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Rembrandts Moses (eBook)

Bild Schrift Zorn
eBook Download: EPUB
2024 | 11. Auflage
203 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-8145-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rembrandts Moses -  Gerhard Schüler
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Amsterdam, 1667: Eine Frau tritt als Heilerin, Modell, Lebensgefährtin und Chronistin in Rembrandts Leben. Sie hat die Ereignisse seiner letzten Lebensjahre in einem Tagebuch festgehalten. Ein Museumsvolontär hat das bislang unbeachtete Bündel alter Blätter in einem Amsterdamer Archiv entdeckt. Die Texte bringen endlich Licht in die Entstehungsgeschichte von Rembrandts Gemälde »Moses zerschmettert die Gesetzestafeln«. Sie gewähren neue Einblicke in das soziale Umfeld des Meisters. Wir begegnen Künstlern, Kunst­freunden, einem Rabbiner, einem Kabbalisten und dem Vorsteher der jüdisch-sephardischen Gemeinde. Beiläufig lassen ihre Handlungen und Gespräche die Umrisse einer Philosophie von Bild, Schrift und Wirklichkeit aufscheinen. Schließlich ist das Tagebuch Dokument der Persönlich­keits­entwicklung einer bemerkenswerten Frau des 17. Jh.

Gerhard Schüler studierte Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte und promovierte mit der Arbeit »Wertstruktur und Leiblichkeit: eine kunstsoziolo­gische Studie zum Werk des Bildhauers Gustav Seitz (1906-1969)«. Er lebt als praktischer Philosoph, Autor und Dozent für Kunstgeschichte in Berlin.

Gerhard Schüler studierte Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte und promovierte mit der Arbeit »Wertstruktur und Leiblichkeit: eine kunstsoziolo­gische Studie zum Werk des Bildhauers Gustav Seitz (1906–1969)«. Er lebt als praktischer Philosoph, Autor und Dozent für Kunstgeschichte in Berlin.

Der Auftrag


Sonntag, 4. September 1667


Ich soll schreiben üben, dann kann ich ihm noch auf andere Weise nützlich sein. Am Ende der Sitzung hat er mich gefragt: »Kannst du schreiben?«

Ich habe ihm erzählt, dass mein Vater mich schreiben gelehrt hat und sogar etwas Latein. Das ist ja bei einem Mädchen ganz ungewöhnlich. Der Unterricht ging bis zu seinem Tod, ich war damals zwölf Jahre alt. Auch habe ich dem Meister gesagt, dass ich in den letzten dreiundzwanzig Jahren nur wenig geschrieben habe. Wenn ich Besorgungen mache, muss ich mir nichts aufschreiben, weil mein Gedächtnis sehr gut ist. Ich will auch Papier sparen, einiges brauche ich ja, weil ich meinem Sohn das Alphabet beibringe.

Die Augenbrauen des Meisters gingen in seinem runden Gesicht für einen Augenblick leicht nach oben – wie bei einem Lehrer, wenn er mit einer Antwort zufrieden ist. Er griff in die Truhe neben seinem Arbeitstisch und nahm einen dicken Stapel Papierbögen heraus: »Schmierpapier, die Rückseite ist frei, die kannst du zum Üben benutzen, hier hast du ein paar Federkiele, wenn sie abgeschrieben sind, bring sie her, dann schneide ich sie nach. Und dort auf dem Regal, nimm eines der beiden Gläser mit Tinte. Wenn es leer ist, bring es zum Nachfüllen. Lass dir von der Magd auch ein paar Talglichter geben.«

Ich packte Papier, Federn und Tinte in meinen Korb und fragte ihn: »Aber was soll ich denn aufschreiben?«

»Hast du eine Bibel?«

»Ja, die hat mir mein seliger Vater hinterlassen; am Sonntag lese ich manchmal darin.«

»Dann schreib Geschichten aus der Bibel ab.«

Ich wünschte ihm eine gute Nacht, ging zur Magd, der ich von meinem Auftrag erzählte, und ließ mir die Lichter geben. Diese packte ich zu den anderen Dingen in den Korb und ging aus dem Haus. Für den Heimweg brauchte ich etwas mehr als eine Stunde, denn ich musste einen Umweg machen. Bei Gevatterin Kathrin, die auch außerhalb der Stadtmauer wohnt, aber in einer anderen Richtung als ich, holte ich Jacob ab. Wir plauderten noch eine Weile, aber ich sagte nichts vom Schreiben. Dann ging ich mit dem Jungen zu meiner Hütte. Als wir ankamen, konnten wir schon die ersten Sterne sehen. Ich versorgte das Kind und nachdem es eingeschlafen war, ging ich zum Schrank. In ihm sind meine Kleider und andere Dinge, die ich brauche, auch einige Andenken an meinen Vater. Auf dem mittleren Brett schob ich die Wäsche zusammen, damit Platz für die mitgebrachten Sachen war. Dann räumte ich auf dem Tisch eine Ecke frei. Darauf legte ich das erste Blatt, einen Federkiel und die Tinte und auch ein Talglicht. In der Kochecke fand sich ein Kerzenhalter; auf den steckte ich das Licht und zündete es an. Ich stellte es links oben neben das Blatt Papier, sodass es recht beleuchtet war. Die Öllampe an der Decke des Raumes löschte ich.

