Metamorphosen (eBook)
614 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-960800-6 (ISBN)
Ovid (Publius Ovidius Naso, 20. März 43 v. Chr. Sulmona - um 17 n. Chr.) prägt mit seinen 'Metamorphosen' das Bild der Nachwelt auf die griechische Mythologie. Nach einem Studium der Rhetorik in Rom reist Ovid zu Studienzwecken nach Kleinasien und Griechenland. Eine Laufbahn als Beamter bricht er ab und beginnt eine außerordentlich erfolgreiche Dichterlaufbahn in Rom. Aus ungeklärten Gründen wird er 8 n. Chr. auf Geheiß des Kaisers Augustus an den Rand des Imperiums nach Tomi, dem heutigen rumänischen Konstanza, verbannt. Seine literarische Frühphase ist geprägt von erotischen Dichtungen wie 'Amores' ('Liebesgedichte') und 'Ars amatoria' ('Liebeskunst'). In der darauffolgenden Phase nimmt er sich großen Sagenzyklen an: Er ergründet mit 'Fasti' das römische religiöse Brauchtum und beginnt mit seinen Verwandlungsgeschichten - den 'Metamorphosen', die er im Exil beendet. In Tomi entstehen 'Tristia' ('Klagelieder'), in denen er sein Leben Revue passieren lässt und sein Schicksal beklagt. Manche dieser Dichtungen, daneben auch ein Lobgedicht auf Augustus und Tiberius, sollen eine Begnadigung erzielen - ohne Erfolg. Ovid stirbt acht Jahre nach seiner Verbannung im Exil. Der Übersetzer: Michael von Albrecht, geboren 1933, studierte in Stuttgart, Tübingen und Paris Musik, Klassische Philologie und Indologie. Nach der Promotion 1959 und der Habilitation 1963 lehrte er in Heidelberg als Ordinarius für Klassische Philologie (1964-1998) und als Gastprofessor in Amsterdam und USA. Ehrendoktor der Aristoteles-Universität in Thessaloniki (1998), Rußlanddeutscher Kulturpreis (1991), Praemium Classicum Clavarense 2000. 2004 wurde v. Albrecht mit dem 'Johann-Heinrich-Voss-Preis für Übersetzung' der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet, u. a. für seine bei Reclam erschienenen Übersetzungen von Ovid und Catull. Mitglied mehrerer Akademien und Fachzeitschriftenredaktionen. Herausgeber philologischer und musikgeschichtlicher Schriftenreihen und der Georg-von-Albrecht-Gesamtausgabe.
Ovid (Publius Ovidius Naso, 20. März 43 v. Chr. Sulmona – um 17 n. Chr.) prägt mit seinen "Metamorphosen" das Bild der Nachwelt auf die griechische Mythologie. Nach einem Studium der Rhetorik in Rom reist Ovid zu Studienzwecken nach Kleinasien und Griechenland. Eine Laufbahn als Beamter bricht er ab und beginnt eine außerordentlich erfolgreiche Dichterlaufbahn in Rom. Aus ungeklärten Gründen wird er 8 n. Chr. auf Geheiß des Kaisers Augustus an den Rand des Imperiums nach Tomi, dem heutigen rumänischen Konstanza, verbannt. Seine literarische Frühphase ist geprägt von erotischen Dichtungen wie "Amores" ("Liebesgedichte") und "Ars amatoria" ("Liebeskunst"). In der darauffolgenden Phase nimmt er sich großen Sagenzyklen an: Er ergründet mit "Fasti" das römische religiöse Brauchtum und beginnt mit seinen Verwandlungsgeschichten – den "Metamorphosen", die er im Exil beendet. In Tomi entstehen "Tristia" ("Klagelieder"), in denen er sein Leben Revue passieren lässt und sein Schicksal beklagt. Manche dieser Dichtungen, daneben auch ein Lobgedicht auf Augustus und Tiberius, sollen eine Begnadigung erzielen – ohne Erfolg. Ovid stirbt acht Jahre nach seiner Verbannung im Exil. Der Übersetzer: Michael von Albrecht, geboren 1933, studierte in Stuttgart, Tübingen und Paris Musik, Klassische Philologie und Indologie. Nach der Promotion 1959 und der Habilitation 1963 lehrte er in Heidelberg als Ordinarius für Klassische Philologie (1964–1998) und als Gastprofessor in Amsterdam und USA. Ehrendoktor der Aristoteles-Universität in Thessaloniki (1998), Rußlanddeutscher Kulturpreis (1991), Praemium Classicum Clavarense 2000. 2004 wurde v. Albrecht mit dem "Johann-Heinrich-Voss-Preis für Übersetzung" der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet, u. a. für seine bei Reclam erschienenen Übersetzungen von Ovid und Catull. Mitglied mehrerer Akademien und Fachzeitschriftenredaktionen. Herausgeber philologischer und musikgeschichtlicher Schriftenreihen und der Georg-von-Albrecht-Gesamtausgabe.
