Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Zanskar und ein Leben mehr (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
336 Seiten
O.W. Barth eBook (Verlag)
978-3-426-41788-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zanskar und ein Leben mehr -  Ulli Olvedi
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
(CHF 9,75)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Als kleines Kind verliert Dölma ihre Eltern bei der Flucht aus Tibet und wächst bei Adoptiveltern in der Schweiz auf. Sie ist ein stilles, braves Kind, heiratet einen Mann mit akademischer Karriere und bekommt eine Tochter. Dann stürzt ihr Leben ab in Depression. Nur ihre Sehnsucht nach der Heimat hält sie aufrecht, und als die Tochter Pema-Marie achtzehn Jahre alt ist, verlässt Dölma die Familie Richtung Tibet und kehrt nie zurück. Von den äußeren und inneren Dramen ihrer Reise erzählen ihre Tagebücher, die sie in Kathmandu zurückgelassen hat. Die Freundschaft mit einer Nonne hatte sie in ein Kloster nach Zanskar geführt, eine abgelegene und extrem hohe Region im westlichen Himalaya. Zehn Jahre später gelangen diese Tagebücher in die Hände ihrer Tochter. Pema-Marie, eine moderne Naturwissenschaftlerin und fern allem Tibetischen, fliegt mit ihrem Mann nach Kathmandu, um die Echtheit der Tagebücher zu prüfen. Das Vermächtnis der Mutter, ein Bericht über eine große innere Befreiung, wird ihrem eigenen Leben eine neue innere Ausrichtung geben.

Ulli Olvedi gilt als profunde Kennerin des tibetischen Buddhismus und der tibetischen Kultur. Sie verbrachte immer wieder längere Zeit im Himalaya, lebte zurückgezogen in Klöstern und hat daraus die Inspiration für ihre sehr erfolgreichen Romane geschöpft. Mit ihren Romanen, wie u.a. Wie in einem Traum oder Zanskar und ein Leben mehr, stand sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Olvedi gründete die Hochschule für traditionelle tibetische Medizin, das Shelkar Tibetan Medical Institute in Kathmandu, und ist Fachbereichsleiterin für Spiritualität an der Akademie Aidenried am Ammersee bei München.

Ulli Olvedi gilt als profunde Kennerin des tibetischen Buddhismus und der tibetischen Kultur. Sie verbrachte immer wieder längere Zeit im Himalaya, lebte zurückgezogen in Klöstern und hat daraus die Inspiration für ihre sehr erfolgreichen Romane geschöpft. Mit ihren Romanen, wie u.a. Wie in einem Traum oder Zanskar und ein Leben mehr, stand sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Olvedi gründete die Hochschule für traditionelle tibetische Medizin, das Shelkar Tibetan Medical Institute in Kathmandu, und ist Fachbereichsleiterin für Spiritualität an der Akademie Aidenried am Ammersee bei München.

Dölmas Tagebuch


Erstes Heft


Kathmandu, Freitag

Wahrscheinlich träume ich. Oder bin ich wirklich da, wo ich zu sein glaube? Vor Tibets Haustür?

Es regnet, als wolle der Himmel sich ausschütten, bis zum letzten Tropfen. Eine Welt von Nässe, und wenn die Sonne sich darauf stürzt, dampft es wie die Hölle. Monsun, stand im Reiseführer, aber kein Wort von aufgeweichten Straßen mit knöcheltiefen Wasserlöchern, von schweißnassen Haaren und ständig feuchter Unterwäsche.

Ich bin ein phantasieloser Mensch. Das hat Hans-Peter immer gesagt. Warum denke ich jetzt an Hans-Peter? Nach sechs Jahren liegt sein Schatten noch immer auf mir. Doch den werde ich abschütteln, ich gehe in meine verzweifelte Heimat und schüttle Hans-Peter und Anna und das Haus in Zollikon und den ganzen Berg falschen Lebens ab.

