Tao te king (eBook)
140 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-401926-0 (ISBN)
Der 'Alte Meister' Lao Tse gilt als Gründer der taoistischen Weltreligion. Der legendäre chinesische Denker war im 6. Jahrhundert v. Chr. Archivar am kaiserlichen Hof und in dem ihm zugeschriebenen Tao Te King, der Gründungsschrift des Taoismus, versammelte er seine unerschöpflichen Lebensweisheiten, die als Gedichte von berauschender Schönheit verfasst sind. Seine Botschaft vom Tao, dem allmächtigen Wirkprinzip, hat westliche wie östliche Menschen über die Jahrtausende hinweg fasziniert.
Der "Alte Meister" Lao Tse gilt als Gründer der taoistischen Weltreligion. Der legendäre chinesische Denker war im 6. Jahrhundert v. Chr. Archivar am kaiserlichen Hof und in dem ihm zugeschriebenen Tao Te King, der Gründungsschrift des Taoismus, versammelte er seine unerschöpflichen Lebensweisheiten, die als Gedichte von berauschender Schönheit verfasst sind. Seine Botschaft vom Tao, dem allmächtigen Wirkprinzip, hat westliche wie östliche Menschen über die Jahrtausende hinweg fasziniert.
Zweiter Teil Das Leben
Das hohe LEBEN sucht nicht sein LEBEN,
also hat es LEBEN.
Das niedere LEBEN sucht sein LEBEN nicht zu verlieren,
also hat es kein LEBEN.
Das hohe LEBEN ist ohne Handeln und ohne Absicht.
Das niedere LEBEN handelt und hat Absichten:
Die Liebe handelt und hat nicht Absichten.
Die Gerechtigkeit handelt und hat Absichten.
Die Moral handelt, und wenn man ihr entgegenkommt –
so fuchtelt sie mit den Armen und zieht einen herbei.
Darum: Ist der SINN abhanden, dann das LEBEN.
Ist das LEBEN abhanden, dann die Liebe.
Ist die Liebe abhanden, dann die Gerechtigkeit.
Ist die Gerechtigkeit abhanden, dann die Moral.
Diese Moral ist Treu und Glaubens Dürftigkeit
und der Verwirrung Beginn.
Vorbedacht ist des SINNES Schein
und der Torheit Anfang.
Also auch der rechte Mann:
Er weilt beim Völligen und nicht beim Dürftigen.
Er bleibt beim Sein und nicht beim Schein.
Darum tut er ab das Ferne und hält sich ans Nahe.
Die im Anfang das Eine erlangten:
Der Himmel erlangte das Eine und ist rein.
Die Erde erlangte das Eine und ist fest.
Die Geister erlangten das Eine und sind wirkend.
Die Tiefe erlangte das Eine und erfüllt sich.
(Alle Geschöpfe erlangten das Eine und leben.)
Die Herrscher erlangten das Eine und sind das Richtmaß der Welt.
In diesen allen wirkt das Eine.
Wäre der Himmel nicht rein dadurch, so müßte er bersten.
Wäre die Erde nicht fest dadurch, so müßte sie wanken.
Wären die Geister nicht wirkend dadurch, so müßten sie erstarren.
Wäre die Tiefe nicht erfüllt dadurch, so müßte sie sich erschöpfen.
(Wären die Geschöpfe nicht lebendig dadurch, so müßten sie erlöschen.)
Wären die Herrscher nicht erhaben dadurch, so müßten sie stürzen.
Darum: Das Edle hat das Geringe zur Wurzel.
Das Hohe hat das Niedrige zur Grundlage.
Also auch die Fürsten und Könige:
Sie nennen sich: »Einsam«, »Verwaist«, »Wenigkeit«.
Dadurch bezeichnen sie das Geringe als ihre Wurzel.
Oder ist es nicht so?
Denn: Ohne die einzelnen Bestandteile eines Wagens gibt es keinen Wagen.
Wünsche nicht das glänzende Gleißen des Juwels,
sondern die rohe Rauheit des Steins.
Rückkehr ist die Bewegung des SINNS.
Schwachheit ist die Äußerungsart des SINNS.
Alle Dinge in der Welt entstehen im Sein.
Das Sein entsteht im Nichtsein.
Wenn ein Weiser höchster Art vom SINNE hört,
so bemüht er sich danach zu tun.
Wenn ein Weiser mittlerer Art vom SINNE hört,
so hält er bald an ihm fest, bald wieder gibt er ihn preis.
Wenn ein Weiser niederer Art vom SINNE hört,
so lacht er laut darüber.
Wenn er nicht laut lacht,
so war es noch nicht der eigentliche SINN.
Darum hat ein Spruchdichter die Worte:
»Der klare SINN erscheint dunkel.
Der SINN des Fortschritts erscheint als Rückzug.
Der ebene SINN erscheint rauh.
Das höchste LEBEN erscheint als Leere.
Die höchste Reinheit erscheint als Schmach.
Das weite LEBEN erscheint als ungenügend.
Das starke LEBEN erscheint verstohlen.
Das wahre Wesen erscheint veränderlich.
Das große Geviert hat keine Ecken.
Das große Gerät wird spät vollendet.
Der große Ton hat unhörbaren Laut.
Das große Bild hat keine Form.«
Der SINN in seiner Verborgenheit ist ohne Namen.
Und doch ist gerade der SINN gut im Spenden und Vollenden.
Der SINN erzeugt die Einheit.
Die Einheit erzeugt die Zweiheit.
