Unter dunklen Wassern (eBook)
384 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98176-7 (ISBN)
Bernadette Calonego wurde in Stans (Schweiz) geboren und arbeitet als freie Journalistin unter anderem für Brigitte, Vogue, GEO, Emma und die Süddeutsche Zeitung. Sie lebt an der Westküste Kanadas. »Unter dunklen Wassern« ist ihr zweiter Roman.
Bernadette Calonego wurde in Stans (Schweiz) geboren und arbeitet als freie Journalistin unter anderem für Brigitte, Vogue, GEO, Emma und die Süddeutsche Zeitung. Sie lebt an der Westküste Kanadas. "Unter dunklen Wassern" ist ihr zweiter Roman.
6
»Wie grausam.« Toni war richtig zornig geworden, damals, auf dem Martinshügel. »Wie grausam, Eltern glauben zu lassen, ihr totes Kind sei für ewige Zeiten zur Hölle verdammt, nur weil es nicht getauft wurde.«
Trotz der Sonnenbräune konnte sie die Röte sehen, die in sein scharf geschnittenes Gesicht getreten war.
In jenem Moment begann sie zu ahnen, dass er nicht nur ein eindimensionaler Sportsmensch war. Nicht nur ein Adrenalinjunkie, süchtig nach dem Kitzel, den extreme Sportarten produzierten. Was wusste sie denn schon damals von ihm. Nur, was ihr die Organisatoren des Streitgesprächs im Wallis mitgeteilt hatten. Dass Toni Vonlanden Mitbesitzer einer Alpinschule war, ein Meister des Freeclimbing, er hatte offenbar auch mehrere Gipfel im Himalaja bestiegen, oder es zumindest versucht. Einer dieser Verrückten, dieser Lebensmüden, hatte sie damals gedacht.
»Den Leuten Angst einzujagen, darum geht es doch immer. Sie in Angst und Schrecken leben zu lassen. Damit kann man sie schön manipulieren.«
Angst fand Toni, das sollte sie bald herausfinden, ein ganz und gar überflüssiges Gefühl. »Es gibt doch überhaupt keinen Grund zur Angst.« Diesen Satz hatte sie später immer wieder von ihm gehört. Sie selbst hielt es für legitim, sich manchmal zu fürchten. Und es gab einiges, das sie aus Furcht unterließ. Nicht nur zu ihrem Schaden. Aber für Toni war Angst lächerlich, reine Zeitverschwendung, etwas, das man mit der flachen Hand vom Tisch wischte. Deshalb verschwieg sie ihm in den folgenden Jahren, wenn er zu einem seiner gefährlichen Abenteuer aufbrach, dass sie Angst um ihn hatte.
Auch Else Seel hatte das getan. Oft war Georg wochenlang unterwegs, beim Fallenstellen im Gebirge, mitten im schrecklichen kanadischen Winter, oder auf der Suche nach Gold und Silber. Nie wusste sie, ob er lebend zu ihrer Blockhütte zurückkehren würde. Einmal kam er schwer verbrannt bei ihr an. Eine Benzinlampe hatte den Unterstand, in dem er im Gebirge schlief, in Brand gesetzt. Im Verschlag befand sich Sprengstoff für die Goldminen, die er zu finden hoffte. Er konnte sich gerade noch aus der Hütte retten, bevor sie in die Luft flog. Else schrie, als sie ihn aus dem Boot steigen sah. Es gab keinen Arzt, deshalb pflegte sie ihren schwerverletzten Mann, so gut sie konnte. Er überlebte, doch am Hals blieben große Narben zurück.
Blieben große Narben zurück.
Diane breitete die Landkarte auf dem Esstisch aus. »British Columbia, fast eine Million Quadratkilometer groß und nicht mal fünf Millionen Menschen.« Sie klang ein wenig stolz. Sonja hatte in ihrem Reiseführer gelesen, dass die westlichste kanadische Provinz so groß war wie Deutschland, Frankreich und die Schweiz zusammen. Diane strich mit dem Finger über grüne und braune Flächen.
