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Der leere Spiegel (eBook)

Erfahrungen in einem japanischen Zen-Kloster
eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
208 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-46471-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der leere Spiegel -  Janwillem Van de Wetering
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Der als Kriminalschriftsteller berühmt gewordene Janwillem van de Wetering hat eineinhalb Jahre in der Askese eines Zen-Klosters verbracht. «Seine oft genug körperlich schmerzhaften Erlebnisse mit der Zen-Meditation, der ernüchternde, auch von Lausbubengehabe durchzogene Alltag im Kloster und die Schlussfolgerungen, die schließlich zum Abbruch seiner Studien führten, sind auf eine Weise geschildert, die so ganz ohne beweihräuchernde Stimmungsmache auskommt.» (Frankfurter Allgemeine Zeitung) Das Buch ist ein existenzielles Abenteuer für alle Leser, denen die bewusstlose Routine des Lebens nicht genügt.

Janwillem van de Wetering, geboren am 12.02.1931 in Rotterdam als Sohn eines wohlhabenden Gewürzkaufmanns. 1952-1957 lebte er in Südafrika, wo er Chemikalienhändler und Immobilienmakler und Mitglied einer Motorradgang war. 1958 studierte er kurze Zeit Philosophie im City College of London und schrieb im Fischerdorf St. Ives, Cornwall, einen ersten «langatmigen und unlesbaren Roman» (van de Wetering). Im selben Jahr ging er für 18 Monate in das zen-buddhistische Kloster Daitoku-ji in Kyoto (Japan), wo er sich unter der Leitung des Zen-Meisters Oda Sesso der Zen-Lehre und Meditation widmete.

Janwillem van de Wetering, geboren am 12.02.1931 in Rotterdam als Sohn eines wohlhabenden Gewürzkaufmanns. 1952-1957 lebte er in Südafrika, wo er Chemikalienhändler und Immobilienmakler und Mitglied einer Motorradgang war. 1958 studierte er kurze Zeit Philosophie im City College of London und schrieb im Fischerdorf St. Ives, Cornwall, einen ersten «langatmigen und unlesbaren Roman» (van de Wetering). Im selben Jahr ging er für 18 Monate in das zen-buddhistische Kloster Daitoku-ji in Kyoto (Japan), wo er sich unter der Leitung des Zen-Meisters Oda Sesso der Zen-Lehre und Meditation widmete.

Meditieren tut weh


Klapp: ein trockener Laut. Jemand schlägt zwei Holzstücke gegeneinander, dachte ich. Ich zog an einer dünnen Schnur, und eine schwache Glühbirne ging an. Drei Uhr nachts. Warum um alles in der Welt schlägt jemand um drei Uhr nachts zwei Holzstücke gegeneinander? Ach richtig, fiel mir ein, ich bin ja in einem Kloster; ich habe gelobt, acht Monate lang jeden Morgen um drei Uhr aufzustehen. Verwirrung und Wut gingen in meinem Kopf durcheinander, während ich mich rasch anzog und dabei mit dem Kopf an einen Balken stieß. Es war kalt, und meine Augen waren vom Schlaf verklebt. Ich stieß mir zum zweiten Mal den Kopf und fand mich draußen wieder, zitternd und neue Laute im Ohr. Der Mönch, der mich aus dem Schlaf gerissen hatte, war jetzt ein paar hundert Meter weiter und scheuchte andere Schläfer auf; ich hörte ihn seine Klapper schlagen und die Namen seiner Brüder rufen, die er wecken wollte. Im Tempel läutete eine Glocke; irgendwo anders ertönte ein Gong. Im Hof wusch ich mir Gesicht und Hände und kämmte mir die Haare. Ich konnte nicht sehen, was ich tat, denn es gab weder Licht noch Spiegel. Zum Rasieren war keine Zeit; ich wusste, dass ich vom Augenblick des Wachwerdens an drei Minuten hatte, um in die Meditationshalle zu kommen. Peter hatte mir am Abend zuvor den Tagesablauf kurz geschildert. Alles hatte schnell zu gehen; es blieb keine Zeit zum Zögern, schon gar nicht zum Umdrehen und Wiedereinschlafen: aufstehen, ankleiden, in die Meditationshalle eilen.

Die große Halle lag auf der anderen Seite des Gartens und war ein leerer Raum. Beiderseits hohe breite Bänke, darauf Strohmatten und Kissen, für jeden Mönch ein Kissenstapel. In der Mitte der Halle ein Altar mit einer Statue des Manjusri, des Bodhisattwa der Meditation, der in der Hand ein Schwert zum Zerschneiden der Gedanken trägt. Weihrauch schwelt. Wenn man eintritt, muss man sich vor dem Manjusri verbeugen, dann vor dem Klostervorsteher, der nahe am Eingang sitzt, von wo aus er die ganze Halle überblicken kann. Dann geht man zu seinen Kissen und verbeugt sich wieder. Die Kissen sind heilig, denn auf ihnen wird man irgendwann die Erleuchtung, die Freiheit, das Ende aller Probleme finden.

Dann setzt man sich rasch nieder, die Beine ineinandegeschlagen und den Rücken gestreckt. Mit offenen Augen sieht man geradeaus, und die Meditation beginnt. Der Mönch schlägt seine Glocke an; fünfundzwanzig Minuten später schlägt er sie wieder. Wenn alles so verlaufen ist, wie es sollte, dann hat man fünfundzwanzig Minuten lang unbeweglich dagesessen, ruhig atmend und in tiefer Konzentration. Danach darf man nach draußen gehen, aber nach fünf Minuten muss man zurück sein, denn dann beginnt die zweite Meditationsperiode, wiederum fünfundzwanzig Minuten. Nach zwei Perioden gehen die Mönche einer nach dem anderen in das Häuschen des Meisters. Danach gibt es Frühstück, kochend heißen Reisbrei mit eingelegtem Gemüse, das man mit chinesischem Tee ohne Zucker hinunterspült.

Während Peter mir dies alles erklärte, ließ er mich auf dem Kissen in der Meditationshalle niedersitzen. «Leg deinen rechten Fuß auf deinen linken Schenkel», sagte er. Ich konnte es nicht. «Dann kreuz die Beine.» Das ging eher, und ich brachte eine Art Schneidersitz zustande. «Versuch es noch einmal», sagte Peter. Es erwies sich als unmöglich; meine Beinmuskeln waren zu kurz und zu steif. Peter nickte bekümmert. «Es wird weh tun», prophezeite er. «Aber du wirst es lernen müssen.»

«Kann ich denn nicht auf einem Stuhl meditieren?»

«Weshalb?», fragte er spöttisch. «Bist du ein alter Mann? Oder ein Invalide? Na also. Du bist jung, dein Körper ist biegsam, deine Muskeln werden sich mit der Zeit strecken. Wenn du die Beine kreuzt, werden deine Schenkel unter ihrem eigenen Gewicht nach unten sinken und deine Muskeln allmählich länger werden. Wenn du jeden Tag übst, wirst du in ein paar Monaten im halben Lotussitz sitzen können und in ein paar Jahren im vollen. Ich habe die gleichen Schwierigkeiten gehabt. Als ich anfing, war ich noch steifer als du.»

«Aber was ist denn so wichtig an dieser Lotusgeschichte?»

«Um dich gut konzentrieren zu können, muss dein Geist im Gleichgewicht sein, und wenn dein Geist im Gleichgewicht ist, muss es auch dein Körper sein. Der doppelte Lotus ist eine Stellung von reinem Gleichgewicht, von vollkommener Balance. Wenn du im vollen Lotus sitzt, musst du ganz einfach ausgeglichen werden, es geht gar nicht anders. Dein Herz beruhigt sich, dein Atem wird gleichmäßig, deine Gedanken hören auf umherzuschwirren. Wenn du den Rücken geradehältst und den Kopf auch, dann funktionieren alle Nervenzentren in deinem Körper richtig. Und wenn du etwas gegen den Doppellotus hast, wenn du nicht einmal versuchst, ihn zu erlernen, dann bereitest du dir unnötige Schwierigkeiten und redest dir dabei noch fortwährend ein, du würdest alles leicht und angenehm machen.»

«Aber kann man denn wirklich nicht auf einem Stuhl meditieren?»

«Man kann in jeder Stellung meditieren», sagte Peter. «Aber eine ist die beste, und die werden wir dich lehren. Du wirst acht Monate hier sein, und wir werden dich alles Mögliche lehren. Nun sei folgsam, und schwätz nicht so viel. Je mehr du schwätzt, je mehr du dich sträubst, desto mehr Zeit verschwendest du. Vielleicht hast du viel Zeit zu verschwenden, aber wir sind sehr beschäftigt.»

Zen ist frei, dachte ich. Frei von Sorgen, ungebunden, zwanglos. Frei und leicht. Pff!

Später erfuhr ich einiges über Peter. Er war als amerikanischer Soldat mit den Besatzungstruppen nach Japan gekommen und hatte den Zen-Meister durch Zufall auf der Straße kennengelernt. Die Bekanntschaft hatte auf ihn einen so tiefen Eindruck gemacht, dass er später nach Japan zurückgekehrt war. Wie ich war er durch das Klostertor gegangen, mit dem Unterschied, dass er den Meister kannte. Ein paar Jahre hatte er im Kloster gewohnt; jetzt hatte er ein eigenes Haus in der Nachbarschaft. Sein Brot verdiente er als Klavierspieler und mit Gesangsunterricht, aber jeden Morgen – oder vielmehr jede Nacht, denn für mich war drei Uhr morgens immer mitten in der Nacht – besuchte er den Meister, und fast jeden Abend kam er ins Kloster zum Meditieren. Als ich ihn kennenlernte, war er schon mehr als zehn Jahre Schüler des Meisters gewesen – ein Fortgeschrittener.

