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Der Angstmann (eBook)

Spiegel-Bestseller
Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2016 | 3. Auflage
336 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43045-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Angstmann -  Frank Goldammer
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Dresden im November 1944: Die Bevölkerung leidet unter den immer bedrohlicher werdenden Kriegsumständen - da wird die grausam zugerichtete Leiche einer Krankenschwester gefunden. Schnell heißt es: Das war der Angstmann, der nachts durch die Stadt schleicht. Kriminalinspektor Max Heller hat bei der fieberhaften Suche nach dem Täter mit dem Kriegschaos zu kämpfen - aber auch mit seinem linientreuen Vorgesetzten. Und die Hoffnung, der Frauenmörder sei bei dem katastrophalen Bombenangriff im Februar 1945 umgekommen, zerschlägt sich..  

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.

30. November 1944

Heller stemmte sich mühsam hoch. Mit seinen eins zweiundachtzig passte er gerade noch in den Beiwagen des BMW-Gespanns aus Wehrmachtsbestand. Ein anderes Fahrzeug hatte nicht mehr zur Verfügung gestanden. Heller stieg mit dem rechten Bein zuerst aus und zuckte zusammen, als sein Fuß das Kopfsteinpflaster berührte. Er wischte sich den eiskalten Sprühregen aus dem Gesicht, der während der Fahrt eingesetzt hatte, und schüttelte missbilligend den Kopf. Anstatt in den Hof zu fahren, hatte Strampe das Motorrad vor dem Tor abgestellt. Heller wertete das als Zeichen der Geringschätzung. Der junge SS-Mann konnte ihn nicht leiden.

Jetzt stand Heller vor dem Gebäude der Rudergesellschaft Dresden. Er klappte den Kragen hoch und vergrub seine Fäuste tief in die Taschen seines langen Mantels. So stand er mit hochgezogenen Schultern, ohne seine lederne Schiebermütze, und wusste nicht, wohin er gehen sollte. In seinem kurz geschnittenen, langsam ergrauenden Haar sammelte sich die Feuchtigkeit.

Die Elbe bot einen trostlosen Anblick, grau und verwaschen, an diesem letzten Nachmittag im November. Einige Bäume am Ufer, blattlos und schwarz von Feuchtigkeit. Elbaufwärts Rohre von Flakgeschützen, von denen Heller wusste, dass sie nur Attrappen waren. Die Wolken hingen tief, tauchten die Hänge am anderen Ufer in Nebelschleier. Es würde bald dunkel werden. Heller schniefte leise. Da löste sich aus dem schwarzgrauen Hintergrund der feuchten Putzwände eine Gestalt und kam auf ihn zu.

»Herr Kriminalinspektor?«, fragte der Uniformierte, warf dann eilig seine Rechte in die Luft. »Heil Hitler!«

Heller sah sich unversehens gezwungen, seine Hand aus der Tasche zu winden, erwiderte die Geste lustlos, ohne einen Ton zu sagen.

Der Schutzpolizist trat einen Schritt zur Seite, deutete eine Verbeugung an, mit der er Heller den Vortritt ließ. »In dem alten Ruderhaus«, fügte er erklärend hinzu.

Es war nicht weit, fünfzig Meter etwa, doch Heller, dem die Feuchtigkeit in die Knochen gekrochen war, haderte mit seinem rechten Fuß. Er tat jeden Schritt mit Bedacht und spürte die Ungeduld des Uniformierten hinter ihm.

Beim Ruderhaus angelangt blieb Heller stehen, um den Mann vorzulassen.

Doch der Polizist reagierte nicht. »Gehen Sie nur voran, immer geradeaus. Sie ist ganz hinten in der Werkstatt.«

Heller sah den Mann eine Sekunde lang emotionslos an, dann betrat er das Haus. Es war nicht mehr als eine Baracke, angeschlossen an eine große Garage, in der die Boote aufbewahrt wurden, die langen Ruder und weiteres Zubehör. Es roch nach brackigem Wasser, Öl und Metallabrieb.

»Da durch!«, erklärte der Uniformierte.

»Wären Sie doch einfach vorgegangen«, bemerkte Heller ungehalten. Zwar brannte ein Licht in dem Bootshaus, doch die Birne war schwach und trübe. Es war deprimierend, so wie alles derzeit.

»Es ist noch niemand da?«, fragte er. »Kein Fotograf?«

»Niemand, Herr Kriminalinspektor, aber alles angefordert.«

Heller nickte. Angefordert wurde viel. »War jemand am Fundort, hat jemand die Leiche berührt?«

»Nein, Herr …« Der Uniformierte prallte auf Heller, der unvermittelt stehen geblieben war.

