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Gehen, immer weiter (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015
160 Seiten
Thienemann Verlag
978-3-522-62124-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gehen, immer weiter - Sigrid Zeevaert
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'Ich hätte es nicht sagen dürfen. Hundert Millionen Mal habe ich mich dafür schon verflucht. Und ich hätte bleiben müssen, nicht weggehen von seiner Tür.' Edvard ist neu in Luis' Klasse. Ein Geheimnis scheint ihn zu umgeben. Ein Geheimnis, in das Luis mehr und mehr verwickelt wird, als er Edvard näherkommt. Zu spät erkennt er, wie sehr Edvard ihn wirklich braucht ...

Sigrid Zeevaert, 1960 in Aachen geboren, begann schon während des Lehramtsstudiums mit dem Schreiben, dem sie sich sehr bald ganz widmete. Neben Kurzgeschichten und Hörfunkbeiträgen, entstanden dabei vor allem zahlreiche Kinder- und Jugendbücher, die vielfach übersetzt und ausgezeichnet wurden. Eins ihrer Bücher wurde für das ZDF verfilmt. Sigrid Zeevaert lebt mit ihrer Familie in Aachen.

NUR ZU GERN WÜRDE ICH noch mal von vorn anfangen. Nicht ganz von vorn, sondern von dem Moment an, als ich es näher mit Edvard zu tun bekam. Dabei kannte ich ihn schon länger. Ich erinnere mich sogar noch an den Tag, an dem ich ihn zum ersten Mal sah. Nach den großen Ferien vor einem Jahr stand er plötzlich da. Er kam von einer anderen Schule zu uns. Blieb in der Nähe der Tür erst mal stehen. Sein Blick wich uns aus, was irgendwie auch verständlich war, denn wir waren viele, und er war allein. Aber vom ersten Moment an fiel mir an ihm auf, dass er anders war. Nicht nur wegen der Hose, die er trug und die nicht besonders gut saß, genau wie das Hemd, das ein bisschen altmodisch war. Aus seinem Äußeren machte er sich anscheinend nicht viel. Mir war das bald wieder egal. Auch wenn ich mich noch an diese Ledertasche erinnere und wie er sie hielt. Er war nicht so ganz da. War weit weg mit den Gedanken, oder vielleicht wünschte er sich auch, weit weg von allem zu sein, und musste aber nun mal dort stehen.

Mehlmann, unser Klassenlehrer, stellte ihn vor. Edvard Lemmert. Ein kurzes Nicken, dann drückte Edvard sich an den einzigen noch freien Platz, und bis er sich zum ersten Mal meldete, verging einige Zeit. Fast hatte ich ihn vergessen, weil es anderes gab, was wichtiger war. Edvard war einfach da. Seine Stimme war dunkler, als man vielleicht glaubte, wenn man ihn so sah. Und die Art, mit der er Mehlmann aus dem Konzept brachte, vergesse ich nie. Es war kein Triumph, kein Spiel dabei, wie er es sich hätte leisten können, denn die Frage, die er Mehlmann stellte, war einfach gut, auch wenn ich sie jetzt nicht mehr weiß. Was ich noch weiß, war dieser Blick, mit dem er Mehlmann ansah. Er war ihm überlegen, aber er wollte es nicht und entschuldigte sich fast schon dafür, dass er es besser wusste und auch darauf bestand. Ich mochte ihn von diesem Tag an. Mehr aus der Ferne, denn nie hätte ich daran gedacht, dass es außerhalb des Unterrichts etwas zwischen mir und ihm gab. Wir profitierten alle von ihm. Von dem, was er dachte. Es kam in den Büchern nicht vor und nicht nur Mehlmann brachte er ins Schwitzen damit. Manchmal schweifte das Unterrichtsgespräch dann auch für längere Zeit ab. Uns war das nur recht. Und was sonst mit ihm war, interessierte irgendwie nicht. Jedenfalls stellte ich mir die Frage gar nicht. Und ich glaube, auch von den anderen war niemand da, der nur schon mit dem Gedanken gespielt hätte, mal zu Edvard zu gehen und ein paar Takte mit ihm zu reden. Er selbst unternahm ja auch nichts, was einem das Gefühl gab, dass ihm daran etwas lag. Er lebte scheinbar in einer anderen Welt und genügte sich selbst.

