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Neptun und die Meerjungfrauen in der Kunst -  Donatella Chiancone-Schneider

Neptun und die Meerjungfrauen in der Kunst (eBook)

Muskeln und Flossen von der Antike bis heute
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
87 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7519-0298-4 (ISBN)
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Die Unterwasserwelt des Meeresgottes erstrahlt in prächtigen Kunstobjekten und kostbaren Manufakten von der Antike bis zur Moderne. Zur marinen Umgebung des bärtigen Seekönigs gehören Meerjungfrauen, Tritonen und Pferde mit Fischschwanz. Mit seinem gefürchteten Dreizack entfesselt Neptun übermenschliche Kräfte gegen seine Rivalen, seine unermessliche Liebe gilt Göttinnen und sterblichen Frauen. Wir tauchen in den griechisch-römischen Mythos ein und lernen den antiken und zeitlosen König der Sieben Meere sowie seine Freunde und Feinde kennen, und zwar anhand von über 100 kommentierten Arbeiten der Kunst und des Kunsthandwerks von der Antike bis zur Jahrhundertwende. Sieben knackige Kapitel illustrieren verschiedene, darunter viele ungeahnte Aspekte von Neptun und den Meerjungfrauen und können dank Querverweise in beliebiger Reihenfolge nachgeschlagen werden. Eine kurzweilige, erstaunliche und an vielen Stellen lustige Reise, bei der nebenbei viele Begriffe der Kunstgeschichte vertraut werden. Trotz ihres spielerischen Charakters und ihrer einfachen Sprache eignet sich diese Publikation allerdings nicht immer für Kinder. Eine erweiterte Neuflage mit noch mehr Abbildungen ist geplant. Projektseite www.kunstco.de/aquaman-neptun.html

Dr. Donatella Chiancone-Schneider ist promovierte Kunsthistorikerin, freie Kuratorin und populärwissenschaftliche Kunstvermittlerin. In multimedialen, oft interdisziplinären Kursen, Vorträgen, Publikationen, Ausstellungen und selbst organisierten Festivals erklärt sie breitgefächerte, auch anspruchsvollere kunsthistorische Themen zeitgemäß und unterhaltsam. Ihre Vortragstourneen der letzten Jahre haben sie bereits in unzählige Städte bundesweit sowie nach Italien, Österreich, Polen, Dänemark und in die Schweiz geführt. Seit 2020 ist sie zusätzlich mit ortsübergreifenden Webinaren u.a. Online-Formaten unterwegs. Website https://www.donatella.chiancone.eu Projektportal https://www.kunstco.de

1.1. Gestatten? Neptun


a. Entstehung, Aufstieg und Verfall


Als Sohn von Kronos/Saturn und Rhea/Ops (je nach griechisch-römischer Bezeichnung) ist Poseidon/Neptun u.a. Bruder von Zeus/Jupiter, Hera/Juno und Demeter/Ceres. Er ist mit ihnen außerdem eine der zwölf olympischen Gottheiten, die eben offiziell auf dem namensgebenden griechischen Berg leben, von denen die bekanntesten  Apollon/Apollo, Athene/Minerva, Artemis/Diana, Aphrodite/Venus und Hermes/Merkur sind. Zusammen mit seinen Geschwistern besiegte Poseidon gleich nach der Geburt seinen kannibalischen Vater, später die Titanen (wobei er sich anschließend mit den Brüdern stritt) und die Giganten.


• Cherubino Alberti, nach Polidoro da Caravaggio: Neptun mit Dreizack und Blattwerk (Blitzbündel?), Kupferstich (1570-1615) MMA •


Poseidon und Zeus waren ursprünglich die obersten Götter und weitestgehend gleichberechtigt: Sie teilten sich die Herrschaft über die Oberwelt und waren sonst auch mit ähnlichen Übermächten ausgestattet, z.B. konnten beide Blitze schleudern. Wenn sie gerade nicht mit kosmischen Kämpfen beschäftigt waren, wendeten beide ähnlich fleißig ihre Aufmerksamkeit den Frauen aus allen in ihrer Welt verfügbaren Gattungen: Sterblichen, Unsterblichen, größeren und kleineren Gottheiten, Nymphen usw. (s. Kapitel 1.3.), ohne deswegen schöne Jünglinge ganz außer Acht zu lassen (s. Kapitel 1.3.b.).


