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Der geheime Himmel Eine Geschichte aus Afghanistan (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 2. Auflage
300 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-42811-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der geheime Himmel Eine Geschichte aus Afghanistan -  Atia Abawi
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Wenn Liebe ein Verbrechen ist. In ihrer Kindheit haben Fatima und Samiullah in ihrem afghanischen Dorf miteinander gespielt - doch als Sami von der Uni zurückkehrt und die beiden sich ineinander verlieben, setzen sie eine Kette tragischer Ereignisse in Gang. Samis Cousin Rashid, der sich einer islamischen Miliz angeschlossen hat, verrät die beiden ...  

Atia Abawi als Kind afghanischer Eltern in Deutschland geboren, wuchs in den USA auf. Bereits als Schülerin wusste sie, dass sie einmal Journalistin werden wollte. Sie berichtete fünf Jahre lang als Auslandskorrespondentin für CNN und NBC aus Kabul. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Jerusalem.

Atia Abawi als Kind afghanischer Eltern in Deutschland geboren, wuchs in den USA auf. Bereits als Schülerin wusste sie, dass sie einmal Journalistin werden wollte. Sie berichtete fünf Jahre lang als Auslandskorrespondentin für CNN und NBC aus Kabul. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Jerusalem.

Erster Teil


Eins




Fatima

Ich kenne diesen ausgetretenen Pfad besser als mich selbst. Während ich durch den nussfarbenen Dunst laufe, schmecke ich den salzig bitteren Geschmack des verdorrten Bodens, der mir über die Luft in den Mund dringt. Schon als Kind habe ich immer versucht, ganz vorn zu laufen, damit sich der Staub nicht auf meine Kleidung legt. Es gibt nichts Schlimmeres als den Geruch von Erde, der an den Kleidern haftet, wenn man abends auf seiner Matratze liegt und einschlafen will. Er lässt einen nicht los und schleicht sich in die Träume.

Dennoch tröstet mich der Pfad. Er ist mir vertraut. Die neuen Kurven meines Körpers sind mir fremder als seine Biegungen.

Ich schaue an mir herab und bin froh, dass ich mich unter einem übergroßen payron2 verstecken kann. Ich beneide meine dreijährige Schwester Afifa. Sie muss sich keine Gedanken darüber machen, was es heißt, eine Frau zu werden. Zumindest noch nicht. Ich drehe mich um und sehe, wie sie hinter mir in meine Fußspuren springt, ebenso sorglos, wie ich es einmal war.

»Was machst du da, du verrücktes Mädchen?«, fragt meine beste Freundin Zohra meine kleine Afifa.

»Ich springe, damit ich nicht ertrinke!«, sagt diese entschieden und streckt die Zunge seitlich aus dem Mund, als sie auf dem nächsten Fußabdruck landet.

»Ertrinken? In was? Wir laufen über Erde.« Zohra schüttelt den Kopf.

»Nein, das ist ein Fluss!«, erwidert Afifa. »Und Fatos Spuren sind die Steine, auf die ich springen muss, damit ich nicht ertrinke!«

»Also gut, du dewanagak«, sagt Zohra lachend. »Deine Schwester hat wirklich eine blühende Fantasie, Fatima. Ich glaube nicht, dass wir in ihrem Alter so einfallsreich waren.«

»Ich glaube schon, dass wir das waren«, erwidere ich. »Ich zumindest. Du hast dich immer vor allem gefürchtet, selbst vor deinem eigenen Schatten.« Ich muss lachen.

»Was weißt du schon?«, schmollt Zohra, wie erwartet. Das Beste daran, sie zu ärgern, ist, dass sie furchtbar schlecht dagegenhalten kann. Sie ist aus vielen Gründen meine beste Freundin und das ist definitiv einer davon.

Ich lache weiter vor mich hin und schließlich stimmt auch Zohra ein. Sie konnte mir noch nie lange böse sein, selbst wenn ich es verdiene.

Wir haben den Brunnen fast erreicht, als der Baumstamm vor uns auftaucht. Wir kommen fast täglich an ihm vorüber, und er erinnert mich jedes Mal daran, wie das Leben war, als wir Dorfkinder unsere Tage noch damit verbrachten, zusammen zu spielen. Meine Mutter meint, für ein Mädchen mit meiner Figur gehöre es sich nicht mehr, draußen herumzulaufen und zu spielen, die Leute würden es für unanständig halten. Aber selbst wenn sie mich ließe, ist niemand mehr übrig, mit dem ich über die Felder laufen könnte. Die meisten Mädchen in meinem Alter dürfen das Haus nicht mehr verlassen, und die Jungen haben angefangen, ihren Vätern auf den Feldern oder im Laden zu helfen.

