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Die Geschwister Oppermann (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
381 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-0617-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Geschwister Oppermann - Lion Feuchtwanger
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Feuchtwangers weltberühmter Familienroman

Sie sind erfolgreich und angesehen: Gustav, der Schriftsteller und Seniorchef, Martin, der Geschäftsmann, und Edgar, der Arzt. Doch dann ist das Unfassbare eingetreten: Die Nazis haben ihr Regime mit Mord und Brand errichtet. Den Oppermanns entgleitet die Heimat. Sie müssen ihre Häuser und ihre Freunde verlassen, denn sie sind jüdischer Abstammung.

»Die wirkungsvollste, meistgelesene erzählerische Darstellung der deutschen Kalamität.« Klaus Mann



Lion Feuchtwanger wurde 1884 als Sohn eines jüdischen Fabrikanten in München geboren. Nach vielseitigen Studien reüssierte er zunächst als Theaterkritiker. Mit den historischen Romanen »Die häßliche Herzogin« (1923) und »Jud Süß« (1925) erlangte er Weltruhm. Während einer Vortragsreise durch die USA wurde er 1933 von der Machtergreifung der Nationalsozialisten überrascht. Seine Bücher wurden verboten, Haus und Vermögen konfisziert. Er emigrierte nach Frankreich, wurde dort jedoch 1940 in einem Lager interniert. Er flüchtete nach Amerika und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1958 in Los Angeles. Wichtigste Werke: Die häßliche Herzogin Margarete Maultasch (1923), Jud Süß (1925), Erfolg (1930), Die Geschwister Oppermann (1933), Exil (1940), Goya (1950), Die Jüdin von Toledo (1954).

Gustav Oppermann war auf dem Weg zur Gertraudtenstraße, um an einer Sitzung im Chefkontor des Möbelhauses teilzunehmen. Martin hatte ihn mit ungewohnter Dringlichkeit ersucht, diesmal unter allen Umständen da zu sein.

Es war einige Tage nach der Ernennung des Führers zum Kanzler. Die Straßen wimmelten von Menschen. Überall sah man die Braunhemden der völkischen Landsknechte, das völkische Hakenkreuz. Gustavs Wagen, von Schlüter sachkundig und schnell gesteuert, kam nicht sehr rasch voran.

Schon wieder hielt man vor einer roten Ampel. Die Amerikaner, dachte Gustav, haben da ein hübsches Wort: »The lights are against me.« Aber er hatte nicht Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Das Geschrei einer alten Frau störte ihn, die aufdringlich Puppen feilbot. Es waren Puppen, die den Führer darstellten. Die Alte hielt ihm eine solche Puppe ans Wagenfenster. Drückte man den Bauch der Puppe, dann streckte sie den rechten Arm mit der flachen Hand aus – eine Geste, die der italienische Faschismus dem alten Rom, der deutsche Faschismus dem italienischen entlehnt hatte. Die Alte, die Puppe streichelnd, schrie: »Du Armer, du Großer, du hast gekämpft, du hast gelitten, du hast gesiegt.«

Gustav wandte die Augen ab von dem grotesken Schauspiel. Wie das ganze Reich, so hatte auch ihn die plötzliche Ernennung des Führers zum Kanzler überrascht. Nicht so überrascht wie den Führer selbst, aber verstanden hatte auch er die Ereignisse nicht. Warum hatte man gerade jetzt, da die völkische Bewegung im Abflauen war, einem Manne wie dem Verfasser des Buches »Mein Kampf« das höchste Amt des Reiches übertragen? Im Golfklub, im Theaterklub hatte man Gustav auseinandergesetzt, es sei dabei keine große Gefahr; durch den Einfluß der gemäßigteren, vernünftigeren Kabinettsmitglieder sei der Führer lahmgelegt. Die ganze Aktion sei nur ein Scheinmanöver, um die aufbegehrenden Massen niederzuhalten. Gustav hörte das, glaubte es gern.

Mühlheim freilich hatte die Geschichte ernster aufgefaßt. Die herrschenden Besitzerschichten, die Großagrarier an ihrer Spitze, hatten jetzt in ihrer äußersten Not, um die Aufdeckung ihrer üppigen Subventionsskandale zu verhüten, die Barbaren zur Rettung herbeigerufen. Mühlheim glaubte nicht, daß man die, habe man sie einmal an den Trog gelassen, so bald wieder loswerde. Der sanguinische Herr hatte sich zu dem Satz verstiegen, die Zivilisation Mitteleuropas sei jetzt bedroht von einer Barbareninvasion, wie man sie seit der Völkerwanderung nicht mehr erlebt habe.

