Kunstfälschung (eBook)
476 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76457-2 (ISBN)
2015 stellte die Londoner Dulwich Picture Gallery ihre Besucher auf die Probe. Statt des 1769 entstandenen Ölgemäldes Porträt einer jungen Frau von Jean-Honoré Fragonard hängte sie eine für gerade einmal siebzig Pfund angefertigte Fälschung auf. Das Publikum war eingeladen, das fingierte Kunstwerk unter den Exponaten ausfindig zu machen. Das Ergebnis war erstaunlich: Zum einen erkannten gerade einmal zehn Prozent die Täuschung - zum anderen vervierfachten sich die Besucherzahlen.
Kunstfälschungen und das Interesse an ihnen haben Hochkonjunktur. Für den globalisierten Kunstbetrieb aber sind sie zur Herausforderung geworden. Massenhafte Fälschungen erzeugen nicht nur erheblichen finanziellen Schaden, sie führen auch immer wieder Museen und die Forschung auf peinliche Irrwege. Hubertus Butin zeigt, dass sich das Phänomen nicht auf einzelne Straftäter reduzieren lässt. Wie das Doping im Sport, so ist die Fälschung in der Kunst ein systemisches Problem. Anhand zahlreicher, zum Teil irrwitziger, auch bislang unbekannter Fallbeispiele geht Hubertus Butin den Ursachen nach, schildert das Vorgehen berühmter Fälscher wie Wolfgang Beltracchi und erläutert, wie wir uns besser gegen Betrug und Täuschung wappnen können.
<p>Hubertus Butin, geboren 1964, arbeitete in den neunziger Jahren als Kunsthistoriker im Atelier Gerhard Richters in Köln. Er hat zahlreiche Aufsätze und Bücher zur zeitgenössischen Kunst und Kunsttheorie publiziert. Unter anderem gab er 2014 das Werkverzeichnis der Editionen Gerhard Richters heraus und das <em>Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst</em>. Nebenbei organisiert er als Gastkurator Ausstellungen an internationalen Museen. Außerdem ist er als Gutachter weltweit für Sammler, Kunsthändler, Auktionshäuser und die Landeskriminalämter tätig. Hubertus Butin lebt und arbeitet in Berlin.</p>
1.
Einführung
I.
Das sind keine guten Aussichten: Gemeinsam mit den Alchemisten sitzen die Fälscher in der Hölle. Nachdem die Delinquenten zuerst von der weltlichen Gerichtsbarkeit zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurden, werden sie nun im achten Kreis der Hölle mit Aussatz bestraft, der ihnen auf ewig qualvolle Schmerzen bereitet. Zumindest hat Sandro Botticelli das Schicksal der Fälscher auf diese Weise dargestellt (Abbildung 1). Am Ende des 15. Jahrhunderts zeichnete der italienische Künstler die beschriebene Szenerie im 29. Blatt des Inferno, das einen wesentlichen Teil in seinem Bilderzyklus zu Dantes Göttlicher Komödie bildet.1 Während die Fälscher nach damaligem Verständnis als Sünder in der Hölle landeten, sitzen sie heute bei Stefan Raab oder Markus Lanz in Fernsehtalkshows, wo sie sich in aller Öffentlichkeit bewundern und für ihre Taten feiern lassen können – eine erstaunliche Entwicklung vom Verbrecher zum Medienstar.
Abb. 1: Sandro Botticelli, La Divina Commedia. Inferno, Blatt XXIX: Vergil und Dante im achten Kreis der Hölle, Bestrafung der Fälscher und Alchemisten (Ausschnitt), um 1481/1488, Metallstift und Feder in Braun auf Pergament, 32,1 × 47,0 cm, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin.
Wie sehr sich der gesellschaftliche Status von Fälschern verändert hat, lässt sich auch in anderen kulturellen Bereichen beobachten. Selbst manche Museen versuchen mittlerweile, ihr Publikum mit entsprechenden Arbeiten zu begeistern. Die ehrwürdige, in einem südlichen Vorort von London gelegene Dulwich Picture Gallery und der Konzeptkünstler Douglas Fishbone stellten 2015 die Besucherinnen und Besucher des Museums spielerisch auf die Probe. Sie ersetzten eines der Gemälde durch eine Fälschung, die ein chinesischer Maler für siebzig Pfund angefertigt hatte, und forderten das Publikum auf, das gefälschte Werk ausfindig zu machen und ein Votum abzugeben (kopiert worden war das 1769 entstandene Porträt einer jungen Frau des französischen Malers Jean-Honoré Fragonard). Das Erstaunliche ist weniger die Tatsache, dass nur zehn Prozent der Besucher die Täuschung erkannten, als vielmehr die enorme Anziehungskraft des Projekts: Nach Auskunft des Chefkurators Xavier Bray vervierfachten sich die Besucherzahlen in der Zeit, in der die Fälschung ausgestellt war.2 Die Dulwich Picture Gallery besitzt eine der besten und kostbarsten Altmeistersammlungen Großbritanniens. Doch das Publikum kam nicht ins Museum, um die Originale von Rembrandt, Rubens, Canaletto, Poussin, Watteau oder Gainsborough zu sehen, sondern, um eine Fälschung zu entdecken. Offensichtlich ist Kunstfälschung zu einem Thema geworden, für das sich nicht nur Sammler, Kunsthistoriker, Museumskuratoren, Restauratoren, Kunsthändler und Auktionatoren sowie die Strafverfolgungsbehörden interessieren, sondern ebenso ein breiteres Publikum.
