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Hans Uhlmann (eBook)

Tagebücher aus der Gefängniszeit 1933-1935
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
320 Seiten
Hatje Cantz Verlag
978-3-7757-5274-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hans Uhlmann -  Hans Uhlmann,  Carmela Thiele,  Dorothea Schöne,  Michael Glasmeier,  Annelie Lütgens
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Wie viele fortschrittliche Künstler seiner Zeit, hatte auch Hans Uhlmann unter der Herrschaft der Nationalsozialisten zu leiden. Politisch klar linksstehend, wurde er 1933 festgenommen und für fast zwei Jahre inhaftiert. Die in dieser Phase entstandenen Tagebücher werden in diesem Band erstmals veröffentlicht. Sie geben Auskunft über Uhlmanns Haltung zu Politik, Gesellschaft, Literatur und den zermürbenden Gefängnisalltag unterm Hakenkreuz. Begleitet und ergänzt wird der Originaltext durch Beiträge von Carmela Thiele, Dorothea Schöne, Annelie Lütgens und Michael Glasmeier. Bei diesem E-Book handelt es sich um einen reinen Textband. Die Buchausgabe enthält darüber hinaus die Skizzenbücher aus der Gefängniszeit. HANS UHLMANN (1900-1975), der besonders für seine Metallarbeiten bekannt ist, zählt zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Nachkriegszeit. Ab 1950 war er Professor an der HdK Berlin und nahm an zahlreichen großen Ausstellungen, wie der Biennale São Paulo, der documenta oder der Biennale Venedig, teil.

Cover
Title
Impressum
Table of contents
Grußwort
Uta Kuhl
Vorwort und Danksagung
Dorothea Schöne und Carmela Thiele
Editorische Notiz
Dorothea Schöne und Carmela Thiele
Über innere Freiheit
Einleitende Worte zum Gefängnistagebuch von Hans Uhlmann
Carmela Thiele
Hans Uhlmann
Tagebücher aus der Gefängniszeit Berlin 1933–1935
Anmerkungen
»Eroberung der Luft«
Hans Uhlmanns Verständnis der Drahtplastik im Spiegel zeitgenössischer Diskurse
Dorothea Schöne
»Ideen drücken gegen die Wände«
Hans Uhlmanns Wort-, Zeichnungs-, Drahtpoesie
Michael Glasmeier und Annelie Lütgens
Hans Uhlmann. Biografie
David C. Ludwig

Über innere Freiheit

Einleitende Worte zum Gefängnistagebuch von Hans Uhlmann

Carmela Thiele

Ein Tagebuch kann vieles sein: eine Chronik der Ereignisse, der Befindlichkeiten, der Gedankengänge. Es kann auch als imaginärer Gesprächspartner dienen oder als Ort, an dem sich die Gegenwart mit Erinnerungen und Zukunftsgedanken mischt. Das alles trifft auf das Gefängnistagebuch von Hans Uhlmann zu, welches der damals 34-Jährige über einen Zeitraum von etwa einem Jahr in französischer Sprache während der Haft in der Strafanstalt Tegel verfasste. Das Dokument spiegelt eine wichtige Phase im Leben des in den 1950er- und 1960er-Jahren international tätigen Berliner Zeichners und Bildhauers. Über dessen erste Schritte als Künstler war, mit Ausnahme seiner Teilnahme als Violinist im »Collegium musicum« der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, bisher wenig bekannt.1 Der musisch begabte Ingenieur vertraute seinem Tagebuch seine Ambitionen, Zweifel und Pläne an. Der Text liest sich über weite Strecken als Genese einer Künstlerpersönlichkeit, als Summe spezifischer Erfahrungen, Lektüren und zeichnerischer Erkundungen.

Der erste Eintrag des Tagebuchs datiert vom 8. April 1934. Die ersten Notizen zu seiner Lektüre französischer Klassiker entstand sechs Monate nach seiner Inhaftierung als politischer Gefangener und ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes, das die Weimarer Republik in eine Diktatur verwandelte. Der politisch linksstehende Hans Uhlmann hatte nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler im Januar 1933 seine Stelle als Assistent an der Technischen Universität Berlin verloren. Als Kommunist gehörte er zu dem Personenkreis, der gleich zu Beginn des neuen Regimes eliminiert werden sollte. Wegen unerlaubtem Plakatieren war er 1932 schon einmal auf die Polizeiwache am Alexanderplatz gebracht worden. Am 26. Oktober 1933 waren es Gestapo-Beamte, die ihn und einen »Bekannten« auf offener Straße in Berlin-Schöneberg wegen »Verdacht auf Hochverrat« festnahmen.