Gustav hatte für den Pessimismus seines Freundes nur ein Lächeln. Ein Volk, das diese Technik hervorgebracht hat, diese Industrie, fällt nicht von heut auf morgen in Barbarei. Und hat nicht jüngst einer ausgerechnet, daß allein die Werke Goethes im deutschen Sprachgebiet in mehr als hundert Millionen Exemplaren im Umlauf sind? Ein solches Volk hört nicht lange auf das Geschrei der Barbaren.

In den stillen Straßen des Villenviertels, in dem Gustav wohnte, hatte die Ernennung des Barbarenführers kaum etwas verändert. Jetzt, bei seiner ersten Fahrt in die Stadt, sah Gustav mit Unlust, wie die Barbaren sich breitmachten. Ihre Truppen beherrschten die Straßen. Die steife Neuheit ihrer braunen Uniformen, die noch nach der Schneiderwerkstatt rochen, ihr Gegrüße mit der antikischen Geste erinnerte ihn an die Statisterie kleinstädtischer Bühnen. An den Straßenecken hielten sie den Passanten Sammelbüchsen hin, für die Wahlpropaganda bestimmt. Er ließ das Wagenfenster nieder, um zu hören, was sie riefen. »Gebt für das Erwachende Deutschland, gebt für die Einbahnstraße nach Jerusalem«, hörte er. Gustav hat beim Militär gedient, war ein paar Monate im Feld gewesen. Es war die Energie Annas, die ihn seinerzeit vor weiteren Fronterlebnissen bewahrt hatte. Sein Militärdienst, diese sinnlose Unterwerfung unter den Willen anderer, war ihm die widerwärtigste Epoche seines Lebens. Er hatte sich bemüht, sie aus seinem Gedächtnis zu streichen, er wurde krank, wenn er daran dachte. Jetzt, beim Anblick der braunen Uniformen, stieg ihm die unwillkommene Erinnerung von neuem hoch.

Man war in der Gertraudtenstraße. Da stand das Stammhaus der Oppermanns, eingepreßt, altmodisch, solid. Auch hier, vor dem Hauptportal, bettelten uniformierte Völkische Passanten für ihre Wahlbüchsen an. »Für das Erwachende Deutschland, für den Führer, für die Einbahnstraße nach Jerusalem«, schrien sie mit ihren hellen Knabenstimmen. Starr, das Nußknackergesicht mit dem grauen, harten Schnurrbart unbewegt, stand der alte Portier Leschinsky. Er grüßte Gustav besonders mürrisch, drehte vor ihm die Drehtür mit besonders knapper Bewegung: angesichts dieser Lausejungen wollte er dem Seniorchef seine Ergebenheit eindringlich beweisen.

Im Chefkontor wartete man bereits auf Gustav. Jacques Lavendel war da, auch Frau Klara Lavendel, die Prokuristen Brieger und Hintze, nur Edgar fehlte. Gustav kam steifen, raschen Schrittes herein, mit ganzer Sohle auftretend, suchte unbekümmert zu erscheinen, strahlend wie stets. Wies auf die Kopie des Bildes von Immanuel Oppermann: »Ausgezeichnet, die Kopie. Ich glaube, du hast mir eine Kopie aufgehängt, Martin, und dir das Original behalten.« Allein nur der quicke Herr Brieger ging auf seinen fröhlichen, lärmenden Ton ein. »Das Geschäft geht ausgezeichnet, Dr. Oppermann«, sagte er. »Die Nazi richten sich jetzt groß ein, und wer sich einrichtet, braucht Möbel. Und wer liefert die Möbel für ihre Braunen Häuser? Wir.«

Dann kam man zum Thema. Martin sagte ein paar allgemeine Worte. Die Völkischen nutzten den Antisemitismus als Propagandamittel. Möglich, ja wahrscheinlich, daß sie jetzt, an der Macht, das Mittel als überflüssig und wirtschaftlich schädlich fallenlassen werden. Trotzdem werde man wohl gut tun, sich vorzusehen. Er bitte Herrn Brieger um seine Meinung.

