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Tiere (eBook)

eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-43891-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tiere -  Simon Beckett
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Manche Menschen sind Tiere. Nigel ist ein Außenseiter, aber er ist meistens ganz guter Laune. Im Büro gibt es immer etwas zu kopieren, und außerdem sind da Cheryl und Karen. Auch im Pub, den seine Eltern früher führten und in dem Nigel jetzt wohnt, fühlt er sich wohl. Es gibt hier zwar kein Bier und keine Zigaretten mehr, aber Nigel interessiert sich sowieso mehr für Fernsehen und Comics. Und dann ist da noch der Keller. Hier hält Nigel seine Mitbewohner. Dass die nicht freiwillig da unten wohnen, stört Nigel nicht ... Ausgezeichnet mit dem «Marlowe» der Raymond-Chandler-Gesellschaft als «Bester internationaler Spannungsroman».

SIMON BECKETT ist einer der erfolgreichsten englischen Thrillerautoren. Seine Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter wird rund um den Globus gelesen und wurde für Paramount+ als sechsteilige Serie verfilmt: «Die Chemie des Todes», «Kalte Asche», «Leichenblässe», «Verwesung», «Totenfang» und «Die ewigen Toten» waren allesamt Bestseller, ebenso sein atmosphärischer Psychothriller «Der Hof». «Die Verlorenen», der Auftakt einer neuen Thrillerserie um den ehemaligen Polizisten Jonah Colley, stand mehrere Wochen auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Simon Beckett ist verheiratet und lebt in Sheffield.

SIMON BECKETT ist einer der erfolgreichsten englischen Thrillerautoren. Seine Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter wird rund um den Globus gelesen und wurde für Paramount+ als sechsteilige Serie verfilmt: «Die Chemie des Todes», «Kalte Asche», «Leichenblässe», «Verwesung», «Totenfang» und «Die ewigen Toten» waren allesamt Bestseller, ebenso sein atmosphärischer Psychothriller «Der Hof». «Die Verlorenen», der Auftakt einer neuen Thrillerserie um den ehemaligen Polizisten Jonah Colley, stand mehrere Wochen auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Simon Beckett ist verheiratet und lebt in Sheffield. Andree Hesse wurde 1966 in Braunschweig geboren und wuchs bei Celle auf. Bevor er sich an der Filmhochschule in München einschrieb, erlernte er das Sattlerhandwerk. Sein erster Roman erschien 2001. Andree Hesse lebt als freier Autor und Übersetzer in Berlin.

Kapitel 2


Ich hatte es erst seit ein paar Tagen und bereute es schon. Eigentlich wollte ich es auch gar nicht. Es war selbst schuld gewesen. Ich hatte es auf der Straße stehen sehen, als ich zum Fish-and-Chips-Laden gegangen bin. Ich dachte, es würde auf seinen Freund warten oder so. Es sah nicht so aufgetakelt und verbraucht aus wie die meisten von dieser Sorte. Als ich aus dem Laden kam, stand es immer noch dort, und als ich vorbeiging, sagte es: «Hast du mal die Uhrzeit für mich, Schätzchen?» Ich dachte, sein Freund hat sich verspätet, deswegen sagte ich ihm, wie spät es ist, und wollte schon weitergehen. Aber da fragte es plötzlich: «Wohnst du weit weg von hier?»

Ich dachte immer noch nicht, dass es eine Hure ist. Es hatte zwar einen schwarzen Minirock an und trug hochhackige Schuhe und so, aber es sah trotzdem nicht wie eine aus. Es hatte dunkelrotes Haar, so ein echtes Rot und kein Rotblond, und unglaublich strahlende blaue Augen. Es sah nett aus. Einen Augenblick dachte ich, es wäre einfach nur freundlich. Wollte ein wenig plaudern. Dann sagte es: «Lust auf Gesellschaft?»

Ich war ein bisschen enttäuscht, um ehrlich zu sein. Trotzdem hätte ich es fast dabei belassen. Ich hatte ziemlichen Hunger und wollte meine Fish and Chips nicht kalt werden lassen. Doch während ich noch überlegte, was ich tun soll, meinte es: «Mit mir kann man viel Spaß haben. Es wird dir gefallen», und lächelte. Ein völlig falsches Lächeln. Das war es dann. «In Ordnung», sagte ich.

Es forderte einen Aufpreis, um mit zu mir nach Hause zu kommen, anstatt zu ihm zu gehen. Aber wir klärten das und gingen los. «Ich bin Marcie», sagte es. «Wie heißt du?» Ich sagte meinen Namen, hielt mich aber ansonsten zurück, weil ich überlegte, was ich tun soll, wenn wir bei mir sind. Ich hatte nicht damit gerechnet, etwas mit nach Hause zu nehmen. Ich war nicht darauf vorbereitet.

