Die gefährliche Frau (eBook)
240 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-96022-9 (ISBN)
Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm die Romane »Das Glück meiner Mutter«, »Das innere Ausland« und der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman »Eine kurze Geschichte vom Glück«.und zuletzt »Einer fehlt«. Thommie Bayer lebt mit seiner Frau in Staufen bei Freiburg.
Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm "Die gefährliche Frau", "Singvogel", der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman "Eine kurze Geschichte vom Glück" und zuletzt "Das innere Ausland".
2 Telefon. Eine Frau. Sie wollte wissen, was genau die Anzeige bedeutet. »Sind Sie ein Detektivbüro?«
»Nein«, sagte ich, »ich bin auch nicht die Sekretärin.«
»Dann sind Sie so was wie eine Prostituierte.« Eine Feststellung, keine Frage.
»Genau so was. Ja.«
»Könnten wir uns treffen? Ich bin bis morgen abend in der Stadt.«
»Ich muß Sie vorher etwas fragen«, sagte ich hastig, »der Mann, um den es geht. Ist er Anwalt, Richter, schwerreich oder Politiker? Dann müßte ich nämlich gleich ablehnen.«
»Nichts von alledem«, sagte sie trocken. Ich hatte das Gefühl, sie weiß sofort, worum es mir geht. Was ich tue, ist illegal, und wer sich auskennt, auf den eigenen Ruf pfeift oder sich das Geld für einen Anwalt leisten will, kann auf die Idee kommen, mich anzuzeigen. Und an Politiker kommt man nicht heran. Das habe ich ein einziges Mal versucht und mich komplett lächerlich gemacht. Politiker sind die treuesten Ehemänner oder die mißtrauischsten Betrüger der Welt. Wenn es nicht gerade Provinzbürgermeister, Landtagsabgeordnete oder Hinterbänkler sind.
Wir verabredeten uns bei einem Italiener in meiner Nähe. Ich wollte nicht kochen und bekam langsam Hunger. Das ist ein Reflex bei mir. Eine halbe Stunde nach Arlettes Fünfuhrsnack knurrt mein Magen.
Für Frauen ziehe ich mich anders an als für Männer. Flachere Schuhe, weich fallende Stoffe, wenig Farben, nichts Enges. Ich lüftete, während ich das Angebot im Kleiderschrank sondierte, auch gleich die Wohnung, und ein Schwall heißer Spätsommerluft füllte die unbelebten Räume. Es roch schon nach Herbst. Staubigfeucht und faulig.
Ich legte Lippenstift auf – auch das tue ich für Männer nicht, außer ich rechne mit einfacheren Gemütern, die eine Frau ohne Lippenstift für eine Akademikerin halten und sich unterlegen fühlen könnten. Aber die einfacheren Gemüter sind selten. Meine Klientel rekrutiert sich fast nur noch aus den besser verdienenden Schichten. Früher waren auch mal Busfahrer oder Mechaniker dabei. Ich bin wohl zu teuer geworden für normale Leute.
Ich entschied mich für einen eher maskulin geschnittenen dunkelgrauen Hosenanzug und ein weites rostrotes T-Shirt.
Nachdem ich meiner Familie den Wassertopf gefüllt hatte, ging ich zu Fuß durch die Zehlendorfer Wohnstraßen und kam fünf Minuten zu früh beim Italiener an. Sie war schon da.
Ich wußte nicht, ob ich mich amüsieren oder ärgern sollte – sie war fast genauso gekleidet wie ich. Der Anzug ein bißchen dunkler, das T-Shirt helles Taubenblau. Sie war gerade dabei, das Erkennungszeichen, ein Buch von Axel Behrendt, aus ihrer riesigen Tasche zu nehmen und vor sich auf den Tisch zu legen, als sie mich sah und den Mund zu einem Lächeln verzog, von dem ich nicht sagen könnte, ob es ironisch, selbstironisch oder säuerlich war. Sie stand auf und winkte mit dem Buch.
»Ich bewundere Ihren Geschmack«, sagte ich als erstes, um sie aus der Reserve zu locken.
