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Aprikosensommer (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
288 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0101-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aprikosensommer -  Deniz Selek
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Die berührende Suche eines Mädchens nach ihrem Vater, nach der eigenen Identität und die Geschichte einer ersten Liebe Eve fliegt mit ihrer Mutter nach Istanbul, um ihren Vater ausfindig zu machen. Fünfzehn Jahre lang hat ihre Mutter alle Fragen nach ihm abgeblockt. Als er dann tatsächlich vor Eve steht, hat sie das Gefühl, endlich den fehlenden Teil ihrer Identität gefunden zu haben. Und dann ist da auch noch ihr Dolmetscher Sinan, in den sie sich Hals über Kopf verliebt ...

Deniz Selek wurde in Hannover geboren und wuchs in Istanbul auf. Zurück in Deutschland studierte sie Germanistik und Innenarchitektur. Sie weiß als Deutsch-Türkin, wie es sich anfühlt, in zwei Kulturen zu Hause zu sein. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Familie in Berlin, aber ihr Herz gehört Istanbul, der Stadt voller Zauber und Magie.

Deniz Selek wurde in Hannover geboren und wuchs in Istanbul auf. Zurück in Deutschland studierte sie Germanistik und Innenarchitektur. Sie weiß als Deutsch-Türkin, wie es sich anfühlt, in zwei Kulturen zu Hause zu sein. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Familie in Berlin, aber ihr Herz gehört Istanbul, der Stadt voller Zauber und Magie.

Das Ende


»Nicht dein Ernst, oder?« Mein eben noch freudiges Lächeln zerplatzte wie ein Ballon beim Nadelstich.

Und heraus regnete Asche, winzige graue Staubpartikel tanzten vor mir im Sonnenlicht.

Wir standen allein auf dem Flur vor seiner Klasse, und Matteo registrierte jede Regung in meinem Gesicht, jedes Zucken, jedes Heben und Senken. Alles. Jeder Muskel, jeder Nerv, jeder Millimeter Gefühl war sichtbar unter meiner zerrissenen Fassade. Er wurde rot, drehte den Kopf weg und sah aus dem offenen Fenster nach unten in den Schulhof, von dem der Pausenlärm zu uns heraufschallte.

So sehr mich das Geschrei der jüngeren Schüler sonst nervte, in diesem Moment war ich froh darüber, weil es mein inneres Schreien übertönte.

Matteo antwortete nicht. Er sah nach draußen, die Hände so tief in den Taschen vergraben, dass er seine Hose damit noch weiter runterschob und seine Beine lächerlich kurz wirkten. Er wollte gehen, wollte dieses unangenehme Gespräch beenden, so wie er uns gerade beendet hatte. Er wollte weg von mir. Schluss.

»Hau ab«, sagte ich. »Verpiss dich, du Arsch.«

Ich musste das sagen, ich musste ihn beleidigen, weil ich geheult hätte, wenn ich es anders gesagt hätte. Weil ich auch geheult hätte, wenn ich nichts gesagt hätte. Und ich wollte nicht heulen. Jedenfalls nicht vor ihm. Wahrscheinlich sah er trotzdem das Wasser in meinen Augen.

»Okay«, sagte er und wandte sich zum Gehen, obwohl er in zehn Minuten in diesem Klassenraum wieder Unterricht hatte und ich diejenige war, die gehen musste. Ich hatte in der nächsten Stunde Werken, das in einem anderen Gebäude der Schule stattfand.

Es ist vorbei, dachte ich, das war’s. Mein Herz zog sich zusammen, tuckerte und stach und schickte dabei zehnmal die gleiche Frage an meinen Bauch. Ist es wirklich vorbei? Mein Bauch zierte und wand sich und antwortete doch zehnmal mit dem gleichen flauen Ja.

Bewegungslos klebte ich im Flur vor dem Klassenraum des Typs, der bis vor einer Minute mein Freund gewesen war. Ich konnte ihm nur hinterherstarren wie ein hypnotisiertes Karnickel, bis er endlich um die Ecke bog. Matteo Veronne und Evelyn Morgenstern.

Es waren einmal ein Junge und ein Mädchen mit den schönsten ausgefallenen Namen, wie es sie kein zweites Mal gab auf der Welt. Und das Schicksal wollte es, dass sich genau diese beiden am coolsten Ort und in der coolsten Schule aller Zeiten begegneten. Freie Waldorfschule Berlin-Mitte.

Beim ersten Anblick verliebten sie sich unsterblich ineinander und wussten, dass sie füreinander bestimmt waren. Sie wussten, dass sie für immer zusammen sein würden. Zumindest sie wusste das. Na ja, sie hatte es geglaubt, okay, gehofft.

Meine Hand zitterte, als ich die Tasche nahm, und meine Knie wabbelten, als ich die ersten Schritte nach dem Verlassenwerden machte. Noch nie hatte mich ein Junge verlassen; konnte auch nicht, weil Matteo mein erster Freund gewesen war. Ich wankte in die entgegengesetzte Richtung, weg von ihm, obwohl sich alles in mir dagegen wehrte, obwohl ich mich wie abgeschnitten fühlte und es so weh tat. Trotzdem wusste ich, dass es richtig war, denn wo es weh tut, da geht’s lang. Hatte mir mein Onkel mal gesagt. Damals verstand ich den Satz nicht, heute ahnte ich, was er gemeint haben könnte.

Das Treppenhaus blockierte Hakan aus der Elften, eine Klasse über uns, mit seinen Leuten. Sie hatten sich so auf die oberen Stufen gesetzt, dass man im Slalom um sie herumtrippeln musste. Ich stieg über sie hinweg und traute mich nicht, laut zu schimpfen, weil sie ständig Sprüche abfeuerten. Wenn man sie ignorierte, ging es vielleicht. Heute jedoch nicht. Heute war mein Glückstag, ein Highlight jagte das nächste. Ich wusste, dass Hakan auf mich stand, das machte es nicht besser.

»Ey, Eva«, rief er, kaum dass ich mich an ihm vorbeigequetscht hatte. »Wo is Adam?«

Alle lachten, und ich versuchte noch schneller wegzukommen. »Hat disch verlassen im Paradies?«

Fast wäre ich gestolpert. Ich drehte mich zu Hakan um und bedauerte sehr, dass Blicke nicht töten können. Leider, leider nicht. Er hielt meinem Blick stand und lachte. Lachte mich einfach aus. Ich hasste ihn und konnte nichts erwidern. Der einzige Trost, der mir blieb, war, dass er nicht wusste, wie recht er hatte.

»Vallah«, grinste er anzüglich. »Is egal, Mann. Nimmst du Cengiz.« Bei der Erwähnung des Namens zuckte ich zusammen. Wieder lachten alle, nur Cengiz drehte sich verschämt weg. Ich übersprang die letzte Stufe und lief davon. Trotzdem holte mich Hakans Stimme ein.

»Ey, Eva«, rief er. »Cengiz liebt disch voll. Escht jetz!«

Wie hatte es dieser Trottel eigentlich bis in die Oberstufe geschafft? Ich trat gegen die Glastür, die sich scheppernd öffnete, und wich geblendet zurück.

Der Frühling war in diesem Jahr zu einer Zeit ausgebrochen, die bei mir noch Winter hieß und damit sehr viel besser zu meiner Stimmung gepasst hätte. Graue Wolken, Regen und ein eisiger Wind wären mir jetzt recht gewesen, vielleicht noch ein paar Graupel dazu, gern auch Hagel. Doch die Sonne feuerte so viel Licht und Wärme in den Schulhof, als hätte sie vergessen, dass sie noch gar nicht dran war.

Der sonst stetig rauschende Verkehr schien seine Lautstärke zugunsten des Vogelgezwitschers gedrosselt zu haben. Sie sangen fröhlich, Bäume, Sträucher und Hecken trieben aus, und Finn und Rosa standen eng umschlungen neben der Mensa und knutschten, bis sich einer am anderen verschluckte. Ekelhaft. Jetzt fehlten nur noch flatterhübsche Schmetterlinge, ein putziges Eichhörnchen oder … Krokusse! Entschlossen stampfte ich über das Beet neben mir und machte eine Gruppe von fünf lila Blüten platt. Und hätte fast geheult, weil sie dann flach und abgeknickt dalagen wie Tote. Es half auch nichts, dass ich mich sofort bückte, um sie wieder aufzurichten. Als Blumenmörderin fühlte ich mich noch elender.

Am liebsten hätte ich Werken geschwänzt, doch das hatte ich in der Woche zuvor schon getan und für die Entschuldigung die Unterschrift meiner Mutter gefälscht. Das war rausgekommen und hatte mir eine Menge Ärger eingebracht. Also musste ich hin.

 

Ich ging langsamer, als ich ein paar aus meiner Klasse vor dem Werkraum sah. Unter ihnen meine Freundin Henny, die sich wieder herausgeputzt hatte wie eine Indianerin, nur in blond. In ihren langen Haaren hingen kleine Muscheln, und um ihre Stirn lag ein buntes Flechtband mit Federn an den Enden. Sie wedelte mit den Armen, die von zahllosen Reifen, Bändern und Perlenschnüren umschlungen waren. An drei Fingern prangten Türkisringe, und auch ihren Hals zierte ein Lederband mit einem großen Stein. Obwohl ich ihre Aufmachung gewöhnt war, fragte ich mich, ob ihr das ganze Gedöns nicht irgendwann mal zu schwer wurde.

Je näher ich kam, umso weniger wedelte sie. Wahrscheinlich eilte mir schon eine derart penetrante Er-hat-Schluss-gemacht-Wolke voraus, dass sie riechen konnte, was los war. Wie Hundekacke am Schuh, die man erst nur als Ahnung wahrnimmt und damit über flauschigen Teppich latscht.

»Was ist passiert?« Henny bohrte ihre grauen Augen in meine. Eigentlich war sie viel zu schön für eine beste Freundin. Wenn man auch nur ein Fünkchen Interesse an Jungs hatte, sollte man sich von ihr fernhalten. Erst recht, wenn man selbst in der mittleren Kategorie unterwegs war. Aber Henny war nicht nur schön, sondern auch noch lieb dazu. Eine verheerende Mischung. Mehr als je zuvor wünschte ich, sie nicht so gern zu haben und mit einer Hässlichen befreundet zu sein. Einer richtig Hässlichen. Damit wäre es mir viel besser gegangen, obwohl Henny mit Matteo gar nichts zu tun hatte. Die mochten sich nicht mal. Es war nur dieses miese Gefühl, dass er mich möglicherweise nicht verlassen hätte, wenn ich auch so schön gewesen wäre wie sie. Dann hätte er über das andere vielleicht hinwegsehen können. So was tat man doch bei schönen Menschen, da sah man über ein paar kleine Macken hinweg, die fielen einfach nicht so ins Gewicht. Henny wurde nie verlassen. Natürlich nicht. Wenn ich ein Junge gewesen wäre, hätte ich das sicher auch nicht gemacht.

Neugierig beäugten mich jetzt auch Marlene, Clara und Natalie, die bei ihr standen. Auch sie wollten wissen, was los war.

»Nix«, murmelte ich und sah an ihnen vorbei, sie würden es ohnehin bald erfahren. Herr Zorn drängte sich mit hocherhobenem Schlüssel zwischen uns durch bis zur Tür. »Leute«, stöhnte er. »Nun macht doch mal Platz!«

Henny zog mich an einen Tisch am Ende des Raums, während die anderen ihre Schnitzarbeiten und Werkzeuge aus den Regalen nahmen. »Was ist denn mit dir?«, flüsterte sie und schob die Strähne mit den Muscheln hinter ihre Schulter, doch sie rutschte nach vorn und schaukelte hin und her. »Eve, jetzt sag schon!«

Schlaff sank ich auf den Stuhl, beugte mich über den Tisch und vergrub das Gesicht in den Armen. Meine Stimme war in der grauen Asche erstickt. Ich konnte nicht sprechen.

»Hallo, das gilt auch für euch da hinten!« Herr Zorn winkte uns heran. »Wir wollen heute zur Abwechslung mal was schaffen.«

»Äh, Entschuldigung«, sagte Henny. »Was, bitte?«

»Ihr sollt eure Sachen holen«, wiederholte er. »Und zu uns an den Mitteltisch kommen.«

In der folgenden Viertelstunde, in der uns Herr Zorn das Einspannen des Holzes und den richtigen Umgang mit den Messern zeigte, warf Henny mir ständig fragende Blicke zu. Auch Marlene und Natalie sahen zu mir rüber. Was hätte ich jetzt darum gegeben, nicht hier sein zu müssen! Nachdem Herr Zorn fertig war und wir mit dem Schnitzen begannen, passierte es. Eine Sekunde passte ich...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Abenteuer • alleinerziehend • Berlin • cengiz • Dagtekin • Dolmetscher • evelyn • Familie • Ferien • Freundschaft • Freundschaft und Liebe • Freundschaft un Liebe • Friends & Family • Friends & Family • Hannover • Istanbul • Jugendbuch • Jugendbücher ab 12 • Migrationshintergrund • Schule und Ferien • Vatersuche • Yuva
ISBN-10 3-7336-0101-7 / 3733601017
ISBN-13 978-3-7336-0101-0 / 9783733601010
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