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Der Fall Alexander C.

Konfrontation mit der Staatsgewalt

(Autor)

Buch | Softcover
128 Seiten
2015
Lehmanns (Verlag)
978-3-86541-740-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Fall Alexander C. - Klaus Jost
CHF 18,10 inkl. MwSt
„Wir wollen als Eltern doch nur die Wahrheit wissen“, sagt die Mutter Alexanders, des 28-jährigen Jurastudenten, der von zwei Polizisten im Einsatz misshandelt und erschossen wurde. Warum werden die Umstände nicht wirklich aufgeklärt, Ermittlungen unterlassen, Vernehmungen voreingenommen geführt und wichtige Zeugenaussagen ignoriert? Die Staats­anwaltschaft schließt die Akten, für die Eltern, die sich mit allen Mitteln dagegen wehren, nicht nachvollziehbar. Der Rechtspsychologe Klaus Jost fragt, wie es sein kann, dass in diesem Fall wie auch in so vielen anderen Fällen mutmaßlich unverhältnismäßiger Polizeigewalt Ermittlungen der Justiz mit Verfahrenseinstellungen enden – ohne gerichtliche Aufklärung! Die Gründe werden benannt und Konsequenzen für die Ermittlungspraxis eingefordert.Pressestimmen:Das Buch muss man lesen. Auch und gerade, wenn man angeblichen Verschwörungstheorien nicht glaubt und meint, die Polizei mache immer alles richtig und keine Fehler…Prof. Dr. Thomas Feltes, in: Polizeiwissenschaft: Newsletter 5/2015

Klaus Jost, Dr. phil., Dipl.-Psych., geboren 1944, arbeitete über zwei Jahrzehnte an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Frankfurt am Main. Er ist Dozent für Klinische Psychologie, Fachpsychologe und Supervisor für Rechtspsychologie; Buchautor zu Themen der Depression, Straftäterbegutachtung und Kriminalprognose von Gewalttätern.

Polizeieinsätze mit tödlichem Ausgang für den Bürger werden in den deutschen Medien in den letzten fünf Jahren zunehmend thematisiert. In der Mehrzahl der Fälle spielt eine angenommene oder faktische psychische Auffälligkeit bzw. Erkrankung der Opfer eine wichtige Rolle. Der Rechtspsychologe Jost weist seine Schrift als ein Sachbuch aus, das den tragischen Tod des Jurastudenten Alexander C. in Frankfurt am Main im Januar 2010 beschreibt und nimmt die anschließenden kriminalpolizeilichen Ermittlungen, staatsanwaltlichen Bewertungen und gerichtlichen Entscheidungen anhand der Akten unter die Lupe. Eine ergebnisoffene Aufklärung der Geschehnisse durch die Behörden werden Sie in dieser Beschreibung jedoch lange suchen müssen und – ich wage zu behaupten – Sie finden sie nicht.

Bereits im Vorwort formuliert der Autor das Anliegen der Eltern von Alexander C., in Fällen fraglich unangemessener Polizeigewalt Sachverhalte so zu ermitteln und zu bewerten, wie es die Rechtsstaatlichkeit gebietet, ohne Ansehen von Personen und Funktionen. Dies freilich ist ein Anliegen, das die meisten Betroffenen von unverhältnismäßiger Polizeigewalt in Deutschland eint. Es liegt nahe, dass dieses Bedürfnis nur deshalb immer wieder formuliert wird, weil es regelmäßig nicht gebührend befriedigt wird. Weshalb aber das Anliegen direkt im Vorwort des Buches erscheint, wird bei der Durchsicht der Überschriften schnelldeutlich. Nachdem der Autor im ersten Teil auf die fraglichen Morgenstundendes polizeilichen Einsatzes eingeht, beschäftigt er sich in den darauf folgenden Abschnitten mit dem anschließenden Ermittlungsverfahren: mit dem Versagen oder der Absicht bei der mangelhaften Spurensicherung, den katastrophalen Ermittlungsvorgängen, den voreingenommenen Zeugenbefragungen, dem Nicht-Infrage-Stellen der Glaubwürdigkeit von Zeugen- und Beschuldigtenaussagen, mit ausgeblendeten Fakten oder dem Hinbiegen der Wahrheit.

Alleine die Durchsicht des zweiten Kapitels lässt aufhorchen. Die kriminalpolizeiliche Spurensicherung des Kriminaldauerdienstes schließt eine Lageveränderung der Spuren (Patronenhülsen und Messer) durch die vor Ort befindlichen Beamten nicht aus, der Hinweis scheint jedoch bei der Staatsanwaltschaft kaum Beachtung zu finden. Die begrenzten technischen Auswertungsmöglichkeiten des Landeskriminalamtes in Bezug auf Schussrekonstruktion führen erstdeutlich später zur Übergabe der notwendigen Untersuchung an das Bundeskriminalamt. Die Aufnahmen der Videoüberwachungskameras des Krankenhauses, die den fraglichen Zeitraum betreffen, werden kriminalpolizeilich gesichtet. Sie beinhalten die Rettungsmaßnahmen, ausgerechnet die Sequenz des Schusswaffengebrauchs fehlt jedoch. Selbst wenn die Kameras nur bei Bewegung aufzeichnen, bleibt für den Autor die Frage, warum – wenn nun die Rettungsmaßnahmen dokumentiert sind – nicht auch die unmittelbar zuvor stattfindenden Gewaltanwendungen der Polizisten gegenüber dem am Boden liegenden Mann aufgezeichnet sein sollen, zumal der Ort beider Geschehnisseidentisch ist. Eine Tatortrekonstruktion findet nicht statt. Orthopädische Stützmanschetten für die Beine des Angeschossenen „verschwinden“ und eine Schussentfernungsbestimmung wird nicht in Auftrag gegeben. Körperpräparate des Verstorbenen werden entsorgt, ohne die Familienangehörigen auch nur zuinformieren, und ein Abgleich der Kopfverletzungen mit den Schuhen des tretenden Polizisten findet nicht statt.

