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Der Bruder (eBook)

Spiegel-Bestseller
Thriller aus Schweden
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
496 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-52921-2 (ISBN)
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Wo du herkommst, gibt es keine Zukunft. Wo du hingehst, gibt es kein Zurück. Yasmine Ajam ist ihrer Vergangenheit und der rauen Stockholmer Trabantenstadt Bergort entflohen, sie arbeitet als Trendscout in New York. Doch eine alarmierende Nachricht lässt sie nach Jahren zurückkehren: Ihr jüngerer Bruder Fadi wird vermisst, angeblich ist er tot. Und in den Straßen der Vorstadt droht die Gewalt zu eskalieren - Autos brennen, Schlägertrupps sind unterwegs. Hat Fadis Verschwinden damit zu tun? Yasmine gibt die Hoffnung nicht auf, ihren Bruder lebend zu finden. Klara Walldéen forscht in London für eine renommierte Menschenrechtsorganisation. Im Vorfeld einer internationalen Sicherheitskonferenz wird ihr Computer gestohlen, kurz darauf kommt ein Kollege zu Tode. Dass ihre Arbeit brisant ist, weiß Klara. Aber wer könnte bereit sein, dafür zu töten? Die Spuren führen nach Schweden. In Stockholm begegnen sich die jungen Frauen: beide auf der Suche nach der Wahrheit. Beide in höchster Gefahr. «Unglaublich spannend und brandaktuell. Eines der Bücher, die man dieses Jahr unbedingt gelesen haben muss.» (Skånska Dagbladet) «Weit mehr als ein gewöhnlicher Krimi, ein Roman, der lange nachhallt.» (Ölandsbladet) «Es ist vor allem Fadis Geschichte, die einen berührt und unter die Haut geht.» (Hallandsposten) «Ein elegant erzählter internationaler Thriller. Anspruchsvoll und erschreckend glaubwürdig.» (Dagens Nyheter) «Zander ist besser und realistischer als Stieg Larsson und David Lagercrantz.» (Gefle Dagblad) «Dass dieses Buch als bester schwedischer Krimi des Jahres nominiert ist, versteht sich von selbst. Zander ist definitiv einer unserer neuen Stars.» (DAST Magazine) «Einer der stärksten Krimis dieses Jahres. ?Der Bruder? kombiniert Spannung, Tempo, aktuelle Themen mit Figuren, die einem wirklich ans Herz wachsen.» (CrimeGarden) «Nach Stieg Larsson, Henning Mankell und Jens Lapidus gibt es eine neue große Stimme in der skandinavischen Krimiszene: Joakim Zander.» (Metro) NOMINIERT FÜR DEN SCHWEDISCHEN KRIMIPREIS

Joakim Zander, 1975 in Stockholm geboren, wuchs in Söderköping an der schwedischen Küste auf und lebte in Syrien, Israel und den USA. Er studierte Jura in Uppsala, promovierte in Maastricht und arbeitete danach für das Europäische Parlament und die Europäische Kommission in Brüssel und Helsinki. Sein Debütroman «Der Schwimmer» und Auftakt der Klara-Walldéen-Reihe erschien in 30 Ländern und war ein internationaler Bestseller, eine US-Verfilmung ist geplant. Nach den Folgebänden «Der Bruder» und «Der Freund» beschreitet der Autor mit seinem literarischen Spannungsroman «Ein ehrliches Leben» neue Wege, das Buch wird von Netflix prominent verfilmt. Der Autor lebt in Lund. 

Joakim Zander, 1975 in Stockholm geboren, wuchs in Söderköping an der schwedischen Küste auf und lebte in Syrien, Israel und den USA. Er studierte Jura in Uppsala, promovierte in Maastricht und arbeitete danach für das Europäische Parlament und die Europäische Kommission in Brüssel und Helsinki. Sein Debütroman «Der Schwimmer» und Auftakt der Klara-Walldéen-Reihe erschien in 30 Ländern und war ein internationaler Bestseller, eine US-Verfilmung ist geplant. Nach den Folgebänden «Der Bruder» und «Der Freund» beschreitet der Autor mit seinem literarischen Spannungsroman «Ein ehrliches Leben» neue Wege, das Buch wird von Netflix prominent verfilmt. Der Autor lebt in Lund.  Ursel Allenstein, 1978 geboren, übersetzt u.a. Sara Stridsberg, Johan Harstad und Tove Ditlevsen. 2011 und 2020 erhielt sie den Hamburger Förderpreis, 2013 den Förderpreis der Kunststiftung NRW und 2019 den Jane-Scatcherd-Preis für ihre Übersetzungen aus den skandinavischen Sprachen.

