Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Die Schatten von London - In Memoriam (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015
384 Seiten
cbt (Verlag)
978-3-641-16127-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Schatten von London - In Memoriam - Maureen Johnson
Systemvoraussetzungen
10,99 inkl. MwSt
(CHF 10,70)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Wenn das Grauen in den Straßen von London lauert ...
Nachdem Rory den Jack-the-Ripper-Doppelgänger in einem finalen Kampf vernichtet hat, ist sie selbst zu einem menschlichen Terminus geworden. Sie hat nun die zweifelhafte Gabe, Geister durch bloße Berührung eliminieren zu können. Genau das macht sie unendlich wertvoll für die Shades - die Internationale Sondereinheit von Geisterjägern. Denn eine neue Serie von mysterösen Mordfällen versetzt ganz London in Angst und Schrecken. Und diese neuen Fälle sind tatsächlich noch wahnsinniger als die Ripper-Morde. Rory erkennt schnell: Wahnsinnige Zeiten verlangen wahnsinnige Lösungen. Aber wird sie die Shades von ihren Methoden überzeugen können?

Maureen Johnson ist New York Times und USA Today Bestsellerautorin von mehreren YA-Romanen. Sie hat bereits mit John Green und Cassandra Clare an einigen Gemeinschaftsprojekten gearbeitet. Maureen Johnson hat einen Abschluss in Creative Writing an der Columbia University gemacht. Sie wurde bereits für den Edgar Award und den Andre Norton Award nominiert und das Time Magazine hat sie unter die Topleute gewählt, denen man auf Twitter folgen sollte. Die Autorin lebt in New York, ist oft auf Lesereise in Großbritannien, verbringt aber bewiesenermaßen die meiste Zeit auf Twitter.

1

In Wexford, dem Internat, auf dem ich gewesen bin, bevor mir diese Sache zugestoßen ist, gehörte Hockey für mich zum täglichen Pflichtprogramm. Da ich keine Ahnung von den Spielregeln hatte, stellte man mich in dick gepolsterter Schutzausrüstung als Keeper ins Tor. Dort konnte ich den anderen Spielerinnen dabei zuschauen, wie sie Schläger schwingend übers Spielfeld rannten und hin und wieder einen kleinen, sehr harten Ball in meine Richtung schmetterten – dem ich jedes Mal auszuweichen versuchte. Da es im Tor nicht darum geht, dem Ball auszuweichen, brüllte Claudia mir regelmäßig vom Spielfeldrand zu: »Nein, Aurora! Nicht wegducken!« Was ich aber ignorierte. Ich verlasse mich ganz gern auf meinen Instinkt. Und der befiehlt mir, mich wegzuducken, sobald etwas auf mich zugeflogen kommt.

Ich hätte nie gedacht, dass mir das Hockeytraining einmal von Nutzen sein könnte. Bis ich mit der Therapie anfing.

»Nun?«, sagte Julia.

Julia war meine Therapeutin. Eine kleine, zierliche Schottin mit kurzen, kunstvoll zerstrubbelten weißblonden Haaren. Obwohl sie vermutlich um die fünfzig war, hatte sie kaum Falten im Gesicht. Sie war ausgesprochen höflich und sprachgewandt und so unglaublich professionell, dass es mir Juckreiz verursachte. Nicht ein einziges Mal schlug sie die Beine übereinander oder veränderte ihre Sitzposition. Egal, ob es stürmte oder schneite, sie saß die Sache in ihrem ergonomischen Sessel mit der ruhigen Gelassenheit eines tibetanischen Mönchs aus.

Die Uhr in Julias Praxis stand außerhalb meines Blickfelds auf einem Bücherregal hinter dem Patientensessel. Allerdings konnte ich ihr Spiegelbild im Fenster sehen und beobachten, wie die Zeit rückwärts lief. Ich hatte es geschafft, geschlagene fünfundvierzig Minuten über meine Großmutter zu reden – mein neuer Rekord. Jetzt war mir die Lust am Reden vergangen und eine erdrückende Stille senkte sich über den Raum. Hinter Julias sich niemals runzelnder Stirn arbeitete es. Mir war klar, dass sie mich ebenso aufmerksam beobachtete wie ich sie, immerhin hatte ich schon ein paar Stunden unter ihren wachsamen Blicken verbracht.

Inzwischen hatte ich auch ihre Beziehung zu dieser Uhr durchschaut. Wenn Julia ihre Augen kaum wahrnehmbar nach links wandern ließ – selbstverständlich ohne dabei den Kopf zu bewegen –, hatte sie sowohl die Uhr als auch mich im Blick. Dann musste ich auf der Hut sein. Sobald Julia auf die Uhr sah, bedeutete das, dass sie jeden Moment etwas sagen würde.