Ich war mit dem beschäftigt, was sich rechts und links von mir abspielte. Und das war aufregend genug. Erst recht, als die Geschichte mit Mona anfing. Wann sie genau anfing, kann ich gar nicht mehr sagen. Eine halbe Ewigkeit geisterte sie ja auch schon durch meinen Kopf. Ich malte mir alles Mögliche aus. Wie ich eng umschlungen mit ihr dastand und so. Mona hat ziemlich lange, blonde Haare und eine super Figur. Man muss einfach hingucken und ich glaube, jeder hat schon mal davon geträumt, mit ihr was zu haben. Bis auf Edvard vielleicht, von dem ich mir lange Zeit gar nicht vorstellen konnte, dass es für ihn solche Gedanken überhaupt gab. Ich war jedenfalls voll davon, auch wenn ich wohl nie gewagt hätte, auf Mona zuzugehen und bei ihr was zu versuchen. Vielleicht hätten mir meine Träumereien sogar schon gereicht. Irgendwie gewöhnte ich mich ja auch fast schon daran.

Dann aber kam dieser Abend im Park, als sie sich auf einmal neben mich setzte. Ehrlich gesagt verstehe ich immer noch nicht ganz, warum sie das tat. Vielleicht hat sie gemerkt, wie sehr ich auf sie stand. Jedenfalls glaube ich nicht, dass es ihr wirklich ernst mit mir war.

Für mich war es der Hammer. Und erst mal war alles leer in meinem Kopf. Zum Glück waren genug andere da, die redeten. Es gab Musik und was zu trinken. Alle waren gut drauf, es war ein ziemlich warmer Abend im Mai. Ich dachte schon, Mona stehe gleich wieder auf und suche sich einen besseren Platz, vielleicht neben Pal, der sowieso immer die richtigen Sprüche draufhat. Aber sie blieb. Irgendwann redeten wir auch, nicht unbedingt viel, aber immerhin saß ich nicht mehr stumm da. Sie rückte näher zu mir ran. Lachte mich immer so an. Klar, ich lachte auch. Dann legte sie ihren Kopf an meine Schulter und ließ ihn da, als gehörte er hin. Ich habe noch eine Weile gebraucht, bis ich meinen Arm um sie gelegt habe.

In den nächsten Tagen haben wir uns dann öfter gesehen und es ist noch mehr mit uns beiden passiert. Nicht alles. Aber so lang lief es mit uns beiden ja nicht. Nach knapp zwei Wochen hat Mona wieder Schluss mit mir gemacht. Im ersten Moment habe ich gedacht, das halt ich nicht aus, ich sterbe oder irgend so was. Heute verstehe ich mich selbst nicht mehr ganz. Es ist so viel passiert. Und deswegen erzähle ich das überhaupt. Das Ende mit Mona war genau genommen erst der Anfang davon. Jedenfalls war ich am Boden zerstört. Und dachte, dass ich wohl nicht cool genug für sie bin. Erklärt hat sie mir ja nichts. »Es ist eben so«, hat sie gesagt. »Tut mir echt leid.« Sie hat ihre Haare zurückgeworfen und ist gegangen. Und ich stand da und wusste nicht, wie ich sie aus meinem Kopf je wieder rauskriegen sollte, wo ich sie doch auch weiter jeden Tag sah. Schließlich geht Mona in dieselbe Schule wie ich.

Klar, das hat es nicht gerade leichter gemacht. Überhaupt lief in dieser Zeit einiges schief, und manchmal habe ich mich schon gefragt, ob das wirklich Zufall war. Im Nachhinein denke ich, alles lief genau darauf zu, dass ich Edvard näherkam, und vielleicht sollte das auch so sein. Hätte ich nur mehr kapiert, damals schon.

Ich war mit Mona und dem Gefühl beschäftigt, dass mein Leben an einem absoluten Tiefpunkt angelangt war.

DANN KAM DER TAG, an dem Pal mit einem dicken Verband in der Schule erschien, weil er sich beim Training verletzt hatte. Nicht weiter schlimm. Nur war es so, dass wir einen Test in Physik schrieben, und weil Pal meinen Stuhl zum Ablegen seines Fußes benötigte, wurde ich kurzerhand neben Edvard gesetzt. Mir war das egal, mir war zu dieser Zeit beinahe alles egal. Auch wenn mir auffiel, dass ich für den Physiktest gar nicht mal ungünstig saß, aber es bedeutete mir irgendwie nichts. Alles lief ein bisschen an mir vorbei. Obwohl ich dann doch ein, zwei Blicke auf Edvards Ausführungen warf und erst mal nichts davon verstand.