Gestern war ich auf der weißen Stupa und schaute nach Norden zum Shivapuri, der die Schneeberge verdeckt. Dahinter Tibet. Ich musste weinen. Land meiner Eltern, meiner Verwandten, meiner Vorfahren. Es tut so weh, dass ich nichts von ihnen weiß. Vielleicht gibt es irgendwo eine Schwester, einen Bruder, Nichten, Neffen, Großeltern. Ich werde sie nie kennenlernen.

Nirgends gibt es einen großen Spiegel, in dem ich mich sehen könnte mit meinem neuen tibetischen Kleid, nicht einmal in dem kleinen Laden an der Stupa, wo sie mir morgens die Maße nahmen, und am Nachmittag lag das Kleid schon fertig bereit. Es ist sattblau – wie der Himmel über Tibet, sagte der Schneider, und die Seidenbluse glänzt silbern wie der Zürichsee am Morgen. Ich versuche, nicht an die giftigen Farbstoffe zu denken. Sie sind überall, nicht nur in den Kleidern. Das leere Spekulationsgrundstück hinter dem Gästehaus steht teilweise unter Wasser, Abwasser, die Oberfläche schillert bösartig, aber es scheint allen gleichgültig zu sein. Wundert mich das? Ich habe so lange inmitten von Gleichgültigkeit gegenüber allen seelischen Vergiftungen gelebt, und die sind wohl noch viel schlimmer.

Es ist schön, ein langes Kleid zu tragen. Als verwandle es den Körper. Ich nehme die Spange aus den Haaren und fühle mich wie Rapunzel oben im Turm. Doch unten ruft kein Prinz nach mir. Wird irgendwann in diesem Leben noch ein Prinz nach mir rufen? Vielleicht werde dann ich selbst die Hexe sein, die Rapunzel festhält.

Abend

Stromausfall. Glücklicherweise lag eine Kerze auf dem Tisch bereit, man ist das hier gewohnt. Die Kerze ist krumm, sie zischt und spuckt und tropft hysterisch. Selbst die Kerzen sind anders in diesem Land.

Die Karte an Pema-Marie, soll ich sie abschicken? Es ist eine hübsche Karte, die weiße Kuppel der Stupa mit den großen Augen und den unzähligen flatternden Gebetsfähnchen, alles golden überzogen vom Abendlicht. Aber nichts von dem steht darauf, was ich schreiben wollte. Nichts davon, dass ich mir Mühe gebe, sie zu lieben, und ihr so viel Gutes wünsche, ein besseres Leben als meines, oder davon, wie unglücklich ich immer war, weil ich keine gute Mutter sein konnte. Erst vor sehr kurzer Zeit, als ich mich entschlossen hatte, in meine verlorene Heimat zu reisen, begann dieses Gefühl des Unglücks, der Bordunton meines Lebens, aufzusteigen und Form anzunehmen. Es wird immer sichtbarer.

Schon drei Tage in Kathmandu, und noch zwei weitere muss ich aushalten. Irgendjemand hat gesagt, Kathmandu sei schön. Man soll nicht alles glauben.

Ich gehe nur ungern aus dem Gästehaus. Diese Fremdheit erschreckt mich zutiefst. So viele Menschen, Farben, Geräusche, Gerüche. Die Eindrücke rasen, kreisen mich ein, meine Nerven schreien, ich zittere, möchte umkehren, zurückrennen in den schützenden Garten hinter der Mauer. Doch ich zwinge mich, gehe zur Stupa, drehe die Gebetstrommeln bei jedem Schritt, lege kleine Scheine in die Hände der Bettler und schaue weg dabei. Ich kann sie nicht anschauen, denn manchmal schauen sie zurück, und das halte ich nicht aus.

