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Das Apfelkuchenwunder oder Die Logik des Verschwindens (eBook)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
256 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0136-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Apfelkuchenwunder oder Die Logik des Verschwindens -  Sarah Moore Fitzgerald
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Ein wunderbares Buch über das Anderssein, über wahre und falsche Freundschaft und darüber, dass die Rettung manchmal von unerwarteter Seite kommt Oscar ist Megs bester Freund. Er hat ein besonderes Gespür für seine Mitmenschen und ist mit seinem Apfelkuchen stets zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Doch als er selbst Hilfe braucht, ist Meg am anderen Ende der Welt. Und auch sonst ist niemand für ihn da. Oscar verschwindet spurlos - und alle befürchten das Schlimmste. Alle, bis auf Meg. Sie ist fest entschlossen, herauszufinden, was wirklich passiert ist ...

Sarah Moore Fitzgerald, geboren 1965 in New York, USA, ist Professorin für Psychologie. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Limerick, Irland, und glaubt ganz fest an die magische Wirkung von Apfelkuchen. Und daran, dass man die Hoffnung niemals aufgeben darf. Literaturpreise: ?Das Apfelkuchenwunder oder Die Logik des Verschwindens?: Nominiert für den Waterstones Children's Book Prize (Shortlist) 2015 Ausgezeichnet mit dem Irish Book Award 2014

Sarah Moore Fitzgerald, geboren 1965 in New York, USA, ist Professorin für Psychologie. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Limerick, Irland, und glaubt ganz fest an die magische Wirkung von Apfelkuchen. Und daran, dass man die Hoffnung niemals aufgeben darf. Literaturpreise: ›Das Apfelkuchenwunder oder Die Logik des Verschwindens‹: Nominiert für den Waterstones Children's Book Prize (Shortlist) 2015 Ausgezeichnet mit dem Irish Book Award 2014 Adelheid Zöfel lebt und übersetzt in Freiburg im Breisgau. Zu den von ihr übersetzten Autoren gehören u.a. Marisha Pessl, Chuck Klosterman, Bill Clegg, David Gilmour, Janice Deaner und Louise Erdrich.

Das erste Stück


Vor der Kirche stand ein Krankenwagen bereit, für den Fall, dass jemand ohnmächtig wurde. Männer mit grünen Armbinden regelten den Verkehr. Jemand hatte in roten Druckbuchstaben VOLL auf ein Pappschild geschrieben und es an die Zufahrt zum Parkplatz gehängt. Nachbarn öffneten ihre Gartentore.

Im Innern der Kirche waren bei den ersten vier Reihen an den Sitzen hinten große Papierstreifen angebracht, auf denen Reserviert stand, weil nur die Schüler aus Oscars Klasse dort sitzen durften.

Alle schienen wie benommen. Es war der Fürbittegottesdienst für Oscar Dunleavy. Oscar galt als vermisst, und vermutlich lebte er nicht mehr – und an so etwas kann sich kein Mensch gewöhnen.

Pater Frank war der absolute Mittelpunkt. Er sagte, Oscars Klassenkameraden bräuchten alle noch viel Zeit und Zuwendung, wegen der »ungewohnten, furchtbaren, unglaublichen Gefühle«, die man empfindet, wenn jemand, mit dem man in die Schule gegangen ist, nicht mehr da ist und man ihn höchstwahrscheinlich nie wiedersehen wird.

Wir brauchten auch Wolldecken, weil die Heizung in der Kirche kaputtgegangen war, ausgerechnet jetzt, da das eklige Februarwetter sich noch einmal gesteigert hatte.

Ich hörte Pater Frank mit den Eltern darüber reden, dass wir alle eine »sehr schwere Zeit« vor uns hätten, denn wir mussten ja Tag für Tag Oscars leeren Platz sehen und an seinem graffitibeschmierten und mit einem Hängeschloss gesicherten Schließfach vorbeigehen, das bisher keiner aufzubrechen gewagt hatte. Pater Frank war in seinem Element, weil er sich mit etwas beschäftigen konnte, was bedeutender war als seine normalen Alltagspflichten, die in der Regel darin bestanden, dass er in der Schule herumlief und die Schüler ermahnte, sie sollten den Müll aufheben oder ihren Kaugummi ausspucken.

Jetzt tröstete er traurige, traumatisierte Menschen und redete mit ihnen in der Kummer-und-Leid-Sprache, die er offenbar fließend beherrschte.

Er sagte Folgendes: Selbst wenn es so aussah, als kämen wir alle gut zurecht, erwarteten uns doch verwirrende Phasen, in denen wir diesen Verlust wie eine Attacke auf unsere empfindlichen jungen Seelen erleben würden, und zwar nicht nur in den leeren, leidvollen Wochen, die unmittelbar bevorstanden, sondern noch viele Jahre lang.