Der kleine, großnasige, betont jüdisch aussehende Herr Brieger sprach schnodderig wie stets. Jetzt blieb wohl nichts anderes übrig, als die gesamten Oppermannschen Geschäfte den Deutschen Möbelwerken anzugliedern. Außerdem wäre es gut, wenn man endlich mit Herrn Wels zu einer Vereinbarung käme. Er hat bei Herrn Wels vorgefühlt; seltsamerweise kommt ja er mit dem Gewittergoi am besten aus. Wenn die Geschichte wirklich Sinn haben und den Sturm überdauern soll, der höchstwahrscheinlich kommen wird – er sieht da etwas schwärzer als Herr Martin Oppermann –, dann muß das Unternehmen noch vor den Wahlen zu mindestens einundfünfzig Prozent in nichtjüdische Hände überführt sein. Das muß unwiderleglich nachgewiesen werden können, trotzdem es faktisch natürlich anders sein soll. Technisch läßt sich das machen. Aber die notwendigen Transaktionen sind delikat, umständlich und erfordern von beiden Partnern Verständnis, Entschlußkraft, guten Willen. Drei Eigenschaften, in denen wir stark sind, aber nicht Herr Wels. Das war es, was Herr Brieger auseinandersetzte, quick, unter vielen scharfen, witzigen Redensarten, mit betonter Leichtigkeit, die aber nicht recht glückte.

Martin, nachdem Herr Brieger zu Ende war, meinte: »Man muß beides machen, die Umwandlung in die Möbelwerke und die Verhandlungen mit Wels. Ich denke, Herr Brieger wird da sicher zum Ziel kommen.« Dieses indirekte Eingeständnis, daß er, Martin, damals bei der Unterredung mit Wels einiges verdorben habe, fiel ihm schwer, aber es schien ihm unanständig, sich davor zu drücken.

Der repräsentative Herr Hintze saß steif, ablehnend, den Kopf sehr gerade. »Ich denke«, sagte er, »wenn Professor Mühlheim sich hineinkniet, dann können wir die Deutschen Möbelwerke binnen einer Woche unter Dach haben. Soweit ist es, Gott sei Dank, noch nicht, daß die Oppermanns einem Herrn Wels nachlaufen müßten. Stellen wir mal die Deutschen Möbelwerke hin, meine Herren, und dann warten wir ruhig ab und lassen den Bruder auf uns zukommen.«

»Schön und gut«, sagte Jacques Lavendel und schaute Herrn Hintze freundlich an. »Aber wenn er nun nicht zukommt? Wenn er hört, was der Führer jeden Tag im Radio von sich gibt? Wenn er’s glaubt? Er ist nebbich nicht sehr stark im Kopf. Setzen Sie nicht zuviel Verstand voraus bei den andern, meine Herren. Sie sehen, das war bis jetzt immer eine falsche Spekulation. Verhandeln Sie mit dem Goi. Noch heute. Seien Sie nicht kleinlich. Du sollst dem Ochsen, der drischt, nicht das Maul verbinden. Geben Sie ihm einen großen Bissen zu schlucken. Es ist besser als das Ganze.«

Gustav saß da mit der Miene eines Mannes, der aus Höflichkeit zuhört, den aber im Grunde die Diskussion langweilt. Er starrte auf das Schriftstück, das gerahmt an der Wand hing. Er kannte den Text auswendig. »Der Kaufmann Immanuel Oppermann aus Berlin hat der deutschen Armee durch seine Lieferungen gute Dienste geleistet. Der Generalfeldmarschall: gez. v. Moltke.« Er ließ die Schultern fallen, um ein kleines, senkte die schweren Augenlider über die trüben, braunen Augen, die Veränderung war kaum merklich. Dennoch sah er auf einmal nicht mehr jung aus, sondern seinem Bruder Martin ähnlich.

Man hatte, als Brieger zu Ende war, gewartet, daß er als erster spreche, und erst als sich zeigte, daß er offenbar zu schweigen gewillt war, hatte Martin gesprochen. Jetzt, da er immer noch schwieg, forderte Martin ihn auf: »Was meinst du, Gustav?«

»Ich bin nicht deiner Meinung, Martin«, sagte er, und seine sonst freundlich brummige Stimme klang gereizt und entschieden. »Auch nicht Ihrer Meinung, Herr Brieger, nicht einmal der Ihren, Herr Hintze, und schon gar nicht der Ihren, Jacques. Ich verstehe nicht, warum Sie alle auf einmal Eisgang in den Hosen haben. Was ist denn geschehen? Man hat einem populären Dummkopf ein repräsentatives Amt gegeben und hat ihn durch...

Erscheint lt. Verlag 16.1.2013
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Antisemitismus • Deutschland • Drittes Reich • Emigration • Exil • Feuchtwanger • Historischer Roman • Hitler • Holocaust • Judentum • Judenverfolgung • jüdische Familie • Klassik • Konzentrationslager • Lion Feuchtwanger • Nationalsozialismus • Oppermann • Pogrome • Roman • Schicksal • Widerstand
ISBN-10 3-8412-0617-4 / 3841206174
ISBN-13 978-3-8412-0617-6 / 9783841206176
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