• Crispijn van de Passe d.Ä.: Neptun überfällt Kainis (Ausschnitt), Kupferstich (1602-1607) RMA •


Später setzte sich Jupiter als der mächtigster Gott durch und seitdem hat für Neptun ein langsamer, unaufhaltsamer Verfall begonnen, bis er – ähnlich seiner modernen Entsprechung unter den Comics-Superhelden, Aquaman ab den 1980ern – nur ein wenig ernst genommener Nebenspieler wurde. Diese Dekadenz kann u.a. am sagenumwobenen Autor Homer (8.-7. Jh. v. Chr.) festgemacht werden, da Poseidon sowohl in seiner Ilias (dem Epos zum trojanischen Krieg) als auch in der Odyssee (s. für beides Kapitel 1.2.b.) als übellauniger und überempfindlicher Gott dargestellt wird, der bei gefühlter Majestätsbeleidigung impulsiv mit Meeresstürmen, Tsunamis, Erdbeben u.ä. Naturkatastrophen reagiert und also im Wesentlichen als Störfaktor, wenn nicht ganz als Bösewicht, fungiert. Seine Interaktion mit Geschwistern, sonstigen göttlichen Verwandten und normalen Sterblichen reduziert sich seitdem auf die melodramatischen Extremen von gnadenlosen Fehden und unbekümmerten Schäferstunden.

b. Szepter und Waffe: der Dreizack


Kaum wird er geboren, schon schwingt er den Dreizack: Neptuns markantestes Attribut ist vom Anfang an mit ihm dabei und erweist sich sofort als unentbehrlich. So sehr die überlieferten Versionen der Rettung Poseidons vor seinem kinderfressenden Vater auseinandergehen (s. Kapitel 1.2.b.), waren sich mehrere antike Autoren darüber einig, dass der Kleine ohne zu zögern sein traditionelles Accessoire dafür benutzt habe, um mit Hilfe seines Bruders Zeus und dessen Blitzen den grausamen Kronos unschädlich zu machen.


• Anonym (italienisch?): NeptunBronze (16. Jh.) MMA •


Bei allen variablen Darstellungsweisen von Neptun bleibt der Dreizack eine Konstante, anhand derer man den Gott in jedem Fall mit Sicherheit identifizieren kann. Zu seiner Ikonographie gehören nämlich sonst Elemente, die nicht überall gleich vorkommen: Sein Streitwagen ist z.B. ein nicht immer vorhandener und – wenn doch – extrem wandelbarer Wassermobil mit beliebig kombinierbarem Unterbau und vollaustauschbarem Antrieb (s. Kapitel 1.2.). Abgesehen von solchen Versatzstücken wie seinem Schlitten und den entsprechenden Zugtieren ändert sich auch das Gefolge des Meeresgottes andauernd: Mal ist er ganz alleine, mal in Gesellschaft seiner entzückenden Gattin (s. Kapitel 1.3.a.), mal umgeben von betörenden Meerjungfrauen (s. Teil 2.), frechen Tritonen (s. Kapitel 1.3.a.) und weiteren imaginären Seewesen, darunter auch furchterregenden marinen Monstern, wie es selbst in dem Marianengraben keine gibt.


• Michel Dorigny, nach Simon Vouet: Neptun und Amphitrite, Kupferstich/Radierung (1644) RMA •


Sogar das Aussehen von Neptun selbst ist äußersten Schwankungen unterworfen: Meist wird er als älterer, athletischer Mann mit lockigem, eher kurzem Haar und mittellangem, wellendem Bart wiedergegeben, manchmal mit einer zackigen Krone auf dem grauen Haupt; seltener kann man ihn als bartlosen Jungen vorfinden, jedenfalls immer muskulös, autoritär und oft aggressiv, wenn er nicht gerade einen symbolischen Triumph im Kreise seiner Lieben entspannt genießt.


• Charles Percier: Entwurf eines Neptuns mit ovalem Medaillon, Zeichnung (o.J., spätes 18./frühes 19. Jh.) MMA •


Der fast überall wiederkehrende Dreizack ist dabei weniger eine Waffe als Teil der Insignien der Herrschaft Neptuns über das Wasser und darüber hinaus ein Multifunktions-Werkzeug, womit er seine Macht auch über Erde und Luft überschwänglich ausübt. Mit dem, was von manchen Künstlern wie eine Harke gezeichnet wird, kann der Gott jedenfalls sehr einfallsreich umgehen und sich tatsächlich als eine Art Landschaftsgestalter erweisen: Er kann damit u.a. in einen Felsen schlagen und daraus einen Wasserquell entspringen lassen oder ein Stück Insel abtrennen und damit einen Riesen bewerfen.