Die Tür der Werkstatt stand offen, und das, was Heller dort sah, hatte er so nicht erwartet.

»Wer hat sie gefunden?«, fragte er heiser.

»Zwei Jungen. Sitzen drüben im Vereinshaus.«

»Also hat niemand den Raum betreten?« Heller riss sich vom Anblick der Leiche los und suchte den Boden nach Spuren ab. In der Mischung aus Staub und Öl müsste etwas zurückgeblieben sein, vermutete er. Das Blut war geronnen. In der Lache bildeten sich Risse, wie im Schlamm einer ausgetrockneten Pfütze.

»Ich brauche Licht hier, viel Licht und den Fotografen.«

»Dann müssen wir die Fenster verdunkeln.«

»Kümmern Sie sich darum!«

Der Schupo nickte knapp und verschwand. Heller betrachtete die Frau, die mit festem Strick an den Handgelenken an die Werkbank gebunden war, sitzend, die Arme weit ausgebreitet, wie Jesus am Kreuz. Ihre Bluse und das Unterhemd waren aufgerissen worden, ebenso der Rock. Ein Stück von demselben Strick diente als Fußfessel, ihr Unterleib war völlig entblößt. Die Unterhose und die langen Strümpfe waren ihr bis zu den Fußknöcheln hinuntergezogen worden. Der Kopf hing nach vorn, tief auf ihre Brust, und Heller konnte ihren Nacken sehen. Wieder wischte er sich über das Gesicht.

Mittlerweile war der Regen stärker geworden, begann auf das Blechdach zu trommeln und gluckste bald durch die Dachrinnen und Fallrohre. Heller ging in die Hocke, um zu sehen, ob die Frau geknebelt worden war. Er konnte es nicht erkennen, zu finster war es schon im Raum, und den Lichtschalter durfte er nicht berühren. Ihr Gesicht lag im Dunkel.

Endlich hörte Heller Motorengeräusche. Dann Männerstimmen. Er straffte sich und steckte die Hände in die Manteltaschen. Oldenbusch von der Spurensicherung kam herein, unter einem Arm ein Holzstativ, in der anderen Hand einen großen braunen Koffer. Da ihm niemand folgte, konnten sie sich den Hitlergruß ersparen.

»Geben Sie her, Werner.« Heller wollte nach dem Koffer greifen, doch Oldenbusch, dreißig Jahre alt, untersetzt und etwas dicklich, schüttelte den Kopf.

»Machen Sie mal Ihr Ding, Max, ich mach meins«, schnaufte er. »Gräulicher Anblick – hab schon gehört.«

Heller nickte. »Ein Elend.«

»Alles Elend heutzutage.«

Heller ging nicht darauf ein. Solcher Art Gespräche vermied man.

»Versuchen Sie jedes Detail aufzunehmen. Auch die Kleidungsstücke. Vorher aber den Boden nach Spuren absuchen, ich meine, da einen Schuhabdruck gesehen zu haben. Ich denke, an der Werkbank könnte es Fingerabdrücke geben und am Lichtschalter auch. Fremdhaare vielleicht auf der Kleidung des Opfers. Woher stammt der Strick? Und ich bin mir nicht sicher, aber ist das dort eine Sichel?« Heller deutete auf einen dunklen Halbmond halb unter der Werkbank.

Oldenbusch wiegte beruhigend den Kopf. »Schon klar, ich weiß, was zu tun ist. Zuerst aber muss ich Scheinwerfer haben. Blitzlichter sind auch knapp. Alles knapp. Klepp wollte erst gar nicht einsehen, warum ich hierherkommen sollte.«

Heller sah den Kriminaltechniker misstrauisch an. »Weshalb, wenn ich fragen darf?«

Oldenbusch grunzte nur, damit schien ihm alles gesagt. Schon war er wieder auf dem Weg nach draußen. Heller folgte ihm.

»Ich werde eine Weile brauchen. Kennen Sie den jungen Friedrich? Den haben sie letzte Woche eingezogen.«

Heller kannte ihn nicht. »Ich rede mal mit den Burschen. Wenn Sie mich suchen, ich bin im Vereinshaus.« Heller deutete mit dem Kinn auf das gegenüberliegende Gebäude.