*


Ich setzte mich an den Tisch vor das Papier und drehte den Pfropfen des Tintenglases mit etwas Mühe heraus, denn an seinem Rand hatte sich eine Kruste gebildet und er saß fest. Dabei hatte ich Angst, durch eine falsche Bewegung den kurzen Hals des Glases zu zerbrechen. Den Pfropfen legte ich auf einen kleinen Teller, den ich aus dem Geschirr griff, das noch auf dem Tisch lag. Ich nahm einen Federkiel, der etwa so lang war wie meine Hand von den Fingerspitzen bis zum Handgelenk. Bis auf einen winzigen Rest war die Fahne der Feder abgezogen. Der Kiel war leicht gebogen. Ich rollte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Dabei schmiegte er sich wie von selbst dem Zeigefinger an und der Mittelfinger stützte ihn von der Seite.

Das vordere Ende war in zwei Stufen von unten wie ausgehöhlt geschnitten. So war auf der Oberseite eine schlanke Spitze entstanden, mit leicht geschwungenen Rändern. In der Breite eines halben Fingernagels war sie längs eingeschnitten.

Ich tauchte den Federkiel in die grün-schwarze Tinte und hielt die Spitze an den Hals des Glases, damit die Flüssigkeit, die zu viel war, zurückfließen konnte. Dann schrieb ich sorgfältig den Buchstaben I auf das Papier, dann »c« und »h«, nach einem Zwischenraum »s« und »o« und zweimal »l«, nahm wieder Tinte auf, ließ wieder einen Zwischenraum und schrieb »s« und »c« und »h«, dann »rei« und »ben« und dann mit neuer Tinte »üben« und danach machte ich einen Punkt.

Es ist doch seltsam mit dem Schreiben. Du fügst ein paar kleine Linien zusammen und hörst einen Laut, du fügst einige Buchstaben zusammen und siehst ein Ding oder wie etwas gemacht wird, du fügst einige Wörter zusammen und du hast einen Gedanken auf das Papier gesetzt. Ich will keine Geschichten aus der Bibel abschreiben. Nein, ich schreibe die Geschichte auf, in die ich hineingeraten bin. Wenn sie gut ausgeht, kann mein Sohn, wenn er sie irgendwann einmal liest, sich ein Bild von mir machen. Wenigstens sieht er, dass ich nicht unehrenhaft war, zumindest nicht allzu sehr.

*


Es begann vor etwa zwei Monaten an einem Montag­nachmittag. Ich war dabei, Gemüse für das Abendessen zu putzen, da klopfte jemand an die Tür meiner Hütte. Ich öffnete und vor mir stand der Sohn des Meisters. Er bot mir freundlich einen guten Tag und fragte: »Ihr kennt mich?«

»Ja«, antwortete ich, »an den Feiertagen sehe ich Euch vorn in der Kirche.«

»Erlaubt Ihr, dass ich eintrete?«

»Ich bitte Euch, kommt herein.«

Ich ließ ihn eintreten, schloss die Tür und ging zum Tisch. Schnell packte ich das Gemüse in zwei Körbe, die am Boden standen, und schob das Geschirr und die Messer zusammen. Jetzt war der halbe Tisch frei, ich wischte ihn mit einem Tuch sauber und bat den Besucher, Platz zu nehmen. Er setzte sich und legte seinen Hut auf den Tisch.

»Könnt Ihr Euren Jungen hinausschicken?«

Ich band Jacob einen Schal um und schickte ihn zum Spielen nach draußen. »Da ich auf Euren Besuch nicht vorbereitet bin, kann ich Euch nicht bewirten, wie es sich geziemt. Darf ich Euch ein Glas Milch, Honig und Brot anbieten?«

»Nein, ich danke Euch, aber wenn es hier draußen reines Wasser gibt, wäre mir ein Glas recht.«

Ich sagte ihm, dass wir eine tiefe Zisterne mit sauberem Wasser haben. Aus der Küche holte ich einen vollen Krug davon, goss ihm und mir einen irdenen Becher ein und setzte mich ihm gegenüber.