Diese Episode seines Lebens und die darauffolgende Odyssee durch mehrere Berliner Gefängnisse fand unter dem Titel »Kleines Verzeichnis meiner Abenteuer« ab dem 14. Oktober 1934, also erst ein Jahr nach seiner Verhaftung, schrittweise Eingang in das Tagebuch. Der Künstler gibt einen detaillierten, sachlichen Bericht dieser Vorgänge. Am 2. Juni 1934 notiert er: »Oft ist es schwierig, die wichtigen Dinge der Vergangenheit nicht zu vergessen, die Einzelheiten des Prozesses, etc. Das kommt durch die schlechte Ernährung, die langsam, aber sicher den Magen, den allgemeinen körperlichen Zustand und die Beweglichkeit der Gedanken ruiniert. Eine außergewöhnliche Prüfung für unsere Kräfte. – Ich werde Sieger bleiben!« Wenn er bemerkt, dass er gerne einen Satz seiner erkennungsdienstlich abgenommenen Fingerabdrücke für sich gehabt hätte, blitzt subversiver Humor auf – wieder ein kleiner Sieg gegen das Unrechtsregime.

Hans Uhlmann entwickelte während der Haft eine brennende Leidenschaft für die französische Literatur, las Voltaire und Molière, Honoré de Balzac, Gustave Flaubert, Jules Laforgue, Jean Cocteau und Raymond Radiguet, André Malraux und Louis-Ferdinand Céline. Er verschlang aber auch Romane von Thomas Mann, Hans Fallada oder Knut Hamsun, kopierte Zeilen aus Gedichten von Heinrich Heine und durchforstete Grundlagenwerke zu Kunst und Kultur. Er las und schrieb fast ausschließlich in französischer Sprache. Seine Schwester Margarete (Marga) sowie die Künstlerin Jeanne Mammen, die in Paris und Brüssel gelebt und studiert hatte, versorgten ihn mit der gewünschten Lektüre und mit Zeichenmaterial, überbrachten Grüße der Familie, der Mutter Selma und von seinem Schwager, dem Maler und Zeichenlehrer Otto Möller.

Wer das Tagebuch liest, entdeckt einen wachen Geist, der mit allen Mitteln gegen den Verlust seines klaren Denkvermögens und seiner Wahrnehmungsfähigkeit ankämpft, der sich gegen Hunger und Kälte behaupten muss, gegen die monotone und ermüdende Arbeit in der Buchbinderei der Strafanstalt und gegen die Gitterstäbe, die ihn vom Rest der Welt trennen. Was durch sie hindurchdringt ist der Schall, die Kakofonie der Großstadt, der Hans Uhlmann nachts lauscht. Vorstellung und Realität verschmelzen ihm in solchen Momenten zu einer anderen Wirklichkeit. In den Pausenzeiten rettet der Künstler sich in detaillierte Beschreibungen seiner Haftkameraden, er hört ihre Geschichten an, schreibt sie nieder und zeichnet mit schnellen Strichen ihr Porträt. Diese Studien heitern ihn auf; er hat ein Faible für den Witz und das Talent zum Slapstick seiner berlinernden Mitinsassen. Er schildert aber auch die gereizte Stimmung unter den Gefangenen, macht seinem eigenen Ärger Luft und notiert Informationen von »draußen«.

Neben den vielen sachlichen Passagen, der minutiösen Beschreibung seiner Zelle etwa, stehen Abschnitte, die das Unwirkliche seiner Lage beschreiben. Der Künstler wähnt sich mitunter in einem absurden Traum, in dem gleichgekleidete Männer bei Nebel mechanisch den Hof fegen. Die sich während des Bads bunt verfärbenden Wände der Duschen aus Zink transformieren die Anstalt in einen magischen Ort. Die Füße der Mitgefangenen, die unter den Duschtrennwänden hervorlugen, erinnern ihn an den berühmten Avantgarde-Film Entr’acte von René Clair, an dem Francis Picabia, Marcel Duchamp, Man Ray und Erik Satie mitgewirkt haben.

