Belcanto in Theorie und Praxis - Gesang, Stimme, Körper, Atem
PersonalityStyling München (Verlag)
978-3-9815954-0-6 (ISBN)
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Zielgruppe und Aufgabe des Handbuches - Belcanto in Theorie und Praxis
Das Werk richtet sich an Musikstudenten und Sänger/innen in Ausbildung sowie alle Menschen, die singen und die notwendige Körperarbeit für Gesang trainieren möchten. Es geht vor allem um Stimmentfaltung ohne Mikrofon und gesunden Gebrauch der Stimme. Das Buch hat einen theoretischen, einen musikhistorisch-pädagogischen und einen praktischen Teil, sodaß es zum Selbststudium ebenfalls geeignet ist und die Kritierien aufzeigt, nach denen ein guter Lehrer für Gesang ausgewählt werden kann. Alle Musiker, die mit Chor, Solisten und Sängern zusammenarbeiten, profitieren ebenso wie musikalisch gebildete Laien von diesem Handbuch, das Grundlagen vermittelt und Klarheit in das Verständnis der Stimmentfaltung bringt.
Autobiografischer Hintergrund der Autorin
Durch den Verlust der Sprechstimme nach der Scheidung aufgestört, fand die Autorin ihre wahre, authentische Stimme und dazu ihren „Koloratursopran“ durch Gesang, nachdem viele Therapieversuche erfolglos waren. Aus dem "Hobby Singen" wurde die Leidenschaft für Oper und die Begeisterung für das Idol, Maria Callas.
Dieses Handbuch ist das dritte Werk der Autorin über Gesang. Sie zeichnet darin die Entwicklung der professionellen Opernstimme an historischen Beispielen nach. Ein Überblick über die Geschichte des Belcanto ab 1600 in den italienischen Singschulen und bei den Kastraten in der päpstlichen Kapelle zeichnet die Geschichte der Singkultur nach. Biographische Highlights aus den Leben weltberühmter Sänger und Sängerinnen machen das Buch zu einer spannenden Lektüre mit wissenswerten Details über berühmte Stimmen sowie erfolgreiche Gesanglehrer und Stimmtrainer. Dabei wird mit vielen Missverständnissen und Mythen über die Opernstimme und die Stimmfunktion anhand von Beispielen aus dem Sänger- und Opernalltag gründlich aufgeräumt. Im praktischen Teil nimmt die Autorin den Leser an der Hand und zeigt ihm anhand von Fotos auf unterhaltsa-me Weise, wie man Körper, Stimme und Atem für den großen erfolgreichen Auftritt in die Balance bringt. Anatomie der Stimme, Physiologie des Muskelapparates sowie physikalische Akustik werden anschaulich erklärt. Der historische Abriss über die Gesangspädagogik von damals bis heute würdigt geniale Stimmpädagogen und Gesanglehrerinnen und rundet das Bild bis hin zur funktionalen Stimmbildung heute ab. Das Literaturverzeichnis verweist auf eine Auswahl weiterführender Literatur. Alles in Allem ist das Handbuch für Belcanto beileibe-keine trockene Wissenschaft, sondern ein lebendiger Bericht über 4 Jahrhunderte gelebter Sing-kunst, der jedem Sänger dazu dient, die eigenen schlummernden Talente in die Tat umzusetzen. Aus der Praxis für die Praxis ist das Motto der Musikwissenschaftlerin
Dr. Anna Sophia Karin Wettig. Karin Wettig, Belcanto in Theorie und Praxis: Gesang Stimme, Körper, Atem.
Handbuch für Gesang und Bühne.
Auf 300 Seiten bringt das Handbuch für Belcanto wichtige Erkenntnisse über die gesunde Schulung der Singstimme und den Aufbau von Stimm-Körper-und Atembalance. Durch den Verlust der Sprechstimme nach der Scheidung aufgestört, fand die Autorin ihre wahre, authentische Stimme und dazu ihren „Koloratursopran“ durch Gesang, nachdem viele Therapieversuche erfolglos waren. Aus dem Hobby Singen wurde die Leidenschaft für Oper und die Begeisterung für das Idol, Maria Callas.
Dieses Handbuch ist das dritte Werk der Autorin über Gesang. Sie zeichnet darin die Entwicklung der professionellen Opernstimme an historischen Beispielen nach. Ein Überblick über die Geschichte des Belcanto ab 1600 in den italienischen Singschulen und bei den Kastraten in der päpstlichen Kapelle zeichnet die Geschichte der Singkultur nach. Biographische Highlights aus den Leben weltberühmter Sänger und Sängerinnen machen das Buch zu einer spannenden Lektüre mit wissenswerten Details über berühmte Stimmen sowie erfolgreiche Gesanglehrer und Stimmtrainer. Dabei wird mit vielen Missverständnissen und Mythen über die Opernstimme und die Stimmfunktion anhand von Beispielen aus dem Sänger- und Opernalltag gründlich aufgeräumt.
Im praktischen Teil nimmt die Autorin den Leser an der Hand und zeigt ihm anhand von Fotos auf unterhaltsa-me Weise, wie man Körper, Stimme und Atem für den großen erfolgreichen Auftritt in die Balance bringt. Anatomie der Stimme, Physiologie des Muskelapparates sowie physikalische Akustik werden anschaulich erklärt. Der historische Abriss über die Gesangspädagogik von damals bis heute würdigt geniale Stimmpädagogen und Gesanglehrerinnen und rundet das Bild bis hin zur funktionalen Stimmbildung heute ab. Das Literaturverzeichnis verweist auf eine Auswahl weiterführender Literatur.
Alles in Allem ist das Handbuch für Belcanto beileibe-keine trockene Wissenschaft, sondern ein lebendiger Bericht über 4 Jahrhunderte gelebter Sing-kunst, der jedem Sänger dazu dient, die eigenen schlummernden Talente in die Tat umzusetzen. Aus der Praxis für die Praxis ist das Motto der Musikwissenschaftlerin Dr. Karin Wettig.
Die Autorin, Anna Sophia Karin Wettig, aus Köln, lebt und lehrt heute in München. Nach ihrer Promotion an der Georg-August-Universität Göttingen in Musikwissenschaft, Recht und Arabistik machte sie eine Ausbildung zur Rundfunkredakteurin. Nebenberuflich widmete sie sich intensiv dem Operngesang und entwickelte sich zum Koloratursopran. Ihre Dissertation beschäftigte sich mit der Vokalmusik von Carlo Gesualdo, Principe da Venosa, einem ungewöhnlichen Vertreter des musikalischen Manierismus um 1600. Der Umbruch des Tonsystems um 1600 von den Kirchentonarten über die Renaissance zum neuen Dur und Moll des Barock, faszinierten sie, denn damals entstand auch die Oper. Die Autorin und Musikwissenschaftlerin befreite sich durch durch professionellen Gesang von einer brüchigen Stimme. Ihre persönlichen Erkenntnisse über Stimme, Körper, Atem und Gesang schrieb sie in mehreren praktischen Werken für den Gesangsunterricht nieder. Erfahrungen aus jahrelanger Chorpraxis, eigenen Solo-Auftritten und dem Unterrichten von Schülern gingen in ihr praktisches Handbuch für Belcanto ein. All ihre Bücher sind auch im Selbststudium nützlich. 2005 erschien zuerst das Sängerlexikon "Sänger ABC Belcanto - singen kann doch jeder!" basierend auf der italienischen Gesangstechnik, wie Ann Reynolds sie aus Rom mitgebracht hatte und in Meisterklassen lehrte. Dann folgte "12 Vocal Basics", "Singen wie Callas und Caruso" und 2013 das umfassende Handbuch für Gesang "Belcanto in Theorie und Praxis". Die englische Fassung, zuerst "Singing like Callas and Caruso" wurde 2020 unter dem Titel "Bel Canto in Theory and Practice" in überarbeiteter Fassung neu herausgebracht. Die italienische Version kam 2017 unter dem Titel "Belcanto, Incanto vocale" heraus. Die Autorin schreibt nicht nur über Gesang, sondern veröffentlichte auch Literarisches unter dem Pseudonym 'Anina Toskani'.
geboren in Denver, Colorado, wohnhaft in Thailand. Data Mining Experte.
BELCANTO in THEORIE und PRAXIS - Inhalt mit erstem und letztem Kapitel
GESANG, STIMME, KÖRPER, ATEM - HANDBUCH FÜR GESANG & BÜHNE von Dr. Anna Sophia Karin Wettig
www.personalitystyling.com
INHALTSVERZEICHNIS
Meine Abenteuerreise von der verlorenen Sprechstimme zum Koloratursopran 10
Historische Wurzeln des Belcanto 38
Farinelli – Kastrat, Sopranist und wahrer Verfechter des Belcanto 46
Geheimnisse des Belcanto-Stimmtrainings & die berühmten italienischen A 52
APPOGGIO – die Stimmstütze 58
ATTACCA – Anfang & Ende des Tons 62
AVANTI – Vordersitz der Stimme 69
ALTO IN PALATO – der weiche Gaumen 74
Enrico Caruso & Luisa Tetrazzini, goldene Kehlen oder perfekte Stimmtechnik? 76
Singen mit natürlichem Körpereinsatz - Unterricht, Therapie, Selbstbeobachtung 86
Körper – Instrument der Seele 90
Körperhaltung – korrekt statt lässig, Kopf, Nacken und Schultern 91
Aktiviere Deinen Beckenboden 95
Nabellift für die schlanke Linie 98
Vom Nagellift zum Waschbrett 100
Vom Liegen zum Stehen mit Ovationen 102
Die Marketender – Hocke 110
Mannequin - Trick für den Kopf: Kissen o. Buch 112
Sängerkehle - Vogel ohne Schnabel 117
Kehlkopf – Wunder der Schöpfung, die Anatomie der Stimme - 117
Körpersymmetrie & Kehlkopfbalance - 128
Zunge, Zungenwurzel, Kiefer & Kinn im Chor für den Ton - 132
Massage, Dreher & Zungenbeißer – Abhilfe für Zungenknödel - 138
Moshe Feldenkrais & der Zungendreher - 139
Kristin Linklater & der Zungenbeißer - 142
Korken, Radiergummi & Schlüsselanhänger - Zaubertricks zur Kieferentspannung - 144
weicher Gaumen – die Sängerkuppel - 153
Fingernagelbeißer statt Schnuller - 156
Avanti, Avanti – Vordersitz der Stimme & der Balkon der Diva - 161
Motorradbrummer mit Flatterlippen & der Schmollmund für Legato - 164
Facelifting durch Vibrationen – spann‘ den Schirm auf - 169
Caruso’s Ei gegen widerspenstige Zungen, eine Zeitungsente - 171
Stimmbandschluss statt Schluckauf - 173
Missverständnisse über Körper & Stimme - 176
Gesunde Stimme im gesunden Körper– Leichtigkeit statt Forcieren - 188
Anatomie & Physik: Obertöne, Formanten und die Ästhetik der Stimme - 190
Atem – tönendes Leben & die tonlose Stimme - 192
Atme, und ich sage Dir, wer Du bist! - 194
Chi – Fu, Buddha’s langer Atem gegen das Lampenfieber - 197
Buteykos Atmung für die freie Nase, Sinusitis & Asthma ade! - 200
Nasensog & Nasenclip Test – der Tonsitz - 207
Das Zwerchfell, Dein Stimm-Trampolin - 212
Tenöre auf der Folter – Bauchpresse - 213
Intercity zum Zwerchfell - 214
Yoga - Atmung & Stimmstütze aus dem Hara - 214
Die Romantische Hochzeit - Wort und Ton - 218
Sprechen, Singen oder Deklamieren? Rezitativ & Arie - 220
Bauchreden & Belcanto sind Zwillinge, das Micky Maus Training - 224
Messa di Voce – der ultimative Stimmtest - 227
Stimmbruch, Registerwechsel, Passaggio - 228
Emotionen, Leidenschaft & Charisma - 231
Skala der Emotionen & emotionales Loslassen beim Singen - 234
Vokal Ausgleich – Bella Italia lässt grüßen! - 243
Vibrato, Tremolo oder Wackelpeter - 245
Charisma & Stimme: Maria Callas, Aris Christofellis & Iwan Rebroff - 247
Bedeutende Gesanglehrer & die Wissenschaft von der Stimme - 253
Wahrer Belcanto – die geheime Verschwörung der Renaissance - 255
Lodovico Zacconi’s Prattica Musica - 256
Manuel García I, seine Kinder & das Laryngoskop - 259
Francesco & Giovanni Battista Lamperti - 263
Mathilde Graumann Marchesi - 267
Emma Diruf Seiler - 268
John Franklin Botume - 270
Frederick Husler, moderne Stimmforschung - 273
Belcanto - von der Theorie zur Praxis - 279
Meisterklassen – Katalysator für Karriere oder Katalysator für Karriere oder Foltermethode? - 280
Stimmfächer & dramatische Stimmwechsel - 281
Tägliche Stimmpraxis: Tipps & Grundregeln - 285
Buchtipps mit Kurzkommentaren - 294
Meine Abenteuerreise von der verlorenen Sprechstimme zum Koloratursopran
Tief in meinem Herzen, wusste ich schon immer, dass ich zum Singen geboren bin. Obwohl ich weder berühmt, noch ein Opernstar wurde, hat meine Seele sich stets in klangvollen Worten und Tönen ausgedrückt. Meine Mutter hatte in meiner frühen Kindheit die wunderbare Ange-wohnheit, abends vor dem Einschlafen das Gebet an die 14 Engel von Humperndinck aus der Oper „Hänsel und Gretel“ an meinem Bettchen zu singen. So fühlte ich mich als Kind über Nacht stets beschützt und bin bis heute fel-senfest von der Existenz der Engel und ihrem Beistand überzeugt. Singen war und ist für mich der lebendige Zu-gang zur Seele. Als ich vier war, nahm Vater meine Mutter und mich oft auf lange Geschäftsreisen im Auto mit. Un-terwegs lag ich auf den Rücksitzen mit einer warmen De-cke und der Kuschelkatze im Arm, schaute in die Sterne am Himmel und sang alle Abendlieder, die ich auswendig kannte. Meine Eltern waren dann mucksmäuschenstill in der vorderen Reihe, um die heilige Atmosphäre nicht zu stören.
Als ich zehn war, rannte ich aus dem Wohnzimmer und hielt mir die Ohren zu, wenn mein Vater begeistert seine Shellackplatten von Caruso und Callas anhörte: Oper war nicht mein Ding, zu laut, zu pathetisch und zu tragisch. Ich spielte lieber Chopin auf dem heißgeliebten Klavier, für dessen Anschaffung ich drei Jahre die väterliche Autorität unterminiert hatte. Ich solle lieber Unterhaltungsmusik auf dem Akkordeon machen, war die Ansicht meines Vaters. Seinetwegen spielte ich auch Akkordeon und E-Orgel. Als ich 11 Jahre alt war, nahmen die Eltern mich zu einer Weihnachtsfeier in die Firma mit, wo Eltern und Kinder ver-sammelt waren, um vom Nikolaus auf der Bühne ein klei-nes Geschenk entgegenzunehmen. Als ich nach vorn ge-rufen wurde, fragte der Nikolaus freundlich, ob ich denn singen könnte, was ich unumwunden bejahte. „Was singst Du denn jetzt für uns?“ war gleich die nächste Frage. „Stil-le Nacht, heilige Nacht!“ kam wie aus der Pistole geschos-sen. Zum Nachdenken kam ich nicht mehr, da die Violine und ein kleines Kammerorchester sofort mit dem Vorspiel einsetzten. Die süße Melodie forderte mich zum Mitsingen auf und ich sang aus tiefstem Herzen wie ein kleiner Engel auf eine vorüberschwebenden Wolke. Das Publikum und der ganze Saal waren dabei für mich wie verschwunden, auch die Schweißperlen auf der Stirn meines Vaters, der mich noch nie hatte öffentlich singen hören, nahm ich nicht wahr. Als dann ein begeisterter heftiger Applaus ein-setzte, zuckte ich erschrocken zusammen und war zurück in der Wirklichkeit. Ich nahm meine Weihnachtsgebäcktüte entgegen, machte den Anstandsknicks und verschwand schnell auf meinen Platz. Später beim Herausgehen, fragte mich ein weißhaariger Herr an der Garderobe, ob ich denn Mitglied im örtlichen Kinderchor des Opernhauses Aachen sei, was ich verneinte, weil ich nicht einmal wuss-te, was eine Oper ist.