Winter 2011
Bergort, Schweden


Fadi

Wir fliegen tief durch die Vorstadt heute Nacht, unser Tempo ist perfekt geeicht, unsere Formation geschlossen und stark. Wir sind lautlos heute Nacht, unsere Augen sind Schlitze. Wir sind X-men, Band of Brothers, wir sind Elite.

Im Drivvedsvägen brennt ein Auto, und wir hören die Explosion der Scheiben in der Hitze und sehen das Glas auf den Schnee regnen wie Eis, durchsichtige Scherben, das Ergebnis von Frust und Zeitvertreib. Es ist ein Abend wie jeder andere in diesem Winter, und die Kids machen sich nicht einmal mehr die Mühe, über die Bahnüberführung davonzurennen, sondern bleiben um das Auto herum stehen, so nahe, dass sich die Flammen in ihren aufgerissenen Augen widerspiegeln und ihre Haarspitzen ansengen. Sie wissen genau, wie lange es dauert, bis die Sirenen ertönen, sie haben keine Eile, keine Verpflichtungen und nicht einmal mehr etwas, vor dem es sich zu fliehen lohnt.

Wir aber bleiben nicht, unser Ziel ist größer, wir sind längst keine Vogeljungen mehr, die Autos in Brand stecken, wir sind Adler und Falken, Raubtiere mit schärferen Krallen, spitzeren Schnäbeln, größerem Hunger. Lois, Fuchs, Mehdi und Bounty. Ich drehe mich um und betrachte meine Brüder, ihre Schatten im Schein des Feuers. Etwas in meinem Herzen wächst und wächst. Ich habe aufgehört, dir nachzujagen. Du bist schon so lange auf dem Weg fort von hier. Und auch wenn dein Schatten immer noch jeden Abend, wenn ich schlafen gehe, auf die graue Wand in meinem Zimmer fällt, sind es doch meine Freunde, meine Brüder, die so sind wie ich. Genauso orientierungslos und ahnungslos wie ich. Genauso müde und leer.

«Ey, Fadi?»

Bountys Stimme klingt hell und hohl, als hätte er nicht genug Luft oder Kraft in der Lunge.

«Schnauze, Schwuchtel», raunzt Fuchs.

Er verpasst Bounty einen Stoß gegen die Schulter, der ihn zur Seite taumeln lässt, in den tieferen Schnee hinein.

«Reißt euch zusammen», sage ich. «Jetzt ist es ernst, kapiert ihr das nicht?»

«Aber …», stammelt Bounty.

«Nichts aber, scharmuta!», faucht Fuchs und holt aus.

«Bist du dir denn wirklich sicher mit dem Code?», schiebt Bounty hinterher und springt zurück, um dem Schlag auszuweichen. «Bist du sicher, dass sie ihn nicht geändert haben?»

Der Beton beugt sich über uns, schließt uns ein, hält uns fest. Die Luft ist bei minus zehn Grad frostklar und riecht nach brennendem Benzin. Ich zucke mit den Schultern und spüre, wie sich meine Lunge zusammenzieht. Ich habe dasselbe Gefühl wie immer: dass ich nichts weiß und mir keiner Sache sicher bin.

«Ja, Mann», antworte ich. «Und jetzt halt die Fresse.»

 

Wir warten im Schatten auf der anderen Seite des Pirattorget, obwohl der Platz menschenleer ist, es ist halb zwei Uhr nachts. Wir warten, bis die Sirenen von der Autobahn herüberdringen und der Himmel über dem Spielplatz von Blaulicht erhellt wird. Wir warten, bis wir Mehdi sehen, der über die eiskalten Steinplatten vor Samis Kebab herantrottet, seine Schritte hallen dumpf in der Winternacht. Die Sirenen sind verstummt, jetzt hört man nur noch das Geschrei der Kids, die sich auf dem Bahnübergang in die andere Richtung entfernen.