»Eigenlob«, sagte sie und lächelte noch immer. Sie streckte mir die Hand hin, ich ergriff sie und fühlte, wie sie mich ein bißchen zu sich herzog, als wolle sie mich umarmen oder küssen, aber sie beugte sich nach vorn über den Tisch, um einen Blick auf meine Schuhe zu werfen.
»Na, wenigstens die nicht«, sagte sie erleichtert und setzte sich auf ihren Stuhl zurück.
Ich mußte wohl unverständig dreinblicken, denn sie rückte ein Stückchen zur Seite, stellte ihr Bein vor mich hin und zeigte auf ihre Turnschuhe. »Die Schuhe und die Frisur«, sagte sie, »das ist doch schon was.«
»Wenn Sie an Astrologie glauben, dann ist es der Aszendent«, sagte ich.
»Tu ich nicht. Sie?«
»Manchmal.«
Wir schwiegen eine Zeitlang, sie studierte die Karte. Legte sie hin, schlug sie wieder auf, schlug sie wieder zu, nahm das Buch in die Hand – sie war nervös und wollte es nicht zeigen. Ich gab mir Mühe, meine Arme nicht vor der Brust zu verschränken, und dachte: mal wieder eine künstlich Lockere. Abwarten, bis sie endlich weiß, wie sie anfangen soll.
Sie nahm das Buch und hielt es mir vor die Nase. »Haben Sie schon mal was von ihm gelesen?«
»Nein.« Ich verschränkte nun doch die Arme vor der Brust. Verdammt. Das wollte ich doch nicht. Aber ihre Nervosität war ansteckend, und ich mußte mich an mir selbst festhalten, um nicht, wie sie, das Fummeln anzufangen, Knoten in irgendwas zu machen oder Fransen in die Papiertischdecke zu reißen.
»Es geht um ihn«, sagte sie und legte das Buch wieder hin.
»Den Autor?«
»Ja. Er ist mein Mann.«
Ihr hektisches Wedeln mit der Speisekarte hatte den Kellner auf den Plan gerufen, und wir bestellten. Sie Fisch und Spinat, ich Nudeln. Ich esse immer Nudeln, wenn ich mit Frauen zusammen bin. Ich mag es, wenn sie neidisch auf meinen Teller schielen, während ich scheinbar unbekümmert alles verputze, was vor mir liegt, und am Ende noch die Soße mit Brot austupfe. Daß ich mir danach gelegentlich den Finger in den Hals stecke, wissen sie nicht.
»Seit wann betrügt er Sie?« fragte ich, als wir für einen Moment allein waren. Das frage ich meistens am Anfang.
»Er tut es gar nicht, zumindest glaub ich nicht, daß er es tut.«
»Was wollen Sie dann von mir?«
Sie überlegte einen Moment, spielte mit ihrem Mineralwasserglas, das der Kellner vollschenken wollte, aber er konnte nicht, weil sie es nicht aus den Händen ließ, also stellte er die Flasche auf den Tisch und ging.
»Ich habe es satt … nein, anders: Er spielt ein Spiel mit mir, das mir nicht gefällt. Seine Treue, seine Liebe, seine Loyalität, alles ist so heilig, er ist so heilig und unantastbar. Ich bin ein banales Würstchen gegen seine Charakterfestigkeit. Er soll mal auf den Boden der Tatsachen zurückkommen. Er ist aus Fleisch und Blut, ein Mensch wie alle anderen, und Menschen machen Fehler. Menschen müssen sich auch mal für was entschuldigen. Sie sind nicht so perfekt wie er.«
Ich war einigermaßen verblüfft. Aus heiterem Himmel wollte die ihre Ehe zerstören oder zumindest gefährden, nur weil sie sich unterlegen fühlte? Das stand doch in keinem Verhältnis. Das war verrückt. Die Frau wollte mit einer Kanone einen Spatzen erschießen.
»Sie riskieren Ihre Ehe wegen so was?«
»Das sollte nicht Ihr Problem sein, oder?«
Ich hatte schon wieder die Arme vor der Brust. Ihre Arroganz brachte mich aus dem Gleichgewicht und in die Defensive.