Meine ersehnte Musikerkarriere kam nie zustande. Bevor ich die Aufnahmeprüfung für Klavier machen konnte, für die ich 6 Stunden täglich nach der Schule trainierte, starb mein Musiklehrer, ein blinder Organist und Kirchenmusiker. Als extrem scheues junges Mädchen trauerte ich um den einzigen väterlichen Freund während meiner Gymnasial-zeit und warf den Klavierdeckel zu, weil ich monatelang in Tränen ausbrach. Die „Macht des Schicksals“ hatte meine Musikleidenschaft gebrochen. Aus diesem Grund begann ich dann mein Übersetzerstudium in Germersheim. Doch, sobald ich meine Musikbegeisterung ad acta gelegt hatte, schien diese sich durch die Hintertür wieder in mein Leben zu schleichen. Musik war einfach nicht wegzudenken. In der großen Aula der Universität staunte ich mit großen Au-gen über den schwarzen Steinway Flügel auf der Bühne. Ich erfuhr vom freundlich lächelnden Pförtner nicht nur, dass einer der Dozenten Konzertpianist war, sondern auch, dass er mir den Schlüssel für die Aula abends aushändigen könne. So konnte ich dort ungestört Klavier spielen, soviel ich wollte. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Mein spä-terer Mann, den ich dort kennenlernte, saß häufig auf den kleinen Stufen zu dieser Bühne, um Chopin, Mozart, Beethoven und Brahms zu lauschen. Nach dem Studien-abschluss gingen wir gemeinsam nach Göttingen und fanden heraus, dass die Universität über eine Fakultät für Musikwissenschaft verfügte. Auf Anraten meines Mannes landete ich in der Sprechstunde einer freundlichen, ge-sprächigen Professorin, die mit großer Freude feststellte, dass ich außer Englisch auch Französisch, Spanisch, sowie etwas Italienisch und sogar Arabisch lesen und verstehen konnte. Sie hatte keine Mühe, mich zu überzeugen, dass Musikwissenschaft absolut das Richtige sei und einer spä-ten Karriere nichts im Weg stehe, denn sie sei auch erst mit 55 in ihrem Lieblingsfach Professorin geworden. Sie war begeistert, dass ich die wissenschaftliche Literatur in so vielen Sprachen würde lesen können. An der Karriere zwei-felte ich selbst noch, doch die Musik hatte mich wieder in ihren Fängen. Mit dem Halbtagsjob in der Notenabteilung eines nahegelegenen Musikhauses und Auftritten als Dol-metscherin und Übersetzerin im Landgerichtsbezirk sowie auf Messen in Hannover finanzierte ich mein weiteres Stu-dium. Alle neuen Noten und Bücher gingen im Musikladen durch meine Hände, oft hatte ich Zeit zum Schmökern.
Die Studenten der Musikwissenschaft waren Individualisten und zugleich eine kleine Familie. Mein Doktorvater, Prof. Dr. Wolfgang Boetticher, kurz von den Studenten „Bö“ genannt, war als Klavierwunderkind und Organist aufge-wachsen und hatte seine Künstlerkarriere mit 20 für die Musikwissenschaft an den Nagel gehängt. Als Quellenfor-scher wurde er ebenfalls weltberühmt, bis die Entdeckung seiner angeblichen Naziaktivitäten seiner Karriere ein trau-riges Ende setzte, da ihm Konfiszierungen von wertvollen Musikquellen aus jüdischem Besitz vor dem Krieg von aus-ländischen Kollegen vorgeworfen wurden. Damit wurde seine Weltkarriere jäh beendet und seine aufrichtige Hin-gabe an die Musik und die zahlreichen Doktoranden-schützlinge, die er regelmäßig in seine Wohnung zum ge-meinsamen Schlemmen einlud, geriet in Vergessenheit. Er landete im unbekannten Grab auf dem Göttinger Nord-friedhof. Mit einer Kommilitonin zusammen, die zur glei-chen Zeit wie ich bei ihm promoviert hatte, legten wir sei-nerzeit bei strömendem Regen an der Stelle, wo wir das Grab vermuteten, eine rote Rose ab, um uns für väterlich-wissenschaftliche Betreuung in all den Jahren zu bedan-ken. Professor Bötticher‘s charismatische Bühnenausstrah-lung hatte immer ein Grüppchen weißhaariger alter Da-men aus der Volkshochschule in die Vorlesungen gelockt. Sie saßen jedes Mal in der ersten Reihe und hingen wie gebannt an seinen Lippen, wenn er die Musikgeschichte auf mitreißende Art lebendig werden ließ.
Nach einem kurzen Ausflug in die klassisch arabische Mu-sik, leider wurde mir das Stipendium dafür nicht geneh-migt, schrieb ich dann meine Dissertation über Carlo Ge-sualdo, den berühmt-berüchtigten Fürsten von Venosa, einen genialen Renaissancekomponisten, der seine erste Frau in flagranti ertappte und dann gemeinsam mit dem Liebhaber erstach. Nach der Promotion kam mit der Scheidung ein Hurrikan in mein Leben und zerstörte alle geordneten Bahnen und die begonnene Karriere als Farb- und Stilberaterin, die ich mir neben meinen staubtrocke-nen Musikstudien als kommunikationsfreudiger und schön-heitsorientierter Mensch aufgebaut hatte.
Als ich allein vor der Scheidungsrichterin saß und für mich und meinen Mann in Vertretung das Urteil entgegennahm, bemerkte ich beim Herausgehen aus dem Saal, dass mei-ne Sprechstimme nicht mehr die gleiche war. Ich klang zitterig, unsicher und. Wenn dann Kunden zu mir kamen, schienen sie meine junge äußere Erscheinung nicht mit der Stimme einer alten zerbrechlichen Dame zusammenbrin-gen zu können. Oft standen sie verwirrt und ungläubig in der Haustür, wenn sie zum Termin kamen. Die Sprechstim-me löste sich dermaßen auf, dass sogar das Sprechen mir einfach zu anstrengend wurde und ich lieber schwieg. Damit war meine Zeit als Geschäftsfrau beendet. Ich ließ meine Studienjahre, die Uni, mein Geschäft, meine Karriere und alles, was mir lieb gewesen war hinter mir, um in Nürnberg eine Umschulung zum Rundfunkredakteur zu beginnen. Die Ironie des Schicksals wollte, dass ich wegen meines Talentes zur Moderation genommen wurde, nur weil ich so erkältet war, dass meine wirkliche Stimme oh-nehin kaum zu erkennen war. Später fiel der Stimmbruch dann dem Sprechtrainer auf und er schickte mich in die Logopädie, um die fehlende Mikrofonstimme herauszulo-cken. Die Übungen brachten nichts und so suchte ich auf eigene Faust eine Lösung. Singen, war meine Idee, würde die verlorene Sprechstimme reparieren. Als der Sprechtrai-ner mich auslachte, musste ich an das Sprichwort denken – wer zuletzt lacht, lacht am besten – und so war es auch. Das war der Start meiner heimlichen Belcanto-Karriere, die zwar nicht auf die Opernbühne, doch zu Konzerten und Büchern führte.
Der Lebenslauf meiner Stimme ist zugleich eine Abenteuer-reise von der Stimme zur Seele, voller verrückter Stories und unentwegter Hindernisse. Nach mehr als zwei Jahr-zehnten voll abenteuerlicher Erfahrungen kann ich sagen, dass es mit meiner persönlich entdeckten Methode mög-lich ist, die vielen unterschiedlichen Wege zum Rom des Belcanto wirklich auf der kürzesten Route zu beschreiten, obwohl diese Reise für mich persönlich zu einer langwieri-gen Pilgerfahrt zur singenden Seele wie auf dem St. Ja-kob’s Weg wurde.
Ich will hier nur einige der komischen Episoden auf dem Weg zum Rom des Belcanto berichten, um alle, die nach der authentischen Stimme streben, vor den typischen Fal-len zu bewahren, in die der naive Singlustige unterwegs stolpern kann. Meine Stimmreparatur gestaltete sich buch-stäblich wie eine 20 Jahre dauernde Wanderschaft auf den Knien rutschend, nur um endlich das Heiligtum des Belcanto und meiner authentischen Stimme zu erreichen. Seit der Veröffentlichung meines ersten Buches – Sänger ABC- Belcanto, singen kann doch jeder! 2007, sind mir so viele herzzerreißende Geschichten von Sän-ger/innenträumen zu Ohren gekommen, die mit gebro-chener Stimme und gebrochenem Herzen auf der Strecke blieben. Allein schon aufgrund der Schamgefühle, die viele Gesangsstudenten, die die Karriere an den Nagel gehängt haben, anscheinend davon abhält, weiter nach der richtigen professionellen Hilfe zu suchen, gewann ich den Eindruck, es sei geradezu eine moralische Pflicht, die-ses Buch zu Papier zu bringen, um jedem Stimmbesitzer zu zeigen, dass etwas Beobachtungsgabe und ein paar simple Tricks ausreichen, sich von den kleinen Unvollkom-menheiten zu befreien, die den Stimmklang mindern und das Herz so unglücklich machen. Falscher oder halbherzi-ger Unterricht ist dabei auch ein Thema, denn leider habe ich die üblen Folgen falscher Anleitung wiederholt am eigenen Leib zu spüren bekommen und werde häufig Zeuge, an welchen Stellen manche Opern- und Profistim-men einfach klemmen.
Zwar kann ich jetzt aus der Rückschau über manche mei-ner Erfahrungen lächeln, doch dienen sie hier nicht zur Belustigung oder gar Bloßstellung bestimmter Lehrer. Ich empfinde sie als großes rotes Warnsignal an alle, was durch fehlgeleiteten Unterricht so alles schiefgehen kann. Überall lernt jeder etwas, doch leider sind oft die Trümmer größer als der Gewinn. Meine erste Lehrerin am Nürnberger Konservatorium war eine argentinische Jüdin mit einer wunderbaren Altstimme. Als ich mich bei ihr vorstellte, be-tonte sie, dass sie nur talentierte Sängerinnen mit vielver-sprechenden Stimmen nehmen würde. Mir sank das Herz in die Hose, ich wagte nicht einmal, mein Stimmproblem zu äußern und redete kaum. Sie ließ mich ausgiebig Skalen und Läufe singen, während ihre Finger über den Flügel tanzten. Mit tiefernstem Gesicht bezeichnete sie mich als tiefen Mezzosopran, gratulierte mir zu meinem musikali-schen Ohr und fragte mich dann, ob ich sie als Lehrerin denn akzeptieren würde. Mit einem Seufzer erstaunter Er-leichterung bejahte ich das erfreut. Das Vergnügen altita-lienische Arien zu singen, hielt jedoch nur wenige Wochen an, da meine Gesangslehrerin unerwartet auf Japantour-nee verschwand. Wir verabschiedeten uns herzlich nach einem jüdischen Gottesdienst, zu dem sie und ihr Mann, der Rabbiner, mich eingeladen hatten. In der Nürnberger Synagoge hatte ich zum ersten Mal im Kreise orthodoxer Juden die schönsten altjüdischen Choräle und Gesänge erlebt: eine unvergessliche Erfahrung.
Danach stand ich wieder als Suchende auf der Straße zum Rom des Belcantos. Ein Bekannter empfahl mir eine italie-nische Sängerin, einen dramatischen Sopran. Sie hatte sich schon vor Jahren von der Bühne zurückgezogen und unterrichtete in ihrem Haus. Später erzählte sie mir, dass sie aus Entsetzen über die Bühnengepflogenheiten, Operndi-vas in transparenten Negligés auftreten zu lassen, sich mit dem Regisseur entzweit und ihre Karriere an den Nagel gehängt hatte. Maria war eine begabte Pädagogin mit Herz, doch als Künstlerin zutiefst enttäuscht. Ihre Stimme klang so melancholisch beim Singen, dass sogar ihre Kat-ze voller Mitgefühl herbeigelaufen kam und tröstend um ihre Füße strich.
Zu meinem allergrößten Erstaunen definierte sie meine Stimme in der ersten Stunde als hohen und sehr leichten Sopran. Ich sang nun die gleichen altitalienischen Arien in der Ausgabe für hohe Stimme anstatt für Mezzo. Mozarta-rien sang ich nun auf eigenen ausdrücklichen Wunsch, obwohl das Maria zu früh erschien. Sie war so geduldig, mich mit Vaccai in die Feinheiten des Belcanto einzuwei-hen. Die Zusammenarbeit war auch von kurzer Dauer, da ich aufgrund eines neuen Jobs nach München umzog. Mit Tränen in den Augen verabschiedete ich mich, doch da eröffnete mir Maria, dass wir uns sicherlich wiedersehen würden in München, weil man ihr eine Professur für Ge-sang an der Hochschule angeboten hatte. Sie hatte vor, dort jeweils drei Tage zu unterrichten. Mit großer Freude traf ich sie dann einige Monate später in diesem denkwür-digen alten Gebäude, das einmal in Deutschlands schwärzesten Zeiten das Hauptquartier von Hitler beher-bergt hatte und nun der Musentempel für junge Musikstu-denten war. Wenig später fand ich mich Montagabend regelmäßig zu den Proben des Münchner Bach-Chores ein.
So glücklich ich mich fühlte, meinem Rom des Gesanges näher zu kommen, so unglücklich war ich über meine Keh-le. Während des Unterrichtes begann meine Kehle und die Kiefermuskulatur zu schmerzen und nach der Stunde fühlte ich mich so richtig miserabel, während Maria glücklich strahlte und sagte: „Jetzt singst Du wirklich!“ Sie ermutigte mich, mehr klassische Lieder zu singen, doch als ich sie zu meinen schmerzhaften Erfahrungen befragte und meine körperlichen und emotionalen Beschwerden ansprach, hatte sie dazu keine Antwort.
Selbst der Medizinprofessor, den ich konsultierte, ein aus-gebildeter Tenor, mit einer Sängerin verheiratet, hatte kei-nen blassen Schimmer, wie man das Problem lösen sollte. Er verschrieb mir Logopädie gegen verspannte Muskeln. Aufgrund meiner ausgeprägt langen Stimmbänder meinte er, ich müsse ja ein Alt sein, Sopran könne er sich gar nicht vorstellen. Bestürzt über die gebrochene Stimme und die Perspektiven ging ich heim und unterbrach den Unterricht. Schmerz und Kummer wurden überwältigend, sobald ich versuchte zu singen. Meine Stimme drückte den Überle-benskampf aus, der sich seit der Scheidung wie eine Dunstglocke über den Alltag gesenkt hatte. In einer frem-den Stadt, ohne Freunde, Familie, soziales Leben mit ei-nem Job mit netten Kollegen, jedoch leider meist unsym-pathischen Vorgesetzten, war es nicht leicht, typische Ver-einsrivalitäten und Eifersucht im Münchner Bach-Chor aus-zuhalten, wo die Ellbogen mancher Sopranistinnen spitzer waren als ihre Stimmen: im ersten Konzert am Gasteig konnte ich mich nur mit Mühe davor bewahren, nach links in den Orchestergraben abzustürzen, weil ich als neuer Sopran den letzten Platz in dieser Reihe hatte. Doch, da der Opernvirus mich so heftig infiziert hatte, wollte ich mei-ne Gesangsausbildung nicht aufgeben. Als ich sonntags im Gottesdienst einer amerikanischen Kirche saß, trat ein Solist auf und sang eine Tenorarie. Ich lauschte wie ge-bannt und bekam Gänsehaut bei den großen Tönen, die jeden Zuhörer warm einzuhüllen schienen, eine himmlische Erfahrung. Flüsternd fragte ich meinen Nachbarn, wer das sei und, ob er wohl Unterricht geben würde. „Er ist Solote-nor am Opernhaus!“ war die Antwort, „wir können ihn nachher gemeinsam fragen. Nach dem Gottesdienst wur-de ich dem dunkelhaarigen hochgewachsenen Tenor vorgestellt, der gleich wissen wollte, wo ich denn schon überall gesungen hätte. Rot vor Scham, bekannte ich mich als Neuling im praktischen Gesang und erzählte von der Musikwissenschaft und meiner Chormitgliedschaft.
“So, dann bist Du also keine Sängerin! Und ich bin kein Gesangslehrer!” kam in heftigem amerikanischem Akzent mit einem breiten Lächeln zurück. „Wir könnten es trotz-dem einfach versuchen!“ Wir vereinbarten ein Treffen am Bühneneingang der Bayerischen Staatsoper für den kom-menden Samstag vor der Vorstellung. Nachdem ich mei-nen ersten Schritt in diese heiligen Hallen durch die Perso-nal-Glastür getan hatte, lieferte mir Jim einen weiteren Be-weis für seinen unwiderstehlichen amerikanischen Humor. Er nahm meinen Arm und zog mich durch einen schmalen engen Korridor im Dunkeln über mehrere Holzstufen. Ich konnte kaum die Hand vor Augen sehen und hatte keine Ahnung, was er im Sinn führte. Plötzlich stoppten wir und standen mitten auf der Bühne. Ich starrte wie angewurzelt in den riesigen Zuschauerraum mit den leeren Sitzreihen und hörte ihn lachend sagen: „ So sieht die Bühne aus der Perspektive der Sänger aus. Du stehst jetzt auf diesen Bret-tern, die für uns die Welt bedeuten!“ Ich nickte schwei-gend und sog die Erfahrung wie verzaubert in mich auf. In einem der kleinen Probenräume mit Piano starteten wir mit Übungen und sprachen über mein Faible für Mozartarien. In der zweiten Unterrichtsstunde wollte Jim in einem winzi-gen Raum im alten Probengebäude wissen, ob mein Inte-resse am Gesang definitiv größer wäre als das persönliche Interesse an einem attraktiven Tenor und sang ein paar bezaubernde Worte, die mich erröten ließen, jedoch nicht daran hinderten, mein totales Engagement für das Singen zweifelsfrei kundzutun. Das war der Beginn einer wunder-baren, offenen Freundschaft.
Sein Unterricht hatte mit nichts Ähnlichkeit, was ich vorher als Gesangsunterricht genossen hatte. Wir machten keine langatmigen Übungen, sondern nahmen Phrasen von altitalienischen Arien und Mozartarien. Seine Demonstrati-onen glichen eher einer Anatomieklasse für Gesang. Ich musste in seinen weitgeöffneten Rachen schauen, seine Zunge beobachten, während er sang, seine Rippenmusku-latur ertasten und mir die Muskelarbeit des Bauches de-monstrieren lassen, wobei er bekräftigte: „Der Sänger singt von Kopf bis Fuß!“ Er führte mir den weichen und harten Glottis-Schluss vor, die wichtigste Funktion beim Singen überhaupt und tat sein Bestes, mir alles in gebrochenem Deutsch zu erklären, da wir leider kein Laryngoskop hat-ten, um nach innen zu schauen. Natürlich bekam ich oft seine Familienkarten, da seine Frau schon die meisten Opern oft gesehen hatte. So saß ich in den ersten Reihen, wo ich in den Orchestergraben hätte spucken können und bei den Sängern die ganze Körperarbeit sehen konnte. Nach dem Applaus vergaß er nie, lächelnd zu mir ins Pub-likum zu winken, bevor er von der Bühne ging.