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch
Siebtes Buch
Achtes Buch
Neuntes Buch
Zehntes Buch
Elftes Buch
Zwölftes Buch
Dreizehntes Buch
Vierzehntes Buch
Fünfzehntes Buch
Inhaltsübersicht
Anmerkungen
Verzeichnis der Eigennamen
Nachwort
Zeittafel
Zweites Buch
Phaethon (II)
Der Palast des Sonnengottes stand stolz mit hochragenden Säulen da und strahlte von gleißendem Gold und feuerrotem Pyropus. Oben deckte den Giebel schimmerndes Elfenbein, und silberhell glänzten die beiden Torflügel. [5] Noch herrlicher als der Stoff war die Arbeit: Mulciber hatte nämlich dort in getriebenem Metall das Weltmeer dargestellt, wie es die Erde, die in der Mitte liegt, umgürtet; er hatte den Erdkreis gebildet und den Himmel, der sich darüber wölbt. Blaue Götter sind in den Wellen: Triton mit dem Muschelhorn, Proteus der Wandelbare, [10] Aegaeon, der mit den Armen riesige Walfischrücken drückt, Doris und ihre Töchter; einige von ihnen sieht man schwimmen; andere sitzen auf Felsen und trocknen ihr grünes Haar, manch eine reitet gar auf einem Fisch! Jede hat ein anderes Gesicht, und doch gleichen sie einander, wie es sich für Schwestern ziemt. [15] Die Erde trägt Männer und Städte, Wälder und wilde Tiere, Flüsse, Nymphen und andere Götter der Flur. Darüber steht das Bild des Himmels im Sternenglanz: sechs Tierkreiszeichen im rechten und ebenso viele im linken Türflügel.
Kaum ist der Spross der Clymene auf ansteigendem Pfad hier [20] angelangt und hat das Haus des Vaters, an dessen Vaterschaft er zweifelt, betreten, lenkt er alsbald seine Schritte vor das väterliche Angesicht; doch muss er weit entfernt stehen bleiben, denn aus größerer Nähe ertrug er das Licht nicht. In einem Purpurgewand saß Phoebus auf einem Thron, der von strahlenden Smaragden leuchtete. [25] Zur Rechten und Linken standen der Tag, der Monat, das Jahr, die Jahrhunderte und in gleichmäßigen Abständen die Stunden. Da stand der junge Frühling im Blütenkranz, da stand der nackte Sommer und trug Ährengewinde, da stand auch der Herbst, bespritzt von den Trauben, die er gekeltert hatte, [30] und der eisige Winter im struppigen grauen Haar. Darauf erblickte der Sonnengott, der den Platz in der Mitte innehatte, mit den Augen, mit denen er alles sieht, den Jüngling, den die ungewohnten Wunderdinge einschüchterten, und sprach: »Was ist der Grund deiner Reise? Was suchst du in dieser Burg, Phaethon, mein Sohn? Dein Vater verleugnet dich nicht.« [35] Er erwidert: »Gemeinsames Licht der unermesslichen Welt, Phoebus, mein Vater, wenn du mir erlaubst, dich so zu nennen, und Clymene nicht unter trügerischer Maske eine Schuld verheimlicht, gib mir ein Pfand, mein Vater, damit man glaubt, dass ich wirklich dein Kind bin, und nimm von meinem Herzen diese Ungewissheit.« [40] Sprach’s; da legte der Vater den Strahlenkranz ab, der rings um sein Haupt blitzte, hieß ihn näher treten, umarmte ihn und sagte: »Du bist es wert, dass ich mich zu dir bekenne, und Clymene hat über deine Herkunft die Wahrheit gesagt. Und damit du nicht mehr zweifelst: Erbitte dir ein beliebiges Geschenk, um es aus meiner Hand zu empfangen. [45] Als Zeugen für dieses Versprechen rufe ich den Sumpf an, bei dem die Götter schwören müssen und den meine Augen nicht kennen.« Kaum hatte er zu Ende gesprochen, da bittet der Knabe um den Wagen des Vaters und um das Recht, einen Tag die Rosse lenken zu dürfen, deren Füße geflügelt sind.