Sogar im Handel finden offensichtliche Fälschungen oder auch bloße Kopien mitunter großen Zuspruch. Der durch die spektakuläre Fälschung der Hitler-Tagebücher berühmt gewordene Konrad Kujau eröffnete 1989 nach einer mehrjährigen Haftstrafe in Stuttgart eine eigene Galerie, die er bis zu seinem Tod im Jahr 2000 führte. Indem er seinen Betrieb »Galerie der Fälschungen« nannte, machte er aus der Skandalisierung der eigenen Straftat ein Erfolgsrezept. Denn der anrüchige und gleichzeitig schillernde Begriff der Fälschung lockte ein Publikum an, das bereitwillig viel Geld für Kujaus Kopien und Stilimitate von Werken bekannter Künstler ausgab. Auf diese Bilder nach Chagall, Dalí, Kokoschka, Macke, Picasso, Schiele oder van Gogh setzte er nicht nur die Signaturen der nachgeahmten Maler, sondern ebenfalls sein eigenes Namenszeichen, so dass es sich bei den Werken keineswegs um Fälschungen handelt, da niemand beim Erwerb getäuscht wurde. Trotzdem bezeichnete Kujau seine Arbeiten verkaufsfördernd als »Fälschungen«. Seit 2001 bieten auch die in Sankt Petersburg ausgebildeten und in Berlin-Neukölln ansässigen Brüder Eugen, Michael und Semjon Posin in ihrem »Kunstsalon Posin« relativ hochwertige Gemäldekopien nach berühmten Vorbildern von der Renaissance bis zur klassischen Moderne an. Obwohl sie selbst ihre Bilder als »Nachschöpfungen« oder korrekterweise als »Kopien« bezeichnen, werden sie in der Presse immer wieder als »Meisterfälscher« gefeiert.3
Doch auch die Werke tatsächlicher Fälscher finden, selbst wenn sie unter ihrem eigenen Namen angeboten werden, mitunter reißenden Absatz. Als zum Beispiel das Londoner Auktionshaus Christie’s im Dezember 1983 und im September 1984 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen des Fälschers Tom Keating versteigerte, konnte der Auktionssaal die vielen Interessenten kaum fassen. Es entwickelten sich leidenschaftliche Bietergefechte, bei denen die 340 angebotenen Bilder dann oft ein Vielfaches der Schätzpreise erreichten.4 2014 wurde das Ergebnis von Christie’s noch weit übertroffen: Das Auktionshaus Webbs of Wilton in der tiefsten südenglischen Provinz zog im Oktober jenes Jahres ganze Scharen von Sammlern, Spekulanten und Neugierigen zu einer besonderen Versteigerung an, bei der über 230 Papierarbeiten und Manuskripte des legendären britischen Fälschers Eric Hebborn angeboten wurden. Hebborn hatte sich vor allem auf Zeichnungen alter Meister wie etwa Bruegel, Raffael, Michelangelo, Piranesi, Tiepolo, Rembrandt, Poussin und Watteau spezialisiert. 1996 kam er unter mysteriösen Umständen in Rom zu Tode. Auf der Auktion wurde für manche seiner Arbeiten bis zum Zwanzigfachen des Schätzpreises gezahlt.5 Gerade die Tatsache, dass es sich um Werke eines berühmten Fälschers handelte, stachelte das Begehren des Publikums noch mehr an. Auch das Interesse an Fälschungen des 1976 verstorbenen Ungarn Elmyr de Hory ist so groß, dass dessen Machwerke im Stil von Künstlern der klassischen Moderne in den neunziger Jahren sogar selbst nachgeahmt wurden. Eine Ausstellung mit angeblichen Fälschungen von de Hory fand 1994 in Tokyo statt. Die firmeneigene Galerie der japanischen Tageszeitung Sankei Shimbun bot siebzig Gemälde als originale Fälschungen von Elmyr de Hory an, es handelte sich allerdings lediglich um schlechte Kopien von fremder Hand, also um gefälschte Fälschungen.6
Nicht nur in den Medien, in Museen und im Handel, sondern auch auf dem Buchmarkt feiern manche Fälscher gegenwärtig bemerkenswerte Erfolge: Der Brite Shaun Greenhalgh schrieb im Gefängnis eine Autobiografie,7 die 2017 gleich in den ersten zwei Monaten nach ihrem Erscheinen 5000-mal über den Ladentisch ging8 – ein Ergebnis, von dem etwa Kunsthistoriker mit ihren Büchern normalerweise nur träumen können. Greenhalgh war 2006 als Fälscher überführt worden und kam für fast fünf Jahre ins Gefängnis. Sein Arbeitsspektrum reichte – was ganz und gar ungewöhnlich ist – von altägyptischen Alabasterfiguren und mittelalterlichen Silberkreuzen über barocke Terrakottabüsten und Keramikfiguren von Paul Gauguin bis zu der legendären Zeichnung La Bella Principessa im Stile Leonardo da Vincis, Letzteres zumindest nach Greenhalghs eigener Behauptung.9 Zu den Käufern seiner raffinierten Arbeiten gehörten unter anderen das British Museum in London und das Art Institute in Chicago.
II.
Die erwähnte Autobiografie von Shaun Greenhalgh ist Teil einer...
Erscheint lt. Verlag | 8.3.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Malerei / Plastik |
Schlagworte | Bestseller • Bestseller bücher • Bestsellerliste • buch bestseller • Fake • Hitler-Tagebücher • Konrad Kujau • Museum Barberini • Pablo Picasso • Sachbuch-Bestenliste • Sachbuch-Bestseller-Liste • Tate Modern • Wolfgang Beltracchi |
ISBN-10 | 3-518-76457-8 / 3518764578 |
ISBN-13 | 978-3-518-76457-2 / 9783518764572 |
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