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Die Hethiter - Jörg Klinger

Die Hethiter (eBook)

(Autor)

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2012 | 2. Auflage
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-64646-1 (ISBN)
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Jörg Klinger bietet eine kompakte Darstellung der Geschichte eines der bedeutendsten Völker Vorderasiens. Er erläutert die Ursprünge hethitischer Sprache und Kultur, beschreibt den Aufstieg der Hethiter im 2. Jahrtausend v. Chr. unter ihren Herrschern Hattusili I. und Mursili I. und bietet einen Überblick über den Verlauf der hethitischen Geschichte. Dabei werden die Wesenszüge hethitischer Herrschaft, Gesellschaft, Wirtschaft sowie des Rechts und der Religion ebenso erhellt wie das Nachleben der Hethiter und die kulturellen Kontinuitäten.



Jörg Klinger lehrt als Professor für Altorientalistik an der Freien Universität Berlin.

Jörg Klinger lehrt als Professor für Altorientalistik an der Freien Universität Berlin. Die Erforschung der Sprache, Geschichte und Kultur der Hethiter bildet einen Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit.

2. Kleinasien bis zur Entstehung einer hethitischen Großmacht


2.1. Die erste Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.


Bereits aus dem ersten Viertel des 2. Jahrtausends v. Chr. besitzen wir eine umfangreiche textliche Überlieferung aus Anatolien, die wir dem Umstand verdanken, daß zwischen Nordmesopotamien und Kleinasien intensive wirtschaftliche Beziehungen bestanden. Assur war damals eine wichtige Stadt – aber nicht, weil sie Sitz eines überregional bedeutenden Königtums, geschweige denn Metropole eines assyrischen Reiches gewesen wäre, sondern weil von hier aus unter königlicher Patronage eine sehr agile kooperativ organisierte Kaufmannschaft operierte. Am Ende des 3. Jahrtausends wurde Assur noch von einem Gouverneur regiert und gehörte zum Einflußgebiet der Könige der III. Dynastie von Ur (ca. 2112–2001 v. Chr.), erlangte aber nach dem Untergang des Großreiches der Könige von Ur seine Selbständigkeit zurück. Bereits die ersten assyrischen Könige haben den Handel besonders gefördert, so daß die Stadt einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Aufgrund ihrer geographischen Lage war die Stadt Assur besonders geeignet als zentraler Umschlagplatz für den überregionalen Handel zwischen Ostanatolien und Obermesopotamien. Der Warentausch beruhte hauptsächlich auf der Ausfuhr von Fertig- und Halbfertigprodukten, in erster Linie Textilien, aus Babylonien sowie dem für die Bronzeherstellung so wichtigen Zinn im Tausch gegen Edelmetalle, meist Silber und Gold. Im Laufe der Zeit entstand ein auf Verträgen beruhendes System, das die Rechte und Pflichten der assyrischen Händler auf der einen Seite und der vor allem durch die Paläste der verschiedenen politisch unabhängigen Fürstentümer vertretenen Einheimischen auf der anderen Seite regelte. Die lokalen Fürsten im Gebiet zwischen Taurusgebirge und Zentralanatolien, die oft nur ein relativ kleines Territorium beherrschten, konnten Einfuhrzölle erheben und hatten ein Vorkaufsrecht; die Händler ihrerseits durften sich dafür bei den Siedlungen außerhalb der Mauern niederlassen und genossen den Schutz des jeweiligen Herrschers. Dies war ein lukratives Geschäft, von dem beide Seiten profitierten und das über mehr als ein Jahrhundert sehr gut funktionierte. Es führte dazu, daß an zahlreichen lokalen Fürstensitzen in Kleinasien größere (akkadisch karum, eigentlich «Hafen») oder kleinere (akk. wabartum) Handelskontore entstanden, in denen die Händler wohnten und manchmal über Generationen hinweg ihre Geschäfte mit den Einheimischen abwickelten. Die «Zentrale» der assyrischen Händler, in der sich auch die offizielle Vertretung des «Gesandten der Stadt (Assur)» befand, lag bei der anatolischen Stadt Kanes, beim heutigen Kültepe, nordöstlich von Kayseri. Bei den Ausgrabungen stieß man auf die schriftliche Hinterlassenschaft dieser Händler – bis heute sind rund 20 000 Tontafeln und Tontafelfragmente gefunden worden und nach wie vor kommen jährlich meist einige Hundert hinzu. Ihr Inhalt ist meist geschäftlicher Art, d.h. Dokumente über die Abwicklung verschiedener Transaktionen wie Leih- oder Verkaufsurkunden, aber es finden sich auch zahlreiche Briefe, die zwischen den Händlern vor Ort und ihren Familien zu Hause in Assur gewechselt wurden und so vielfach auch ganz private Themen behandeln – von Familienstreitigkeiten über gespannte Vater-Sohn-Beziehungen bis zu Ehekrisen. Die Details über die Organisation des Handels und die Abwicklung der Geschäfte, die man aus diesen Quellen erfährt, enthüllen ein kompliziertes System, in dem Preise, Steuern, Zinsen und vieles mehr juristisch so feinsinnig aufeinander abgestimmt waren, daß es fast schon modern anmutet. In den letzten Jahren wurden auch verschiedene Verträge gefunden, die wiederum einen Einblick in die politischen Hintergründe der Organisation des Handels und in das Verhältnis unter den einheimischen Fürsten geben. Was dagegen weitgehend fehlt, sind literarische oder sonstige Traditionstexte, wie sie sonst in keilschriftlichen Archiven, zu denen ja meist auch Schreiberschulen gehörten, in der Regel vertreten sind.