»Sie haben recht«, sagte ich. »Tausend im voraus und tausend danach.«
»Ich bin gespannt, ob Sie das schaffen«, sagte sie, ohne mich anzusehen.
»Ich schaffe das immer«, sagte ich, verwirrt, weil mich ihr Zweifel kränkte.
Sie fragte mich aus, und ich war redselig. Irgendwas an ihr löste mir die Zunge. Vielleicht ist sie die geborene Zuhörerin, oder ich war so durcheinander wegen der Mutwilligkeit ihres Auftrags, daß ich alle Vorsicht fahrenließ und freimütig von meiner Arbeit erzählte. Ich brachte sie hin und wieder dazu, laut aufzulachen, und einmal legte sie kurz ihre Hand auf meine. Das hatte ich noch nie erlebt: eine betrogene Ehefrau in spe, die sich freundschaftlich gibt und Interesse für mich und mein Leben bekundet.
Nachdem wir alles besprochen hatten: sein Hotel, die Dauer seines Aufenthalts in Berlin, seine Vorlieben, seine weichen Stellen, war ich noch kleinlauter und nervöser. Sie sagte Sätze wie: »Er wird Sie bald auf den Bauch drehen, er mag Ärsche über alles«, oder: »Lassen Sie ihn ja ausreden, sonst geht er an die Decke.«
Wir tauschten E-Mail-Adressen aus, sie gab mir das Geld, zog es locker aus der Tasche, dann legte sie beide Hände auf den Tisch und sah mit gerunzelter Stirn dem Kellner beim Vorlegen zu. Kaum war er gegangen, stand sie auf: »Ich hab überhaupt keinen Hunger.« Sie nahm ihre Tasche und warf die Haare aus der Stirn. »Zahlen Sie für mich mit«, sagte sie und legte einen Zwanziger neben den Teller. Dann war sie weg.
Mir war der Appetit vergangen, trotzdem stocherte ich in meinem Essen herum, nahm ein paar Nudeln in den Mund, schluckte sie runter, gab dann aber auf und winkte dem Kellner, dem ich jetzt auch noch lang und breit erklären mußte, daß alles in Ordnung sei, das Essen sowieso, nur die Signora habe gehen müssen, und ich wolle doch lieber einen Espresso.
Auf dem Heimweg überfiel mich ein Platzregen, binnen Sekunden klebte mein schöner Donna-Karan-Anzug an mir wie eine labbrige zu große Haut, und ich stand praktisch nackt vor Sommers, die hektisch ihren Kombi entluden. Ich weiß nicht, wessen Stielaugen größer waren, die des Vaters oder die des Sohnes. Ich brauchte gar nicht an mir herunterzuschauen, um zu wissen, daß meine Brustwarzen sich klar und deutlich abzeichneten, ich sah es an der Verlegenheit des fünfzehnjährigen Linus und am stechenden Blick seiner Mutter.
Ich wurde wie immer von Valentino begrüßt, er wollte seine kleine Willkommensfeier mit Slalom und Geschrei abhalten, aber ich hatte keine Zeit für ihn. Zuerst mußte ich die nassen Sachen loswerden. Er machte sich nichts daraus, daß er ein paar Tropfen abbekam, und folgte mir ins Bad. Bevor ich mich unter die Dusche stellte, öffnete ich noch das Fenster, das tu ich seit einiger Zeit. Genaugenommen, seit ich weiß, daß Linus in den Büschen steht und mich beobachtet. Er ist ein netter Junge, die Katzen mögen ihn, und ich glaube, seine Nächte sind nicht sehr erholsam. Vermutlich gebe ich mich in seinen Träumen zu den irrwitzigsten Dingen...
| Erscheint lt. Verlag | 5.11.2012 | 
|---|---|
| Verlagsort | München | 
| Sprache | deutsch | 
| Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker | 
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Affäre • Ehe • Liebe • Seitensprung • Seitensprungagentur • Verführung | 
| ISBN-10 | 3-492-96022-7 / 3492960227 | 
| ISBN-13 | 978-3-492-96022-9 / 9783492960229 | 
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