Tick. Tack.

Achtung! Julia hatte sich bewegt. Der Puck flog sozusagen direkt auf mich zu. Zeit, sich wegzuducken.

»Wissen Sie, Rory …«

Volle Deckung!

»… die Begegnung mit dem Tod ist für jeden von uns eine sehr einschneidende Erfahrung. Wollen Sie vielleicht versuchen, mir von Ihrer zu erzählen? Wie war das für Sie?«

Ich musste mich zusammenreißen. Es würde keinen guten Eindruck machen, wenn ich als Antwort auf diese Frage aufgeregt vom Sessel aufsprang, weil das so ziemlich die krasseste Geschichte überhaupt war. Aber zum Glück habe ich noch eine andere, wirklich gute »Begegnung mit dem Tod«-Geschichte in petto.

Es gelang mir, durch grüblerisches Kopfnicken eine volle Minute Gesprächszeit zu schinden. Nachdenklichkeit vorzutäuschen ist schwierig, weil sie sich nicht durch Bewegung oder Gesten ausdrücken lässt. Außerdem vermutete ich, dass meine Denker-Miene Ähnlichkeit mit meinem »Ich muss mich gleich übergeben«-Gesicht hatte.

»Es war damals bei Mrs Haverty. Ich war etwa zehn. Mrs Haverty wohnte in Magnolia Hall, einer uralten Südstaatenvilla aus der Zeit vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Mit Säulen und Holzfensterläden und mindestens hundert Magnolienbäumen ringsum. Haben Sie den Film Vom Winde verweht gesehen?«

»Ist schon eine ganze Weile her.«

»Magnolia Hall sieht aus wie das Herrenhaus in Vom Winde verweht. Ich glaube, es steht schon seit 1860. Jedenfalls ist es eine echte Touristenattraktion und wird oft in Hochglanzmagazinen abgebildet. Aber Mrs Haverty bekommt man so gut wie nie zu sehen. Sie ist unfassbar alt. Vielleicht wurde sie sogar 1860 geboren.«

»Eine ältere Frau in einer historischen Villa also«, sagte Julia.

»Genau. Damals war ich bei den Pfadfinderinnen. Obwohl, ich war eine absolut schlechte Pfadfinderin. Ich bekam nie irgendwelche Abzeichen und konnte mir nicht mal meine Truppennummer merken. Aber einmal im Jahr wurde auf Magnolia Hall ein gigantisches Picknick nur für Pfadfinderinnen veranstaltet. Es fand auf Mrs Havertys Anwesen statt, weil sie anscheinend auch mal bei der Truppe war, damals zu Zeiten des Urknalls …«

Julia musterte mich forschend. Vielleicht hätte ich mir die letzte Bemerkung verkneifen sollen. Ich hatte die Geschichte schon so oft erzählt, dass ich sie ständig weiter ausfeilte. Wenn ich sie bei unseren Familientreffen bei meiner Großmutter oder im Big Jim’s aus dem Hut zaubere, sind jedenfalls alle ganz begeistert.

Ich versuchte, mich ein bisschen zu bremsen. »Mrs Haverty ließ immer ein großes Barbecue vorbereiten und Eis und Getränke, so viel man wollte, und es gab eine gigantische Rutsche und eine Hüpfburg. Wir fieberten diesem Tag alle entgegen. Eigentlich war ich nur deshalb Pfadfinderin geworden, um bei diesem Picknick dabei sein zu können. Ich war etwa zehn in dem Sommer … ähm, sorry, ich glaube, das sagte ich schon …«

»Das macht nichts.«

»Okay. Es war wahnsinnig heiß. Louisiana-mäßig heiß. Über vierzig Grad im Schatten.«

»Es war also heiß«, resümierte Julia.