Anfänglich dachte ich, das Kloster würde mich ihm unterstellen und ich würde ihm irgendwie zugeteilt, aber im ersten Jahr bekam ich ihn kaum zu sehen. Wenn er ankam, ging er gleich in die Halle; wenn die Meditation zu Ende war, ging er sofort nach Hause. Er war oft und lange bei dem Meister, aber ich durfte dessen Haus nicht betreten. Der Meister empfing mich nur morgens nach der Frühmeditation, und diese Besuche waren sehr förmlich: Der Lehrer saß auf einer kleinen Plattform, der Schüler kniete respektvoll, und von vertrautem Verhältnis konnte keine Rede sein. Japan ist ein Land mit strengen Umgangsformen. Manchmal traf ich den Meister im Garten, und wenn ich ihn bei solcher Gelegenheit etwas fragen wollte, so ließ sich das machen; aber einfach in sein Zimmer treten, wie Peter oder der Vorsteher, das konnte ich nicht.

Da ich nur mit Japanern zu tun haben würde, musste ich die Landessprache erlernen. Eine alte Dame in der Nachbarschaft war bereit, mir täglich Unterricht zu geben; bei ihr nahm ich jeden Nachmittag eine Stunde, und in meiner Kammer machte ich täglich ein oder zwei Stunden lang Hausaufgaben. Langsam begann ich, die Sprache ein wenig zu verstehen; aber es dauerte lange – mindestens ein halbes Jahr –, bis ich mehr oder weniger fließend zu stottern anfing. Ich habe niemals gelernt, korrektes Japanisch zu sprechen.

Die erste Meditation ist mir unvergesslich. Nach ein paar Minuten spürte ich die ersten Schmerzen. Meine Schenkel begannen zu zittern wie Violinsaiten. Meine Fußkanten wurden zu glühenden Holzscheiten. Mein Rückgrat, mühsam gerade gehalten, schien zu zucken und zu brechen. Die Zeit verging unfassbar langsam. Von Konzentration konnte nicht die Rede sein; ohnehin hatte mir niemand etwas gegeben, auf das ich mich hätte konzentrieren können. So saß ich denn bloß da und wartete auf das Läuten der Glocke, das meiner Leidenszeit ein Ende bereiten würde.

Später konnte ich andere Anfänger beobachten, Weiße und Japaner, und nie sah ich einen, der so steif war wie ich zu Beginn. Die meisten fanden irgendeinen Weg, das Gleichgewicht zu halten; nur ich musste drei Monate lang wackelnd auf einem Ameisenhaufen hocken, ehe ich einen Fuß hochbrachte. Erst dann war das Ärgste überstanden, obwohl die Schmerzen nicht gleich aufhörten. Es gibt eben viele Arten des Leidens.

Ich glaube, dass Meditation jedem schwerfällt. Die menschliche Persönlichkeit zwingt zur Aktivität; wir gehen auf und ab, wir gestikulieren, wir erzählen Geschichten, wir reißen Witze, und das alles, um uns und anderen zu beweisen, dass wir leben, dass unsere Individualität von Bedeutung ist. Wir fürchten uns vor der Stille, vor unseren eigenen Gedanken. Wir wollen Musik anstellen oder einen Film sehen, wir wollen abgelenkt werden, an etwas herumbasteln, eine Zigarette anstecken, einen Drink einschenken, aus dem Fenster sehen. Alle diese Beschäftigungen fallen in der Meditation von uns ab.

Beim Zen gibt es eine Übung, die Kinhin heißt. Dabei gehen die Mönche, nachdem sie einige Stunden stillgesessen haben, im Kreis umher und setzen dabei ihre Konzentration fort. Nur der Vorsteher, der die Übung leitet, achtet auf Zeit und Weg; alle übrigen folgen. Als ich zum ersten Mal an einer Kinhin-Übung teilnahm, musste ich einfach aus dem Kreis ausbrechen und aus dem Saal laufen; ich lehnte mich an einen...

Erscheint lt. Verlag 1.12.2012
Reihe/Serie Zen-Geschichten
Zen-Geschichten
Übersetzer Herbert Graf
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1950er Jahre • Achtsamkeit • Askese • Autobiographisch • bescheiden • Biografie Buddhismus • Buddhismus • Japan • Kloster • Meditation • Memoiren • Mönch • Persönlichkeitsentwicklung • Selbstfindung • Sinn des Lebens • Sinnsuche • spirituelle Bücher • unprätentiös • witzig • Zen-Buddhismus • Zen-Meditation
ISBN-10 3-644-46471-5 / 3644464715
ISBN-13 978-3-644-46471-1 / 9783644464711
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