Er trank einen Schluck und begann nach einer kurzen Pause: »Ich komme in einer etwas heiklen Mission zu Euch. Wie Ihr vielleicht wisst – die Stadt war seinerzeit ja voll von Tratsch und Gerüchten – hat mein Vater vor etwa zehn Jahren großes Unglück in Geschäftsdingen gehabt. Seitdem lebt er als mein Angestellter bei mir im Haus. Vor einigen Jahren ist die Frau gestorben, die um ihn war, eine Stütze für ihn. Das hat ihn sehr getroffen und es befiel ihn eine große Niedergeschlagenheit. Die Ärzte nennen es Melancholie. Sie ist in den letzten Monaten immer schlimmer geworden und seit drei Wochen liegt er nur noch im Bett, mit dem Gesicht zur Wand. Einmal am Tag nimmt er etwas Essen zu sich, meist eine Suppe, die ihm die Magd reicht.«

»Das tut mir sehr leid für ihn und für Euch.«

»Ich habe mehrere Ärzte konsultiert, die zu dem Schluss kamen, dass eine seelische Kälte die Ursache für seinen bedauernswerten Zustand ist. Sie sehen nur ein Heilmittel, nämlich dass eine junge Frau ihm Wärme spendet.«

»Wie soll das geschehen?«

»Indem die Frau sich zu ihm ins Bett begibt und sich eng an ihn schmiegt, damit ihre Wärme auf ihn übergeht.«

»Ihr meint, dass sie sich nackt zu ihm legt?«

»Ihr habt begriffen.«

»Und warum erzählt Ihr mir das?«

»Warum wohl bin ich zu Euch gekommen? Wollt Ihr diese Frau sein? Es wäre nicht zu Eurem Schaden.«

»Was erlaubt Ihr Euch! Oder redet man so schlecht über mich, dass Ihr mir ein solches Angebot macht?«

»So sollt Ihr das nicht sehen. Kennt Ihr vielleicht die Geschichte von König David: ›Und der König David war alt, wohlbetagt; und sie bedeckten ihn mit Kleidern, aber er wurde nicht warm. Da sprachen seine Knechte zu ihm …‹«

»›… man suche meinem Herrn, dem König, ein Mädchen, eine Jungfrau; und sie stehe vor dem König und sei ihm eine Pflegerin, und sie schlafe an seinem Busen, dass mein Herr, der König, warm werde.‹«

»Meine Hochachtung, Ihr seid wirklich bibelfest! Ja, so sollt Ihr meinen Wunsch begreifen. Ich sehe darin nichts Unehrenhaftes. Ihr sollt meinen Vater von seiner tiefen Niedergeschlagenheit heilen. Und damit Ihr seht, dass ich es damit ernst meine, biete ich Euch den gleichen Lohn, den ein Arzt erhält.«

Er griff in einen Beutel, den er bei sich trug, nahm einen Gulden heraus und legte ihn auf den Tisch: »Dieser Gulden gehört Euch, wenn Ihr einwilligt. Und für jeden Besuch erhaltet Ihr einen halben Gulden. Die Ärzte meinen, dass fünf bis zehn solcher Besuche notwendig sind, um ihn von seiner Melancholie zu heilen.«

*


Mein Vater hat mir die Hütte hier draußen hinterlassen. Ich habe einen richtigen Schrank, zwei Betten, den Tisch, vier Stühle und noch ein paar kleine Möbelstücke. So lebe ich mit meinem Sohn. Außerdem habe ich ein kleines Vermögen von dreißig Gulden geerbt. Davon habe ich schon acht Gulden aufgebraucht. An der Hütte müsste einiges ausgebessert werden. Unsere tägliche Nahrung erwerbe ich durch Mithilfe in einigen Haushalten und verschiedene Botendienste. Für Jacob müsste bald Schulgeld gezahlt werden.

Wenn ich auf das Angebot eingehe und die Geschichte sich herumspricht, wird das meinem Ruf schaden? Was habe ich zu verlieren? Bei meinem geringen Vermögen und mit einem unehelichen Kind kann ich nicht hoffen, einen Mann zu finden, der mich heiratet. Dass er diese Geschichte aus der Bibel, von David und der Jungfrau, erwähnte, zeigt mir, dass er mich nicht demütigen...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte 17. Jahrhundert • Amsterdam • Frauenleben • Kabbala • Künstler • Tagebuch • Zehn Gebote
ISBN-10 3-7598-8145-9 / 3759881459
ISBN-13 978-3-7598-8145-8 / 9783759881458
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