Seine Empfehlungen für Körpertraining setzte ich im Fit-nesscenter um, während nächtliche Gesang-Marathons die Stimme formen sollten. Leider besaß ich weder Körper noch Resonanz in meiner naturgegebenen Stimme. Ich klang eher wie ein vom Himmel gefallener Engel, der nur Flügel jedoch keinen Klangkörper besaß. Zu meiner Freude ließen die starken Spannungsschmerzen nach. Trotz Fitness, Gewichtheben und Yoga, schien es zu nicht mehr als ei-nem stimmlichen Moutainbike anstelle eines Opernporsche zu reichen. Trotzdem wollte ich wissen, warum. Die Schmerzen beim Singen waren nun weg, doch in einer der Samstagsklassen brach ich unerwartet in Tränen aus, als ich die ersten Töne einer Mozartarie sang. Ich konnte nir-gendwo einen Grund für diese Tränen finden. Eigentlich ging es mir gut. Beschämt und verwirrt, war ich sprachlos. Jim blieb unerschüttert, verzog keine Miene und sagte. „Macht nichts, lass‘ das einfach raus! Wir machen weiter. “ Als ich erneut versuchte, kam ein ganzer Schwall von Trä-nen wie ein kleiner Gewitterregen und ich konnte nicht aufhören zu schluchzen. Jim sagte mir, dass das oft bei Sängern in der Ausbildung vorkomme und er habe auch emotionale Krisen erlebt, das sei eigentlich ein gutes Zei-chen. Ich solle es einfach hinnehmen und weitermachen.“ Die Tränenattacken dauerten insgesamt vier Monate, doch wenn die Attacke vorüber war, sangen wir mit gro-ßem Vergnügen Rachearien oder andere emotional gela-dene Stücke. So lernte ich wie jede Muskelfaser in eine Emotion eingetaucht ist, die dort in der Vergangenheit abgespeichert wurde. Indem ich mein Kinn zurückbewegt hatte, hatte ich auch meinen Gefühlsausdruck blockiert. Während ich es vorstreckte in die Normalposition, pflegten sich die gestauten Emotionen einfach beim Singen zu ent-laden. Muskelanspannung in der Zunge oder um die Kehle herum, steife Kiefergelenke, eine Asymmetrie am Gaumen, Schiefstellungen der Zähne und Haltungsfehler an Schul-tern und Wirbelsäule, alles machte sich beim Singen in der Tonqualität bemerkbar.
Nach und nach wurde ich zu einem Sherlock Holmes für Verspannungen, Fehlhaltungen und Asymmetrie in mei-nem Körper. Es blieb mir nicht erspart, das Instrument Kör-per von Grund auf neu einzurichten und zu stimmen, be-vor ich wirklich authentisch singen konnte. Und doch erin-nerte ich mich, dass ich im Alter von 5 Jahren wunder-schön gesungen hatte, als ich noch keine einzige dieser körperlichen Verbiegungen gehabt hatte. Die längste Weinkrise, die ich jemals erlebte, geschah dann nicht im Unterricht, sondern in der Kirche, während Jim wieder ein-mal ein Solo sang. Nach den ersten Tönen zerfloss ich in Tränen, die wie kleine Perlen die Wangen herunterliefen, ohne dass ich in der Lage war, dieses Bächlein zu stop-pen. Kurz vor Ende des Gottesdienstes gelang es mir end-lich, die Fassung wiederzugewinnen. Jim, der mich von der Bühne aus gesehen hatte, kam und ließ sich in den Nachbarstuhl sinken. Als er den Arm um meine Schulter legte, sagte er mit todernstem Gesicht und theatralischer Stimme: „Ich weiß, dass Tenöre Frauen im Publikum zum Weinen bringen! Das ist wirklich ein harter Job!“ Darauf musste ich furchtbar lachen. Diese Szene gehört zu meinen Lieblingserinnerungen, weil er kurz darauf mit seiner Familie in die USA zurückging. Er war zu Recht enttäuscht von der Bayerischen Staatsoper, die ihre Kammersänger für die Nebenrollen einsetzte und für die Hauptrollen meist junge Stars aus dem Ausland engagierte.
Bevor er in die Staaten aufbrach, konnte ich ihn für meine NLP Master Ausbildung interviewen. Ich befragte ihn über das aufregendste Bühnenerlebnis seiner Karriere und bin glücklich darüber, diese ungewöhnliche Story hier mittei-len zu dürfen: als junger Tenor hatte er am Kasseler Staats-theater den Don José in Carmen zu singen. In der Schluss-szene musste er zwei große Eisentore mit ausgebreiteten Armen offen halten, während er die letzte Arie sang. Die gefühlsgeladene Arie und der körperliche Kraftaufwand brachten ihn an den Rand eines Blackouts. Er zwang sich mit voller Kraft weiter zu singen, als er plötzlich seinen ei-genen Körper auf der Bühne stehen und singen sah, aus der Perspektive eines Beobachters aus der Höhe über den Köpfen des Publikums. Im gleichen Augenblick nahm er das Orchester wie in einer Dolby Surround Aufnahme von allen Seiten wahr. Der intensive Wunsch nicht zu versagen, ließ ihn weitersingen. Wie unter Schock beendete er seine Arie und fand sich beim letzten Ton im Körper zurück, überwältigt von dieser Erfahrung und einem wild aufbran-denden Applaus. Aus Furcht für verrückt erklärt zu werden, sprach er all die Jahre mit niemand über dieses Erlebnis einer Erfahrung außerhalb des Körpers beim Singen, die sicherlich durch die emotionale Tiefe und den Körperein-satz wie in einer Trance ausgelöst worden war. Als ich Jah-re später ebenfalls bei Bühnenpräsentationen ähnliche Zustände intensiven Gewahrseins beim Singen erlebte, verstand ich erst, wie wertvoll die Arbeit mit Belcanto ist. Und doch war ich noch immer als Pilger auf der Suche nach dem Rom des Gesanges unterwegs, um meine au-thentische Stimme zu finden.
Entmutigt durch diverse Versuche mit Lehrern - einer Sän-gerin, die mich mit Übungen binnen 10 Minuten zum Ein-schlafen brachte und einer anderen, die mich durch hefti-ge Kritik und Provokation versuchte, zu körperlicher Leis-tung anzuspornen, was meine Stimme sofort zum Streik veranlasste - hörte ich von einem japanischen Klavierpro-fessor, der Gesang unterrichtete und gleichzeitig auf sei-nem Steinway-Flügel begleitete. Sein Haus war stets über-füllt mit Sängerinnen und Sängern. Beim Warten im Entrée hörte ich Töne aus allen Räumen kommen, sogar aus der Küche. Haru, ein streng blickender, untersetzter Japaner, bat mich herein, wobei Augenkontakt vermieden wurde. Grüner Tee aus einer riesigen Teemaschine lockerte die Atmosphäre, das Glas durfte nicht leer werden, sogleich wurde nachgeschenkt. Mit Empathie und ein paar Kom-plimenten über meine Stimme, konnte er mich leicht als Schülerin gewinnen, indem er mir bestätigte, dass meine Stimme von vorherigen Lehrern wohl falsch behandelt worden sei. Flugs hatte er mich überzeugt, genau das rich-tige Rezept für die Stimme zu kennen.
Wie naiv ich doch zu diesem Zeitpunkt war! Der schüch-terne Japaner entpuppte sich als hart durchgreifender Korrepetitor, indem er nicht nur am Flügel auf und ab sprang und mich mit lauter Stimme anfeuerte, wenn ich altitalienische Arien sang, sondern auch morgens um 7 Uhr in seinen ungeheizten Außenpool sprang, selbst wenn die Temperaturen nicht viel über 0 waren. Sängerinnen und Sänger, die in ihm ihre letzte Hoffnung auf eine Bühnenkar-riere sahen, feuerte er schweißüberströmt an, damit sie die Schallmauer ihrer Stimme durchbrechen sollten, um die Dämonen des Gesanges zu befreien. Ich fühlte mich nach dem Unterricht wie zu Butter zertreten oder wie ein Holz-boden unter dem wilden Getacker von Flamenco-Schuhen. Die japanischen Dämonen zogen überwiegend junge blonde Sängerinnen an. An Montserrat, die rassige spanische Ausnahme, erinnere ich mich noch lebhaft, denn sie hatte eine Stimme, die ein wenig an Maria Callas erinnerte. Während der Konzerte im Salon hörte ich man-che schöne junge Stimme aus Wien. Auch wenn der Meis-ter als Bariton nie die Opernbühne betreten hatte, so hatte er dazu seinen Chorleiterjob in Prag aufgegeben, um in Deutschland sein Glück als Heiler von Sängerstimmen zu suchen. Mit einer ausgewählten Gruppe junger Sängerin-nen pflegte er jährlich eine Japantournee zu machen. Er war ein leidenschaftlicher Musiker und ausgezeichneter Klavierbegleiter. Meine Gutgläubigkeit und die Überzeu-gung, nur durch harte Arbeit über meinen Stimmbruch zu siegen, brachten den Rest meiner Stimme zur Strecke. Ich beendete meinen Unterricht bei ihm abrupt, als ich ge-wahr wurde, dass ich nun statt einer rauen, schmerzhaft reibenden Stimme, zwei Stimmen besaß: eine hohe quiet-schige Sopranstimme, der das Fundament fehlte und eine tiefe raue Hildegard Knef –Stimme. Dazwischen war, dort wo ich eigentlich sprechen wollte, war ein riesiges Loch mit heißer Luft, tonlos. Der Stimmübergang funktionierte überhaupt nicht mehr.
Wieder einmal verzweifelt auf der Suche nach einer Hilfe, konnte es beim besten Willen so nicht weitergehen. Ich fand keine Sprechstimme, die zu mir gepasst hätte. Das einzig Positive an den japanischen Dämonen war die Tat-sache, dass ich mehrfach zu Meisterklassen an das Prager Konservatorium eingeladen wurde und dort erfahren konnte, dass die Qualität einer Gesangsstunde nicht nur von der Stimme des Lehrers, sondern auch der Fähigkeit, die Schüler und ihre Körperarbeit genau zu beobachten, abhängt. Wie viele Pseudo-Experten auf dem Gebiet des Gesanges unterwegs sind, konnte ich über die Jahre hin-weg immer wieder mit Erstaunen feststellen. Wie gut, dass meine Kehle offensichtlich unverwüstlich wie Unkraut alle Angriffe heil überstand. In den Prager Sommerkursen traf ich Sängerinnen aus ganz Europa und Lehrer aus ver-schiedenen Ländern. Während ein kanadischer Tenor sei-nen Schülern nur eine Summ-Übung beibrachte, die nach seiner Aussage Carusos Weg in den Sängerhimmel darstell-te, zeigte mir ein japanischer Tenor und Gesangsprofessor von der Nagoya Universität, der aufgrund seiner Ausbil-dung in Italien fließend italienisch sprach, zum ersten Mal wie man den Körper korrekt für das Singen einsetzt. Er ließ mich die Gräfin aus Figaro’s Hochzeit singen, eine Rolle, die ich sehr liebte. Bei weitgeöffneten Fenstern strömte eine sommerlich warme Brise in den Raum, als ich aus tiefstem Herzen sang und mein Bestes gab. Nach dem letzten Ton ertönte von der Straße draußen ein kräftiger Applaus und ein Blick aus dem Fenster zeigte uns eine Touristengruppe, die interessiert wissen wollte, wer denn der Nachwuchs-Opernstar sei. Ich war zu Tränen gerührt, da ich mich sonst nur als sängerische Niete erlebt hatte. Das Geheimnis des japanischen Tenors lautete: „Nimm alle Anstrengung aus Deiner Stimme heraus und bringe diese Power in Deinen Körper zur Unterstützung der Stimme!“ Leider fehlten mir die finanziellen Mittel, um in Japan weiter zu studieren, sonst hätte ich das sofort getan.
Daheim, wieder unterwegs als Pilger auf der Straße des Gesanges, mischte Frau Fortuna wieder einmal neu die Karten: das Telefon klingelte eines Nachmittags in meinem Büro und am anderen Ende hörte ich eine junge Männer-stimme. Er war auf der Suche nach einem Pianisten zum Begleiten. “Oh, ich auch!” stimmte ich spontan zu und fragte, wie er den auf mich komme, ich sei auch Sängerin im Hobby. Er hatte eine Internetnotiz falsch verstanden, in der ich einen Begleiter suchte. Ich wunderte mich, wie er mein Bürotelefon herausgefunden haben konnte. Dann hörte ich erstaunt zu, seine Stimmerfahrung war spannend. Er war der Enkel das berühmten Wagnertenors, Hans Hopf, und hatte von seinem Opa wohl das Stimmtalent geerbt. Deswegen trainierte er mit einem pensionierten Tenor. Doch leider besaß Hopf junior keine Noten- und Musik-kenntnisse wie sein Opa. So benötigte er dringend Hilfe. Ich empfahl ihn an einen Freund aus dem Bach-Chor wei-ter, der Orgel und Klavier spielte und sogar selbst kompo-nierte. Nach der ersten Probe rief mich dieser Freund ganz aufgeregt an und beschwor mich, an der nächsten Sit-zung teilzunehmen, da der Lehrer des jungen Hopf eine so fantastische Stimme besaß. Der pensionierte Lehrer ließ Hopf ein paar Zeilen aus Lohengrin wieder und wieder repetieren, bis der junge Mann ganz konfus wurde. Nach dem Unterricht lud er mich ein, auch etwas zu singen. Nach ein paar Zeilen aus einer Mozartarie sah ich an sei-ner Miene, dass meine Töne ihm Bauchschmerzen bereite-ten und brach ab. Er war so ungeniert, mir kundzutun, dass meine Stimme eine dringende Reparatur benötigte, da jeder Ton am falschen Platz sitze. Seine perfekt trainier-te und äußerst leicht bewegliche Stimme faszinierte uns alle und so glaubte ich ihm, dass er wisse, wo es langge-hen sollte, denn er hatte bei Professor Frederick Husler stu-diert, dem berühmten Schweizer Stimmprofessor, der lange das Berliner Konservatorium geleitet hatte.
So kam ich unerwartet zu einem Stimmtraining dreimal wöchentlich für die darauffolgenden zwei Jahre, bei dem mir meine Arien und Lieder sämtlich ausgeredet und ver-boten wurden. Mein neuer Lehrer schwor auf Husler, hatte aufgrund seiner persönlichen Erfahrung einen regelrechten Hass auf deutsche Musikhochschulen, da man ihm an ei-nem renommierten Institut die Stimme kaputtgemacht hat-te, während er bei Husler dann die Reparatur erfuhr. Wa-rum ich nun nichts außer Stimmübungen, Tiergeräuschen, ungewohnten Tönen und ein paar kurzen Sätzen produzie-ren durfte und diese Übungen jeden Abend machen sollte, war mir nach 1,5 Jahren immer noch nicht klar. Ich bat oft um ein kleines Lied oder eine Arie, die mich faszinierten, doch das wurde strikt abgelehnt mit der Begründung, dass ich noch nicht so weit sei mit meiner Stimmtechnik. Offen-sichtlich unterrichtete er nach dem Vorbild der Ge-sangspädagogen der Renaissancezeit, die den jungen Kastraten jahrelang nur das Singen von Vokalisen und Stimmübungen erlaubten. Nun war ich jedoch kein Knabe vor dem Stimmbruch, sondern eine erwachsene Person, die musikalisch völlig verhungerte. Meine Stimmreparatur erwies sich als nicht endendes Debakel. Manchmal brach-te er zu allem Überfluss eine hübsche, junge Blonde mit in die Kirche, von deren Stimme er immer schwärmte. Sie sang jedoch nie etwas außer Pop mit Mikrophon.
Da ich in der Zwischenzeit schon als Solistin in ein paar Bachkantaten in unserer Kirche mitgewirkt hatte, wurde ich allmählich ungeduldig und zweifelte daran, ob wir jemals das Ziel meiner authentischen Stimme erreichen würden: erstaunlich, wie viele Sänger sich als Vocal Coach betäti-gen und Studenten illusorische Hoffnungen machen. Ir-gendwann probierte ich eine Unterrichtsstunde mit einer Lehrerin, die sich im Internet als das Orakel des klassischen Gesanges vorstellte und ein Buch über korrektes Singen geschrieben hatte. Ihr „spiritueller Weg des Singens“ be-stand darin, ihre Schülerinnen laut den Weg des Tones und der Stimme beschreiben zu lassen, bis sie diesen Stimmweg auswendig herbeten konnten. Anscheinend gelangte ein Rabbiner mit ihrer Methode zum Durchbruch und deswe-gen war sie dabei, eine Akademie in Israel zu gründen. Das sogenannte Ei des Caruso, eigentlich ein journalisti-scher Witz, hatte ihr zu Popularität verholfen. Singen konn-te sie keinen Ton mehr, da sie als junges Mädchen ihre Stimme völlig überfordert hatte, doch Marketing schien ihr Talent zu sein.