Man kann gleich die Stufen hinaufgehen zum oberen oder zum obersten Rundgang, aber Puntsok, die Wirtin des Gästehauses, sagt, man müsse unten anfangen, um Verdienste zu erwerben, sonst gebe es kein gutes Karma. Also gehe ich erst unten herum, mein Karma muss dringend besser werden. Und es beruhigt ein bisschen, das Richtige zu tun. Erst untenrum, dann in der Mitte, dann oben, im Uhrzeigersinn, so muss es sein.

Das alles kann ich Pema-Marie nicht schreiben.

Aber für mich selbst schreiben muss ich, das ist mir klar geworden. Daheim ging das nicht, dort dachte ich, nur wenn ich gut schreibe, offiziell anerkennenswert schreibe, ist es sinnvoll. Ich schaute mir ständig über die Schulter, kritikbereit, vergleichend, zensierend, und fand nichts gut genug. Kaum hingeschrieben, verblassten die Farben der Worte.

Nie konnte ich etwas leisten. Nicht wirklich.

Jetzt schaut mir niemand mehr über die Schulter. Und es gefällt mir, bei Kerzenlicht zu schreiben. Ein kleiner, sanfter Lichtkreis, um ihn herum die Dunkelheit wie ein schützender Mantel. Warum kam ich früher nie auf die Idee, mit Kerzenschein zu leben?

Ich wundere mich, dass ich mich bis hierher gewagt habe. Es war wie rennen mit angehaltenem Atem und geschlossenen Augen, und vielleicht war es nur deshalb möglich, weil Pema-Marie so erwachsen wirkte an ihrem achtzehnten Geburtstag. Es spielte keine Rolle, ob ich blieb oder ging, also ging ich. Für sie war ich nie wirklich da. Aber wie sollte sie mich auch wahrnehmen, da ich mich selbst kaum wahrnehmen konnte? Wahrscheinlich hat es sie sogar erleichtert, als ich abreiste.

Ich ertappe mich dabei, dass ich ständig rückwärtsschaue. Als wäre ich nicht deshalb weggegangen, weil ich eine Zukunft haben wollte. Ich war schon kurz davor, sehr alt zu werden. Aber sollte man mit zweiundvierzig Jahren nicht noch weit vom Alter entfernt sein? Ich befehle mir: Nicht mehr zurückschauen! Es genügt, dass die Vergangenheit mich bis hierher, an dieses Ende, an diesen Anfang geschoben hat. Ich will ein neues Leben haben!

Samstag

Puntsok, klein, robust, die flinken Augen eingebettet in ein Gesicht wie zerknülltes Papier, ist sehr nett zu mir. Sie könnte fünfzig sein oder siebzig.

Als eine Tibeterin aus dem Westen bin ich eine Besonderheit für sie, wahrscheinlich ein bisschen verwirrend mit meinen teuren Kleidern und meinem unzulänglichen Tibetisch. Sie lacht über meine konstruierte Art, ihre Sprache zu sprechen, über manche Worte, die ich benütze. Aber wie sollte ich es besser machen? Immer bin ich am Blättern und Nachschlagen, und die Zunge krümmt sich angestrengt um die Wörter. Manchmal lähmt mich dieser Zwang zur Kommunikation, ich habe keine Übung darin. Anstatt mit Leben bin ich mit Büchern angefüllt bis zum Rand. Ihr wart gute Eltern, Madeleine und Martin. Ihr habt mir Bildung mitgegeben, wie ihr es verstandet, ich danke es euch. Aber wie solltet ihr wissen, mit wem ihr es zu tun hattet? Ich weiß es ja bis heute selbst nicht.

Ich muss daran denken, wie wir das tibetische Kloster Rikon besuchten. Es muss in meinem siebzehnten Jahr gewesen sein, während meiner Internatszeit. Der Dalai Lama war dort zu Besuch auf seiner ersten Reise in den Westen. Es war Madeleines Idee, wie schön es doch für mich wäre, ihn zu sehen. Und all die vielen Tibeter, die kommen würden! Ein großes Ereignis, riesengroß. Unser Lebensrahmen war so klein, gelegentlich ein Konzert oder Theater. Madeleine und Martin mochten es beschaulich. Unsere alljährlichen Ferien bei Madeleines Schwester in Florida waren für die beiden genug weite Welt.