Da bereute der Vater seinen Schwur, schüttelte drei-, viermal [50] sein lichtglänzendes Haupt und sprach: »Leichtfertig ist mein Wort durch das deine geworden. O wäre es mir erlaubt, mein Versprechen nicht zu erfüllen! Ich bekenne es: Nur dies würde ich dir, mein Sohn, verweigern. Doch abzuraten steht mir frei. Was du dir wünschst, ist gefährlich. Etwas Großes begehrst du, Phaethon, eine Gabe, die diesen deinen Kräften [55] und deinen so jungen Jahren nicht entspricht. Dein Los ist es, sterblich zu sein; nicht sterblich ist, was du begehrst. Sogar mehr, als Göttern zuteil werden kann, beanspruchst du in deiner Unwissenheit. Mag auch jeder Gott viel von sich halten, so kann sich doch keiner außer mir auf die feurige Achse stellen. [60] Auch der Herrscher des großen Olymps, er, der mit furchtbarer Hand verheerende Blitze schleudert, wird diesen Wagen nicht lenken können; und was gibt es Größeres als Iuppiter?
Steil ist die erste Strecke des Weges; kaum bewältigen sie die Pferde, obwohl sie am Morgen ausgeruht sind. In der Mitte des Himmels ist die Bahn sehr hoch; [65] selbst ich fürchte mich oft, von dort auf Meer und Land hinabzublicken, und die Brust erbebt mir vor beklemmender Angst. Die letzte Strecke ist abschüssig und verlangt eine sichere Lenkung: Sogar Tethys, die mich dann im darunterliegenden Wasser auffängt, bangt oft, ich könnte in die Tiefe stürzen. [70] Außerdem ist der Himmel von einem ständigen Wirbel erfasst, zieht hoch oben die Sterne mit und dreht sie in raschem Umlauf. Ich stemme mich dagegen, mich überwältigt der Schwung nicht, der alles übrige mit sich fortreißt, und ich bringe meine Fahrt ans Ziel, der heftigen Kreisbewegung des Alls entgegen. Nimm an, ich hätte dir den Wagen gegeben. Was wirst du tun? Wirst du dich der Drehung der Himmelspole entgegenstemmen können, [75] so dass dich die schnelle Achse des Alls nicht mit sich fortreißt? Vielleicht stellst du dir vor, dass dort Haine und Städte der Götter sind und Heiligtümer, reich an Weihegaben? Nein, die Fahrt geht mitten durch Orte, an denen Schreckbilder von Tieren lauern. Und auch wenn du auf dem rechten Weg bleibst und dich von nichts beirren lässt, [80] wirst du doch zwischen den Hörnern des Stieres hindurchfahren, der sich dir entgegenstellt, vorbei am Bogen des haemonischen Schützen, am Rachen des reißenden Löwen, am Skorpion, der die unbarmherzigen Scheren in weitem Bogen krümmt, und am Krebs, der sie in anderer Richtung krümmt. Und du kannst nicht ohne weiteres die Rosse lenken; mit wildem Stolz beseelt sie das Feuer, [85] das sie in der Brust tragen und aus Maul und Nüstern ausstoßen; selbst mich dulden sie kaum, wenn einmal ihr heftiger Mut entflammt ist; und ihr Nacken widerstrebt den Zügeln. Du aber, nimm dich in acht, mein Sohn, dass ich dir nicht ein verhängnisvolles Geschenk geben muss, und solange du noch darfst, berichtige deinen Wunsch. [90] Natürlich, ein sicheres Unterpfand verlangst du, damit du glauben kannst, dass du Blut von meinem Blute bist. Ich gebe dir ein sicheres Unterpfand durch meine Furcht, und meine väterliche Angst um dich beweist, dass ich dein Vater bin. Hier: Sieh mein Gesicht! O könntest du in mein Herz blicken und darin die väterlichen Sorgen entdecken! [95] Und schau dir schließlich ringsum alles an, was die reiche Welt besitzt, und verlange irgendeines der so zahlreichen und großen Güter im Himmel, auf der Erde und im Meer! Du wirst keine Zurückweisung erfahren. Nur dies eine nimm, bitte, aus, das eigentlich eine Strafe, keine Ehre ist; eine Strafe erflehst du dir, Phaethon, als Geschenk. [100] Was umschlingst du meinen Hals, Ahnungsloser, mit schmeichelnden Armen? Zweifle nicht, du wirst alles bekommen, was du dir wünschst (ich habe bei den stygischen Fluten geschworen) – aber wähle einen vernünftigeren Wunsch!«
Er hatte seine Warnung beendet, doch Phaethon sträubt sich gegen die Worte, beharrt auf seinem Vorsatz und brennt vor Begierde nach dem Wagen. [105] Solange er durfte, hat der Vater gezögert. Nun führt er den Jüngling also zu dem hohen Wagen, einem Geschenk Vulcans. Golden war die Achse, die Deichsel golden, golden die Felge außen am Rad; die Reihe der Speichen war silbern. Am Joch spiegelten Chrysolithe und aufgereihte Edelsteine den Phoebus [110] und warfen sein strahlendes Licht zurück. Während der hochgemute Phaethon dies bewundert und das Kunstwerk betrachtet – siehe, da hat die wachsame Aurora im hellen Osten die purpurnen Tore und die rosengefüllten Hallen geöffnet: Die Sterne fliehen, ihren Zug beschließt [115] Lucifer und verlässt als letzter seinen Posten am Himmel. Als er sah, dass dieser sich der Erde zuwandte, die Welt sich rötete und die Ränder der Mondhörner sich gleichsam verflüchtigten, gebietet Titan den flinken Horen, die Pferde anzuschirren. Rasch führen die Göttinnen den Befehl aus, holen die feuerspeienden Rosse, [120] die sich an saftiger Ambrosia gesättigt haben, von den hohen Krippen herbei und legen ihnen das klirrende Zaumzeug an. Dann bestrich der Vater das Gesicht seines Sohnes mit einem heiligen Zaubermittel und feite es gegen die zehrenden Flammen, setzte ihm den Strahlenkranz aufs Haar und sprach, indem er [125] wiederholt aus tief besorgter Brust aufseufzte – denn er ahnte Schmerzliches –:
»Kannst du wenigstens diesen Ermahnungen deines Vaters gehorchen: Geh, Knabe, mit dem Stachel sparsam um und gebrauche kräftiger die Zügel! Aus eigenem Antrieb eilen die Rosse; die Arbeit besteht darin, ihren Eifer zu bändigen. Und wähle nicht den Weg, der geradlinig durch die fünf Zonen führt! [130] Schräg geschnitten verläuft in weitem Bogen die Bahn; sie gibt sich mit dem Bereich dreier Zonen zufrieden und meidet den Südpol und den Großen Bären mit seinen Nordwinden. So sei dein Weg! Deutlich wirst du die Radspuren sehen. Und damit Himmel und Erde gleichmäßig erwärmt werden, [135] drücke den Wagen nicht zu weit hinab und lenke ihn nicht durch den obersten Äther. Steigst du zu hoch empor, wirst du die...
Erscheint lt. Verlag | 22.7.2015 |
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Reihe/Serie | Reclam Taschenbuch | Reclam Taschenbuch |
Mitarbeit |
Kommentare: Michael von Albrecht |
Übersetzer | Michael von Albrecht |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Antike • Antike Dichtung • antike Literatur • antike Mythologie • Bücher der Verwandlungen • Epos • Hexameter • Klassiker • Latein • Lateinisches Epos • Metamorphoseon libri • Michael von Albrecht • Mythologie • Mythos • Ovid Hauptwerk • Ovid Mythen • Publius Ovidius Naso • Römische Dichtung • Römische Literatur • Weltliteratur |
ISBN-10 | 3-15-960800-X / 315960800X |
ISBN-13 | 978-3-15-960800-6 / 9783159608006 |
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