Mein nächstes Experiment waren Opernvorschulklassen in Zürich, bei denen ich endlich einmal Cherubino im Konzert singen durfte. Trotz der vielen Autostunden, die ich sin-gend hinter dem Steuer gesessen hatte, brachten mir die Lektionen über Körperwahrnehmung und Yoga bei Benita Cantieni in Zürich mehr Fortschritte als der gesamte Ge-sangsunterricht. Auch hatte eine der Gesanglehrerinnen nie die Bühne erreicht und die andere war vorzeitig mit einem Stimmbandfehler und einem Zwerchfellriss von der Bühne abgetreten. Nun wurde mir klar, wie schädlich For-cieren ist. Eine weitere Pilgerfahrt führte nach Schloss Hen-fenfeld, wo ich das Glück hatte, einen der letzten Plätze in einem Sommerferienkurs für junge Profisänger zu ergattern. Dort traf ich auf Anna Reynolds und ihren Mann, Jean Cox, einen alten Herrn, der vor Jahren ein berühmter Sieg-fried gewesen war. Es war eine unvergessliche, inspirieren-de Begegnung.
Ann Reynolds gelang es binnen 10 Minuten die Stimme jungen Sänger so zu verwandeln, dass diese Damen und Herren es vor Erstaunen selber kaum glauben konnten. Sie war bei aller Strenge, nicht nur überaus herzlich, sondern einfach kompetent in Sachen italienischer Vokaltechnik und Körperkoordination. Sie kritisierte niemand, sondern empfand Anteilnahme und spürte intuitiv, wo die betref-fende Stimme hinwollte. So einen Fortschritt wie in den Klassen von Ann Reynolds habe sonst nirgendwo erlebt. Da ich die ganze Woche begeistert mit großen Ohren in allen Stunden saß, nahm ich anschließend noch ein paar Privatstunden, in denen sie mir sagte, ich müsse nur lernen, meine „Stradivari“ auch korrekt zu benutzen. Aus lauter Begeisterung über meinen Fortschritt und das neu gewon-nene Verständnis schrieb ich danach in wenigen Wochen mein erstes Sängerbuch – Sänger ABC- Belcanto, singen kann doch jeder! Ann Reynolds fand das Büchlein mit seiner alfabetischen Einteilung in prägnant definierte Fachbegriffe einleuchtend und ermutigte mich zur Publika-tion.
Nachdem ich so viel Disziplin und Aufwand in meine Stimme investiert hatte, wurde mir klar, dass ich einen Profi zur Erarbeitung eines Repertoires brauchte. Ein pensionier-ter Dirigent und Korrepetitor der Bayerischen Staatsoper wurde mir von einem Pianisten und Dozenten an der Mu-sikhochschule empfohlen. Toni, so wurde er von allen im Opernhaus genannt, war in über 30 Jahren Dienstzeit ein Maskottchen dieses Hauses geworden: alle kannten und mochten ihn. Er hatte viele Weltstars wie Pavarotti, Popp, Bumbry und viele andere am Klavier begleitet und kannte sämtliche ihrer Marotten. Ein zierlicher, fast unscheinbar wirkender Mann mit weißen Haaren erwartete mich am Künstlereingang hinter dem Opernhaus. Er schüttelte nur den Kopf über meine Erfahrung mit Stimmtraining und sag-te sofort, dass jeder Sänger mit den Arien und dem Reper-toire wachsen müsse. Bei jedem Besuch zusammen mit meinem jungen Pianisten, fuhren wir in dem winzigen alten Lift in den ersten Stock, wo wir wie in einem engen Sarg die Luft anhielten. „Wie mag hier wohl der beleibte Pava-rotti in seine Solistengarderobe gekommen sein? fragte ich mich heimlich! Während wir an lauter Requisiten im Flur vorbei zum großen Chorsaal gingen, hatte ich jedes Mal das Gefühl, meinem Gesangshimmel etwas näher zu rü-cken. Dort ließ sich Toni sofort am alten schwarzen Stein-way nieder und fragte ungeduldig, womit wir beginnen. Zunächst fürchtete ich, er würde meine Stimme nicht ein-mal hinter dem Flügel wahrnehmen, doch schnell hatte ich meine Fassung wiedergewonnen. Toni ging immer auf meine Vorschläge für Arien ein, kritisierte wenig die Stimme oder die Auswahl, sondern vor allem die Interpretation. So lockte er mich aus der Reserve. Dazwischen wusste er un-terhaltsame Stories über die Diven am Opernhaus zu er-zählen. Er kannte all ihre Schwächen und vor allem ihre Obsessionen.
So kam ich in kurzer Zeit dazu, Arien von Mozart über Puccini und Bellini, bis hin zu Gounod und Verdi zu studie-ren. So manches Mal, wenn die Kritik des Profis für meine zartbesaitete Seele doch zu heftig gewesen war, waren mir auf dem Heimweg die Tränen gekommen. Als ich „un bel Dì“ aus Mme Butterfly singen wollte, schaute Toni mich völlig entgeistert an und sagte, das sei nicht mein Fach, doch weil ich Laie war und keinem Opernhaus verpflich-tet, durfte ich die Arie trotzdem singen. Ich war stolz, als er beim nächsten Treffen sein Erstaunen über das unerwartete Resultat positiv ausdrückte. „Jeder wächst mit den Aufga-ben!“ dachte ich heimlich bei mir. Nach einigen Monaten waren mein junger Pianist und ich soweit, ein 90 Minuten Konzert mit Solostücken aus Bach’s Wohltemperiertem Klavier und einer Beet-hoven Sonate sowie Lieder und Arien von Bellini und Verdi in einem Münchner Kulturzent-rum aufzuführen. Bis auf einen einzigen Schnitzer lief alles gut über die Bühne. Inmitten der Gilda Arie – caro nome del signor – ließ sich der junge Pianist so vom Lied faszinie-ren, dass er einen Akkord völlig danebengriff. Das hatte bei mir einen totalen Blackout zur Folge und wir mussten die Arie neu beginnen. Der Rest verlief dann ohne Zwi-schenfälle. Hinterher sagte eine Dame aus dem Publikum tatsächlich, sie hätte diese Szene mit der Unterbrechung in der Mitte besonders spannend gefunden! Lachend, dach-te ich bei mir: “Ja, ich auch!“
Wenn jemand selber ein Konzert organisiert und kein Weltstar oder Opernsänger ist, der auf Bühnen, Technik, Orchester, Dirigenten und Korrepetitoren zurückgreifen kann, so kann sich niemand vorstellen, was es bedeutet, ein Konzert vorzubereiten. Ich hatte nicht nur meinen jun-gen Pianisten persönlich auf seine Solostücke und meine Arien vorbereitet, sondern auch die Bühnenkleidung aus-gesucht und beschafft, Beleuchtung und Tonaufnahme mit dem Techniker besprochen, vorab den Vertrag ausge-handelt, dann vor dem Auftritt Blumen gekauft, die Bühne dekoriert, mich selber geschminkt und angekleidet und schließlich die gesamte Moderation für das Konzert durch-geführt, ganz abgesehen davon, dass ich u.a. auch Solis-tin des Abends war.
Erst nach dieser Mammut-Aufgabe begriff ich, dass ich sozusagen „versehentlich“ den Job von 4-5 Personen wahrgenommen hatte und dabei riskierte, vom vielen Sprechen meinen Stimmansatz zu ruinieren. Profisänger pflegen vor dem Konzert selten viel zu sprechen. Doch, auch wenn meine Gesangsstimme nicht in der optimalen Verfassung war, war dieses erste öffentliche Konzert für uns ein Erfolg.
Jahre später, traf ich zufällig in einer Klinik auf einen russi-schen Bariton und Maler, dessen Eltern beide Sänger ge-wesen waren. Er hatte persönlich bei dem berühmten Tita Ruffo in Italien studiert. Seine warme, große Baritonstimme machte mich neugierig auf seinen Unterricht. Vom ersten Moment an wurde mir klar, dass er mehr Künstler als Pä-dagoge war. Wir taten unser Bestes, uns auf Italienisch zu verständigen und ich verstand aus seinen Erklärungen, dass anscheinend mein Tonansatz falsch positioniert sei. Er empfahl mir Aufnahmen von Amelita Galli-Curci und Luisa Tetrazzini als Vorbild für die korrekte Gesangstechnik. We-nige Unterrichtsstunden endeten in beiderseitiger Verzweif-lung: er konnte nicht erklären, was er meinte und ich ver-suchte, intuitiv zu begreifen, doch das Resultat war nach seiner Ansicht konstant falsch. Als er mir Aufnahmen seines letzten Konzertes mit einer britischen Pianistin präsentierte, die er persönlich im Gesang unterwiesen hatte, strich ich sofort seinen Unterricht, denn sowohl seine Interpretationen diverser Arien waren musikalisch unhaltbar und die Pianis-tin hatte keinerlei Stimme für klassische Arien. Nach diesem missglückten Versuch gab ich definitiv alle Lehrer und Ge-sangstrainer auf und damit zunächst auch die Hoffnung, noch in meinem Rom für Gesang jemals anzukommen.
Wenig später begegnete ich Arno Stocker, dem Klavier-flüsterer, dessen Buch und Film ich dann kennenlernte. Er hat den Carusoflügel gebaut und war persönlicher Schüler von Maria Callas. Da er unweit von München am Chiem-see lebt, besuchte ich ihn und seine Frau. Seine Lebensge-schichte ging mir zu Herzen: als spastisch gelähmtes Baby geboren, hatte er nur mühsam und viel zu spät Gehen und Sprechen gelernt. Sein Großvater, dessen Leidenschaft Gesang und Oper waren, ließ ihn alte Aufnahmen von Caruso mit italienischen Liedern anhören und der kleine Arno war so begeistert davon, dass er diese Lieder so oft abspielte, bis er die Lieder singen konnte. Auf diese Weise lernte er als Kind mithilfe einer fremden Sprache korrekt sprechen – ein wahres Wunder.
Begeistert vom Lernerfolg des Enkels, trug der Großvater den Siebenjährigen eines schönen Tages auf dem Rücken bis zum Bühneneingang in Hamburg, wo Maria Callas vor ihrem Konzert Autogramme gab. Arno und sein Großvater überreichten ihr eine rote Rose, die sie zuvor unterwegs im Stadtpark heimlich gepflückt hatten, weil sie sich weder ein Bukett noch die Eintrittskarten leisten konnten. Zu Trä-nen gerührt, nahm Maria Callas die Rose entgegen und fragte, ob sie denn schon Tickets hätten. Sie schüttelten den Kopf, denn das Geld hatte gerade für die Bahnfahrt gereicht. Maria Callas sorgte dafür, dass die beiden Ver-ehrter ihrer Kunst einen Platz im Konzertsaal bekamen. Auch mit Arno wechselte sie ein paar Worte und erkundig-te sich, was er denn einmal werden wollte. „Sänger und Pianist!“ versicherte der Junge.
Von diesem Augenblick an hatte Arno regelmäßig persön-liche Briefe an Maria Callas geschrieben. Mit sechzehn Jahren wollte er trotz aller Hindernisse noch immer Büh-nenkünstler werden und schrieb ihr dies. Daraufhin lud sie ihn ein, ein Studienjahr an der Juilliard School zu verbrin-gen, wo sie gerade unterrichtete. Auch schickte sie ihm kurz darauf das Flugticket und er bekam ein Stipendium. Alles, was er in New York für sein Studium benötigte, war bereits bezahlt. Da Arno als Spastiker mit seiner Geh- und Sehbehinderung kaum jemals auf der Opernbühne hätte auftreten können, entschloss er sich nach diesem Studien-jahr, Klavierbauer zu werden und sammelte in USA und Deutschland Erfahrungen. Er arbeitete u.a. längere Zeit bei Steinway in New York. Die Krönung seiner Musikleiden-schaft und Verehrung für Maria Callas wurde der Caruso-Flügel, den er viel später, erst nach Maria Callas‘ Tod am Chiemsee baute. In diesen Flügel sind die Stimmcharakte-ristiken von Maria Callas und Enrico Caruso eingebaut, sodass das Instrument ideal für die Begleitung von großen Sängerstimmen geeignet ist. Der Besuch am Chiemsee bei Arno Stocker brachte mir interessante Einblicke in Maria Callas‘ Persönlichkeit, ihren Unterricht und ihre Stimme und den Genuss, den Carusoflügel zu erleben.
Meine Stimmforschungen ließen mir auch dann noch keine Ruhe, mein musikwissenschaftlicher Forscherdrang trieb mich dazu, die musikwissenschaftliche und stimmtechni-sche Literatur seit der Renaissance zu erforschen mit allem, was es an Theorien über Stimme und Gesang gab. Nach-dem ich mich in die Stimmen der Diven der Carusozeit Adelina Patti, Luisa Tetrazzini, Amelita Galli-Curci und der Folgegenerationen Rosa Ponselle, Lily Pons, später Joan Sutherland, Mirella Freni, Luciano Pavarotti, Grace Bumbry, Jessye Norman und vieler anderer verliebt hatte, blieb doch der Ansatz von Maria Callas mein bevorzugtes konkretes Vorbild. Nachdem sie nicht mehr Unterricht ge-ben konnte, griff ich auf meine NLP Kenntnisse zurück und studierte minuziös Videos und Tonaufnahmen von ihr so-wie Opernfilme, um ihre Technik zu durchleuchten. Ne-benbei unterrichtete ich seit über 10 Jahren einen Jungen am Klavier, der als Dreijähriger als autistisch diagnostiziert wurde. Durch die Unnahbarkeit dieses Kindes hatte ich mir intensive Beobachtung von Körperreaktionen und emoti-onalen Äußerungen angewöhnt.
Obwohl ich keine Klavierlehrerin war, sondern vom Neuro-lingustistischen Programmieren kam, gelang es mir, den schüchternen Jungen aus der Reserve zu locken, bis er sogar mit Freude mit mir Konzerte gab. Diese Beobach-tungsgabe für Feinheiten kam mir nun zu Hilfe, um bei Ma-ria Callas auf Videos und DVDs Unterricht zu nehmen. Während mein Klavierunterricht immer körperlicher, mus-kelorientierter wurde, begann ich mich selbst zu erziehen und die Tongebung und Körperbewegungen von Maria Callas auszuprobieren, um die Effizienz bestimmter Körper-einstellungen zu testen. Die Trainings wurden aufgenom-men. Das Abhören brachte viele Einsichten und Verände-rungen. Ich konnte nun winzige Muskelhindernisse wahr-nehmen, Kehl- oder Zungenanspannung präzise beobach-ten und auch die Körperstütze nicht nur selber spüren, sondern aus der Tonqualität heraushören. Das Lernen wur-de zu einer spannenden Forscheraufgabe mit viel Disziplin. Nach den zahlreichen Versuchen mit Lehrern, die mir we-der erklären noch begründen konnten, was ich genau machen sollte, half mir meine Beobachtungsgabe. Ir-gendwann wurde ich so fanatisch bei meinem Training in der nächtlichen Kirche, weil der Ton nicht das tat, was ich wollte, dass ich laut in das Kirchenschiff rief: „Maria Callas, ich flehe Dich an, mir jetzt zu sagen, was ich hier falsch mache!“ Müde vom Ausprobieren und keineswegs auf eine Antwort vorbereitet, fuhr ich erschrocken zusammen, als ich Maria Callas in der mir vertrauten Stimme sagen hörte: „Sing mit mehr Vordersitz!“
Schockiert und mit der Befürchtung, ich sei nun völlig übergeschnappt, weil ich schon die Stimme Verstorbener hörte, auch in der Angst, sie könne plötzlich als Geist vor mir erscheinen, packte ich meine Sachen und ging nach Hause. Der Gedanke an Vordersitz ließ mich nicht mehr los; ich probierte es und tatsächlich war es genau die rich-tige Empfehlung.
Von diesem Augenblick an, konzentrierte ich mich auf Beispiele von ihr und begann dazu, die Biographien diver-ser großer Sängerinnen und Sänger zu lesen. Viele hatten Bemerkungen über die Stimmausbildung hinterlassen, die wertvoll waren und mich weiterbrachten. Dazu sah ich Opernfilme, die mir mit Großaufnahmen die Stimmtechnik näherbrachten. Ich war unerbittlich, wenn es darum ging, der Sache auf die Spur zu kommen. Die Literatur, die es seit der Kastratentradition und den ersten Opern Monte-verdies um 1600 gab, lieferte mir nun viele wichtige Ein-sichten. An den Abenden in der Kirche setzte ich all das in die Praxis um und kombinierte es mit meinen Trainings in Hatha Yoga, Alexandertechnik und Cantieni Training. Oh-ne es konkret zu planen, bekam ich immer mehr körperli-che Harmonie, Selbstsicherheit und Bühnenpräsenz. Da ich ein begeisterter Zuschauer von Talentshows bin und mich nicht nur für Opernstimmen interessiere, hörte ich auch Chansonstimmen wie Edith Piaf, Mireille Mathieu und die Gewinner von Talentshows wie Paul Potts, Susan Boyle, den ungewöhnlichen Sopranisten, Greg Pritchard sowie Kinderstars wie Holly Steel und die Stimmwunder, Jackie Evancho und Chung Song Boi, den koreanischen, früh verwaisten Straßenjungen, der autodidaktisch singen ge-lernt hatte. Dabei wurde mir klar, dass das Charisma von Maria Callas in allen Menschen stimmlich zu finden ist, die aus der Seele singen. Da ich das auch tat, stellte ich mir nun selbst ein Stimmtraining für Körper, Atem und Stimme zusammen, das die Funktionen von Zunge, Lippen, Kehle, Kinn und Körper in den optimalen Zustand bringt. Die lan-ge Szene aus La Traviata sang ich wochenlang in der Yo-ga -Position „Pflug“, mit den Beinen nach hinten über dem Kopf liegend. So erfuhr ich die Resonanzräume Brust und Nacken. Selbstbeobachtung und kritisches Abhören der Trainings gaben mir wichtige Erkenntnisse. Mit Adlerauge und Hundeohren nahm ich jede Abweichung wahr und korrigierte meine Stimmfunktion, bis der Körper automa-tisch wie ein Instrument das gewünschte Resultat hervor-brachte. Ich konnte durch diese Selbsterfahrung nun auch bei anderen leicht Stimm-Fehlfunktionen wahrnehmen und verändern.
In Stimmkursen entstand dann die erste Auflage dieses Buches als Manuskript. Als ich auf Fragen von Leserinnen und Lesern mit Emails und Tipps antwortete, die begeistert als erfolgreich bestätigt wurden, erfuhr ich zahlreiche Le-bensgeschichten von gescheiterten Sängerkarrieren und enttäuscht abgebrochenem Studium. Es berührte mich sehr tief, als mir klar wurde, wie oft Stimmen auf dem Weg zur Bühne auf der Strecke bleiben, weil eine korrekte Di-agnose fehlt oder eine gute Beobachtungsgabe, um ein paar „lächerliche Fehler“ zu korrigieren, die nur auf man-gelndem Körpereinsatz und falscher Körperhaltung oder ungünstiger Atmung beruhen.
Die Lektüre der Werke berühmter Gesangslehrer stärkte in mir die Einsicht, dass die italienische Schule schon seit dem 17. Jahrhundert immer wieder die gleichen Funktionen für die Stimme trainiert hat und, dass die Erfolge der Schüler von der Einsicht des Lehrers in die körperlichen Zusam-menhänge abhingen. Es geht in der Hauptsache darum, fehlende Muskelkoordination zu aktivieren und falsche Anspannungen im Bereich von Gesicht, Mund und Kehle aus dem Ton und der Muskulatur herauszubringen. Das Ganze ist eine Frage der Klangökonomie, der Fähigkeit, das Instrument Körper für den Gesang richtig einzustellen. Bei diesem Vorgang hilft es nicht, wenn der Lehrer dem Schüler sagt, was er falsch macht. Er muss zeigen können, wie es anders geht und wissen, wie man eine verspannte Knödelzunge entwirrt und falsch antrainierte Muskelkon-traktionen aus dem Ton herausbringt. Es geht nicht darum, einen Stimmklang von irgendeinem anerkannten Sänger nachzumachen, sondern die eigene charakteristische Stimme von jedem unnützen Ballast zu befreien.
Stimmaufbau ist eine Arbeit in Harmonie mit der Natur des Körpers und der Stimme. Wenn der Zugang zur natürlichen authentischen Stimme fehlt, so sind auch Profi-Opernsänger in Gefahr, ihre Stimmkraft eines Tages einzu-büßen, da man Muskeln nicht auf Dauer ungestraft über-anstrengen kann. Die fehlende Kenntnis der Details der Stimme führt daher in mangelhaftem Gesangsunterricht zu falschen Ergebnissen bei dem Versuch, große Töne mit Absicht zu produzieren. Das geht nicht und ist der Weg in die stimmliche Dekadenz. Auch Rock- und Popsänger machen die gleiche Erfahrung, wenn sie die körperlichen Warnsignale überhören. Eine gesunde Stimme im gesun-den Körper kann nur durch locker entspanntes, fröhliches Training entstehen, wenn die emotionalen Blockaden in der Muskulatur sanft gelöst werden. Jede körperliche Fehl-haltung wie falsches Stehen, falsche Koordination von Gelenken – Hüfte und Schulter – sowie ungünstige Kehl-kopfpositionen führen zu Einwirkungen auf den Stimm-klang. Das ist durch die Alexandertechnik und Rolfing schon lange bewiesen. Die meisten Muskelfixierungen oder Gelenkblockierungen können mit tiefer Atmung und sanf-ten Korrekturen durch Yoga-stellungen sowie die hier auf-geführten Spezialübungen aufgelöst werden. Geduld ist unerlässlich, da vor allem emotional bedingte Körper- und Verhaltensmuster wie ein gebeugter Rücken, vorgeneigte Schultern, Hohlkreuz, angespannte Lippen oder eine feste Zunge, über einen längeren Zeitraum mit sanften Übungen korrigiert werden sollen. Dabei können intensive Emotio-nen auftreten, die man einfach zulassen muss. Wer das Engagement aufbringt, diesen Weg zu gehen, wird sich nicht nur an einer wohlklingenden, kräftigen Stimme er-freuen, sondern sich auch gesünder und selbstbewusster fühlen. Die Motivation zum Durchhalten des Körper- Stimm-Trainings zahlt sich also auf Dauer auf jeden Fall aus. Ich kann nur jeden dazu ermutigen, da ich persönlich das beste Beispiel bin. Ich habe meine abstehenden Schul-terblätter, das Hohlkreuz, mangelnde Dehnung im Hüftge-lenk, fehlende Beckenboden-spannung, konstant ange-spannte Zungen- und Kehlkopfmuskulatur, die gebrochene Stimme und sogar Asymmetrie am Gaumen und schiefe Vorderzähne mit diesen Übungen über einen längeren Zeitraum hin korrigiert. Diese Korrekturen haben mich ge-lehrt, wie biegsam und regenerierfähig der menschliche Körper selbst mit über 40 Jahren ist. Durch diese wertvolle Selbstaufbau-Arbeit fühle ich mich mit über 60 wie 30, bin gesünder als in jüngeren Jahren und kann die Frage, ob man in jedem Alter mit Gesang anfangen kann, mit einem klaren Ja beantworten.
Singen gehört zu den gesunden Sportarten, die in jedem Alter ausgeübt werden können und die Gesundheit durch bessere Atmung, aufrechte Körperhaltung und bessere Muskelfunktionen stärken. Darüber hinaus wirkt jemand, der klar spricht und eine tragende Stimme hat, sich auf-recht und geschmeidig in der Welt bewegt, selbstsicherer und sympathischer auf andere Menschen, was sich sehr positiv auf die Beruf, Karriere und Freundschaften auswirkt. Das hier vorgestellte Stimm- und Körpertraining kann von Menschen in jedem Alter durchgeführt werden. Wer täg-lich 20 Minuten mit Atemvertiefung, Sprechen, Singen und Körperübungen verbringt, tut sich selbst einen Gefallen, der seine Wirkung besonders im fortgeschrittenen Alter entfaltet. Ich kann nur jeden ermutigen, die emotionalen und muskulären Muster zu überwinden, die ihn oder sie von der Nutzung des natürlich vorhandenen Seelenpoten-tials abhalten. Davon abgesehen machen alle Übungen enorm Spaß. Bewusstes Körper- und Stimmtraining ist der Weg zu mehr persönlichem Ausdruck und Erfolg. Viele Seelen haben sich auf diesem Planeten inkarniert, um sich in künstlerischer oder handwerklicher Form anderen mitzu-teilen. Sänger und Sängerinnen drücken besonders viel Lebensfreude aus. Ich wünsche jedem, der zu seinem au-thentischen Seelenpotential unterwegs ist, dass er die Mo-mente ekstatischer Freude erleben möge, die sich nach einigen Wochen Training beim Singen und bei Auftritten einstellen. Mir hat die aktive Beschäftigung mit Belcanto nicht nur große Einsichten über die Geschichte und die Praxis beschert, sondern vor allem beigebracht, dass die menschliche Stimme als Körperorgan weder ein wirkliches Geschlecht hat und auch nicht altert oder verfällt, solange der Körper in gesunder Muskelfunktion und Training bleibt.
Ich habe erstaunliche Sopranistinnen mit über 90 Jahren Arien singen hören, die sich wie 40jährige anhörten und junge Mädchen von 14, die wie eine Operndiva klangen. Ich habe junge Männer gehört, die Sopranarien im Origi-nalton sangen und Männerstimmen, die weiblich klingen, während es Frauen gibt, die eine tiefe Altstimme haben oder am Telefon mit Männern verwechselt werden. Die Natur ist vielfältig. Belcanto hat in den letzten 400 Jahren seit seiner Entdeckung in der Renaissance durch die Kast-ratensänger an der päpstlichen Kapelle nie seine Faszina-tion verloren und sich weltweit durch die Oper ausgebrei-tet. Die Tradition des antiken Dramas wird so fortgesetzt. Die Vorliebe für trompetenähnliche, metallische Stimmen mit großer Resonanz scheint aus dem Reich der antiken Götter herzurühren, denn die Koloraturen und Verzierun-gen wurden oft den Engeln zugeschrieben. Seit der Zeit, als Frauenstimmen den Kastraten und ihrer Stimmakrobatik den Rang abliefen, scheinen sich die virtuosen Fähigkeiten noch erweitert zu haben. Es scheint eine angeborene Ei-genschaft unseres menschlichen Seelenengels zu sein, auf dem Weg zurück in den Himmel, mit seiner ausdrucksvol-len Kunst stets neue Höhen zu erklimmen und alle körperli-chen Grenzen zu sprengen.
Die Vibration und Tonerzeugung im Kehlkopf selbst hat den geringsten Anteil an der eigentlichen Tonproduktion, da die Resonanz für den Ton im Raum durch die Schwin-gungen in den Nebenhöhlen, dem kleinen Raum unter der Zunge, der Kinn-Kuhle und in den Hohlräumen hinter dem Brustbein und im Nacken gebildet wird. Die Zunge ist nur für die Aussprache von Buchstaben und die Vokalbildung zuständig. Im Inneren des Kehlkopfes spielt vor allem der Ansatzdruck der Stimmlippen eine große Rolle. Die Steue-rung erfolgt nicht wie früher angenommen durch die Luft-zufuhr allein, sondern durch Nervenimpulse.
Der Stimmapparat insgesamt mit den Bezeichnungen
Die Abbildung ist dem öffentlichen Phonetik-Kurs der Uni Bremen entnommen: hier der Internet-Link
http://www.fb10.unibremen.de/khwagner/phonetik/kapitel4.aspx
Die nächste Abbildung zeigt die Kehle von außen, einmal von allen Seiten. Der Adamsapfel vorn wird durch den harten Schildknorpel - hier blautürkis gefärbt - gegen ge-walttätige Angriffe von außen geschützt, da die Kehle ein sehr empfindlicher Teil des Menschen ist. Die Stellknorpel,
die die Stimmbandspannung und –öffnung regulieren sieht man in der seitlichen Darstellung, während von hinten der Kehldeckel sichtbar ist, der beim Atmen und schlucken die Kehle schließt, damit keine Gegenstände in die Lunge ein-dringen. Die nachfolgenden kleinen Zeichnungen ent-stammen einem Poster über den Kehlkopf und zeigen, einzeln herauspräpariert, die Funktionen Tonerzeugung Einatmen im Inneren des Kehlkopfes. Der innere Teil liegt genau in der Mitte des Halses zwischen dem Schildknorpel vorn und der Nackenwirbelsäule hinten. Hier sieht man gut die beweglichen Knochen, die „Stellknorpel“, die die Stimmbänder öffnen und schließen. Ihre Funktion ist leicht zu verstehen, denn, sobald die Stimmbänder in die Länge gedehnt werden, wird der Ton höhere Muskelspannung höher, werden sie entspannt und verkürzt, so klingt der Ton entsprechend tiefer.
Patrick W. Tank, Anatomical Chart Company 2000
Bei aller Bewunderung für die Anatomie der Kehle, kann diese trotzdem nicht die künstlerischen Nuancen des Stimmausdruckes großer Bühnenkünstler erklären. Selbst die dreidimensionale Funktion der Stimmbänder gibt nach Frederick Huslers Beobachtung nicht ausreichend Erklä-rung dafür, dass die Glottis auch ohne Luftstrom bewegt werden kann. Husler beobachtete, dass anscheinend Ner-venimpulse, die der Singende beim Singen durch seine Absicht und die Emotionen erzeugt, einen großen Teil der Funktionen des Kehlkopfes stimulieren und dadurch die große Opernstimme ausmachen. Das gibt jedem werden-den Sänger große Hoffnung, denn, selbst wenn die Natur dem Sänger ein großes Stimmtalent mit kräftiger Stimme mitgegeben hat, so müssen bestimmte Funktionen wie der Glottis-Schluss durch Training bewusst gemacht und ge-steuert werden. Emotionen können den Stimmklang ent-sprechend heller oder dunkler färben. Auch das entfaltet sich mit zunehmender Bewusstwerdung der Kehlfunktion intensiver. Die Stimmfalten und die kleinen Taschenfalten wirken mit dem Atemdruck so untrennbar zusammen, dass erst aus dieser Teamfunktion ein einzigartiger individueller Stimmklang entsteht, der von Person zu Person einzigartig und unverkennbar ist. Die Muskelfasern können sich dabei wie Handtücher zusammenwringen und so eine dreidi-mensionale Bewegung ausüben, die mit dem Dehnen oder Verkürzen der Stimmbänder allein gar nicht möglich wäre. Auch kommt es bei jedem Ton darauf an, ob die Ränder oder der innere Teil der Stimmlippen mitschwingen, so entsteht die klingende Masse und ein Klangvolumen. Durch die koordinierte Atmungsfunktion mit aufgespann-tem Zwerchfell, Beckenbodenstütze und Schambeinmus-kel-Verbindung entsteht bei entspannter Kehle und locker fallendem Kinn das sogenannte Einheitsregister. Der trai-nierten Opernsänger kann es schließlich bis über 3 Okta-ven singen. Die Töne klingen dann gleichmäßig rund und voll über den gesamten Stimmumfang, während bei Laien immer ein Stimmübergang vom Sprechregister zur Sing-stimme zu hören ist.
allem in Beziehungen, da nichts Konstruktives dabei her-auskommt.
Verzweiflung, in einer Arie ausgedrückt
Für Sinusitis Kranke ist das Singen dieser Vokale in kleinen Skalen im Wechsel eine gesunde Sache, denn dabei wird das ganze Gesicht massiert
Beim E ist es hilfreich, die beiden Seiten der Zunge ein we-nig zwischen die Backenzähne einzuklemmen, damit die Zunge in der Mitte flachliegt. Beim U und O soll der Mund eine leicht runde Form zeigen, doch braucht man die Vo-kalform nicht eigens mit den Lippen zu erzeugen, das ist eher störend. Entspannte, leicht aufgeblähte Lippen und eine flache Zunge sind besser.
Bei Vokalisen singt man häufig zwei gegensätzliche Voka-le wie A und I oder U und I oder A und E im Wechsel auf Quintskalen oder Tonleitern. Das diese Vokalwechsel in allen italienischen Worten vorkommen, kann man natür-lich genauso gut die altitalienischen Arien verwenden. Für den Vordersitz kombiniert man die Vokale mit M davor und konzentriert sich auf die Mitte zwischen Augen und den Ohren dort wo in der Mitte des Kopfes auch der wei-che Gaumen beginnt.
Die Lippen können den Ton dunkler oder heller einfärben, auch die Rachenform kann bei beweglichem Kiefergelenk verändert werden. Diese Feinheiten ergeben sich später bei der Bearbeitung der Arien mit den Emotionen automa-tisch. Es ist hilfreich für viele, deren Oberlippe zu schlaff hängt, diese Oberlippe wie einen kleinen Bogen oder eine Schnute zu spannen, bis man die Dehnung um die Augen herum und innen am Gaumen hinter den Zähnen spürt. So weiß man auch, dass der weiche Gaumen und der Na-senzugriff auf den Ton mit aktiviert ist. Außerdem ist das die beste Art ein natürliches Facelifting zu betreiben. Es hält das Gesicht faltenfrei.
Vibrato, Tremolo oder Wackelpeter
Wenn die Zunge und die Kehle ganz entspannt sind und mühelos die Töne erzeugen, stellt sich ein natürliches Schwingen im Kehlkopf selbst ein, das eine Art kleines Vib-rato produziert. Diese Eigenschwingung der Kehle wird vom Sänger als sehr angenehm empfunden und unter-streicht die silbrigen Obertöne. Auch bilden sich so die Sängerformanten der Stimme besser aus. Diese Eigen-schwingung ist individuell verschieden, manche Menschen haben ein sehr schnelles Vibrieren, manche eine langsa-mer Schwingung. Damit diese Eigenvibration ungehindert auftreten kann, muss die Zunge bis in die Zungenwurzel entspannt flachliegen. Ist das nicht der Fall, wirkt der Ton gerade und stumpf.
Leider gehen viele Gesangsstudenten zu früh an die Bühne und beginnen mit Auftritten, bevor der Körper wirklich alle Anspannungen losgelassen hat. Dann versuchen viele, diese Eigenschwingung durch eine bewusst erzeugte Vib-ration nachzumachen. Das geht leider nicht und das Pub-likum lässt sich nur schwer täuschen. Die gesunde Stimme wird als authentisch und klangschön empfunden, alles andere wirkt maskenhaft und künstlich. Aus diesem Grund werden Opern von manchem Menschen abgelehnt, weil es zu viele Opernsänger gibt, die künstlich singen. Das Kinnwackeln oder Zungenvibrieren führt zu einer Anstren-gung und Muskelsteife, die sich später sehr ungünstig auf die Stimme auswirkt. Der Kehlkopf wird falsch belastet und der Stimmbandschluss kann darunter leiden. Das Ergebnis ist die Wackelpeter-Stimme, die bei älteren Diven oft zum Ende der Karriere führt. Jedes Tremolo muss daher sofort von Anfang an ausgemerzt und sorgfältig in gesunde Funktionen umgewandelt werden.
