Edelweißpiraten (eBook)
253 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-0514-8 (ISBN)
Sie wollten nicht wegsehen - da wagten sie alles!
Der 16-jährige Daniel freundet sich mit dem alten Josef Gerlach an. Aber etwas zwischen ihnen bleibt unausgesprochen. Da überlässt ihm der alte Mann sein Tagebuch. Es erzählt, wie Gerlach als 14-Jähriger die HJ verlässt und sich einer Clique anschließt, die sich »Edelweißpiraten« nennt. Ihr Markenzeichen: lange Haare und coole Klamotten. Ihr Motto: Freiheit! Zunächst beginnt alles ganz unpolitisch. Doch als die Lage immer schlimmer wird, planen sie gefährliche Aktionen gegen die Nazis. Je tiefer Daniel in diese vergangene Welt eintaucht, desto mehr fühlt er sich Gerlach verbunden. Und er erkennt, was die Edelweißpiraten mit ihm und seiner eigenen Geschichte zu tun haben.
»Dieses Buch könnte das rosa Kaninchen für Jungs werden.« BUCHMARKT.
Dirk Reinhardt, geboren 1963, studierte Germanistik und Geschichte und war nach seiner Promotion bis 1994 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar an der Universität Münster tätig. Danach arbeitete er als freier Journalist. 'Edelweißpiraten' ist sein dritter Roman. Mehr zum Autor unter www.autor-dirk-reinhardt.de
Dirk Reinhardt, geboren 1963, studierte Germanistik und Geschichte und war nach seiner Promotion bis 1994 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar an der Universität Münster tätig. Danach arbeitete er als freier Journalist. „Edelweißpiraten“ ist sein dritter Roman. Mehr zum Autor unter www.autor-dirk-reinhardt.de
2. Juni 1941
Letzte Woche haben Tom und ich uns auf die Suche nach neuen Klamotten gemacht. Unser ganzer Lehrlingslohn ist dafür draufgegangen. Und gestern war’s dann endlich so weit: Pfingstsonntag! Ganz früh hatten wir uns mit den anderen am Bahnhof verabredet. Wir waren total aufgeregt, weil wir wissen wollten, was sie von unserem neuen Zeug halten.
Natürlich gab’s spöttische Bemerkungen, und so richtig mithalten konnten wir mit denen noch immer nicht, aber es war in Ordnung. Sie waren zufrieden. Sogar Flint.
»Wenn ihr jetzt ’n halbes Jahr nicht mehr zum Friseur geht«, hat er gesagt, »’n paar ordentliche Lieder lernt und ’n paar Beulen von der HJ abkriegt, können fast noch vernünftige Menschen aus euch werden.« Sollte wohl so was wie der Ritterschlag sein.
Wir haben gewartet, bis alle da waren, dann sind wir los. Erst mit der Rheinuferbahn nach Bonn, dann mit der Straßenbahn bis Oberkassel. Von da ging’s zu Fuß weiter. Ins Siebengebirge. Tom und ich sind vorher nie da gewesen, aber die anderen schienen jeden Stein zu kennen. Es ist steil nach oben gegangen, bis wir ’n Blick über ganz Bonn und den Rhein hatten. Dann sind wir an einen See gekommen, den die anderen »Felsensee« nannten. Er hat tief unter uns gelegen, an allen Seiten hohe Felswände. Aber es gab ’n Pfad, über den wir runterklettern konnten, zu der einzigen Stelle, wo das Ufer flacher ist.
Als wir da angekommen sind, haben Tom und ich unseren Augen nicht getraut. Vor uns lag der See, ganz blau zwischen den Felsen. Und überall am Ufer waren Leute, Dutzende von Leuten. Leute wie Flint und die anderen. Leute wie wir?
Sie hatten uns kaum gesehen, da wurden wir schon stürmisch begrüßt. Das heißt, vor allem Flint und Kralle und der Lange. Die scheinen viel zu gelten da. Tom und ich, wir haben eher spöttische Blicke kassiert. Wir haben immer noch diesen HJ-Haarschnitt, und es hat ’n paar komische Bemerkungen gegeben. Aber da waren sie bei Flint an den Falschen geraten. Der macht sich zwar auch gern über uns lustig, aber das heißt noch lange nicht, dass andere das genauso dürfen. Jedenfalls ist er gleich zu einem von denen hin und hat ihn am Kragen gepackt.
»Worüber lachst du so dämlich?«, hat er zu ihm gesagt. »Die gehören zu uns, klar? Wenn du was an ihnen auszusetzen hast, komm zu Kralle und mir.«
Das hat gereicht. Mit den beiden wollte sich keiner anlegen. Von da an haben sie uns in Ruhe gelassen.