Mit rund 75 % ist der größte Teil dieser Keilschrifttafeln noch unveröffentlicht, dennoch stellen sie einen einzigartigen Schatz von kulturgeschichtlichen Informationen über das Leben der Menschen vor nahezu vier Jahrtausenden dar. Allerdings bringt es die Natur dieser Dokumente mit sich, daß Informationen über historisch-politische Zusammenhänge nur sehr partiell und eher zwischen den Zeilen zu finden sind, so daß auch Hinweise auf die hethitische Frühgeschichte weitestgehend fehlen.

Überhaupt ist es eine Frage der Definition, wann eigentlich die hethitische Geschichte beginnt. Und so geht gerade in diesem Punkt die Terminologie der Archäologen und der Philologen auseinander; dabei handelt es sich nicht allein um einen formalen Aspekt, sondern vielmehr liegt die Ursache in einem bemerkenswerten Unterschied im Forschungsmaterial. Es gibt weder im archäologischen Befund eine erkennbare Zäsur, die mit der Einwanderung neuer Bevölkerungsgruppen in Verbindung zu bringen wäre, noch lassen sich charakteristische Veränderungen in der Entwicklung der materiellen Hinterlassenschaften beobachten, die auf die Anwesenheit von etwas Neuem schließen lassen könnten. Dennoch bezeichnet man spezielle Formen der Keramik als frühhethitisch, die in Schichten aufzufinden sind, die noch deutlich vor dem Auftreten erster Schriftzeugnisse in hethitischer Sprache liegen, also älter sind als die eigentliche hethitische Geschichte im engeren Sinne. Solche frühhethitischen Keramikfunde sind in einer ganzen Reihe von Fundorten nachzuweisen – vom Ikiztepe im Bereich der Mündung des Kizil Irmak ins Schwarze Meer in Nordanatolien bis zu den Fundorten im Halysbogen in Zentralanatolien und in Hattusa selbst.