• Anonym (niederländisch): NeptunBronze (letztes Viertel 16. Jh.) MMA •


Auch wenn Neptun seine riesige Vorlegegabel oft wie eine Harpune hält, kann sie häufiger als eine Art gemeiner Zauberstab verstanden werden. Wenn die Erde bebt, kann man mit den alten Griechen davon ausgehen, dass der verärgerte Poseidon mal wieder mit seinem Dreizack in die Erde gestochen hat. Ähnlich verheerende Folge hat sein Hantieren mit diesem teuflischen Instrument im Wasser: Dann entstehen fürchterliche Stürme und apokalyptische Überschwemmungen, die er aber auch wieder rückgängig machen kann (s. nächsten Abschnitt).


• François Antoine Aveline, nach François Boucher: Neptun beruhigt den Sturm, Radierung, Kupferstich (18. Jh.) MMA •


Aber woher kommt der Dreizack? Und welche Form hat er genau? Der Legende nach ist er ein Geschenk der Zyklopen, die ihn für Poseidon geschmiedet haben. Der Gott hat ihn seitdem fest in der (rechten) Hand und legt ihn nur ab, wenn er sich (nach erfolgreichem Nachstellen) friedlicheren Tätigkeiten wie dem Liebesspiel zuwendet, was dafür spricht, dass diese Art Szepter auch eine Art symbolische Waffe ist. Was die genaue Form angeht, keiner hat ihn je wirklich gesehen und so können die namensgebenden drei Zacken immer anders ausfallen, wobei die mittlere meistens länger ist, und alle manchmal eine pfeilartige Endung besitzen.


• Hendrick Goltzius (Werkstatt): Neptun und Kainis, Kupferstich (1586-1590) RMA •

c. Donnerwetter! Sturm, Flut und Ungeheuer


Zeus mag mit seinen Blitzen Gewitter verursachen, aber Meerstürme und Überflutungen sind von Kompetenz des Poseidons, wie die Seeleute von einst wussten, die sich dessen Gunst mit entsprechenden Opfern zu sichern versuchten (s. Kapitel 1.2.b.). Der Meeresgott kann nämlich sehr gut zwischen seinen frommen Anhängern und respektlosen Menschen und Göttern unterscheiden, die dann nicht nur auf hoher See, sondern durchaus auch auf dem Festland mit allerlei gefährlichen bis tödlichen Ereignissen rechnen müssen. Da hilft selbst die Zugehörigkeit zu einer von ihm geschützten Partei nicht, wenn ein Individuum sich in Neptuns Augen unpassend aufgeführt hat. 


• Giulio Bonasone oder Girolamo Fagiuoli (zugeschrieben), nach Perino del Vaga: Neptun beruhigt den von Äolus gegen Äneas’ Flotte ausgelösten Sturm, Kupferstich (o.J., Mitte 16. Jh.) MMA •


In Homers Epos teilen sich die Götter in diejenigen, die im und nach dem trojanischen Krieg die Griechen oder ihre Gegner unterstützen. Poseidon gehört grundsätzlich zu denjenigen, die auf Griechenlands Seite stehen, trotzdem rettet er den Trojaner Aeneas vor Achilles und beruhigt zudem einen Sturm, den zur Abwechslung der Windgott Aeolus gegen jenen frommen Helden verursacht hat. Und trotz seiner allgemeinen Sympathie für das griechische Volk kann er Odysseus für seine Sünden gegen ihn und seine Familie nicht verzeihen (s. Kapitel 1.2.b.) und bereitet ihm eine äußerst beschwerliche Rückreise vom Kriegsschauplatz, die der kluge Held nur dank seiner sonst besonders in Bezug auf den Meeresgott verhängnisvollen Kreativität und dank der Gunst seiner Schutzpatronen überleben kann.


• Marcantonio Raimondi, nach Raffael: Neptun beruhigt den gegen Äneas’ Flotte ausgelösten Sturm, Kupferstich (ca. 1515-1516) MMA •


Doch manchmal werden die großen Götter für ihre grenzenlose Arroganz bestraft und müssen wie die einfachen Menschen arbeiten. Wegen einer Rebellion gegen Zeus zwingte einmal der...

Erscheint lt. Verlag 29.4.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
ISBN-10 3-7519-0298-8 / 3751902988
ISBN-13 978-3-7519-0298-4 / 9783751902984
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