Da waren mehr Tibeter, als ich vertragen konnte. Und ich empfand sie als über alle Maßen fremd. Sie stießen und drängten, rissen mich weg von Martin und Madeleine. In Panik suchte ich eine Wand, eine Ecke, die mich schützen sollte, bis ich eine Tür sah, darauf zustürzte, sie öffnen wollte. Ein großer Mönch stieß mich zurück. Ich kann mich nicht erinnern, mich je zuvor so hilflos ausgeliefert gefühlt zu haben, so empört gewesen zu sein. Der wuterfüllte Schmerz gab mir die Kraft, mich durch die Menge nach draußen zu drängen, nass von Tränen und Angstschweiß. Ich wartete lang, bis Martin und Madeleine mich endlich fanden. Wir sahen nichts vom Dalai Lama. Ich sagte, er sei mir völlig gleichgültig. Nur nach Hause wollte ich. Madeleine war traurig und insgeheim verletzt, es hatte ein besonders schönes Geschenk für mich sein sollen. Heute denke ich, dass ich ihr irgendwann dafür hätte danken sollen. Ich bin sicher, dass sie es nicht vergessen hat. Meine Mutter Madeleine hat ein Gedächtnis wie ein Elefant.

Ich legte nie Wert darauf, mit den Exiltibetern in Kontakt zu kommen. Schließlich gehörte ich nicht zu ihnen, und sie hatten damals keinen besonders guten Ruf. Doch wo haben Asylanten schon einen guten Ruf.

Wenn ich nur aufhören könnte, mich zu erinnern.

 

Was ich unternehmen wolle an diesem Ruhetag, hat Puntsok mich heute Morgen gefragt, als ich zum Frühstück in den Garten hinausging. Die Sonne war schon am frühen Morgen grell, aber noch nicht heiß. Es sei Samstag, da sei alles geschlossen, Behörden, Büros, Geschäfte.

Ein Fremder kam ins Foyer und fügte lachend in einem englisch gefärbten Tibetisch hinzu: »Ja, alle haben geschlossen, auch Polizei, Feuerwehr, Notfalldienste und Krankenhäuser. Also bitte schön stillhalten, nicht wahr, Puntsok-la?«

Er legte die Hände zusammen und machte eine kleine Verbeugung vor mir:...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2013
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Östliche Weisheit / Alte Kulturen
Geisteswissenschaften
Schlagworte Beziehungsprobleme bewältigen • Buddhismus • Deki • dem leben einen sinn geben • Dölma • Inspiration • Kathmandu • Kloster • Klosterleben • Lama Norbu • Lama Rinchen • Lhasa • Nepal Roman • Nonne • Pema-Marie • Roman • Roman Buddhismus • Romane für Frauen • roman mutter tochter • Roman spirituell • Selbstfindung • Selbstfindung Roman • Sinnsuche • Sinnsuche Roman • Spiritualität • spirituelle Bücher • spirituelle Romane • spirituelle Sinnsuche • Tagebücher • Tibet • Tibet Buddhismus • Tibet Roman • tiefgründige Bücher • Ulli Olvedi • Vermächtnis • Weisheit Romane • Yangchen • Zanskar
ISBN-10 3-426-41788-X / 342641788X
ISBN-13 978-3-426-41788-1 / 9783426417881
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 676 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Stress & Spannungen lösen. Das Original-TRE-Übungsprogramm

von Hildegard Nibel; Kathrin Fischer

eBook Download (2024)
Trias (Verlag)
CHF 22,45
Psychosomatische Beschwerden: Was mir die Signale meines Körpers …

von Hans Lieb; Andreas von Pein

eBook Download (2024)
Trias (Verlag)
CHF 22,45