Die Zweiheit erzeugt die Dreiheit.
Die Dreiheit erzeugt alle Geschöpfe.
Alle Geschöpfe haben im Rücken das Dunkle
und umfassen das Lichte,
und der unendliche Lebensatem gibt ihnen Einklang.
Was die Menschen hassen, ist Verlassenheit, Einsamkeit, Wenigkeit.
Und doch wählen Fürsten und Könige sie zu ihrer Selbstbezeichnung.
Denn die Wesen werden entweder durch Verringerung vermehrt,
oder durch Vermehrung verringert.
Was andre lehren, lehre ich auch:
»Die Starken sterben nicht eines natürlichen Todes«.
Das will ich zum Ausgangspunkt meiner Lehre machen.
Das Allerweichste auf Erden
überholt das Allerhärteste auf Erden.
Das Nichtseiende dringt auch noch ein in das, was keinen Zwischenraum hat.
Daran erkennt man den Wert des Nicht-Handelns.
Die Belehrung ohne Worte, den Wert des Nicht-Handelns
erreichen nur wenige auf Erden.
Der Name oder das Ich:
Was steht näher?
Das Ich oder der Besitz:
Was ist mehr?
Gewinnen oder verlieren:
Was ist schlimmer?
Nun aber:
Wer sein Herz an andres hängt,
verbraucht notwendig Großes.
Wer viel sammelt,
verliert notwendig Wichtiges.
Wer sich genügen lässet,
kommt nicht in Schande.
Wer Einhalt zu tun weiß,
kommt nicht in Gefahr
und kann so ewig dauern.
Große Vollendung muß wie unzulänglich erscheinen,
so wird sie unendlich in ihrer Wirkung.
Große Fülle muß wie leer erscheinen,
so wird sie unerschöpflich in ihrer Wirkung.
Große Geradheit muß wie krumm erscheinen.
Große Begabung muß wie dumm erscheinen.
Große Beredsamkeit muß wie stumm erscheinen.
Bewegung überwindet die Kälte.
Stille überwindet die Hitze.
Reinheit und Stille ist der Welt Richtmaß.
Wenn der SINN herrscht auf Erden,
so tut man die Rennpferde ab zum Dungführen.
Wenn der SINN abhanden ist auf Erden,
so werden Kriegsrosse gezüchtet auf dem Anger.
Keine größere Schuld gibt es
als Billigung der Begierden.
Kein größeres Übel gibt es,
als sich nicht lassen genügen.
Kein schlimmeres Unheil gibt es
als die Sucht nach Gewinn.
Denn:
Das Genügen der Genügsamkeit ist dauerndes Genügen.
Ohne aus der Tür zu gehen,
kann man die Welt erkennen.
Ohne aus dem Fenster zu blicken,
kann man des Himmels SINN erschauen.
Je weiter einer hinaus geht,
desto weniger wird sein Erkennen.
Also auch der Berufene:
Er wandert nicht und kommt doch ans Ziel.
Er sieht sich nicht um und vermag doch zu benennen.
Er handelt nicht und bringt doch zur Vollendung.
Wer im Forschen wandelt, nimmt täglich zu.
Wer im SINNE wandelt, nimmt täglich ab.
Er verringert sein Tun und verringert es immer mehr,
bis er anlangt beim Nicht-Tun.
Beim Nicht-Tun bleibt nichts ungetan.
Das Reich erlangen kann man nur,
wenn man immer frei bleibt von Geschäftigkeit.
Die Vielbeschäftigten sind nicht geschickt das Reich zu erlangen.
Der Berufene hat kein Herz für sich.
Er macht der Leute Herz zu seinem Herzen.
Zu den Guten bin ich gut,
und zu den Nichtguten bin ich auch gut;
denn das LEBEN ist die Güte.
Zu den Treuen bin ich treu,
und zu den Nichttreuen bin ich auch treu;
denn das LEBEN ist die Treue.
Der Berufene lebt in der Welt ganz still,
aber er macht sein Herz weit für die Welt.
Die Leute alle starren auf ihn und horchen.
Der Berufene behandelt sie alle als seine Kinder.
Ausgehen ist Leben, eingehen ist Tod.
Knechte des Lebens gibt es drei unter zehn,
Knechte des Todes gibt es drei unter zehn.
Menschen, die das Leben suchen und dabei ihre sterbliche Stelle regen,
gibt es auch drei unter zehn.
Warum das?
Weil sie des Lebens Völligkeit erzeugen wollen.
Ich habe wohl gehört:
Wer gut das Leben zu führen weiß,
der wandelt durch’s Land
und braucht nicht zu vermeiden Tiger und Nashorn.
Er schreitet durch ein Heer
und braucht nicht zu tragen Panzer und Waffen.
Das Nashorn hat nichts an ihm, da es sein Horn einbohre.
Der Tiger hat nichts, da er seine Krallen einschlage.
Die Waffe hat nichts, das ihre Schneide aufnehme.
Warum das?
Weil er keine sterbliche Stelle hat.
Erscheint lt. Verlag | 18.1.2012 |
---|---|
Reihe/Serie | Fischer Klassik Plus | Fischer Klassik Plus |
Übersetzer | Richard Wilhelm |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Altes China • China • Daoismus • Freigeister • Glücksbringer • Philisophie • Philosophie • Religion • Schriften • Shiji • Shji • Weisheitsdichtung |
ISBN-10 | 3-10-401926-6 / 3104019266 |
ISBN-13 | 978-3-10-401926-0 / 9783104019260 |
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