Es war ein heißer Tag, viele waren schon im Wasser. Wir waren ins Schwitzen gekommen auf dem Weg da hoch, deshalb haben sich auch Flint und Kralle ausgezogen und sind reingesprungen. Dann haben sie uns gewunken, wir sollen nachkommen.
Wir haben uns umgesehen. Wir hatten keine Badehosen dabei. Und unter den Leuten am Ufer waren auch ein paar Mädchen, die haben schon ganz neugierig zu uns hingesehen.
»Hey, Flint, du Arsch!«, hat Tom gerufen. »Du hast uns nicht gesagt, dass wir Badehosen mitnehmen sollen!«
»Na und?«, hat Flint zurückgebrüllt. »Bin ich eure Mutter? Passt selbst auf euch auf! Und jetzt kommt rein! Gehört mit zu eurer Bewährungsprobe.«
Wir haben nicht gewusst, was wir tun sollen. Die Mädchen haben angefangen zu kichern. Da ist einer aus unserer Gruppe zu uns gekommen und hat uns geholfen. Es war der, den die anderen »Goethe« nennen.
»Macht’s wie ich, meine Freunde«, hat er gesagt und uns angegrinst. »Bedeckt euer edles Gemächt mit den Händen!«
Das hat er denn auch getan und ist ins Wasser gestakst. Tom und ich, wir haben tief Luft geholt, uns ausgezogen und es ihm nachgemacht. Wir waren verdammt froh, als wir drin waren. Dann haben wir gesehen, dass ein Stück weiter auch ein paar Mädchen im Wasser waren, die hatten genauso wenig an wie wir. Wir haben Stielaugen gekriegt.
Flint hat’s bemerkt und ist zu uns gekommen. »An den Anblick gewöhnt ihr euch noch«, hat er gesagt. »Oder auch nicht. Aber egal! Los, Kralle, wir haben was zu erledigen.«
Er und Kralle sind über uns hergefallen. Für die nächste Viertelstunde hatten wir genug damit zu tun, uns gegen die beiden zu wehren und wenigstens ab und zu mal nach oben zu kommen und Luft zu schnappen. Aber wir sind früher oft im Neptunbad gewesen. Deshalb haben wir uns ganz gut geschlagen, glaub ich.
»Nicht schlecht, Leute«, hat Flint gesagt, als wir wieder draußen waren und uns abgetrocknet haben. »Hoffentlich seid ihr später auch so harte Knochen. Wenn’s drauf ankommt!«
Währenddessen sind immer neue Gruppen eingetroffen. Viele aus Köln, aus anderen Stadtteilen. Auch aus Düsseldorf und Wuppertal sind welche dabei gewesen, sogar aus Essen und Dortmund. Aber egal, woher sie kamen, es war bei allen sofort zu sehen, dass sie dazugehören. An den Klamotten und den Haaren, die sie länger tragen, als wir’s von der HJ kennen. »Nach Art des freien Mannes«, wie Goethe sagt.
Später haben wir ein Lagerfeuer gemacht, Kartoffeln reingelegt und Fleisch drüber gebraten. Alles wurde geteilt. Jeder hat die neuesten Geschichten aus seiner Stadt erzählt. Über den Streifendienst zum Beispiel. Was der sich an neuen Gemeinheiten einfallen lässt, und was man dagegen tun kann. Wie man sich vor den ewigen Schikanen im Betrieb schützt. Oder wie man am besten der Polente aus dem Weg geht. Alles hat sich anders und doch irgendwie ähnlich angehört. Tom und ich, wir haben die meiste Zeit nur dagesessen und zugehört. Haben gestaunt, wie viele es gibt, die die gleichen Probleme haben wie wir. Mit denen kann man endlich drüber reden!
Als es dunkel geworden ist, haben einige ihre Gitarren rausgeholt, und wir haben welche von den Liedern kennengelernt, von denen wir schon vorher gehört hatten. Die meisten nehmen die HJ aufs Korn. »Kurze Haare, große Ohren, so ward die HJ geboren.« So fängt eins davon an. Tom und ich konnten uns vor Lachen kaum halten. »Und im Graben der Chaussee« – so geht ein anderes – »liegt der Streifendienst, juchhe, sieht uns starten, Edelweißpiraten, nur mit Schmerz und Weh.«
So haben sich alle genannt da am Felsensee: Edelweißpiraten. Abends am Feuer hat Flint uns erklärt, warum.