Edvard schrieb und schrieb, alles an ihm war gespannt, und irgendwas davon übertrug sich auf mich.

Ich riss mich zusammen. Mona war es nicht wert, sagte ich mir. Und wenn ich ehrlich war, passte sie vielleicht gar nicht zu mir.

Als ich den nächsten Blick auf Edvards Blatt wagte, erkannte ich Zahlen und Formeln und plötzlich war es mir klar: Ich hatte vom falschen Standpunkt aus überlegt. Ich schrieb nun ebenfalls los, strich wieder durch, setzte noch einmal an und bekam alles gerade eben so hin.

In der Pause redete ich mit Edvard kein Wort. Ich ging zu Jonas und Pal. Und als ich in der nächsten Stunde wieder neben Edvard saß, hatten wir zum Reden eigentlich auch keinen Grund. Wir schienen beide ja auch nicht daran interessiert. Abgesehen davon hatte ich vielleicht sogar Angst, er könne sich an mich hängen, wenn ich erst zu reden anfing.

Später saß ich zu Hause, zum Glück war niemand außer mir da. Auch Greta nicht, meine Schwester. Im Großen und Ganzen komme ich gut mit ihr klar. Ziemlich sogar. Jetzt war ich froh, denn vielleicht hätte sie nur gebohrt. Was denn los sei. Und ob Mona der Grund für meine miese Laune sei. Dass es mit uns wieder vorbei war, hatte ich ihr noch gar nicht erzählt. Ich wollte nicht, dass sie auch nur ein Wort dazu sagte und zu allem Überfluss auch Mom noch davon erfuhr. Ich wollte nur meine Ruhe. Rührte auch meine Gitarre nicht an. Hörte keine Musik.

Ich aß von dem Brokkoligratin, der im Kühlschrank für mich bereitstand. Spielte an meinem Handy herum, schrieb ein paar SMS. Auch eine an Mona schrieb ich, schickte sie aber nicht ab.

Irgendwann hörte ich Dad im Flur. Dann war da auch Mom. Türen gingen. Zwischendurch sprachen sie auch, oder besser sollte ich wohl sagen, sie teilten sich das Nötigste mit, jedenfalls das, was sie für das Nötigste hielten. Wer was noch erledigen musste. Warum der Müll immer noch nicht rausgebracht worden war. Ob es am Abend etwa noch Regen gab und man den Schirm mitnehmen sollte. Übers Essen sprachen sie auch, allerdings nur ganz kurz. Und weil nicht mehr genug Käse im Kühlschrank war. Dann war es still, bis man hörte, wie der Fernseher lief.

Ich hatte meinen PC. Auf den war Verlass. Und obwohl es mich selbst manchmal nervte, war ich über die Ablenkung froh. Ich wollte nicht wieder nachdenken müssen über das, was mir nur noch öde vorkam. Und was daran überhaupt noch erstrebenswert war. Ich konnte keinen Sinn darin sehen. Jedenfalls wollte ich bestimmt nicht so werden wie sie. Dass sie überhaupt noch an diesem Leben festhielten. Die merkten wohl gar nichts mehr. Gute Ratschläge würde ich ihnen aber bestimmt keine geben. Schließlich waren sie alt genug. Und ich war es auch. Bald war ich hier weg. Ganz weg. Erst recht, wo doch auch Greta in ein paar Wochen nach Südafrika ging und wir uns ein ganzes Jahr lang nicht sahen, was bestimmt nicht zur Verbesserung meiner Laune beitrug.

Ich sag ja: Es passte irgendwie alles zusammen. Und zugleich stand es im Weg. Weil ich vielleicht was hätte machen können. Wäre ich nur nicht so blind und beschäftigt mit dem gewesen, was in meinem Leben gerade alles schlecht lief. Dass ich nicht der Einzige war, der zu kämpfen hatte, daran habe ich irgendwie gar nicht...

Erscheint lt. Verlag 12.2.2015
Mitarbeit Designer: Isabel Thalmann
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Alltag • Alltagsgeschichte • Freundschaft • Probleme mit Eltern • Schule • Teenies
ISBN-10 3-522-62124-7 / 3522621247
ISBN-13 978-3-522-62124-3 / 9783522621243
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