«Alles locker», sagt Mehdi atemlos, seine asthmatischen Lungen pfeifen und rasseln.

Er beugt sich vor, ächzt und stöhnt.

«Es ist nur die Feuerwehr, die schicken nicht mal mehr die Bullen her.»

Wir nicken schweigend, feierlich, als wären wir auf einer Beerdigung. Jetzt wird es ernst. Der Schlüssel brennt in meiner Tasche, der Code in meinem Gedächtnis. Ich drehe mich um, und mein Blick wandert zu den kinderfingerverschmierten Fenstern auf der anderen Seite des Platzes und von dort weiter hinauf, die rissige Fassade entlang mit ihren lädierten Jalousien und Bettlaken anstelle von Gardinen und den somalischen Flaggen, und dann schaue ich noch weiter empor, über die Dächer. Der Himmel ist schwarz und kalt, und nicht einmal die Sterne sind heute zu sehen, nicht einmal ein halber, trauriger Mond, nur schwarze Wolken. Dennoch verharrt mein Blick dort oben, festgefroren wie die Nacht, wie meine Finger. Das ist die wahre Entscheidung. Du oder die Brüder.

Ich reiße meinen Blick vom Nachthimmel los und sehe die anderen an.

«Worauf warten wir noch? Jalla!»

 

Wir schwärmen in Formationen über den Platz, leise und schnell, wie Tarnkappenflieger, wie fucking drones. Wir sind eine Einheit, wir sind Gangster, wir sind Elite. Kein Laut, nur der Dampf, der aus unseren Mündern strömt, nur die Atemzüge und das Blut, das in unseren Ohren rauscht, nur wir und unser Auftrag.

Es ist leicht. Einfach den Schlüssel ins Schloss, keine Blicke über die Schultern. Alle hinein, und dann mache ich es so, wie ich es bei dir beobachtet habe, ich gehe direkt zu dem weißen Kästchen, konzentriere mich einzig und allein auf meinen Herzschlag und auf den Puls, schon vermeldet das Display «Deaktiviert», nur eine Zehntelsekunde Warten, dann der lange Piepston, der bedeutet, dass es funktioniert hat. Wir sind drin. Schnelle, stumme Hi-fives, die Taschenlampen hervorgeholt, an der Garderobe vorbei und hinein ins Studio.

Zwei MacBooks auf dem Tisch im Mischraum. Swoosh! Gehören jetzt uns. Zwei Samsung-Handys in der Ladestation. Swoosh! Gehören jetzt uns. Drei kleine Tablets. Swoosh! Mikros und Gitarren. Wir sehen uns an. Drauf gepfiffen, zu schwer. Ich beuge mich rasch unter das Mischpult, gehe in die Hocke, taste im Dunkeln, bis ich ihn finde. Langsam ziehe ich den Schuhkarton hervor. Nike. Ich öffne ihn, stecke die Nase hinein, und der süßliche Geruch von Gras schlägt mir entgegen.

«Ey!»

Ich halte meinen Brüdern einen fertiggedrehten Joint hin, und sie machen große Augen. Aber es gibt noch mehr. Das habe ich gesehen, als ich mit dir hier war, ich habe gesehen, wie Blackeye irgendeinem Loser zweitausend Kronen gegeben hat, um Alk zu beschaffen. So bin ich überhaupt erst auf die Idee gekommen.

 

Ich schleiche in den anderen Raum, das Büro. Ziehe an der obersten Schublade, aber sie klemmt. Jackpot!

«Fuchs!», flüstere ich ins Studio. «Schraubenzieher!»

Fuchs ist der König der Schraubenzieher, Stemmeisen und Brechstangen. Nicht ein Fenster, nicht eine Tür, die er nicht öffnen könnte – das hier ist fast zu einfach für ihn. Er setzt unter der Schreibtischplatte an, drückt das Werkzeug nach oben, und schon springt die Schublade auf. Die Kasse ist grün und schwer, aber ich halte Fuchs auf, als er sich daran zu schaffen machen will.

«Scheiß drauf», sage ich. «Darum kümmern wir uns später.»

Und dann sind wir fertig. Wir strömen durch die Tür wie Wasser, die Arme voll mit unserer Beute, und rennen zum Spielplatz, wo wir sie grob unter uns aufteilen. Ich nehme die Kasse und ein Macbook.

«Jetzt erst mal den Ball flachhalten. Wir sehen uns Donnerstag.»

Und dann ist es vorbei. Die Nacht ist wieder kalt und klar. Die Autos brennen nicht mehr. Und jetzt bricht die Müdigkeit über mich herein wie ein Meer, wie Schnee, wie die Dunkelheit, und ich taumle nach Hause, leer und still, aber gar nicht aufgekratzt von meiner Gesetzlosigkeit, weder zufrieden noch stark. Überhaupt nicht so, wie ich dachte.

 

In meinem Zimmer angekommen, will mich der graugelbe Lichtschein der Laterne vor meinem Fenster nicht mehr loslassen, er bahnt sich den Weg unter meine Lider und in meine Pupillen hinein, selbst wenn ich die Augen schließe und meinen Kopf tief in das Kissen bohre. Das Licht lässt mir keine Ruhe. Irgendwann gebe ich auf und öffne die Augen. Ich setze mich im Bett auf, ohne die Lampe einzuschalten. Die Zeit zieht sich in die Länge und ändert ihre Gestalt, bis sie ganz verschwindet und plötzlich die Tür quietscht und der Boden knarrt. Ich drehe mich nicht um, sondern starre weiter die Wand an.

 

Du bringst den Winter ins Zimmer herein, als du die Tür öffnest und dich auf meine Bettkante setzt. Die Luft steht still.

«Erinnerst du dich noch an damals, als wir klein waren?», fragst du. «Oder was heißt klein, du warst vielleicht zehn. Erinnerst du dich, wie ich anfing zu sagen, dass wir von hier wegmüssen?»

Ich weiß, was du erzählen wirst, es ist ein Teil unserer Mythologie, aber ich sage nichts. Ich sitze nur da, still und mit geradem Rücken.

«Ich hatte mich schon wieder mit ihnen gestritten. Worum es ging, weiß ich nicht mehr. Irgendein chara, einfach nur Mist. Und ich musste raus und kam erst spät wieder nach Hause. Du warst schon zu groß, um mit deinem dreckigen alten Lego vom Flohmarkt zu spielen, und als ich nach Hause kam, hattest du all deine blauen Steine auf eine der grünen Platten gesteckt und zwischendrin ein paar weiße und sie auf mein Bett gestellt, ehe du eingeschlafen bist. Erinnerst du dich?»

Ich nicke schwach. Ich erinnere mich. Ich erinnere mich an alles.

«Erinnerst du dich, was es war?»

Ich antworte nicht. Es ist zu lange her. Es liegt zu viel dazwischen.

«Du hast gesagt, es wäre ein Meer. Du hättest uns ein Meer gebaut, auf dem wir davonsegeln können. Und du würdest ein Boot organisieren, mit dem wir fahren könnten.»

Ich spüre, wie es in meinen Augen und meiner Brust brennt. Ich spüre, wie sich alles zusammenzieht, wie ich in der Vergangenheit untergehe, wie ich in der Zukunft untergehe. Um zu ertrinken, braucht man kein Wasser.

«Aber das Boot hast du nie klargemacht, Fadi. Nur das Meer.»

Ich will etwas erwidern, vielleicht eine Erklärung, vielleicht eine Entschuldigung. Entschuldigung, Entschuldigung. Aber ich weiß,...

Erscheint lt. Verlag 24.6.2016
Reihe/Serie Klara Walldéen
Klara Walldéen
Übersetzer Nina Hoyer, Ursel Allenstein
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Ausschreitungen • Bergort • Bestechung • Bruder • Extremismus • Geheimdienste • Integration • IS • Klara Waldéen • Klara Walldéen • Krawalle • Lobbyismus • London • Manipulation • Radikalisierung • Schwester • Schwimmer • Stockholm • Überwachung
ISBN-10 3-644-52921-3 / 3644529213
ISBN-13 978-3-644-52921-2 / 9783644529212
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