»Es gibt weite Gebiete, in die noch nie jemand je einen Fuß gesetzt hat. Ist das nicht faszinierend?«
Sonja verdrehte die Augen. »Es ist einschüchternd.«
Sie wollte nicht dorthin gehen, wo noch nie jemand gewesen war. Sie wollte nicht Neuland erobern wie die Pioniere in Kanada. Dieser Georg Seel mochte ein solcher Typ gewesen sein. Was sagte der gute Mann zu seiner frischgebackenen Ehefrau, als Else vor der Blockhütte am Ootsa-See Wäsche aufhängte? »Hier hängt zum ersten Mal Wäsche, solange die Erde steht.«
Als ob die Erde auf diese Wäsche gewartet hätte.
Diane legte die Hand auf Sonjas Arm, wie es ihre Art war.
»Es wird schon alles gut gehen, du wirst sehen. Die Kanadier sind freundliche Menschen und hilfsbereit. Es wird dir Spaß machen.«
Sonja bemerkte den glitzernden Anhänger an Dianes Halskette. Ein transparenter Stein funkelte im Morgenlicht. Es konnte kein echter Diamant sein, der hätte ein Vermögen gekostet, aber sie wagte nicht zu fragen. Inge hatte ihr erzählt, dass Diane mit Edelsteinen zu tun hatte – Schmuckdesignerin oder so was.
Ihr Blick wanderte zur Karte zurück. Wie sollte sie das nur schaffen, so ganz allein? Else Seel hatte wenigstens ihren neuen Ehemann bei sich, als sie wenige Tage nach ihrer Ankunft mit dem Schiff von Vancouver nach Prince Rupert reiste.
Wo ist es passiert?
In der Nähe von Prince Rupert.
Prince Rupert? Wo ist das? Ich verstehe nicht, was hat Toni dort nur gemacht?
Das würden wir gerne von Ihnen erfahren.
»Hör zu, Sonja, du nimmst also diesen Highway, eine gute Straße, kein Problem. Der Rest wird sich ergeben.« Sie faltete die Landkarte zusammen. »Die kannst du mitnehmen. Wolltest du nicht noch Inge eine E-Mail schreiben? Du kannst meinen Computer benutzen.« Sonja nickte. Inge hatte nur kurz zurückgeschrieben. Sie sei sehr beschäftigt, fiebere aber in Gedanken mit ihr. Fiebere, das fand Sonja, die immer noch mit ihrer Allergie kämpfte, eher komisch. In ihren Augen war Inges Antwort völlig unangemessen. Konnte Inge denn nicht ermessen, wie viel Mut sie dieses Unterfangen kostete? Nein, natürlich nicht, sie war ja ahnungslos.
Schlecht gelaunt hämmerte sie ihre Nachricht in den Rechner.
Von: | yh6t9abeil@yahoo.com |
Gesendet: | 4. September, 10:01 |
To: | Inge Stollrath |
Betreff: | Elses Sohn |
Liebe Inge,
in zwei Tagen breche ich zu meiner großen Reise auf. Du kannst dir vorstellen, wie nervös ich bin. Glücklicherweise habe ich noch einen Platz auf der Fähre von Vancouver Island nach Prince Rupert erwischt. Meinen Besuch im Else-Seel-Archiv in Victoria muss ich auf später verschieben, das Archiv wird gerade neu organisiert und ist für eine Woche geschlossen.
Aber etwas wird dich freuen: Ich habe Elses Sohn, Rupert Seel, in der Nähe von Vancouver aufgespürt und werde ihn besuchen. Frag mich nicht nach meiner Gemütsverfassung. Wenn ich von dieser Reise zurück bin (falls ich lebend heimkomme), werde ich frühzeitig ergraut sein. Und unser Museum bankrott. Besser, du bewirbst dich schon jetzt um doppelte Zuschüsse.
Schön, dass ich dir fehle. Hast du zwar nicht geschrieben, ich schließe es aber aus der Tatsache, dass du in Arbeit versinkst.