Übungen dazu sind das Korkensprechen, das Singen mit dem Schlüsselanhänger aus Gummi oder dem Radier-gummi und dem Fingernagelbeißer. Der Motorradbrum-mer kann auch helfen, das lästige Tremolo kurzfristig abzu-stellen. Meistens ist der Beckenboden bei diesen Gesangs-studenten nicht aktiv genug. Tremolo kann vom Stimmex-perten innerhalb von einigen Wochen wegtrainiert wer-den. Allerdings muss die individuelle Anleitung genau be-folgt werden, da es immer andere Gründe hat.
Der Kehlkopf hängt wie eine Schaukel im Zentrum des Hal-ses and fünf Seilen oder Muskelbändern, die sich in vier Richtungen bewegen können, vorwärts, rückwärts, seit-wärts und auf und ab. Fast jeder Muskel hat einen direkten Antagonisten. Hier sind die medizinischen Namen und die Aufgabe skizziert, wie es dann in der Zeichnung aus Huslers Buch zu sehen ist. (vgl. S. 50)
a) Musculus thyreo-hyoideus: er hält die Kehle auf-recht.
b) M. palato-laryngeus zieht den Gaumen zusammen
c) M. stylo-pharyngeus hält den Schlund offen und weitet den Rachen
d) M. sterno-thyreoideus holds the voice box in downward position
e) M. cricopharyngeus bewegt die Kehle nach unten und rückwärts zum Rachen hin.
Es gibt zwei weitere Muskeln, die hinten befestigt sind, zwi-schen dem Zungenbein und der Schulter, sowie deren Zwil-lingsbruder zwischen dem Zungenbein und dem Brustbein. Der rechte heißt M. omo-hyoideus und der linke M. sterno-hyoideus. Diese Muskeln bewirken, dass der Kehlkopf zwi-schen der Vorderseite und der Rückseite des Halses zentriert bleibt in entspannter Position, leicht nach hinten geneigt. Er betont, dass dies für die hohen Töne enorm wichtig ist, doch ich glaube, dass die Zentrierung auch für die Kombination von Höhe und Tiefe sehr wichtig ist, vor allem für das sogenannte Einheitsregister. Diese Muskel-bänder wirken alle elastisch zusammen und sorgen dafür, dass der Kehlkopf, zentriert im Hals frei schwingt.
So wird verständlich, warum jeder Singende darauf ach-ten muss, dass die Kehle immer zentriert bleibt. Durch die Beibehaltung der Mitte können die Resonanzräume der Nebenhöhlen, im Rachen, am Gaumen und im Nacken, sowie unter dem Kinn und hinter dem Brustbein bis hin zum Nabel beim Singen über den gesamten Tonumfang gleichmäßig in Anspruch genommen werden. Deswegen ist die Körperhaltung bei Opernauftritten so wichtig für den Stimmansatz. Durch den hohen Tonansatz in Kombination mit dem locker hängenden Kehlkopf und der entspannt liegenden Zunge, werden die Stimmbänder sanft mobili-siert und das falsche Anheben der Kehle mit dem Musculus thyreo-hyoideus mit gleichzeitigem Verschließen der Nase wird verhindert, den so entsteht der Stimmfehler der wei-ßen Stimme, die bei vielen Sopranen, besonders im Chor verbreitet ist und keinen Körper hat. Fehlende Brustreso-nanz und eine körperlose Stimme sind die Folge davon. Wenn die Stimmbänder vom Brustbein aus angesprochen werden, schließen sie korrekt, die Kehle bleibt in der tiefen entspannten Position durch den Musculus Sterno-hyoideus. So kann sich die volle Brustresonanz für den gesamten Stimmumfang entwickeln. Diese Technik ist Voraussetzung, um ein Opernhaus mit der Stimme ohne Mikrofon zu füllen. Sobald die Stimmritze durch die Stimmbänder fester schließt, verstärkt sich der Klang und die Lippen desMun-des ziehen sich unwillkürlich auch in die Breite, da Muskeln im Team arbeiten und sich gegenseitig unterstützen. Diese lächelnde Oberlippe oder der Schmollmund sind oft bei Kleinkindern zu sehen, wenn sie an der Mutterbrust saugen.
Lilli Lehmann nennt diese Lippenform die eiserne Oberlippe der Sängerinnen, da so der Stimmansatz oben hinter den oberen Zähnen gehalten wird. Die Schnute ist zum Training für viele Studenten geeignet, deren Oberlippe zu sehr an-gespannt ist, muss jedoch später einer natürlichen, nicht aktivierten Lippenform weichen, die dem Belcanto-Ideal entspricht. Viele Singende neigen dazu, den Gaumen und die Nase innen mit der Lippe zusammen zu aktivieren, was unnötig ist.
Die natürliche entspannte Lippenform ist gut Mirella Freni zu sehen. Auf einer Jugendaufnah, me singt sie aus Ver-di’s Falstaff – sul fil d’un soffio etesio. Freni behält die Mundform fast konstant mit lockeren Lippen und leicht geöffnetem Mund bei. Sie versucht nicht, die Vokale mit den Lippen zu formen, sondern erlaubt der Zunge, dies zu übernehmen. Das ist traditionelle italienische Technik wie Freni und Pavarotti sie in ihrer Kindheit in Modena vermut-lich beide bei Arrigo Pola gelernt haben.
So ist die Tonbildung korrekt. Der Tonansatz wird von der Nasenwurzel her in die Vorstellung genommen, dann akti-viert er die inneren Teile der Stimmbänder und bringt die Stimmfalten dazu sich zu dehnen. Das ist notwendig um unhörbare Übergänge zwischen den Tönen zu schaffen. Die Randschwingung lässt sich gut durch den Punkt unter der Nase bzw. hinter den oberen Zähnen aktivieren, indem man seine Konzentration darauf richtet. Dann reagiert auch die Oberlippe entsprechend mit.
Belcanto – von der Theorie zur Praxis
Nach vielen theoretischen Erklärungen und Definitionen aus der WIssenschaft des Belcanto in der Musik-geschichte, kommen wir jetzt zu einigen typischen Fragen, die in der Praxis immer wieder auftauchen. Leider haben die Profes-soren an den Universitäten oft nicht die Zeit, im Unterricht auf wiederkehrende Fragen zur Stimme einzugehen, da sie das Repertoire unterrichten müssen. Oft fehlt ihnen auch das Verständnis, wenn sie selber nicht die gleichen Prob-leme hatten. Aus persönlicher Praxis will ich hier auf die wichtigsten und häufigsten Fragen eingehen. Einige gute Tipps können so manchem Stimmanfänger eine Menge Zeit und Geld ersparen. Ich habe so viel „Lehrgeld“ für meine Ausbildung bezahlt, dass ich mir vornahm, anderen durch meine Bücher und meinen Unterricht viel Zeit und Geld einsparen zu helfen.
Meisterklassen - Katalysator für Karriere oder Fol-terinstrument?
Nachdem ich mehrfach Meisterklassen für junge Sänger besuchte, fiel mir auf, dass die unüberlegte Teilnahme manchmal mehr Schaden anrichten kann als sie Vorteile hat. Natürlich ist es positiv, andere Sänger/innen kennen-zulernen und sich auszutauschen und auch andere Lehrer zu erleben, doch solange die eigene Stimme noch in der Aufbauphase ist, sollte man sehr vorsichtig mit Experimen-ten sein. Ich habe oft miterlebt, wie noch unentwickelte Stimmen dramatisch herausgefordert wurden und ein Re-pertoire gesungen wurde, das die Stimme überfordert hat. Es war für die Studenten zwar ein aufregender Versuch, doch letzten Endes blieb der wahre Lerneffekt auf der Strecke.
Mein Rat besteht darin, sich erst an die Teilnahme von Wettbewerben oder Meisterklassen zu wagen, wenn man sich seiner Stimmtechnik sicher ist. Auch sollte man die Betreuung durch einen guten Stimmtrainer nicht unbedingt verlassen, sondern mit ihm die Experimente abstimmen und auch die Unzufriedenheit, wenn der Unterricht nicht so läuft wie gewünscht ansprechen. Oft lohnt es sich eher einen anderen Stimmtrainer für eine Probestunde aufzusu-chen und sich eine weitere Meinung einzuholen, als an Auftritten vorzeitig teilzunehmen. Das sehe ich ähnlich wie bei Krankheiten und Ärzten. Nur wenn Meisterklassen von ausgezeichneten Stimmkennern geführt werden und Stimmverbesserungen konkret gezeigt und Problemlösun-gen zusammen mit dem Meister erarbeitet werden, sind diese wirklich sinnvoll. Dann profitiert wirklich jeder von der Teilnahme. Leider habe ich zu oft erlebt, dass Halbwis-sen verbreitet wird. Gute Stimmlehrer sind dazu fast so sel-ten wie Diamanten unter den Edelsteinen. Stattdessen kann man sich wunderbar im Internet Hilfe holen und dort Meisterklassen von guten Sängern mitverfolgen auf youtu-be. Joyce DIDonato ist dort vertreten, Pavarotti’s vergan-gene Meisterklassen sind zu finden und auch Joan Suther-land, Maria Callas und viele andere Unterrichtsmitschnitte findet man dort. Für Anfänger im Gesang lohnt es sich, ein wenig in die Youtube- Videos des Kanadiers Eric Ar-ceneaux hineinzuschauen, denn er gibt sehr gute Anlei-tungen mit Anfängerübungen, die man einfach mitma-chen kann. Auch Kathrin Sadolin ist mit ihrem Programm für modernen Gesang vertreten. Durch den Vergleich sol-cher Rubriken bekommt jeder Singfreudige einen Eindruck, was es alles gibt und lernt für die Wahl eines guten Ge-sanglehrers, worauf geachtet werden sollte.
Stimmfächer und Dramatische Stimmwechsel
Kürzlich las ich in Cornelius L. Reid’s Buch über Belcanto Prinzipien und Praxis, dass er der Ansicht ist, dass die meis-ten Mezzosoprane und Baritonstimmen falsch positioniert sind. Das hat mich nicht erstaunt, denn ich persönlich ha-be mich nie in ein Stimmfach pressen lassen. Ich habe bei jeder Gruppenveranstaltung immer wieder die Frage ge-hört – bin ich Mezzo oder Sopran? Bin ich Tenor oder Bari-ton? Dazu kann ich nur sagen, das muss sich in der Ge-sangsausbildung allmählich herausstellen, was der eige-nen Stimme und dem persönlichen Charakter am meisten entspricht. Niemand kann behaupten, dass ein Stimmfach nur von der Stimmveranlagung abhöngt, dann gäbe es keine Sänger, die Sopranisten sind wie Christofellis oder Greg Pritchard, der von der Sprechstimme her ein Bariton ist, jedoch auch Sopranlage wie ein Kastrat singt. Dann wäre auch ein Tenor immer ziemlich klein und untersetzt und ein Bass jeweils groß und breit. Auch diese Verallge-meinerung stimmt einfach nicht. Das Stimmfach entwickelt sich im Lauf der Ausbildung durch die persönlichen Vorlie-ben für bestimmte Rollen. Ich wurde am Anfang als Mezzo eingeschätzt und empfinde mich als Koloratursopran. Die berühmte Christa Ludwig begann unter der Anleitung ihrer Mutter zu singen und war zunächst Sopran. Später wech-selte sie ins das Mezzofach über und heute ist sie eine un-gewöhnliche Altstimme, was eigentlich selten vorkommt.
Die Stimmklassifizierung in Sopran, Soubrette, dramati-schen Sopran, Spinto, Mezzo, Tenor, Heldentenor, Bariton, Bassbariton und Bass ist wenig hilfreich für Sänger und Sängerinnen in der Ausbildung. Jede Stimme ist individuell und hat einen ganz eigenen Stimmklang. Selbst die Callas hat sich nach dem Start als dramatischer Sopran in das Koloraturfach entwickelt und war dort zuhause, obwohl sie auch dann noch die Carmen gesungen hat oder Isol-des Liebestod. Am Anfang würde ich mich niemals auf ein Fach festlegen und ruhig nach Geschmack einmal Arien aus einem anderen Fach singen. Mit der Zeit wird sich oh-nehin eine Vorliebe für bestimmte Rollen entwickeln. Mo-zart’s Opern sind ein besonders gutes Beispiel dafür, dass Mozart überhaupt nicht an Stimmfächer glaubt. Er schreibt grundsätzlich für einen Sopran mit besonders großem Um-fang wie z. B. Aloisia Weber, deren Stimmumfang wirklich ungewöhnlich war. Das beste Beispiel ist die Konstanze aus der Entführung aus dem Serail, die in der Höhe viele Koloraturen hat, jedoch auch in der Tiefe fast bis in die Altlage herunterreicht. Eigentlich hat Mozart seine Rollen für bestimmte Sängerinnen, nicht für Stimmfächer konzi-piert, was früher auch bei Rossini, Donizetti und Bellini durchaus üblich war. Auch Verdi hatte seine Lieblingssän-gerinnen und hat deren Stimmfacetten berücksichtigt. Die Fachwahl ist also keine solche Festlegung wie das allge-mein an Hochschulen dargestellt wird. Auch in der Ba-rockmusik spielt die Stimmlage nicht so eine große Rolle, da ein heller Klang bevorzugt wird.
Selbst Bizet schrieb seine Carmen-Oper für eine Sopran-stimme und trotzdem wird diese Rolle heute immer von Mezzos mit viel zu dunklem Timbre gesungen. Die ideale Carmen ist für mich Grace Bumbry, mit der Karajan den wunderschönen Opernfilm in den 70er Jahren gemacht hat. Sie ist eine interessante Ausnahmeerscheinung in be-zug auf das Stimmfach. Deswegen lohnt es sich, ihre Ge-schichte hier mitzuteilen. Grace Bumbry hat als Mezzosop-ran eine großartige Karriere gemacht. Sie wurde von Lilli Lehmann ausgebildet.
Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere empfand sie, dass ihre Stimme eigentlich Sopranrollen singen sollte und besprach das auch mit ihrer Lehrerin. Beide gewannen die Überzeu-gung, dass ein Fachwechsel einfach ausprobiert werden sollte. Der Ehemann von Grace Bumbry befürchtete, dass sie damit ihre Karriere ruinieren würde und bekämpfte die-se Idee nach Kräften. Sie trennte sich schließlich von ihm und folgte dem Ruf ihrer Seele. Ihre zweite Karriere als Sop-ran gab ihr völlig Recht. Hier kann ich nur auf Cornelius Reid’s Bemerkung verweisen, dass die meisten Mezzo und Baritonstimmen falsch positioniert sind. Es scheint von Na-tur aus so zu sein, dass tiefe Frauenstimmen seltener als hohe vorkommen und der Bariton eine Art unentdeckter tiefer Tenor oder hoher Bass ist.
Kürzlich lernte ich einen Hobbysänger kennen, der ein jüdi-scher Kantor ist und jahrelang als Bassbariton seine Kir-chenmusik gesungen hat. Als ich seine Heldentenor-Arien hörte, war ich begeistert von der brillianten Höhe und dem Vordersitz. Daraufhin spielte er mir eine alte Aufnahme von vor 5 Jahren mit seiner Bassbariton – Stimme vor. Ich war völlig schockiert. Auch Dimitrij Hvorostovski berichtete von einem seiner russischen Professoren, dass er mit über 70 Jahren plötzlich vom Bariton in die Tenorlage übergegan-gen sei und infolgedessen aus Begeisterung jeden seiner Schüler auch zum Tenor gemacht habe. Das ist kein Einzel-fall. Im persönlichen Training ist mir aufgefallen, dass die Stimmbänder wie bei Ivan Rebroff zu umfangreichen Tö-nen sowohl in der Höhe als auch in der Tiefe fähig sind. Es erfordert wirklich eine Introspektion in die eigene Seele, um herauszufinden, was man letzten Endes wirklich ist. Hvoro-stovskij hat sich jedenfalls als junger Student trotzdem nicht von seiner Baritonstimme abbringen lassen und das halte ich für absolut überzeugend. Auch Waltraud Meier hat sich vom leichteren Sopran zum dramatischen entwickelt, obwohl ich persönlich das für ihre Stimme nicht so über-zeugend finde. Ich denke, dass es eher aus ihrem Tempe-rament und dem Hang zu dramatischen Rollen kommt. Viele Stimmen haben Stimmfehler, die sie trotz langer Aus-bildung nie überwinden, weil sie niemand darauf hinweist. So nehmen sie ihre kleinen Anspannungen in die Karriere mit.
Cecilia Bartoli zum Beispiel hat ein relativ dunkles Mezzo-Timbre, das manchmal künstlich abgedunkelt wirkt und nicht wirklich ihrer Stimm-Natur entspricht. Wenn sie ihre barocken Arien mit überladenen, rasend schnellen Kolora-turen singt, fällt ein ausgeprägtes meckerndes Vibrato auf, das auf eine falsche Anspannung der Zungenwurzel zu-rückgeht. So beeindruckend ihre Koloratur-Kaskaden sein mögen, für Stimmkenner ist dieses Ziegengemecker wirklich störend. Würde sie diesen Makel auf Dauer überwinden, wäre sie vermutlich eher ein richtiger Sopran und hätte noch mehr Potential für weitere Rollen. Trotzdem ist sie natürlich auch jetzt auf der Bühne eine zauberhafte Künst-lerin mit wunderbarem Stimmpotential und schauspieleri-schem Talent.
Keine Stimme lässt sich in eine Schablone pressen. Das Stimmfach ergibt sich mit der Zeit und der persönlichen Entwicklung von selbst. Als Anfänger sollte man sich auf keinen Fall beschränken oder sich hindern lassen, „fal-sche“ Rollen zu singen. Auch die Aussage, dass man sich durch dramatische Rollen übernimmt, ist nur teilweise kor-rekt, denn, wer die Stimme gesund in Aktion bringt, kann sich nicht überanstrengen. Die Anstrengung bei dramati-schen Rollen beruht eher auf der emotional-körperlichen Herausforderung.