Als es den Pub sah, war es total überrascht. «Hier wohnst du?», fragte es. «Ganz allein?» Es blieb vor der Tür stehen, als würde es sich fragen, ob es reingehen soll oder nicht, aber dann folgte es mir doch. Ich hatte seit ein paar Tagen nicht abgewaschen, und als es den Geschirrhaufen in der Spüle sah, meinte es: «Ja, jetzt sehe ich, dass du alleine wohnst.»

Ich wollte es nicht nach oben ins Wohnzimmer bringen. Dann hätte ich es nämlich wieder die Treppe runtertragen müssen. Außerdem hatte es dort oben einfach nichts verloren. Deshalb hielt ich die Tür zur Schankstube auf, damit es dort reinging. Es rührte sich aber nicht. Guckte mich einfach nur an und sagte: «Ich will das Geld im Voraus.» Ich musste mein Essen ablegen und mein Portemonnaie hervorholen. Von meinem Lohn war nicht mehr viel übrig, aber das war egal. Ich würde das Geld ja später zurückbekommen. Als es das Geld nahm, sagte es nicht einmal danke. Ich ging in die Schankstube.

«Hier rein?», fragte es. Ich sagte ja, und es zuckte mit den Schultern. «Wie du willst.» In der Mitte des Raumes blieb es stehen und schaute mich an. Ich legte mein Essen auf einen Tisch, ging hinter die Theke und nahm eine Flasche Whisky. «Willst du was trinken?», fragte ich.

«Ich mag keinen Whisky, danke», sagte es. Das brachte mich durcheinander. Etwas anderes hatte ich nämlich nicht. Bisher hatte noch keines von ihnen abgelehnt. «Eine Tasse Tee?», fragte ich. Es lächelte und sagte: «Nein danke.»

«Ich trinke einen Tee», erklärte ich, und es sagte: «Oh, bitte, lass uns einfach zur Sache kommen, Süßer, ok?» Es klang eher gelangweilt als böse.

Ich wurde ein bisschen nervös. Es musste unbedingt etwas trinken. «Und mein Essen?», fragte ich. Es guckte mich an und sagte: «Du willst vorher essen? Du bist ein echtes Raubtier, was?» Ich wurde rot, aber es lachte nur, schaute auf seine Uhr und meinte: «Na schön, meinetwegen, dann nehme ich eine Tasse Tee.»

Ich sagte, dass ich in einer Minute zurück wäre, und ging wieder hinter die Theke und in die Küche. Ich schloss die Thekenklappe hinter mir, damit ich hören konnte, falls das Rothaarige mir folgen sollte. Dann setzte ich Wasser auf und lief so leise wie möglich nach oben ins Badezimmer. Ich nahm eine Flasche mit den Tabletten meiner Mama aus dem Schrank und ging wieder nach unten. Von den richtig starken waren keine mehr übrig, weil ich die schon aufgebraucht und den Rest in den Whisky getan hatte. Aber ich hatte noch genug von den Tabletten, die sie davor genommen hat, und von denen musste ich einfach nur mehr reintun.

Da das Wasser noch nicht kochte, als ich runterkam, blieb mir genug Zeit, um die Tabletten mit dem Nudelholz meiner Mama zu zermahlen. Das Puder tat ich mit einem Teebeutel in eine Tasse und rührte um. Sie lösen sich immer ziemlich schlecht auf. Selbst den Whisky muss ich vorher immer erst schütteln, damit sich das weiße Zeug vom Boden löst. Zur Sicherheit gab ich ein paar Zuckerwürfel und Milch in den Tee und rührte noch einmal um.

Als ich in die Schankstube zurückkam, saß es vor meinem Essen am Tisch und aß von den Pommes. Als es mich sah, lächelte es. «Hast mich ertappt, was?», sagte es. Ich wusste nicht, was es meinte, und fragte: «Wobei?» – «Wie ich dir deine Pommes wegesse», sagte es. «Tut mir leid, aber wenn man sie riecht, kann man nicht widerstehen, oder? Obwohl sie meiner Figur nicht guttun.»

Es sah nicht so aus, als müsste es auf seine Figur achten. Als ich ihm die Teetasse gab, sagte es danke und trank einen Schluck. Sofort verzog es das Gesicht. «Mein Gott, wie viel Zucker hast du denn da reingetan?», fragte es.

«Nur einen Würfel», sagte ich.

«Aber einen großen», sagte es.

«Ist er zu süß?»

«Nein, schon in Ordnung. Früher habe ich immer zwei genommen, aber das habe ich runtergeschraubt.» Es nahm noch einen Schluck und sagte: «Keine Ahnung, was für einen Tee du hast, aber ich kaufe immer eine andere Sorte.» Ich schob die Pommes und den Fisch rüber.