Einer nach dem anderen betrat die Kirche. Bleiche Gesichter. Gerötete Nasen. Die ganze Klasse verschmolz zu einem stummen Fleck, zu einem verschwommenen Phantom aus blauen Uniformen, ungreifbar wie ein riesiges Gespenst.

Jedes Mal, wenn ich mich umschaute, entdeckte ich etwas, was ich nicht sehen wollte: das zuckende Gesicht eines erwachsenen Mannes; eine Frau, die in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch kramte; eine Nachbarin, der die Tränen schon vom Kinn tropften. Zwischendurch hörte man immer wieder ein gedämpftes Hallo und verkrampft klingendes Gehuste.

Und dann war da Oscars Vater, der Stevies Rollstuhl schob. Die beiden sahen aus wie die zerbrochenen Glieder einer Kette. Einen Moment lang schwebte über uns allen das Quieken eines Babys – ein fröhliches Geräusch, klar und hell inmitten in der ganzen Verzweiflung. Und dann die Blumen! Massenhaft Blumen, alle blau und gelb.

»Kornblumen, Butterblumen«, sagte Pater Frank irgendwann in seiner endlos langen Ansprache.

»Kornblumen für das Blau seiner blauen Augen. Butterblumen für seine leuchtende Seele.« Ehrlich, genau das hat er gesagt.

Es roch nach Kräutern und nach Moschus. Staub stieg aus den Winkeln der Kirche auf, wie ein überirdischer Hauch. Und während dieser ganzen Zeremonie, die niemand wollte, bemühten sich alle meine Mitschüler, einander nicht in die Augen zu sehen.

Ich befürchtete schon fast, Pater Frank würde immer weiterreden, bis in alle Ewigkeit, doch dann wurde seine Stimme tiefer, er sprach langsamer und feierlicher, ein Zeichen dafür, dass dieser Teil des Gottesdienstes zu Ende ging und etwas Neues begann.

»Und nun«, sagte er, »nun wollen wir Oscars beste Freundin bitten, nach vorn zu kommen und ihre Fürbitte vorzutragen. Sie stand Oscar näher als alle anderen. Sie wird ein paar Worte sagen, zum Gedenken an ihren Freund – in unser aller Namen, die wir ihn kannten und gern hatten.«

Mir wurde ganz heiß vor Verlegenheit. Es war die Art von Verlegenheit, die einen überkommt, wenn man völlig unvorbereitet mit etwas Wichtigem konfrontiert wird. Niemand hatte mir gesagt, dass ich eine Fürbitte vortragen sollte. Ich war nicht in der Stimmung, vor alle hinzutreten und zu sprechen. Aber ich holte ein paarmal tief Luft und sagte mir: Nimm dich zusammen – für Oscar. Ich vermutete, dass der Text der Fürbitte auf dem Lesepult neben Pater Frank lag. Garantiert hatte irgendjemand den Auftrag gehabt, mir Bescheid zu sagen, und es dann in dem allgemeinen Durcheinander vergessen. Denn es hatte mich niemand informiert, aber unter den gegebenen Umständen war das ja verständlich.

Kein Mensch kam, um mir Anweisungen zu geben. Ich konnte nur die Köpfe der anderen sehen, sonst nichts. Schließlich stand ich auf, weil die Stille in der Kirche immer erdrückender wurde und die Leute schon nervös auf den Bänken hin und her rutschten. Durch die Menschenmenge vor mir schien eine Welle der Unruhe zu gehen.

Und dann erhob sie sich. Wie ein Engel, strahlend und mit goldenem Haar, schwebte sie nach vorn, voller Anmut. Bei ihrem Anblick wurden meine Füße bleischwer, und ich klebte am Boden fest. Das Engelsgeschöpf trat ans Mikrophon.

»Wer ist das?«, fragte ich meine Mutter, aber sie wusste es auch nicht.

Ich beugte mich zu Andy Fewer, der in der Reihe vor mir saß. »Wer ist das?« Und als das Mädchen zu sprechen begann, fiel mir ein, dass ich ihre Gestalt schon einmal gesehen hatte, und da wusste ich, wer sie war.

»Der Tod ist gar nichts …«

Ihre Stimme klang wie schmelzende Schokolade und schwang durch den Raum wie süße Musik.

»… nur ein kurzer Augenblick, und alles wird wieder so sein, wie es vorher war.«

Andy drehte sich zu mir um, sein Blick verschleiert.

»Das ist Paloma«, flüsterte er, als hätte ich ihn gefragt, auf welchem Planeten wir uns befinden. »Paloma Killealy.«

Ja klar!, dachte ich. Natürlich ist das Paloma.

Als sie ihre Fürbitte beendet hatte, sagte sie, es gebe ein Lied, das Oscar besonders gemocht habe, seit – na ja, eigentlich seit immer. Und sie selbst denke jedes Mal, wenn sie es höre, an ihn.