Herzliche Grüße
Sonja
Sie sandte die Nachricht ab und wollte die Verbindung bereits abbrechen, besann sich dann aber anders und tippte einen Namen in die Suchmaschine. Sie kam sich dabei ein bisschen wie ein Dieb vor. Eigentlich durfte sie gar nicht im Besitz dieses Namens sein. Wenigstens nicht in den Augen der Polizeibeamtin, der sie gestern Nachmittag gegenübergestanden hatte. Einem plötzlichen Impuls folgend, war sie nach ihrem Hotelbesuch nochmals zur Polizeistation auf Granville Island gelaufen. Sie wollte dem ehrlichen Finder eine Belohnung schicken. Am Morgen war sie so durcheinander gewesen, dass es ihr gar nicht in den Sinn gekommen war. Und niemand hatte sie in jenem Moment daran erinnert.
Als sie der Beamtin den Fall erklärte, schien zuerst alles ganz einfach. »Hier, ich notiere die Angaben für Sie«, hatte die junge Frau gesagt. Aber kaum hielt sie Sonja den Zettel hin, zog sie ihn gleich wieder errötend zurück. »Ach, das darf ich gar nicht, Personenschutz, entschuldigen Sie.« Sie zerknüllte den Zettel. »Der Finder will nicht kontaktiert werden, wir haben einen Vermerk in den Akten. Er will auch keinen Finderlohn, sehe ich gerade.«
Aber ein Wort auf dem Zettel hatte Sonja erhaschen können, und es hatte sich ihr eingeprägt, weil es sie an den Roman Die Kameliendame erinnerte: Kamelian Inc.
Das, was sie nun auf dem Bildschirm sah, war weniger literarisch. Kamelian – Ihr Firmensicherheitsdienst. Was war denn das? Verdacht auf Wirtschaftsspionage? Sorge um die Sicherheit Ihrer Transporte? Um den Schutz Ihrer Firmenanlagen? Sind Ihre Daten vor Unbefugten sicher? Fühlen Sie sich von fremden Interessen bedroht? Wir kümmern uns um alle Sicherheitsfragen. Sonja klickte auf das Stichwort »Tätigkeitsbereiche«: Erdölindustrie, Bergbau, Minen, Edelmetalle, Diamanten.
Merkwürdig, hatte der Mann in der Markthalle nicht erzählt, er handle mit Fischen? Deshalb wollte er doch im Scherz das Meer nach Calgary mitnehmen.
Sie musste den Namen falsch gelesen haben, bevor ihr die Beamtin den Zettel entzog.
Plötzlich hörte sie Stimmengewirr. Besuch? Sie löschte den Bildschirm und verließ das Arbeitszimmer. Im Wohnzimmer unterhielt sich Diane angeregt mit zwei Frauen. Als Sonja hereinkam, schaute Diane auf.
»Sonja, das sind meine Freundinnen Holly und Suzy.«
Die beiden Frauen begrüßten sie mit einem munteren »Hi«.
»Das ist Sonja, sie ist ist aus der Schweiz und Historikerin. Sie erforscht das Leben einer deutschen Dichterin, die in den zwanziger Jahren nach Kanada ausgewandert ist.«
»Ach, wie interessant! Ist sie hier in Kanada bekannt?«
»Nein, das nicht. Sie hat vor allem auf Deutsch geschrieben«, sagte Sonja und glitt in einen der Armsessel. »Aber sie wurde nie berühmt. Sie war von allem zu weit weg. Sie lebte in der Wildnis bei Burns Lake.«
»Burns Lake. Wo ist denn das?«
»Irgendwo im Norden oben«, warf Diane ein. »Sie versauerte in einer einsamen Blockhütte, stellt euch vor, dabei hat sie vorher in Berlin gelebt!«
»Ja, die Wildnis gefällt den Deutschen, denen kann es nicht abgeschieden genug sein«, sagte Holly und schüttelte ihre roten Locken. »Mein Onkel lebt im Yukon, und dort gibt es jede Menge Deutsche und Schweizer.«
»Da...
Erscheint lt. Verlag | 10.11.2014 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Anita Shreve • billige ebooks • British Columbia • Charlotte Link • die besten Krimis • ebooks günstig • ebooks kostenlos • Fahrenheit Books • Kanada • Krimi • Krimi Bestseller • Krimis • Thriller • Thriller Bestseller |
ISBN-10 | 3-492-98176-3 / 3492981763 |
ISBN-13 | 978-3-492-98176-7 / 9783492981767 |
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