«Willst du noch Pommes?», fragte ich. «Du mästest mich», sagte es und bediente sich. Aber nur von den Pommes, nicht vom Fisch.

Mitten im Kauen begann es zu gähnen. Ich aß weiter und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Es trank noch einen Schluck Tee, aber als es dann die Tasse absetzte, verfehlte es fast den Tisch.

«Ich fühl mich komisch», sagte es. Es sprach ziemlich undeutlich und sah aus, als könnte es die Augen kaum offen halten. Ich hob seine Tasse hoch und sagte: «Trink noch einen Schluck.» Es versuchte, den Kopf zu schütteln, aber ich hielt ihm den Becher genau vor den Mund, und es nahm noch ein paar Schlucke, bevor es den Kopf wegdrehte. Der Tee tropfte ihm vom Kinn. Es hatte einen komischen Blick aufgesetzt und sagte etwas, aber ich konnte es nicht verstehen. Dann versuchte es aufzustehen, setzte sich aber sofort wieder hin. Ich ging hinüber und half ihm auf. Es lehnte sich an mich, und als ich es zur Kellertür führte, sackte ihm der Kopf weg. Der Gang die Treppe hinab war etwas heikel, weil es total schlaff war. Aber das waren sie immer, und ich bin schon mit Schwereren fertiggeworden.

Als wir unten waren, öffnete es die Augen und wollte etwas sagen. Ich lehnte es gegen die Wand, während ich die Tür am anderen Ende entriegelte, doch dann sagte es nein und versuchte wegzugehen. Es sah ziemlich komisch aus, denn seine Beine waren total wacklig. Ich musste loslaufen, damit ich es auffangen konnte, bevor es vornüberkippte. Wenn sie erst mal am Boden liegen, kriegt man sie kaum noch hoch.

Als ich es zum letzten Abteil führte, sagten die anderen, das alte Weib, das Dicke und das Schwarze, kein Wort. Sie schauten einfach zu. Das alte Weib brummelte nur wie immer vor sich hin, und dann sagte das Schwarze: «Nein, Mann», und begann zu stöhnen und den Kopf zu schütteln. Das macht es häufig.

«Du kannst sie hier bei mir reinstecken, wenn du willst», sagte das Dicke. Wenn ich das Rothaarige nicht hätte halten müssen, hätte ich ihm einen Eimer Wasser über den Kopf gekippt. Aber da ich das im Moment nicht tun konnte, sagte ich nur, es solle den Mund halten, und ging weiter zum nächsten Abteil. Das hatte eine richtige Matratze und war schon seit ein paar Wochen leer. Das Rothaarige schaute sich um und gab ein paar unverständliche Laute von sich, als ich das Metallgitter aufmachte und es gegen die Wand schlug. Das Rothaarige versuchte, sich von mir loszureißen, aber ich gab ihm einen kleinen Stoß, da stürzte es ins Abteil und fiel auf die Matratze. Es sackte einfach in sich zusammen, sodass ich mich nicht einmal beeilen musste, um das Gitter zu schließen. Ich vergewisserte mich, dass alle Riegel anständig verschlossen waren, und holte dann einen Eimer mit Wasser. Ich habe unten immer zwei oder drei volle Eimer stehen, nur für den Fall. Ich drehte mich zum Abteil des Dicken um und tat so, als würde ich mit dem Eimer ausholen. Da duckte es sich weg und rief: «Nein, nicht! Es tut mir leid!» Es verharrte so, wartend, dann stellte ich den Eimer ab, ohne das Wasser über ihm auszukippen.

Manchmal ist es besser, wenn man sie einfach im Glauben lässt, man würde etwas tun. Auf diese Weise wissen sie nie, wann man es ernst meint.

 

Wir sind in den Pub gezogen, nachdem mein Papa im Stahlwerk entlassen wurde. Er war Elektriker in der Schmelzerei. Dort stehen die großen Öfen und Maschinen. Einmal hat er mich mitgenommen. An viel kann ich mich nicht erinnern, außer dass es heiß und dunkel und unglaublich laut war. Es gefiel mir nicht. Ich hatte Angst, dass ich mich verlaufen könnte oder dass mich die ganzen Funken verbrennen, die dort rumfliegen.

Dann haben sie ihn entlassen und ihm jede Menge Geld gegeben, mit dem meine Mama und er den Pub kaufen...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2011
Übersetzer Andree Hesse
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Außenseiter • Keller • Kidnapping • Mitbewohner • Nigel • Psychothriller
ISBN-10 3-644-43891-9 / 3644438919
ISBN-13 978-3-644-43891-0 / 9783644438910
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