Zohra und ich dürfen uns noch besuchen, aber selbst mit ihr ist es nicht mehr so, wie es einmal war. Sie will nicht mehr herumrennen; sie sitzt lieber da und flicht mir die Haare, während sie mir Dorfklatsch erzählt.

Zum ersten Mal im Leben fühle ich mich allein. Einsam. Obwohl meine kleinen Brüder und meine Schwester ständig um mich herum sind, ist es, als würde ich nicht länger zur Familie gehören – zumindest nicht dieses neue Ich: dieses bizarre, kurvige, erwachsene Ich. Das Gefühl des nirgendwo Dazugehörens erfüllt mich mit einer Leere, die ich niemandem erklären kann, nicht einmal Zohra. Im Gegensatz zu mir scheint sie all die Veränderungen zu begrüßen.

Ich wünschte, ich könnte wie dieser Baumstamm sein. Er war schon immer so, wie er jetzt ist: groß genug, um den kleinen Hinterteilen von einem guten Dutzend Kindern Platz zu bieten, die sich dicht zusammendrängen. Wir hockten da und ruhten uns aus vom Toben im Dorf, teilten Leckereien, wenn wir welche hatten, und kauten die Nüsse und Maulbeeren, die wir im nahen Wald gepflückt hatten.

»Was lächelst du denn so?«, unterbricht Zohra meine Gedanken.

»Nichts. Ich habe nur gerade daran gedacht, wie wir früher rund um diesen Baumstamm gespielt haben«, sage ich, während mein Lächeln erlischt. »Er sieht so traurig aus ohne uns.«

»Du bist diejenige, die wegen einem Stück Holz ein trauriges Gesicht macht«, erwidert Zohra. »Außerdem glaube ich nicht, dass wir auf diesem Ding heute noch alle Platz hätten. Unsere Hintern sind ein bisschen größer geworden, falls dir das noch nicht aufgefallen ist.« Sie grinst. »Ich weiß noch, wie Rashid das Ding beim Beerenpflücken im Wald gefunden hat und wir es hierherrollen mussten. Ich glaube, mein Kreuz hat mir das bis heute nicht verziehen!« Zohra fasst sich theatralisch an den Rücken und beugt sich vor wie eine alte bibi, wobei sie ihrer Großmutter tatsächlich sehr ähnlich sieht.

Obwohl es eine Ewigkeit her ist, erinnere ich mich noch genau an diesen Tag. Alle zusammen hatten wir diesen Holzklotz vor uns hergerollt. Es war ein anstrengendes Unterfangen, und keiner von uns hatte geglaubt, dass wir es schaffen würden, bis auf Samiullah, dessen Familie der Brunnen und die dahinterliegenden Felder gehören. Er wusste, dass wir es schaffen konnten. Kaum waren wir ein paar Schritte vorangekommen, wollte irgendeiner aufhören. Doch Samiullah ließ es nicht zu. Er feuerte uns pausenlos an weiterzuschieben.

Er war immer der Anführer unserer kleinen Bande von Dorfkindern gewesen. Einige Familien erlaubten es ihren Kindern nicht, mit uns zu spielen, weil wir eine gemischte Gruppe waren – paschtunische und hazarische Kinder, die miteinander spielten –, aber unsere Eltern störte das nicht. Wir waren durch das Land und unsere Väter verbunden. Samiullahs paschtunischer Vater ist der Landbesitzer und unsere hazarischen Väter sind die Bauern.

Nachdem wir den Stamm an den Platz bugsiert hatten, an dem er heute liegt, setzten wir uns darauf und zogen uns gegenseitig die Splitter heraus. Wir konnten kaum glauben, dass wir es geschafft hatten, genau wie Samiullah es vorausgesagt hatte.

»Hast du gehört, dass Sami wieder da ist?«, unterbricht Zohra meine Gedanken an früher.

»Was?« Ich muss mich verhört haben. Samiullah war fortgegangen, um die Religionsschule zu besuchen. Ich dachte, er würde jahrelang fortbleiben. Er konnte unmöglich wieder da sein.