»Piraten sind einfach freie Leute«, hat er gesagt. »Segeln hierhin und dahin. Wo’s ihnen gefällt. Machen, was sie wollen. Keiner schreibt ihnen was vor. Und ’n Edelweiß wächst oben im Gebirge. In der Wildnis. Wo keiner hinkommt. Keiner kann es pflücken oder ihm was antun. Es ist ganz wild und frei.«
Als wir uns später schlafen gelegt haben, einfach rund ums Feuer, da hab ich gespürt, was er meint. Es war, als wär die Welt draußen mit den Nazis und dem Krieg und dem ganzen anderen Mist einfach nicht mehr da. Als gäb’s nur noch uns. Uns und die Sterne da oben. Und als könnte uns keiner was anhaben. Es war genau das, wovon Tom und ich immer geträumt haben.
Erst heute Vormittag, nach dem Aufwachen, hat sich die Welt wieder bemerkbar gemacht. Wir waren grade mit dem Frühstück fertig und wollten eigentlich wieder ins Wasser. Da sind ein paar von den Leuten gekommen, die wir als Späher um den See postiert hatten, und haben gemeldet, die HJ ist im Anmarsch. Ich hab Flint gefragt, was die wollen. Er meinte, sie wüssten schon länger, dass wir uns über Pfingsten hier treffen, und jetzt wollten sie wohl mal so richtig unter uns aufräumen. Besonders überrascht hat er nicht ausgesehen. Ich glaub, er hat von Anfang an gewusst, dass sie kommen.
Wir sind den Pfad hochgerannt, und dann haben wir sie schon von weitem gesehen. Sie kamen in ihrer typischen Marschordnung den Berg rauf, immer im Gleichschritt. Wir sind ausgeschwärmt und haben auf sie gewartet. Hoch über dem See, am oberen Rand der Felsen, haben wir sie getroffen, und die Sache ist ohne viel Gerede gleich losgegangen.
Es waren ganz schön viele, auf jeden Fall mehr als wir. Aber wir haben sofort gemerkt, dass sie bis auf ihre Anführer, die üblichen Fanatiker, nicht grade mit dem Herzen bei der Sache sind. Ist ja auch klar: Irgendwer jagt sie raus an ihrem freien Tag, und dann sollen sie sich prügeln und wissen nicht mal, wofür. Wir dagegen haben’s genau gewusst. Nämlich dafür, dass sie uns verdammt noch mal in Ruhe lassen.
Deswegen war’s auch keine Frage, wie die Sache ausgeht. Tom und ich waren trotzdem erst eingeschüchtert. Überall Lärm und Gebrüll, es ist ganz schön heftig zugegangen. Aber irgendwann haben wir Morken und seine Leute in dem Getümmel entdeckt. Da hat’s uns gepackt, mit denen hatten wir noch was offen. Wir sind zu ihnen hin, und dann haben wir unseren Teil zu der Schlacht am Felsensee beigetragen.
Am Ende mussten die Jungs von der HJ das Feld räumen. Ihre Anführer haben gedroht, beim nächsten Mal kämen sie mit der SS wieder, und überhaupt würden wir ab jetzt unseres Lebens nicht mehr froh. Aber das hat uns nicht interessiert. Wir sind wieder runter zum See und haben unseren Sieg gefeiert. Der Rest des Tages war ein einziger Triumph. Wie die Herrscher der Welt haben wir uns gefühlt!
Irgendwann hat Flint Tom und mich zur Seite genommen und die anderen aus Ehrenfeld dazugerufen. Einige hatten ordentlich was abbekommen und waren am Bluten, aber nicht mal das hat unsere Laune gestört.
»So, jetzt habt ihr gesehen, wie’s bei uns zugeht«, hat Flint gesagt. »Wollt ihr immer noch dabei sein?«
Und ob wir wollten! Jetzt erst recht, haben wir gesagt.
»Na, dann ist ja alles klar....
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2012 |
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Nachwort | Dirk Reinhardt |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre | |
Schlagworte | 20. Jahrhundert • 2. Weltkrieg • Biografischer Roman • Deutsche Geschichte • Die Bücherdiebin • Dortmund • Drittes Reich • Düsseldorf • Edelweißpiraten • Freundschaft • Geschichte • Hitlerjugend • Jugendbuch • Jugendkultur • Köln • Markus Zusak • Nationalsozialismus • Resistenz • Roman • Ruhrgebiet • Tatsachenroman • Widerstand • Widerstand im Nationalsozialismus • Zeitgeschichte |
ISBN-10 | 3-8412-0514-3 / 3841205143 |
ISBN-13 | 978-3-8412-0514-8 / 9783841205148 |
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