In den Texten der altassyrischen Handelskontore in Anatolien erscheinen unter den Tausenden von Eigennamen einheimischer Anatolier erstmals auch solche, die mit sprachlichen Elementen des Hethitischen oder des Luwischen gebildet sind. Diese und einige wenige Glossen, d.h. nicht übersetzte Begriffe aus der lokalen Umgangssprache, in den sonst im altassyrischen Dialekt des Akkadischen geschriebenen Urkunden, Briefen oder Dokumenten, die die Händler mit Einheimischen, aber auch Einheimische untereinander austauschten, sind die allerersten konkreten Hinweise auf die Anwesenheit einer neuen Bevölkerungsgruppe. Sie belegen, daß bereits zu dieser Zeit, d.h. im 19. Jahrhundert v. Chr., im Bereich der zentralanatolischen Hochebene neben den traditionellen einheimischen Sprachen auch das Hethitische und das Luwische gesprochen wurden. Über die politische Rolle, die die Sprecher dieser Sprachen in ihrer neuen Umwelt spielten, und über ihr Verhältnis zu der alteingesessenen Bevölkerung schweigen die Quellen weitestgehend. Man kann dies durchaus so deuten, daß der Prozeß der Akkulturation der Neuankömmlinge weitestgehend friedlich verlaufen ist. Eine militärische Unterwerfung, eine Art indogermanische Herrscherschicht, die sich die Einheimischen unterworfen hat, gehört in den Bereich der Phantasie und hat mehr mit den romantischen Vorstellungen über die sogenannte Völkerwanderungszeit des 19. Jahrhunderts zu tun als mit der Realität. Als erkennbare Gruppe treten «Hethiter» jedenfalls in dieser Phase der kleinasiatischen Geschichte nicht auf. Überhaupt spielten solche an ethnischen Zuordnungen orientierten Vorstellungen in dieser Epoche keine Rolle, wie die Einheitlichkeit des materiellen Befundes unterstreicht. Allein auf der Ebene der sprachlichen Zuordnung könnte man von einer multiethnischen Gesellschaft und Kultur sprechen, zu der größere Gruppen der von Nordsyrien aus nach Kleinasien eingewanderten Hurriter, die ebenfalls hier heimisch geworden waren, ebenso gehören wie die vor allem in Zentral- und Nordanatolien heimischen autochthonen Gruppen der Hattier mit ihrer ganz eigenen Sprache, die mit keiner anderen bekannten Sprache verwandt ist und deshalb bis heute völlig isoliert steht.

Der einzige bisher bekannte historiographische Text, der in chronologischer Abfolge mit der Nennung von Namen und Orten Ereignisse aus dieser Epoche der anatolischen Geschichte überliefert, stammt aber erstaunlicherweise nicht aus Archiven der altassyrischen Händler oder eines lokalen Fürsten, sondern fand sich unter den Tontafeln der hethitischen Hauptstadt Hattusa. Über die Entstehungszeit des Textes oder den Zweck, zu dem er angefertigt wurde, gibt es keine direkten Informationen, aber er war für die hethitischen Schreiber immerhin von so großem Interesse, daß sie ihn im Laufe der Jahrhunderte mehrfach abgeschrieben haben, zuletzt rund ein halbes Jahrtausend nach dem Tod der Person, um die es darin vor allem geht. Geschildert wird der Aufstieg eines Mannes mit Namen Anitta zum dominierenden Lokalfürsten Anatoliens, der auf dem Höhepunkt seines Erfolges den Titel «Großfürst» trägt und in der Stadt Kanes residiert, die er zuvor erobert hat. Im Zuge der Kämpfe um diese Vormachtstellung werden verschiedene Gegner erwähnt, unter anderem die spätere hethitische Hauptstadt Hattusa, die nicht nur zerstört...

Erscheint lt. Verlag 6.11.2012
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Beck'sche Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Reisen
Geisteswissenschaften Archäologie
Geschichte Allgemeine Geschichte Vor- und Frühgeschichte
Geschichte Allgemeine Geschichte Altertum / Antike
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Altertum • Asien • Aufstieg • Herrschaft • Hethiter • Kleinasien • Religion • Sprache • Wirtschaft
ISBN-10 3-406-64646-8 / 3406646468
ISBN-13 978-3-406-64646-1 / 9783406646461
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