Um es kurz zu verraten: Die darauf folgende Beschreibung der selektiven Arbeit der untersuchenden Polizeibeamten und der Staatsanwaltschaft, die fast zwei Jahre dauert, lässt nicht nur aufhorchen, sie lässt schaudern. Man meinte, wir befänden uns in einem Kriminalroman von John Grisham, wenn die Fakten nur nicht einer staatsanwaltlichen Untersuchungsakte entnommen wären. Wenn die Fakten nicht einen Fall beträfen, der vor unserer Haustür stattgefunden hat. Wenn dabei nicht ein Mensch ums Leben gekommen wäre.

Der Autor beschränkt sein Buch nicht auf den tragischen Todesfall von Alexander C. Ab Kapitel sechs geht er auf weitere Fälle ein, die nach mangelhaften Polizeieinsätzen mit dem Tod von psychisch auffälligen Menschen endeten. Sie werden über den Regensburger Musikstudenten Tennessee Eisenberg, den Maintaler Hans K.(Name geändert) und die beiden in Berlin Verstorbenen lesen, den Betriebswirt Manuel F. im Neptunbrunnen am Berliner Alexanderplatz und den Handwerker André Conrad in Berlin-Wedding. Vielleicht erinnern Sie sich bei den letzten beiden Menschen an die erschütternden Videoaufnahmen von Zeugen, die in den Medien zu sehen waren und sind.

In seinen Ausführungen bezieht sich der Autor auf wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema, die in der öffentlichen Diskussion in Deutschland bedauerlicherweise viel zu selten Beachtung finden. In seinem letzten Kapitel verweist er zudem darauf, dass Antworten auf Fragen nach möglichen Ursachen für aggressives Verhalten von Polizeibeamten zunächst jedenfalls keine wesentlich anderen sind, als die, welche auch in Bezug auf Personen ganz unterschiedlicher Berufsgruppen zu geben sind. Damit ist von einem multifaktoriellen Erklärungsmodell für Gewalttaten auszugehen, das Bereiche wie Persönlichkeitsstruktur, biografische Besonderheiten, Sozialisation, Lebensumstände und andere situative Gegebenheiten beinhaltet. Der Autor beschließt das Buch mit der Aufzählung einer Reihe von Gründen, weshalb un-verhältnismäßig wenige Fälle von angezeigter Polizeigewalt zur Anklage gelangen und fast nie zur Verurteilung führen. Damit macht er auf die strukturellen Defizite aller an den Ermittlungen beteiligten Behörden und Instanzen aufmerksam. Es bleibt zu hoffen, dass sich die deutsche Polizeiforschung von den Jostschen Feststellungen zu beherzteren Untersuchungen hinreißen lässt und diese Untersuchungen in der polizeilichen Ausbildung und Politik ernsthafteres Gehör finden, wie dies in anderen Ländern, z.B. in Großbritannien, Kanada und Australien durchaus der Fall ist.

Wenn Sie bis dato in dem bequemen Glauben verharrten, es gäbe keine ungerechtfertigte Polizeigewalt in Deutschland und wenn überhaupt, würde diese anschließend minutiös aufgeklärt und adäquat geahndet, werden Sie durch das Buch eines Besseren belehrt. Lesen Sie den „Fall von Alexander C.“ nicht, wenn Sie in diesem naiven Glauben verharren wollen, denn die Lektüre des Buches zerrüttet diese Illusion möglicherweise unwiederbringlich. Und wenn Ihnen diese Illusion erst einmal abhanden kommt, werden Sie sich mit den Aussagen der Betroffenen aufrichtig auseinandersetzen müssen. Es wird oft über die Betroffenen von unverhältnismäßiger Polizeigewalt gesprochen, aber selten mit ihnen. Manche können nicht mehr für sich alleine sprechen, wie im Fall von Alexander C. Jost bringt die Sicht der Hinterbliebenen von Alexander zum Ausdruck, in dem er sie ebenfalls zu Wort kommen lässt; dies vielleicht auch stellvertretend für das Anliegen aller Betroffenen, in Fällen unangemessener Polizeigewalt den Sachverhalt so zu ermitteln und die Ergebnisse so zu bewerten, wie es die Rechtsstaatlichkeit gebietet.
Dr. Lilia Monika Hirsch

Erscheint lt. Verlag 2.4.2015
Sprache deutsch
Maße 135 x 210 mm
Gewicht 179 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Recht / Steuern Strafrecht Kriminologie
Schlagworte Ermittlungspraxis • Fall (Recht) • Kriminologie • Polizeigewalt • Rechtspsychologie • Rechtspsychologie, Kriminologie, Ermittlungspraxis • True Crime • True Crime / Kriminalfälle
ISBN-10 3-86541-740-X / 386541740X
ISBN-13 978-3-86541-740-4 / 9783865417404
Zustand Neuware
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