»Genau. Die Sache war die, dass Mrs Haverty niemals aus dem Haus ging und auch nie jemanden hineinließ. Für uns war sie eine Art Phantom oder Fabelwesen und wir fragten uns ständig, ob sie nicht hinter irgendeinem Vorhang stand und uns belauerte. Nach dem Picknick überbrachte ihr unsere Leiterin jedes Mal ein Banner mit selbst gemalten Bildern und den Unterschriften aller Pfadfinderinnen. Keine Ahnung, ob sie dazu von Mrs Haverty ins Haus gebeten wurde oder ob sie unser Geschenk einfach auf der Veranda ablegte und wieder verschwand. Jedenfalls wurden für die Dauer des Picknicks auch immer mobile Toilettenhäuschen aufgestellt. Aber in diesem besagten Sommer wurde bei der Toilettenhäuschen-Firma gestreikt, und wir befürchteten schon, dass das Picknick deswegen ausfallen musste. Schließlich erklärte sich Mrs Haverty tatsächlich dazu bereit, uns ihre Gästetoilette im Erdgeschoss benutzen zu lassen. Das war eine echte Sensation! Weil es so eine große Sache war, wurde uns auf der Busfahrt nach Magnolia Hall ganz genau eingeschärft, wie wir uns zu verhalten hatten. Es durfte immer nur ein Mädchen ins Haus, nie mehrere gleichzeitig. Kein Rennen. Kein Rufen. Wir sollten nur schnell und leise auf die Toilette gehen und sofort wieder nach draußen verschwinden. Wir waren alle schrecklich aufgeregt, weil wir ins Haus hineindurften, und ich zerbrach mir den Kopf, wie ich es anstellen sollte, als Erste pinkeln zu gehen. Ich hätte mein Leben dafür gegeben. Deshalb leerte ich auf der Busfahrt eine große Flasche Wasser und achtete darauf, dass unsere Leiterin, Mrs Fletcher, es auch mitbekam. Sie meinte irgendwann, ich solle mein Wasser nicht so verschwenden. Aber ich hatte ja meinen Plan.«

Ich weiß nicht, ob es anderen auch so geht, aber wenn ich Geschichten von früher erzähle, fühle ich mich augenblicklich zurückversetzt und habe wieder genau vor Augen, wie unser Bus gemächlich unter dem Blätterdach der langen, baumbestandenen Zufahrt entlangzuckelte. Neben mir saß Jenny Savile. Sie roch nach Erdnussbutter und nervte mich, weil sie in einem fort Schnalzgeräusche mit der Zunge machte. Meine Freundin Erin hatte ihre Kopfhörer aufgesetzt und döste vor sich hin. Die anderen schauten fasziniert aus dem Fenster und beobachteten, wie die Hüpfburg auseinandergefaltet und aufgepumpt wurde. Nur ich war in Alarmbereitschaft und blickte angespannt nach vorn, um als Erste einen Blick auf die Säulen und die weitläufige Veranda zu erhaschen. Ich war in einer Mission unterwegs. Ich würde die Erste sein, die jemals in Magnolia Hall pinkeln war.

»Mrs Fletcher behielt mich genau im Auge«, fuhr ich fort. »Mir eilte ein gewisser Ruf voraus – nicht als Anführerin oder als die Schlechteste oder die Hübscheste. Ich galt als eigensinnig, als eine, die ständig auf dumme Ideen kam, Sonderwünsche hatte oder sich herumzankte und erst Ruhe gab, wenn sie ihren Willen durchgesetzt hatte. Als Mrs Fletcher mich literweise Wasser trinken und danach unruhig auf dem Sitz herumrutschen sah, wird ihr wohl klar gewesen sein, dass ich erst Ruhe geben würde, wenn ich in Magnolia Hall aufs Klo gegangen war.«

Julia konnte nicht verhindern, dass sich der Hauch eines Lächelns auf ihre Lippen stahl. Offenbar war ihr mein Eigensinn auch schon aufgefallen.

»Als der Bus anhielt, sagte Mrs Fletcher: ›Komm mit, Rory.‹ Sie klang ziemlich wütend. Ich weiß noch, dass ihr Tonfall mir Angst machte.«

»Er machte Ihnen Angst?«

»Ja, weil die Pfadfinderleiterinnen eigentlich nie böse auf uns wurden. Außer unseren Eltern und vielleicht noch unseren Lehrern schimpfte niemand mit uns.«

»Und hat Sie das von Ihrem Vorhaben abgehalten?«

»Nein«, erwiderte ich. »Ich musste doch total dringend.«

»Ich würde Sie gern etwas fragen«, sagte Julia. »Warum, glauben Sie, haben Sie sich so verhalten? Wieso war es Ihnen so wichtig, als Erste dort auf die Toilette zu gehen?«

Für mich...

Erscheint lt. Verlag 15.6.2015
Reihe/Serie Die Schatten von London-Reihe
Die Schatten von London-Reihe
Übersetzer Dagmar Schmitz
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Shades of London #2
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 14 • eBooks • Fantasy • "Jack the Ripper" • Jugendbuch • Jugendbücher • Kinderkrimi • Krimi • Liebe • London • Mystery • Mystery, Liebe, London, "Jack the Ripper", Fantasy, Krimi • Young Adult
ISBN-10 3-641-16127-4 / 3641161274
ISBN-13 978-3-641-16127-9 / 9783641161279
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,9 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich