Totenfeuer (eBook)
304 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-95140-1 (ISBN)
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der »Sisters in Crime« und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch »Wer nicht hören will, muß fühlen« erhielt sie die »Agathe«, den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der "Sisters in Crime" und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch "Wer nicht hören will, muß fühlen" erhielt sie die "Agathe", den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
Ostersonntag
»Gib auf, Völxen!«
Na klar, das würde denen so passen. Bodo Völxen umkrallt den Lenker und tritt mit aller Kraft in die Pedale. Die Herausforderung, vor die ihn der Vörier Berg stellt, ist größer als vermutet.
»He, Torpedo! Pass auf, dass du nicht umfällst!«
Köpcke hat gut lästern. Der Nachbar und seine beleibte Frau sind zu Fuß unterwegs. Eine kluge Entscheidung, erkennt Völxen.
Dabei hat er sich gerade nur verschaltet, das kann bei einundzwanzig Gängen schon mal passieren. Von den Tücken eines Hightech-Trekkingrades hat dieser stiernackige Hühnerbaron natürlich keine Ahnung, woher auch, Köpcke fährt John Deere und einen uralten Benz.
Aber absteigen und schieben kommt nicht infrage. Verdorben von einschlägigen Fernsehkrimis, erwarten die Bewohner von ihrem Dorf-Schimanski, wie sie ihn hintenherum nennen, eine gewisse körperliche Fitness. Zudem fürchtet Völxen Sabines und Wandas spöttische Kommentare, die im Falle einer Kapitulation gnadenlos auf ihn niederprasseln würden. Schlimm genug, dass sie ihn bereits am Fuß der Anhöhe abgehängt haben. Dabei waren es die beiden, die ihn überredet haben mitzukommen. »Wir müssen uns aktiver am Dorfleben beteiligen«, hat er die Worte seiner Frau Sabine noch im Ohr.
»Warum müssen wir das?«, hat Völxen wissen wollen, aber als Antwort nur ein Augenrollen erhalten. Seine Tochter Wanda dagegen meinte, Rad fahren wäre gut für seine Linie. Beim Wort »Linie« vermaßen ihre Blicke die Wölbung seiner Körpermitte auf eine ziemlich respektlose Weise. Wanda war es auch, die kürzlich eine Tabelle an die Badezimmertür geheftet und darauf sein Idealgewicht mit Leuchtstift markiert hat. Von dieser giftgelben Zahl angespornt, hat Völxen dem Unternehmen »Radtour zum Osterfeuer« zugestimmt. Dennoch würde er jetzt viel lieber auf dem Sofa liegen und verfolgen, wie sich Hannover 96 beim HSV schlägt. Was ist schon ein Feuer, auch wenn es ein großes ist? Er war noch nie pyromanisch veranlagt.
Die anderen offenbar schon: Das ganze Dorf ist auf den Beinen und bewegt sich bergwärts. Ziel der Prozession ist eine fette Rauchwolke, die schwarz in den Abendhimmel steigt.
Völxen hustet. Die Luft riecht süßlich-klebrig nach Raps und Brandbeschleuniger. An Letzterem haben die Jungs von der Freiwilligen Feuerwehr wieder einmal nicht gespart, was sie natürlich nie zugeben würden, schon gar nicht vor ihm.
Meter für Meter quält Völxen sich die Straße hinauf, immerhin ist eine Differenz von fünfundsechzig Höhenmetern zu bewältigen. Rechts und links von ihm blühen Tulpen, Narzissen und Forsythien in den Gärten, von Zwergen bewacht, doch dafür hat Völxen keinen Blick übrig. Er beißt die Zähne zusammen, löst sein Gesäß vom Sattel und zieht vorbei an einer alten Dame in Begleitung eines ebenso betagten Dackels und an einem jungen Mann, der einen Kinderwagen die Straße hinaufschiebt. Der Mann muss aus dem kürzlich erschlossenen Neubaugebiet kommen, ein Vertreter dieser neuen Vätergeneration, die sich für alles hergibt, urteilt Völxen, während er sich mit hochrotem Kopf vorankämpft. Kein Wunder, dass seine Kondition heute nicht mehr die allerbeste ist, denn über die Feiertage hat er schwer geschuftet: Er hat die Gelegenheit des Osterfeuers genutzt und rund um sein Anwesen die Hecken und Büsche gestutzt und die Apfelbäume auf der Schafweide beschnitten. Das Schnittgut liegt nun auf dem großen Haufen oben auf dem Hügel. Heute musste der Zaun der Weide ausgebessert werden, danach hat er den vier Schafen und dem Bock die Klauen gesäubert und geschnitten. Eine Schramme an seiner Stirn zeigt, was Amadeus von Fußpflege hält.