Der junge Hans Uhlmann besuchte Theater, Konzerte und Kinos. Er erwähnt Brechts Dreigroschenoper, aber auch Apollon Musagète von Igor Strawinsky oder Rosamunde, die Musik Franz Schuberts zum gleichnamigen Schauspiel. Er ist nicht nur vielseitig interessiert, sondern entwickelt darüber hinaus einen Sinn für Poesie. So erschafft er sich auf dem Papier den »Schutzengel Minna« in Gestalt einer Drahtseilartistin. Die Idee des Schutzengels könnte von Jean Cocteaus Figur des Heurtbise aus dem Theaterstück Orpheus angeregt sein, das Hans Uhlmann laut Tagebuch schon im Untersuchungsgefängnis Moabit gelesen hat. Mit Cocteau – und vielen anderen Zeitgenossen – teilt er seine Begeisterung für den Zirkus und das Varieté, für Drahtseilakte und Trapeznummern, in denen Artisten mit scheinbar großer Leichtigkeit der Schwerkraft trotzen. Am 23. April 1935 kopiert er Cocteaus Gedicht Miss Aérogyne, Femme volante in das Tagebuch. Es ist inspiriert von dem Verwandlungsspiel des Travestiekünstlers und Artisten Barbette, alias Vander Clyde. Im Tagebuch erwähnt Hans Uhlmann, dass er Cocteaus Text Barbette über dessen Verwandlungskünste gelesen hat. Womöglich sah er ihn aber mit eigenen Augen, denn seine Künstlerfreundin Jeanne Mammen schuf Zeichnungen von Barbette, der mehrfach in Berlin gastierte.2

Cocteau ist nicht die einzige Quelle, die dem Eingeschlossenen dazu dient, den Luftraum nicht nur physikalisch, sondern auch in seiner poetischen Ambivalenz zu begreifen. Am 2. Februar 1935, als das Ende der Haft in greifbare Nähe rückt, zitiert der Bildhauer Charles Baudelaires Gedicht Élévation (Erhebung) aus dessen Gedichtsammlung Die Blumen des Bösen: »… glücklich, wer (sich mit kräftigem Flügel aufschwingen kann den heiter leuchtenden Gefilden zu! Ihm steigen die Gedanken lerchengleich in freiem Flug zum Morgenhimmel, – ) über dem Leben schwebt er, und mühelos versteht er die Sprache der Blumen und der stummen Dinge!«

Wenig später schreibt der Künstler auch im Zusammenhang mit seiner künstlerischen Arbeit von »der Poesie der Dinge«. Am 5. Januar 1935 notiert Hans Uhlmann in seinem Tagebuch, er arbeite an einem Vorwort für seine Drahtfiguren-Mappe und habe die Absicht, »diese Sammlung von Zeichnungen durch eine Serie von Fotografien zu ergänzen; von bisher noch nicht hergestellten Drahtkonstruktionen – und von Fotografien, die die Poesie der Dinge beleuchten und zeigen, die provozieren und ein Leben spüren lassen, das dem Leben dieser Konstruktion ähnlich ist«.

Zu dieser Ergänzung seiner Zeichnungsmappe kam es offenbar nicht, doch fotografierte Uhlmann einen Teil seiner rund vierzig zwischen 1935 und 1942 realisierten Metallplastiken aus unterschiedlichen Blickwickeln und mit unterschiedlich gesetztem Licht. Dies belegen entsprechende Aufnahmen im Archiv der Berlinischen Galerie, die aus dem Atelier von Jeanne Mammen stammen.3

Das erwähnte Vorwort war dem ersten Tagebuch-Heft als Anhang beigefügt. Der Text enthüllt den ästhetischen Hintergrund seiner zwischen Realismus und Verfremdung oszillierenden Drahtkopfentwürfe. Analog zu seiner Arbeit mit Ton und Gips, was ihm geläufig war, plante der Bildhauer Draht zu formen und ganz im Geist der Moderne über den Widerstand des Materials zu neuen Ergebnissen zu kommen. In diesem, von ihm als zeitgemäß empfundenen Werkstoff wollte er »Sinnbilder erlebter Formen« schaffen. Wenn er vom Biegen, Verwinden und Verlöten von Draht unterschiedlicher Stärke spricht, von der Eigenwilligkeit des Materials, klingt es so, als ob Hans Uhlmann bereits vor seiner Tegeler Haft ausgiebig mit Draht experimentiert haben könnte. Bekannt ist aber bislang nur sein Drahtkopf Zur lächelnden Berolina, die der Künstler für den mobilen Bücherwagen fertigte, mit dem er und Jeanne Mammen im Sommer 1933 ihren durch die NS-Diktatur bedingten Verdienstausfall wettmachen wollten.4

Der Ingenieur und Künstler, der, wie er an anderer Stelle im Tagebuch erwähnt, es liebte, durch die Straßen von Berlin zu wandern, spricht vom »seltsamen Leben...

Erscheint lt. Verlag 20.4.2022
Reihe/Serie Hatje Cantz Text
Mitarbeit Designer: Neil Holt
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte 1930er Jahre • Bildhauer • Gefängnistagebuch • innerer Widerstand • Kulturgeschichte • Künstlertext • Moderne • Nationalsozialismus • Skulptur • tage buch • Tagebuch • Widerstand • Zeichnung • Zeichnungen
ISBN-10 3-7757-5274-9 / 3775752749
ISBN-13 978-3-7757-5274-9 / 9783775752749
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