleich in seiner ersten Saison hat der Laden einen sagenhaften Umsatz gemacht. Der Backfisch mit Remoulade und die »Mordseekrabbencocktails« gehen im »Seehund« wie am Fließband über den speckigen Tresen. Während seiner Haft hatte Rettmer mit dem prominenten Mithäftling, dem Talkshowmoderator Markus März das Projekt »Jailhouse Kitchen« initiiert und dabei die besondere seeräuberische Note seines Küchenstils perfektioniert. Das nordfriesisch-kreolische Crossover mit Sandschollen-Curry »Scarlett« und Hornhecht-Gumbo »Käptn Ahab« war auf der Insel der Renner der Saison. Und vor allem Rettmers Neuinterpretation des Cuba Libre, der Rum-Zitronen-Cocktail »Skorbut« fand regen Zuspruch.
Die Hauptattraktion des Lokals aber ist der Papagei, den Rettmers Urgroßvater vor hundert Jahren von großer Fahrt von Madagaskar mitgebracht haben soll. In Wahrheit hat der Kneipenwirt den Vogel von einer alten Tante, die ihren heißgeliebten Käptn Flint nicht ins Seniorenheim auf dem Festland mitnehmen durfte. Angeblich beherrscht der Vogel den Satz »Joho und ’ne Buddel voll Rum« aus Stevensons ›Schatzinsel‹ und die ersten beiden Strophen von ›Wir lagen vor Madagaskar‹. Nach mehreren Rumcocktails lassen sich mit ein bisschen gutem Willen die Worte »Pest an Bord« heraushören.
Im gelblichen Licht der alten Thekenleuchte mit der verblichenen Rumreklame »Der gute Pott« drängen sich heute Abend mehrere Reihen hintereinander. In der begehrten ersten Reihe sitzt der immer noch braungebrannte Strandkorbwärter Ole Tobarben, der im Herbst von seinem Strandkorb am Norddorfer Übergang auf einen Barhocker im »Lustigen Seehund« wechselt und dort überwintert. Rettmer hat ihn mit dem Mobiliar der Kneipe übernommen. Zwei Touristen aus dem Rheinland, die ihren Herbsturlaub offenbar im »Lustigen Seehund« gebucht haben, besetzen seit einigen Wochen zwei weitere Barhocker an dem verqualmten Tresen und kippen Pils und Rum im Wechsel. »Herrlisch, die frische Luft an der Nordsee«, bestätigen die beiden sich immer wieder, die an der Theke nicht viel vom Unwetter mitbekommen haben.
Vogelwart Nils Gerckens, der angesichts des Wetters die Heimfahrt auf dem Rad zu seiner Vogelschutzstation scheut, trinkt heute Rum statt Bier. Und mehrere Fährleute der NFR entspannen nach der unheimlichen Schiffspassage bei einem Getränk und diskutieren den Mord auf der »Rungholt«. Der Rumgeruch mischt sich inzwischen mit dem Rauch, der im gelben Licht über der Theke steht. Zu fortgeschrittener Stunde ist im »Seehund« das allgemeine Rauchverbot außer Kraft. Und wenn sich übereifrige Touristen beschweren, werden sie vom Wirt kurzerhand an die frische Luft gesetzt.
»Im Grunde genommen hat er sich dat selbst zuzuschreiben«, kommentiert Strandkorbvermieter Ole Tobarben den Mord an Jungreeder Blankenhorn. »Wat vom Festland hier rüberkommt, dat war noch nie gut.«
Johnny Petersen, der große Fährmann mit dem breiten Kreuz und dem nicht minder breiten Gesicht sieht ihn durchdringend an. Er sagt kein Wort, sondern atmet nur schwer, zieht Rotz hoch und geht humpelnd in Richtung Kellerklo. Auch in der schummrigen Kneipenbeleuchtung leuchtet die lange Narbe weiß in seinem Gesicht. Sein Kollege, der immer noch die nasse Wollmütze auf dem Kopf hat, harkt sich durch seinen Krakenbart. Mit seinen schwieligen Fingern bleibt er sofort in dem Gestrüpp hängen und greift stattdessen lieber zum Schnapsglas.
»Nur weil er vom Festland kommt, deshalb muss man ihn ja nu nicht gleich erdolchen«, protestiert der pensionierte Polizeiobermeister Knut Boyksen, der den »Lustigen Seehund« des Ex-Knackis neuerdings zu seiner Stammkneipe erklärt hat.
»Is er erdolscht worden?«, fragt einer der Rheinländer interessiert.