Nur noch ein kurzes Stück, los, das schaffst du! Nicht aufgeben, sonst sind Blut, Schweiß und Tränen vergeblich geflossen! Völxen übt sich in stummen Durchhalteparolen, während er den himmelblau bemalten Klowagen am Straßenrand hinter sich lässt. Aus dem Verleih des zur Bedürfnisanstalt umgebauten Bauwagens bezieht der örtliche Gesangverein seine Einkünfte. Das ist lohnender, als wenn sie Gagen für ihre Auftritte verlangen würden. Unzählige Male hat man Völxen in den vergangenen zwanzig Jahren aufgefordert, sich den Sängerknaben anzuschließen, aber Völxen kann und will nicht singen, und er mag keine Vereine.
Schweißgebadet, aber stolz auf seine Leistung erreicht er die Partyzelte am Ende der Straße. Auch ein Löschwagen der Freiwilligen Feuerwehr steht bereit, falls der Brand außer Kontrolle geraten sollte. Aber auch jetzt gibt es hier schon einiges zu löschen. Ein Bierchen geht immer, kleine Schnapsfläschchen werden hinterhergekippt, auf dem Grill bräunen rote und weiße Bratwürste und Schweineschnitzel, angepriesen als Schinkengriller.
Völxen steigt vom Rad. Wie gut es doch tut, wieder eine aufrechte Körperhaltung anzunehmen. Er schließt sein Gefährt an Sabines Hausfrauenrad an, denn man kann nicht vorsichtig genug sein. Sein neues Fortbewegungsmittel hat fast ein halbes Monatsgehalt gekostet.
Die Feuerstelle liegt vom kulinarischen Zentrum ungefähr zweihundert Meter weit weg, was den Vorteil hat, dass man beim Essen und Trinken nicht von Rauch und Funkenflug belästigt wird. Aber im Allgemeinen halten sich die erwachsenen Besucher des Osterfeuers ohnehin nur kurz in der Nähe der Flammen auf, dafür umso länger an den Biertischen. Dorthin zieht es nun auch Völxen. Das Feuer wird er sich ansehen, wenn es dunkel ist und der Haufen richtig brennt, im Augenblick holt man sich dort oben nur eine Rauchvergiftung.
Heute wird die Vereinskasse der Landjugend, die das Feuer organisiert, sicherlich gut aufgefüllt werden, denn bei diesem Anlass wird erfahrungsgemäß reichlich getrunken. Auch das Wetter spielt mit. Der Apriltag war warm und sonnig, noch immer weht ein lauer Wind, der einen Hauch von Schweinemist heranträgt. Der Abendhimmel ist klar, nur über dem Deister hängen ein paar dünne Schleierwolken, rot eingefärbt von der untergehenden Sonne.
Völxen zieht ein großes Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche und wischt sich damit den Schweiß von Stirn und Nacken. Was sind das für komische Stiche in der Lunge? Er beschließt, die Zeichen der Überanstrengung einfach zu ignorieren, was ihm nicht schwerfällt, denn nun steigt ihm der Duft von Gegrilltem in die Nase. Er sieht sich um. Seine Frau Sabine unterhält sich mit der Frau des Bürgermeisters und dem Pfarrer, Tochter Wanda flirtet mit einem Mitglied der Feuerwehr – die Damen seines Hauses sind also beschäftigt. Eine gute Gelegenheit, eine Wurst zu essen und zu testen, wie das Bier hier oben, einhundertsiebenundvierzig Meter über Normalnull, so schmeckt. Die Würste allerdings haben ihre Garzeit schon seit einer Weile überschritten und sehen Vanillestangen ähnlicher als Würstchen, also bestellt Völxen lieber einen Schinkengriller. Der jugendliche Grillmeister, der über seiner Tätigkeit fast einzuschlafen droht, reicht ihm ein großes, fettglänzendes Stück Schweinefleisch, eingebettet in zwei Brötchenhälften.
»Senf und Ketchup.« Der Junge deutet auf zwei verschmierte Plastikflaschen auf dem improvisierten Tresen und gähnt dabei unverhohlen.
»Völxen, setz dich zu uns!« Auch Jens Köpcke und seine Frau Hanne sind inzwischen an ihrem Ziel angekommen und haben sich zu drei lodengrün gekleideten Herren und zwei Damen an den Tisch gesetzt. Völxen ist nicht scharf auf die Gesellschaft der Waidmänner, aber die Einladung auszuschlagen wäre ein Affront. Also lässt er sich mit einem Gruß neben Hanne Köpcke auf der Bierbank nieder. Deren Ehemann stellt eine Flasche Gilde vor Völxen hin. Ein großer Schluck entschädigt den Kommissar für die zurückliegenden Strapazen, händereibend nimmt er seine Mahlzeit ins Visier. Natürlich ist ihm klar, dass Schweinefleisch eine Todsünde ist, aber diesen Happen hat er sich jetzt redlich verdient. Bei der Bergfahrt haben seine Muskeln garantiert eine Menge Kalorien verbrannt, und für ein paar Minuten wird man eine Diät ja wohl auch mal unterbrechen dürfen.
»Guten Abend zusammen. Rück doch mal, Bodo.« Schon pflanzt sich Sabine neben ihn auf die Bank, und Völxen, der keine Lust auf einen ihrer Vorträge hat, schiebt den Schinkengriller dezent zu Jens Köpcke hinüber. Geistesgegenwärtig erkennt der Nachbar die Brisanz der Situation, zwinkert Völxen komplizenhaft zu, und gleich darauf muss dieser zusehen, wie sein Gegenüber herzhaft in das saftige Fleisch beißt, während es ihm selbst geht wie dem pawlowschen Hund. Für einen sehnsüchtigen Moment denkt der Kommissar an seine Mitarbeiterin Oda Kristensen. Sie hat ihn und Sabine eingeladen, die Ostertage in Frankreich zu verbringen. Im Dorf ihres Vaters gäbe es günstige Ferienwohnungen und zwei exzellente, preiswerte Restaurants, hat sie ihn gelockt und hinzugefügt: »Du musst auch keinen Lammbraten essen, versprochen.« Er hat abgelehnt mit dem Hinweis auf liegen gebliebene Arbeit in Haus und Garten, was ja auch stimmt. Das ehemalige Bauernhaus, das er vor zwanzig Jahren in einem Anflug von Romantik gekauft hat, befindet sich seither im Zustand der Renovierung. Sicher, es ist einiges entstanden: der Kaminofen, der Wintergarten, und doch ist noch so viel zu tun. Und auch die Schafe halten ihn ziemlich auf Trab. Trotzdem – wie schön wäre es, jetzt in einem Restaurant zu sitzen, in Erwartung eines opulenten Menüs.
»Wer sind die Leute?«, fragt er Sabine leise, denn Köpcke hat es versäumt, ihn vorzustellen. Wahrscheinlich nimmt sein Nachbar an, dass Völxen ebenso wie er jeden im Dorf kennt, was jedoch nicht der Fall ist. Ab und zu bekommt er unfreiwillig Klatsch geboten, mit dem ihn Köpcke über den Zaun hinweg versorgt, aber meistens...
Erscheint lt. Verlag | 25.11.2010 |
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Reihe/Serie | Hannover-Krimis |
Hannover-Krimis | |
Hannover-Krimis | |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Belletristik • Bestsellerautor • Bücher • Deutschland • eBook • Ermittlung • Geschenk • Hannover • Hauptkommissar Völxen • Julia Alexa Wedekin • Krimi • Leiche • Leichenfund • Mordkommission • Osterfeuer • Ostern • Spannung • Unterhaltung • Urlaub • Völxen |
ISBN-10 | 3-492-95140-6 / 3492951406 |
ISBN-13 | 978-3-492-95140-1 / 9783492951401 |
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