Tägliche Stimmpraxis - ein paar Tipps und Grundregeln
Es gibt drei wichtige Regeln, die beim Training der Ge-sangsstimme zu beachten sind.
1. Entspanne den Körper für 10 Minuten
Jedes Stimmtraining sollte mit 10 Minuten Körper-entspannung und Stretching beginnen. Alle Übungen aus dem ersten Teil dieses Buches sind gut für den Einstieg in das Stimmtraining. Wer viel bei seiner Arbeit sitzt, sollte sich ein paar Minuten entweder zu Bauchtanzmusik oder ande-ren Klängen intensiv bewegen und dabei, den Rücken und die Gliedmaßen lockern. Danach können Übungen im Liegen folgen wie der Nabellift und die Kerze, der Pflug oder auch Schaukelübungen auf dem Rücken. Sobald man sich locker fühlt, kann man noch ein wenig im Liegen Töne produzieren und dann im Stehen weitertrainieren.
Wer eine Unsicherheit der Stimme hat oder eine falsche Funktion ändern möchte, tut gut daran, sich für einige Wochen im Liegen mit aufgestellten Füßen und leicht an-gezogenen Knien durch seine Stimmübungen zu bewe-gen. Diese Lage hilft, die Zunge und den Kiefer am besten zu entspannen und neue Muskeleinstellungen zu finden. Danach kann auch der Hocksitz genutzt werden, wenn man nicht einen starken Senkfuß hat. Beim Stehen ist es wichtig, zu lernen, nicht die Knie durchzudrücken, sondern weich zu stehen, die Gelenke zu entlasten und den Kopf so über dem Körper zu balancieren, dass er kein spürbares Gewicht aufweist. Es muss sich so anfühlen, als ob der Kopf über dem Körper schweben würde. Dann ist es rich-tig. Auch sollten die Schultern und der Nacken gut ent-spannt sein. Das Hohlkreuz ist mit dem Nabellift einzurollen, sodaß der Rücken möglichst lang und gerade ist, wie wir es von den Affen her kennen.
2. Verlängerung der Ausatmung für 5 Minuten
Nimm Dir im Liegen die Zeit, den Atem zu vertiefen und die volle Yogaatmung oder die Chi Fu Übung für einige Minu-ten zu machen. Wer mit Atemnot oder Verengung der Bronchien zu tun hat, sollte sich mehrfach täglich auf die Buteyko Atmung konzentrieren. Sie führt zur Befreiung der Nase und zum Abschwellen der Schleimhäute. Das ist Vo-raussetzung dafür, dass die sängerische schnelle Nasen-atmung funktioniert. Die CHI FU Atmung kann man unbe-merkt immer tagsüber während der Wartezeiten, in öffent-lichen Verkehrsmitteln oder in den Pausen machen. Eine weitere Atemübung hilft die hinteren Lungenflügel zu akti-vieren. Man senkt im Sitzen den Oberkörper auf die Ober-schenkel und lässt den Kopf bequem zwischen den Knien herunterhängen. IN dieser entspannten Position atmet man tief in den unteren Rücken hinein. Diese Atmung wird die Sauerstoffaufnahme vermehren und eine Erholung sein. Danach geht das Singen viel leichter.
3. Vom Text zur Arie
Der Text einer Arie ist am leichtesten durch lautes Sprechen des Textes bzw. Deklamieren auf Tönen zu erlernen. Beim Sprechen wird auch der Teil des Gehirns aktiviert, in dem sich das Sprachgedächtnis befindet. Es lohnt sich, in der normalen Lage der Sprechstimme oder noch etwas tiefer die Korkenübung oder die Übung mit der Fingerkuppe zwischen den Zähnen mit dem Sprechen zu kombinieren. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: das Texttrai-ning und die Kiefer- und Zungenlockerung. Sobald die Sprechübung klappt, geht man zur theatralischen Dekla-mation über und bearbeitet die Arie in der richtigen Melo-die, jedoch etwas tiefer als im Original und dann erst in der höheren Lage. Sollte man im Passaggio Bereich An-spannung empfinden, trainiert man das Gleiche etwas darüber und dann etwas darunter. So gleicht man den Übergang mühelos aus. Sobald der Text dann bearbeitet ist, kann man auch die Melodie auf den Motorradbrum-mer üben, um die Resonanzräume anzusprechen und die Lippen zu lockern. Nach Meister Lamperti startet jeder Ton von der Idee des Ansummens mit geschlossenen Lippen aus und endet auch wieder so. Halte beim Sprechen die Lippen leicht geschürzt wie eine kleine Schnute nach vor-ne und plustere sie ein wenig auf. Das entspannt die Partie um den Mund herum. Bleib immer mit dem Tonansatz auf dem Nasenbalkon oder noch höher, lautet die Grundre-gel.
Stimmtraining zur Änderung alter Stimmfehler -
15 Minuten täglich
Wer bei sich eine Tendenz beobachtet, beim Singen oder bei Chorproben heiser zu werden oder die Stimme zu ver-lieren, kann sicher sein, dass alte Stimmprägungen hier am Werke sind. Da das Sprechen im ersten Lebensjahr vorbe-reitet wird, ist sich natürlich niemand dessen bewusst, wie viele verkrampfte Muskelreaktionen wir von den Eltern und Vorbildern übernehmen. Dazu kommt, dass Stress und Sorgen sich auch körperlich auf die Muskeln und deren Verhalten auswirken, ohne dass man das bewusst regis-triert. Sollte sich Anspannung und Heiserkeit einstellen, ist es höchste Zeit, etwas zu unternehmen, um den Alltag locke-rer zu gestalten. Es nützt nichts, etwas um jeden Preis zu wollen, beim Singen funktioniert das nie. Es ist wichtig, das Korrekte oder Richtige durch tiefe Entspannung zuzulassen. Meditation, Gedankenstille, Selbstbeobachtung und be-wusstes Hineinspüren in die Verspannungen ist besonders hilfreich für alle, die auf Bühnen sprechen, singen und agieren wollen.Als Sänger kann man sich kurz auf den Boden ausstrecken, die Wirbelsäule dehnen und die CHI FU Tiefatmung aus dem Atemübungs-Teil dieses Buches machen. Oft hilft es auch, ein anderes Stück zu singen, damit sich die Muskulatur aus der Fixierung befreit. Häufig stößt man durch intensives Trainieren auf unterbewusste Muskelfixierungen in der Zunge, im Kiefer oder in der Kehle. Dahinter verstecken sich blockierte Gefühle, die natürlich ihren Kummer nicht freiwillig entladen möchten. Blockierte Emotionen können nicht nur Verkrampfung auslösen, son-dern ganze Muskeln lahmlegen oder den Kiefer zu einer Fehlstellung der Zähne bringen.
Die Zunge enthält besonders viele emotionale Hindernisse, da wir als Babies und Kinder bereits viel emotionalen Stress dort „abgelegt haben!“ Versuche nicht, mit Gewalt durch den Ozean der Anspannung zu steuern, sondern mache Loslass-Übungen, körperliche, seelische und nutze den Emotionscode oder Matrix Energetics oder sonstige Verfah-ren, mit denen man versteckte krankmachende Muster im Körper auflösen kann. Oft hilft es viel mehr, eine Arie bei-seite zu legen für ein paar Tage, wenn man sie „übertrai-niert“ hat oder ein Nickerchen zu machen, eine Tiefat-mung für einige Minuten oder etwas ganz anderes zu tun wie Spazierengehen, ein Bad nehmen oder Sport treiben. Das Stimmtraining für die Veränderung alter Muster bein-haltet alle Zungenübungen, vor allem die Übung mit dem Taschentuch, der Zungenmassage und der Kiefergelenk-massage. Alle hier gezeigten Übungen mit den Fingern und dem Ertasten von Muskelarbeit bei der Stimmerzeu-gung sind äußerst hilfreich, um störende Muster ausfindig zu machen und sanft zu verändern.
Vokalausgleich & Registerwechsel: 15 Minuten
Kleine Skalen, die auf wechselnde Vokale gesungen wer-den oder auf kurze Silben sind hilfreich, um am Passaggio zu arbeiten. Passaggio sollte immer von oben nach unten eingefädelt und zunächst in Quinten erarbeitet werden. Die Zunge ist in ihrer Flachstellung zu beobachten und kann teilweise auf den unteren Vorderzähnen liegen, wenn sie die Gewohnheit hat, sich laufend zurückzuzie-hen. Der Unterkiefer muss entspannt hängen und darf sich auch nicht aus der entspannten Position nach hinten be-wegen. Dies kann man mit den Fingern vor dem Spiegel gut überprüfen. Silben wie MA, ME, MI, MO, MU sind ge-eignet, um den Vordersitz des Tones für die Vokale zu er-halten. Starte die Übungen über dem Registerwechsel also für Sopran und Tenor über dem F und lass die Tonreihen herab- und wieder nach oben gleiten. Entwickle kleine kreative Übungen selbst und nutze Teile aus Deinen Arien dazu. Es lohnt sich an besonders hartnäckigen Stellen des Repertoires solche Passaggio-Übungen einzuführen. Das wird den Übergang mit der Zeit immer mehr „glattbügeln.“ Passggio-Stimmarbeit ist wirklich wie Bügeln, es braucht Geduld und ist nötig, mit mehreren Strichen immer über die gleiche Stelle zu fahren.
Resonanzplätze in Körper und Kopf stimmlich ver-binden – 10 Minuten
Im Liegen gelingt es für Anfänger am besten, die Resonan-zen zu entdecken. Mit angezogenen Knien und aufgestell-ten Fußsohlen, legt man sich ein oder zwei Taschenbücher unter den Hinterkopf, um die Wirbelsäulenkrümmung, die bei jedem unterschiedlich ausgeprägt ist, auszugleichen. Der Nacken muss aufgerichtet, lang und entspannt sein. Das Kinn sollte nicht nach hinten rutschen, der Biss der Zähne möglichst übereinander sein. Mit dem Nabellift fährt man das Becken bis zum Waschbrett ein paar Mal auf und ab, sodass man die Beckenbodenmuskulatur besser spürt. Dann beginnt die Stimmübung, indem man durch die Na-se einatmet, gleichzeitig den Nabel einrollte, das Becken leicht anhebt, nur ein paar Zentimeter und das Zwerchfell mit der gefüllten Lunge in aufgespannter Position behält. Das ist die Bojenübung. Man fühlt sich prall gefüllt mit Luft und schwebt mit dem Becken über dem Boden. Ein Einat-mungsstopp ist der Auftakt zur Stimmübung. Dann singt man kleine Quintenskalen auf Vokale oder Tonsilben und beendet diese bewusst, bevor der nächste Impuls zum Einatmen einsetzt. Der Mund wird geschlossen und die Einatmung erfolgt immer durch die Nase.
Dies wiederholt man für einige Minuten. Nun kann man sich selbst beobachten und hineinspüren, ob die Resonanz hinter dem Brustbein durch Vibration spürbar ist, dann spürt man in die Nebenhöhlen hinein, ob dort die Reso-nanz spürbar, dann in die Stirnhöhle und in den Kopf, so-wie in den Nacken. Es ist wichtig, sich der Reihe nach alle Resonanzorte bewusst zu machen. Mit geradem Rücken und aufgerichtetem Brustbein ist das in der Liegeposition wesentlich leichter als im Stehen. Im zweiten Schritt kann man zu Vokalwechsel mit A-I, O-E, U-I übergehen und dann ein paar Arien jeweils Phrase für Phrase auf diese Weise singen.
Tips für Anfänger im Gesang – 5 Minuten Handpup-pentraining
Stimmtechnik kann jeder wunderbar an Kinderliedern ler-nen. Kinderlieder haben einfache Melodien, die oft im Quintraum verlaufen. Manchmal haben sie kleine Rufmo-tive wie Kuckuck oder Tonleitern wie – ein Männlein steht im Walde. Auch nutzen sie Tonmalerei wie – summ, summ, summ, Bienche summ‘ herum. Diese ursprünglichen Lied-muster eignen sich ideal als Stimmtraining und machen Spaß. Mit Kindern, die Sprechschwierigkeiten haben, kann man auf diese Lieder die Korkenübung zur Belustigung machen oder die Micky Maus oder Tiere wie Bär und Krä-he oder das Krokodil mit der Handpuppe sprechen lassen. All dies sind wertvolle Stimmübungen, die den ganzen Menschen von Anspannung befreien.
Wie erarbeitet der Sänger ein Repertoire? Was ist sinnvoll?
Die klassische italienische Gesangsmethode stützt sich im Unterricht auf Sammlungen von altitalienischen Arien aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Diese Arien sind opernhaft vom Stil her und gefühlsbetont. Da die italienische Spra-che vokalreich ist, lohnt es sich, diese Stücke im Original zu studieren. Es gibt Sammlungen mit altitalienischen Arien für hohe, mittlere und tiefe Stimme. Solange jemand sich nicht sicher ist, ob die hohe Lage ihm liegt, kann man die Mittel-lage nutzen und am Registerübergang damit arbeiten. Die meisten Ausgaben besitzen eine CD dazu, auf der sowohl die Klavierbegleitung als auch Stimmbeispiele von Profis mit weiblicher und männlicher Stimme aufgenommen sind. So kann man diese Sammlungen auch autodidaktisch nutzen.
Neben den Arien ist es gut, die Ausgabe von Nicola Vac-cai heranzuziehen, in der er alle grundlegenden Themen für den Sänger in einem Band mit Beispielarien bearbeitet hat. Auch dieser Band ist mit einer CD zum Üben erhältlich. Vaccai war ein gefeierter Opernkomponist zu seiner Zeit und dazu ein herausragender Gesangspädagoge. Diese Arien sind relativ kurz und die Texte in mehreren europäi-schen Sprachen dazu angegeben. So kann man sich auch daran gewöhnen, in der Muttersprache zu singen. Der Gesangsstimmen-Experte, Professor Frederick Husler empfiehlt, im Unterricht nie die Zeit mit zuvielen Übungen zu vergeuden, sondern das musikalische Repertoire selbst für die Stimmausbildung zu nutzen. Das ist meines Erach-tens der schnellste Weg zur Profistimme, da die meisten Opernkomponisten entweder mit Sängerinnen verheiratet waren oder selber eine Gesangsausbildung hatten oder aber, durch die Praxis mit großen Sängern viel von der Gesangstechnik verstanden. Mit dem Repertoire entwickelt man sich daher am besten weiter. Darüber hinaus spielt auch die emotionale Beteiligung beim Singen eine große Rolle. Begeisterung ist notwendig, um die Stimme von Muskelanspannungen und gewohnheitsmäßigen Blocka-den zu befreien. Fast keine Stimme ist von Natur 100 % frei und natürlich.
Für viele Sänger/innen ist das Singen von Mozartliedern und Mozartarien ebenfalls ein guter Zugang zur Stimme. Es gibt gute Mozartaufnahmen von Lucia Popp und auch einiges von Edita Gruberova. Ich habe zu Beginn fast nur Mozart gesungen, weil mich das innerlich befreit hat. Das klassische 4 oder 8 Takt Schema ermöglicht auch einen regelmäßigen Atemfluss für die Phrasen und lehrt den Sänger seinen Atem zu beherrschen. Für das Sopranfach nutzt Mozart einen umfangreichen Stimmumfang. Es bietet sich an, die Koloraturarien in Abschnitten zu studieren und sich die großen Skalen stückweise anzueignen.
Mozartarien sind eine große Hilfe, wenn man diese mit dem Motorradbrummer durchtrainiert oder mit dem Fin-gernagelbeißer übt, um den Vordersitz zu erhalten. So wird der Körper mit dem Beckenboden in die Tonbildung ein-gebunden. Auch für die tiefen Männerstimmen ist Mozart ein guter Einstieg. Hier ist Dimitri Hvorostovskij stimmlich ein gutes Beispiel oder auch Nicolai Gedda aus der älteren Generation. Die tiefen Frauenstimmen können bei Joyce DiDonato viele Erkenntnisse für die eigene Stimme mit-nehmen. Selbst wer als Sänger für Musical, Operette, Pop oder Rock trainiert, sollte als Erholung für die Stimme ein paar altitalienische Arien oder neapolitanische Volkslieder und einige Stücke von Mozart einstudieren, um eine ge-sunde Basis für seine Stimme zu entwickeln. Stimmliche Gesundheit ist gerade für Musikrichtungen, die die Stimme durch Belting oder heiseres Singen oder sogar Schreien im Brustregister belasten besonders wichtig. Wer ein wenig fortgeschritten ist, kann sich dann mit barocker Musik be-schäftigen. Durch Arien von J. S. Bach und G. F. Händel wird die Stimme zur Beweglichkeit trainiert. Die barocken Triller und Koloraturen bereiten jede Stimme gut auf große Koloraturarien vor und machen Freude, da hier auch eng-lische und deutsche Texte gesungen werden können. Al-lerdings darf die Herausforderung der barocken Musik nicht unterschätzt werden. Sie klingt oft so leichtfüßig und ist doch nicht so ohne Aufwand zu erlernen. Für Arien von Bach ist Magdalena Kozena ein gutes Vorbild.
Dr. Karin Wettig
Karin.wettig@gmx.de
www.personalitystyling.com
Buchtipps mit Kurzrezensionen
Ingrid Amon: Die Macht der Stimme, 2000
Ein praktisches Buch für die Sprechstimme, das auf alle Aspekte der Stimme eingeht und einige gute Übungen anbietet.