»Dat werden die weiteren Ermittlungen ergeben.« Boyksen schiebt sich den Elbsegler in den Nacken. »Aber sieht tatsächlich nach ’ner Wunde wie von so ’nem Piratensäbel aus.«
»Dat sin eschte Seeräuber hier. Ist doch bekannt.« Der Kölner grient beifallheischend.
»Hier soll dat sogar ’n rischtjen Schatz jeben«, verkündet sein Freund stolz. »Haben wir doch hier im Lokal mit eijnen Ohren jehört … irgendwo hier auf der Insel verjraben.«
»Und Flocke hat doch jestern am Strand diese halbverkohlte Jeldschein jefunden.«
»Verkohlter Geldschein? Wo?« Vogelwart Nils Gerckens wirkt elektrisiert.
»Am Strand … oben … Norddorf die Rischtung.«
Raik Rettmer und der Krakenbart werfen dem Kölner und dann Gerckens einen bösen Blick zu. Aber sie sagen kein Wort. Bei dem Thema Inselschatz herrscht eisiges Schweigen.
»Pest an Bord«, krächzt der Papagei dazwischen.
»Sach isch doch. Da hilft nur Desinfizieren. Prost Flocke!« Der Rheinländer kann sich totlachen und kippt den nächsten Rumcocktail »Skorbut«.
Ein paar versprengte Teilnehmer des Workshops »Die Energie der Steine«, die sich in den »Lustigen Seehund« verirrt haben, blicken von einem der Resopaltische fassungslos zur Theke. Die bis auf den männlichen Seminarleiter ausschließlich weiblichen Teilnehmer haben sich im »Haus Helga« einquartiert und befinden sich seit einer Woche in anregendem Dialog mit den Steinen am Strand. Zwischendurch lesen sie aus den Spuren im Sand die Zukunft. Die tiefhängende Leuchte, die ihren schummrigen Lichtkegel auf das streifige Resopalmuster aus den Fünfzigern wirft, lässt ihre Mienen noch erstaunter wirken. So, als würde der »Lustige Seehund« den Stein-Energetikern eine ganz neue magische Welt erschließen.
»Energetische Resonanz«, haucht eine der Damen mit leiser, aber bedeutsamer Stimme mit Blick auf die Piratenszenerie. »Schwingungen.«
»Für mich fühlt es sich auch so an«, nickt ihre Nachbarin, die mit ihrem hennaroten Mob auf dem Kopf wie ein Zaubertroll aussieht. »Toll. Ich fühl mich so frei«, verkündet sie euphorisch, als würde sie gerade auf einem Piratenschiff in See stechen.
Im selben Moment öffnet sich die Kneipentür. Die steife Brise von draußen weht sofort einen Stapel Bierdeckel vom Tisch. Zusammen mit dem Nordwest weht Frau Lammers-Lindemann in die Spelunke. Die gesamte Kneipenbesetzung dreht sich gleichzeitig zu ihr um. Die Elternvertreterin blickt in die durch den Alkohol erhitzten Gesichter.
»Sagen Sie, was ist denn das hier?«, echauffiert sie sich mit Blick auf die durch die Fischernetze und anderes maritime Utensil wabernden Rauchschwaden. »Das Rauchverbot in Gaststätten hat sich wohl noch nicht bis zu Ihnen auf die Insel herumgesprochen?!«
»Wenn Madame frische Luft wünschen, die gibt’s draußen genug«, blafft Rettmer Frau...
Erscheint lt. Verlag | 10.3.2017 |
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Reihe/Serie | Thies Detlefsen & Nicole Stappenbek | Thies Detlefsen & Nicole Stappenbek |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 5. Fall • Amrum • Band 5 • Bjarne Mädel • Cosy Crime • Deutschsprachige Krimis • Fredenbüll • fünfter Fall • Humor • Inselkrimi • Klassenfahrt • Krimi • Krimikomödie • Krimi-Komödie • Kriminalroman • Krimireihe • Küstenkrimi • Mord • Nordfriesland • Nordsee • Nordseekrimi • Piraten • Provinzkrimi • Regiokrimi • Regiokrimi Norddeutschland • regiokrimi nordsee • Regionalkrimi • Schleswig-Holstein • Strandlektüre • Thies Detlefsen • Urlaub • Urlaubslektüre • Wattenmeer |
ISBN-10 | 3-423-43119-9 / 3423431199 |
ISBN-13 | 978-3-423-43119-4 / 9783423431194 |
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