»Ja, ich habe gehört, er wäre zurück aus der madrasa. Jedenfalls hat mein Vater das gestern Abend meiner Mutter und meiner Großmutter erzählt. Er hat es von Kaka Ismail erfahren«, fügt sie hinzu, während sie ihren leeren Kanister in die Luft wirft und wieder auffängt und Afifa damit zum Lachen bringt.

»Samis Vater hat es deinem Vater erzählt?«, frage ich, immer noch verwirrt.

»Ja. Hat dein Vater dir nichts gesagt? Kaka Ismail hat es ihnen wohl erzählt, als er vorbeikam, um nach den Feldern zu sehen.« Diesmal griff sie nach dem Wurf daneben. »Er hat es nicht lange ausgehalten, was?« Sie hebt den Kanister auf und wischt den Staub ab.

»Wie meinst du das?« Ich verstehe gerade kein Wort von dem, was Zohra sagt. Wie kann Samiullah wieder da sein? Warum habe ich ihn noch nicht gesehen? Warum habe ich nicht gewusst, dass er zurückgekommen ist? Wir waren früher eng befreundet, Sami und ich. Ist er hier vielleicht irgendwo? Wir sind ganz in der Nähe seines Hauses. Er könnte hier überall sein.

»Die meisten Jungen kommen erst zurück, wenn sie erwachsen sind und struppige Bärte haben. Und dann erzählen sie uns, was für schlechte Moslems wir sind«, sagt Zohra und verdreht die Augen. »Ein Glück, dass er früher abgegangen ist. Rashid ist anscheinend noch dort. Kaka Ismail hat gesagt, er käme auch bald nach Hause, aber nur zu Besuch. So wie ich Rashid kenne, wird er uns, wenn er mit der madrasa fertig ist, allesamt als Ungläubige aufhängen wollen, einfach nur, weil er es kann.«

»Sag das nicht.«

»Warum nicht? Wir wissen doch beide, dass er schon immer ein bisschen dewana war.« Zohra zuckt mit den Achseln, ehe sie übermütig zu schielen beginnt.

Ich schnalze missbilligend mit der Zunge und schnappe mir ihren Kanister. Samiullahs Vetter war schon immer ein bisschen rauer als der Rest der Familie, aber er ist nicht verrückt. Er war ein Teil unserer Kindheit. Ein Teil dessen, was uns zu dem gemacht hat, was wir sind.

Während ich den Pfad entlanggehe, schwirren mir Zohras Neuigkeiten durch den Kopf. Ist Samiullah wirklich wieder zu Hause? Als er vor drei Jahren fortging, glaubte ich, meinen Freund für immer verloren zu haben. Ist er tatsächlich zurück?

Ich spähe durch die Bäume, die das Haus seiner Familie vom Brunnen abschirmen, und eine Flut von Fragen rauscht mir durch den Kopf: Ist er da? Sieht er mich gerade? Ist mein Kleid sauber? Warum habe ich mir heute von Zohra nicht die Haare flechten lassen? Warum spielt das überhaupt eine Rolle?

Doch ich kenne die Antwort auf die letzte Frage. Ich weiß, warum es eine Rolle spielt.

Ich war immer davon ausgegangen, dass es mir nach Samiullahs Rückkehr nicht mehr gestattet sein würde, ihn zu sehen, dass wir in einem Alter sein würden, in dem sich ein Mann und eine Frau nicht besuchen dürfen, wenn sie nicht miteinander verwandt sind. Ich hatte angenommen, sie würden ihm eine Frau suchen, sobald er nach Hause kommt, und ihn verheiraten. Und ich wäre zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich ebenfalls verheiratet. Mit einem anderen. Ein Gedanke, bei dem ich Magenschmerzen bekomme.

Sami war...

Erscheint lt. Verlag 22.9.2015
Übersetzer Bettina Münch
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Afghanistan • eBook • Flucht • Hazara • Islamismus • Jugendroman • Junior • Kabul • Liebesgeschichte • orthodoxer Islam • Paschtunen • Schiiten • Stammeswesen • Sunniten • Taliban • Terrormiliz • Verbotene Liebe
ISBN-10 3-423-42811-2 / 3423428112
ISBN-13 978-3-423-42811-8 / 9783423428118
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