 

Die beiden Jungen saßen artig an einem Tisch, den Tee in ihren Tassen hatten sie nicht angerührt. Beide trugen Mäntel, unter denen Heller die Kragen von Uniformen des Deutschen Jungvolks erkennen konnte.

Als er sich ihnen näherte, sprangen beide auf und ihre Arme gingen steif in die Luft. »Heil Hitler!«, quäkten sie im Chor.

Wie alt mochten sie sein, dachte Heller, keine zwölf. Hatten nie etwas anderes kennengelernt. Diesmal grüßte er vorschriftsmäßig. Bei Kindern musste man besonders aufpassen, sie waren oft die schlimmsten Denunzianten.

»Setzen!«, befahl er. »Was hattet ihr in dem Ruderhaus zu suchen?«

»Ha’m gespielt, Herr Kriminalrat!«, kam es wie aus der Pistole geschossen.

»Name!«

»Merker, Gustav.«

»Trautmann, Alwin.«

»Ihr seid eingebrochen!«

»Nein, Herr Kriminalrat! Die Tür war offen.«

Hellers Blick wanderte zum Nachbartisch, auf dem zwei einfache Holzgewehre lagen.

»Herr Kriminalinspektor, heißt es. Wissen eure Eltern, wo ihr seid?«

Beide schüttelten den Kopf.

»Erzählt, was ihr getan und gesehen habt. Lasst nichts aus. Du zuerst, Gustav.« Heller nahm durch das Fenster eine Bewegung wahr. Klepps Auto war auf den Hof gefahren.

»Wir haben gespielt. Wir sind oft hier. Wir wohnen da drüben auf der Gneisi, der Gneisenaustraße. Die Tür stand offen, so einen Spalt, und wir gingen rein, weil es kalt war und weil vielleicht ein Spion da drinnen war. Es hat gar nicht lang gedauert, da haben wir die Tote gesehen.« Gustav schien es nichts auszumachen, doch bei den letzten Worten war sein Freund zusammengezuckt.

»Habt ihr was gesehen? Lief jemand weg? Habt ihr Schreie gehört?« Das war Routine, die Frau war seit Stunden tot.

»Nein, da war niemand.«

»Habt ihr nichts angefasst? Die Tür, den Lichtschalter? Die Tote?«

»Nein, Herr Kriminaler, gar nichts!« Gustav und Alwin schüttelten eifrig die Köpfe.

»Wie hast du dann die Tür geöffnet?«

»Hab ich mit dem Gewehr aufgedrückt!«

Heller nickte. »Ihr geht jetzt heim, auf dem kürzesten Weg. Lügt ihr auch nicht, wegen der Namen? Ihr wisst doch, dafür gibt’s Zuchthaus.«

Wieder schüttelten beide heftig den Kopf.

»Gut, dann ab!«

Die beiden erhoben sich. Doch Alwin blieb stehen. »Das war der Angstmann, nicht?«

Heller sah auf. »Der Angstmann?«

»Mutter sagt, der Angstmann geht um.«

»Der Angstmann? Wer soll das sein?«

»Fängt kleine Kinder!« Alwin war es ernst und sein Kinn zitterte.

Heller erhob sich. »Geht heim. Angst gibt es genug, da braucht’s nicht noch den schwarzen Mann dazu.«

»Ob er uns jetzt folgen wird, weil wir die Frau gefunden haben?«

Heller griff dem Jungen fest an die Schulter. »Geh zu deiner Mutter. Wenn es der Angstmann war, dann hat er jetzt andere Sorgen, als sich um euch zwei Bengel zu kümmern.«

 

»Angstmann«, flüsterte Heller zu sich selbst, als er...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2016
Reihe/Serie Max Heller
Max Heller
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 1. Fall • Bestseller • Bombennächte • Deutschland • Deutschsprachige Krimis • Dresden • Drittes Reich • Erster Fall • Frauenmörder • Großdruck • große Schriftsteller • historischer Krimi • historischer Krimi Dresden • Historischer Kriminalroman • Kriegswinter 1944/45 • Krimi • Krimi große Schrift • Kriminalinspektor Max Heller • Kriminalromane Deutschland • Krimis Deutschland • Max Heller • Mord • Mörder • Mordserie • Nachkriegsdeutschland • Nationalsozialismus • Nazis • Ost- und Westdeutschland • Philipp Kerr • Phillip Kerr • Regiokrimi Dresden • Sachsen • Serienkiller • Serienmörder • Volker Kutscher • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-423-43045-1 / 3423430451
ISBN-13 978-3-423-43045-6 / 9783423430456
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