»Dieses Lied ist für dich, Osc«, sagte sie und begann, eine Melodie zu singen, die ich nicht kannte.

Osc? Seit wann hieß er Osc? Kein Mensch nannte ihn so.

Wenn einem jungen Menschen etwas Schlimmes zustößt, und wenn sich Menschen in einer Kirche versammeln, um für ihn zu beten, dann entstehen seltsame Schwingungen, so ein Summen und Rauschen. Alles bebt und zittert. Wie bei einem Erdbeben, denke ich – als wäre sogar der Erdboden schockiert und entsetzt, weil das alles so ungerecht und so falsch ist.

»Er hatte noch das ganze Leben vor sich«, war der naheliegende, sinnlose Satz, den die Leute ständig wiederholten. Aber sie konnten reden, was sie wollten – es änderte nichts. Jedenfalls nicht jetzt. »Es ist zu spät«, sagten sie. Oscar hatte sich entschieden – und wir mussten bis an unser Lebensende unter dieser Entscheidung leiden. Er war nicht mehr da. Und inzwischen gingen alle ganz selbstverständlich davon aus, dass er nicht zurückkommen würde.

Der Februar war Oscars Lieblingsmonat gewesen.

Ich hatte einmal zu ihm gesagt, dass er vermutlich der einzige Mensch im Universum mit einem Lieblingsmonat ist. Aber er ließ sich nicht beirren. Er hatte eine spezielle Theorie: Wenn man kein Kind mehr ist, dann ist Weihnachten nur noch eine große Enttäuschung. Und der Januar ist bekanntlich immer dunkel und langweilig, vollgestopft mit Hausaufgaben und stumpfsinnigen Mahlzeiten. Aber genau in dem Moment, wenn die Welt dir am trostlosesten erscheint, kommt der Februar angeschlichen, wie ein guter Freund, den du länger nicht gesehen hast, und tippt dir auf die Schulter.

Und speziell jener Februar hatte ein neues Schild hochgehalten, und wir hatten angefangen, Dinge zu planen, die wir noch nie getan hatten – aufregende Dinge – andere Dinge – Teenager-Dinge. Wir waren keine kleinen Kinder mehr, und dieser Februar war erfüllt gewesen von hundert neuen Chancen.

Jetzt waren sämtliche Chancen, die Oscar je gehabt haben mochte, radikal gesunken. Zum Nullpunkt.

Draußen auf den Kirchenstufen ging es förmlich und leise zu, aber da war so ein leises Gemurmel, das irgendwie lauter zu werden schien, als würde ein fernes, gigantisches Monster Sekunde für Sekunde näher kommen.

Eine Gruppe von Eltern hatte sich um Pater Frank versammelt. Die Sonne schien. Es war wie ein grausamer Scherz: Durch die Sonne wirkte alles viel schöner, als es hätte sein dürfen. Andy war da, Greg ebenfalls, und Pater Frank fragte: »Gute Güte, Jungs – warum nur, warum? Wie kommt jemand, den noch so viel Schönes erwartet, auf die Idee, dem Ganzen … dem Ganzen ein Ende zu setzen, so wie Oscar es allem Anschein nach getan hat?«

»Ach Pater, wissen Sie – dafür kann es unzählige Gründe geben«, sagte Andy, ernsthaft und ohne Stocken, als wäre er ein Experte auf diesem Gebiet. »Ich persönlich denke, eigentlich ist es ein Wunder, dass überhaupt einer von uns weiterleben möchte.«

»Was willst du damit sagen?«

»Ich will sagen, dass es beim Erwachsenwerden einen Augenblick gibt, da kommt...

Erscheint lt. Verlag 20.8.2015
Übersetzer Adelheid Zöfel
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Anderssein • Apfelkuchen • Apfelkuchenwunder • Armbinde • Ausgrenzung • Brief • Bücher für Mädchen • Druckbuchstabe • Einsamkeit • Erdbeben • Ermittlung • Familie • Fenster • Folter • Freundschaft • Freundschaft und Liebe • Friends & Family • Geschenk für Mädchen • Glasschüssel • Hilfe • Hitzewelle • Hoffnung • Intrige • Jackett • Jugendbuch • Jugendbücher ab 12 • Kampf • Krankenwagen • Kümmern • Liebe • Logik • Manipulation • MEG • Mobbing • Morgenstund • Mountainbike • Neuseeland • Oscar • Paloma • Pappschild • Poller • Psychoterror • Selbstmord • Silberglanz • Sitzsack • Stalker • Sternenlicht • stevie • Tag des Deutschen Apfels • Unterstützung • Verständnis • Verzweiflung • Winternacht
ISBN-10 3-7336-0136-X / 373360136X
ISBN-13 978-3-7336-0136-2 / 9783733601362
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