Richard Brünner: Gesangstechnik, 1993
Ein winziges Buch voller Profisängertipps mit lustigen Zeichnungen, die das Gesagte besser illustriere als viele Worte. Kurz, prägnant und sehr aufschlussreich für fortge-schrittene Sänger. Das Buch enthält lauter Zitate von be-rühmten Profis.
Caruso and Tetrazzini on the Art of Singing:
Nachdruck des Originals von 1909, für Opernsänger/innen eine unerläßliche Lektüre, die viele Einsichten in Stimmpro-zesse bringt.
Manuel García and Beate García: Hints on Singing, Ascherberg 1894, ist eine kurze Zusammenfassung des Stimmverständnisses eines berühmten historischen Lehrers für Gesang von internationalem Rang.
Gabriela Kaintoch: Wunderbares Phänomen Stimme, 1996
Eine praktisch brauchbare, kurze Zusammenfassung aller Stimmprozesse, verständlich und übersichtlich dargestellt mit kleinen Zeichnungen zur Anatomie von einer Juristin, die den Bayreuther Stimmwettbewerb vor 1990 gewann. Das Buch verliert sich jedoch überwiegend in der Theorie und dem Abwägen von anderen Meinungen und bringt keine Übungen für die Praxis. Es ist nur als Hintergrundin-formation interessant.
Hans Josef Kasper: Stimmphysiologie & Stimmpsychologie für Sänger, 1992 und 2005
Dieses handliche Buch enthält alle Probleme, die Sängern in der Praxis begegnen und ist aus dem Verständnis eines bühnenerfahrenen Sängers geschrieben, der seit Jahren unterrichtet und mit bebilderten Übungen aufwartet. Ich persönlich mag sein erstes Buch am liebsten, weil es kurz und einleuchtend ist und noch nicht so sehr auf das Sin-gen und die Flugzeuge pocht, einen physikalischen Effekt, der für das Verständnis des Singens nicht unbedingt not-wendig ist. Die psychologische Seite ist hier gut erfasst.
Günther Habermann: Stimme und Sprache, 1985
Hier findet man alles zur Anatomie der Stimme mit wissen-schaftlichem Hintergrund, ein handliches Nachschlage-werk, das hilfreich ist.
Frederick Husler/Yvonne Rodd-Marling: Singen, die physi-sche Natur des Stimmorgans, 1965, 2006
Die neue Auflage des Buches von Professor Husler enthält sehr gute Zeichnungen, die präzise erläutert sind. Der Band ist mit einer CD versehen, auf der historische Aufnahmen von Caruso und anderen berühmten Sängern analysiert werden. Das Buch ist die umfassendste und für Profis ge-naueste Darstellung der Operngesangsfunktion der Stim-me. Wer sich mit der Stimme für die Bühne auseinander-setzt, kommt um dieses Buch nicht herum. Die Zeichnun-gen helfen dabei, die einzelnen Muskeln in ihren Funktio-nen besser zu verstehen. Auch klärt Husler den Sänger über viele Missverständnisse auf.
Giovanni Battista Lamperti: The Teachings of Belcanto. Ein Neudruck der Auflage von 1923. Das Buch ist in einfachem Englisch verfasst und lesenswert.
Lilli Lehmann: Die Kunst zu singen 1924
Das schmale Bändchen enthält Expertenwissen für Profis mit einigen guten Zeichnungen. Die Vokalbildung und der Tonsitz sind sehr gut dargestellt. Für Anfänger ist das Büch-lein ungeeignet.
Paul Lohmann: Stimmfehler und Stimmberatung, 1958
Ein kleines Buch mit kompaktem Inhalt über Stimmfehler. Wer Stimmprobleme hat, kann sich hier sehr gut Rat holen. Das Buch hat Antworten auf viele häufige Sängerfragen.
Franziska Martienssen-Lohmann: Ausbildung der Ge-sangsstimme, 1957
Ein zierlicher Band voller guter Ratschläge für Sän-ger/innen. Die Lehrerin von Paul Lohmann, die seine Frau wurde und Professorin an der Musikhochschule war, hat mehrere kleine Bände über die Gesangsstimme herausge-bracht und ein größeres Sängerlexikon. Das Lexikon gehört zu den Standardwerken über Gesang. Die kleinen Bände aus der Praxis sind Kostbarkeiten mit wertvollen Ratschlä-gen zum Gesangsunterricht. Hier werden auch viele Fehler des Unterrichtes besprochen und viele Fragen beantwor-tet, absolut lesenswert, wenn auch ein wenig altmodisch formuliert.
James Stark: Belcanto – A History of Vocal Pedagogy, Toronto 1938
Dieses englische Buch nenne ich hier, weil es eine wertvol-le Forschungsarbeit über die Gesangsstimme ist. Selbst moderne Dissertationen haben die Erkenntnisse von Stark noch nicht überholt. Es ist nicht nur für praktische Sänger, sondern vor allem für Stimmforscher eine reichhaltige Wis-sensquelle.
Luisa Tetrazzini: Singen, 1923. Dieses kleine Buch enthält eine gute Zeichnung der Vokalformung und eine Darstel-lung für den Tonsitz. Der Text ist für Anfänger oft schwer verständlich, für Profis eine Goldgrube.
Hubert Ortkemper: Engel wider Willen. Die Welt der Kastra-ten, 1995 Eine gelungene, spannend zu lesende historische Darstellung dieses Renaissance- und Barockphänomens. Das Buch ist besonders für Countertenöre und Sopranisten interessant.
Esther Salaman: Die befreite Stimme.Methodik und Aspek-te der Gesangskunst. 1989
Die Autorin, Professorin an der Guildhall School of Music in London, ist Spezialistin für italienische Gesangstechnik und kann dies in ihrem Buch sehr gut vermitteln. Das Buch ent-hält einige gut erläuterte Tonbeispiele und Schwarzweißfo-tos mit einleuchtenden Erklärungen.
Wolfram Seidner: ABC des Singens. Stimmbildung, Ge-sang, Stimmgesundheit, 2007
In Psychologie, Physiologie und Akustik eingeteilt ist dieses Buch wissenschaftlich systematisch aufgebaut und vermit-telt umfangreiches Wissen mit sehr sorgfältigen Illustratio-nen. Es ist ein Nachschlagewerk für die Stimme und Ge-sang, warum es ABC heißt ist unklar, da es nicht durchge-hend alfabetisch vorgeht. Leider sind die Formulierungen langatmig und für die Sängerpraxis bietet das Buch rein gar nichts. Es ist mehr oder weniger reine Theorie.
Leopold Tesarek, Kleine Kulturgeschichte der Singstimme von der Antike bis heute. 1997
Dieses historische Buch bringt die Geschichte der Stimme auf spannende Weise und geht auch auf die Vorstellun-gen über Belcanto ein. Es liest sich sehr angenehm und bietet einen ausgezeichneten Überblick über die gesamte Stimmgeschichte.
Karin Wettig: Sänger ABC – Belcanto, singen kann doch jeder. 2007 Mein Sängerlexikon erschien zufällig im glei-chen Jahr wie das ABC von Seidner. Es ist allerdings ge-nau das Gegenteil. Das Buch enthält in alfabetischer Rei-henfolge kurze Kapitel über die Fachbegriffe der klassi-schen italienischen Belcanto-Gesangstechnik. Dazu bringt jedes Kapitel zu jedem Begriff Hinweise und Erklärungen für die Praxis, die von jedem Profi und Laien nachvollzogen werden können. Das Buch enthält keine Notenbeispiele, jedoch viele praktische Übungen. Es wendet sich an alle, die gern singen.
Karin Wettig, 12 Vocal Basics. 2009 ist die Fortsetzung vom Sänger ABC – Belcanto. Es enthält 12 tägliche Übungen für Körperhaltung, Stimme und Atem. Das kleine Buch erklärt kurz die Theorie und bringt in der zweiten Hälfte dazu die Praxis.
Meine Abenteuerreise von der verlorenen Sprechstimme zum Koloratursopran Tief in meinem Herzen, wusste ich schon immer, dass ich zum Singen geboren bin. Obwohl ich weder berühmt, noch ein Opernstar wurde, hat meine Seele sich stets in klangvollen Worten und Tönen ausgedrückt. Meine Mutter hatte in meiner frühen Kindheit die wunderbare Angewohnheit, abends vor dem Einschlafen das Gebet an die 14 Engel von Humperndinck aus der Oper „Hänsel und Gretel“ an meinem Bettchen zu singen. So fühlte ich mich als Kind über Nacht stets beschützt und bin bis heute felsenfest von der Existenz der Engel und ihrem Beistand überzeugt. Singen war und ist für mich der lebendige Zugang zur Seele. Als ich vier war, nahm Vater meine Mutter und mich oft auf lange Geschäftsreisen im Auto mit. Unterwegs lag ich auf den Rücksitzen mit einer warmen Decke und der Kuschelkatze im Arm, schaute in die Sterne am Himmel und sang alle Abendlieder, die ich auswendig kannte. Meine Eltern waren dann mucksmäuschenstill in der vorderen Reihe, um die heilige Atmosphäre nicht zu stören. Als ich zehn war, rannte ich aus dem Wohnzimmer und hielt mir die Ohren zu, wenn mein Vater begeistert seine Shellackplatten von Caruso und Callas anhörte: Oper war nicht mein Ding, zu laut, zu pathetisch und zu tragisch. Ich spielte lieber Chopin auf dem heißgeliebten Klavier, für dessen Anschaffung ich drei Jahre die väterliche Autorität unterminiert hatte. Ich solle lieber Unterhaltungsmusik auf dem Akkordeon machen, war die Ansicht meines Vaters. Seinetwegen spielte ich auch Akkordeon und E-Orgel. Als ich 11 Jahre alt war, nahmen die Eltern mich zu einer Weihnachtsfeier in die Firma mit, wo Eltern und Kinder versammelt waren, um vom Nikolaus auf der Bühne ein kleines Geschenk entgegenzunehmen. Als ich nach vorn gerufen wurde, fragte der Nikolaus freundlich, ob ich denn singen könnte, was ich unumwunden bejahte. „Was singst Du denn jetzt für uns?“ war gleich die nächste Fra-ge. „Stille Nacht, heilige Nacht!“ kam wie aus der Pistole geschossen. Zum Nachdenken kam ich nicht mehr, da die Violine und ein kleines Kammerorchester sofort mit dem Vorspiel einsetzten. Die süße Melodie forderte mich zum Mitsingen auf und ich sang aus tiefstem Herzen wie ein kleiner Engel auf eine vorüberschwebenden Wolke. Das Publikum und der ganze Saal waren dabei für mich wie verschwunden, auch die Schweißperlen auf der Stirn meines Vaters, der mich noch nie hatte öffentlich singen hören, nahm ich nicht wahr. Als dann ein begeisterter heftiger Applaus einsetzte, zuckte ich erschrocken zu-sammen und war zurück in der Wirklichkeit. Ich nahm meine Weihnachtsgebäcktüte entgegen, machte den Anstandsknicks und verschwand schnell auf meinen Platz. Später beim Herausgehen, fragte mich ein weißhaariger Herr an der Garderobe, ob ich denn Mitglied im örtlichen Kinderchor des Opernhauses Aachen sei, was ich ver-neinte, weil ich nicht einmal wusste, was eine Oper ist. Meine ersehnte Musikerkarriere kam nie zustande. Bevor ich die Aufnahmeprüfung für Klavier machen konnte, für die ich 6 Stunden täglich nach der Schule trainierte, starb mein Musiklehrer, ein blinder Organist und Kirchenmusiker. Als extrem scheues junges Mädchen trauerte ich um den einzigen väterlichen Freund während meiner Gymnasial-zeit und warf den Klavierdeckel zu, weil ich monatelang in Tränen ausbrach. Die „Macht des Schicksals“ hatte meine Musikleidenschaft gebrochen. Aus diesem Grund begann ich dann mein Übersetzerstudium in Germersheim. Doch, sobald ich meine Musikbegeisterung ad acta gelegt hatte, schien diese sich durch die Hintertür wieder in mein Leben zu schleichen. Musik war einfach nicht wegzudenken. In der großen Aula der Universität staunte ich mit großen Augen über den schwarzen Steinway Flügel auf der Bühne. Ich erfuhr vom freundlich lächelnden Pförtner nicht nur, dass einer der Dozenten Konzertpianist war, sondern auch, dass er mir den Schlüssel für die Aula abends aushändigen könne. So konnte ich dort ungestört Klavier spielen, soviel ich wollte. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Mein späterer Mann, den ich dort kennenlernte, saß häufig auf den kleinen Stufen zu dieser Bühne, um Chopin, Mozart, Beethoven und Brahms zu lauschen. Nach dem Studienabschluss gingen wir gemeinsam nach Göttingen und fanden heraus, dass die Universität über eine Fakultät für Musikwissenschaft verfügte. Auf Anraten meines Mannes landete ich in der Sprechstunde einer freundlichen, gesprächigen Professorin, die mit großer Freude feststellte, dass ich außer Englisch auch Französisch, Spanisch, sowie etwas Italienisch und sogar Arabisch lesen und verstehen konnte. Sie hatte keine Mühe, mich zu überzeugen, dass Musikwissenschaft absolut das Richtige sei und einer späten Karriere nichts im Weg stehe, denn sie sei auch erst mit 55 in ihrem Lieblingsfach Professorin geworden. Sie war begeistert, dass ich die wissenschaftliche Literatur in so vielen Sprachen würde lesen können. An der Karriere zweifelte ich selbst noch, doch die Musik hatte mich wieder in ihren Fängen. Mit dem Halbtagsjob in der Notenabteilung eines nahe-gelegenen Musikhauses und Auftritten als Dolmetscherin und Übersetzerin im Landgerichtsbezirk sowie auf Messen in Hannover finanzierte ich mein weiteres Studium. Alle neuen Noten und Bücher gingen im Musikladen durch meine Hände, oft hatte ich Zeit zum Schmökern. Die Studenten der Musikwissenschaft waren Individualisten und zugleich eine kleine Familie. Mein Doktorvater, Prof. Dr. Wolfgang Boetticher, kurz von den Studenten „Bö“ genannt, war als Klavierwunderkind und Organist aufgewachsen und hatte seine Künstlerkarriere mit 20 für die Musikwissenschaft an den Nagel gehängt. Als Quel-lenforscher wurde er ebenfalls weltberühmt, bis die Ent-deckung seiner angeblichen Naziaktivitäten seiner Karriere ein trauriges Ende setzte, da ihm Konfiszierungen von wertvollen Musikquellen aus jüdischem Besitz vor dem Krieg von ausländischen Kollegen vorgeworfen wurden. Damit wurde seine Weltkarriere jäh beendet und seine aufrichtige Hingabe an die Musik und die zahlreichen Doktorandenschützlinge, die er regelmäßig in seine Woh-nung zum gemeinsamen Schlemmen einlud, geriet in Vergessenheit. Er landete im unbekannten Grab auf dem Göttinger Nordfriedhof. Mit einer Kommilitonin zusammen, die zur gleichen Zeit wie ich bei ihm promoviert hatte, legten wir seinerzeit bei strömendem Regen an der Stelle, wo wir das Grab vermuteten, eine rote Rose ab, um uns für väterlich-wissenschaftliche Betreuung in all den Jahren zu bedanken. Professor Bötticher‘s charismatische Büh-nenausstrahlung hatte immer ein Grüppchen weißhaariger alter Damen aus der Volkshochschule in die Vorlesungen gelockt. Sie saßen jedes Mal in der ersten Reihe und hingen wie gebannt an seinen Lippen, wenn er die Musikgeschichte auf mitreißende Art lebendig werden ließ. Nach einem kurzen Ausflug in die klassisch arabische Mu-sik, leider wurde mir das Stipendium dafür nicht geneh-migt, schrieb ich dann meine Dissertation über Carlo Ge-sualdo, den berühmt-berüchtigten Fürsten von Venosa, einen genialen Renaissancekomponisten, der seine erste Frau in flagranti ertappte und dann gemeinsam mit dem Liebhaber erstach. Nach der Promotion kam mit der Scheidung ein Hurrikan in mein Leben und zerstörte alle geordneten Bahnen und die begonnene Karriere als Farb- und Stilberaterin, die ich mir neben meinen staub-trockenen Musikstudien als kommunikationsfreudiger und schönheitsorientierter Mensch aufgebaut hatte. Als ich allein vor der Scheidungsrichterin saß und für mich und meinen Mann in Vertretung das Urteil entgegennahm, bemerkte ich beim Herausgehen aus dem Saal, dass meine Sprechstimme nicht mehr die gleiche war. Ich klang zitterig, unsicher und. Wenn dann Kunden zu mir kamen, schienen sie meine junge äußere Erscheinung nicht mit der Stimme einer alten zerbrechlichen Dame zusammenbringen zu können. Oft standen sie verwirrt und ungläubig in der Haustür, wenn sie zum Termin kamen. Die Sprechstimme löste sich dermaßen auf, dass sogar das Sprechen mir einfach zu anstrengend wurde und ich lieber schwieg. Damit war meine Zeit als Geschäftsfrau beendet. Ich ließ meine Studienjahre, die Uni, mein Geschäft, meine Karriere und alles, was mir lieb gewesen war hinter mir, um in Nürnberg eine Umschulung zum Rundfunkredakteur zu beginnen. Die Ironie des Schicksals wollte, dass ich wegen meines Talentes zur Moderation genommen wurde, nur weil ich so erkältet war, dass meine wirkliche Stimme ohnehin kaum zu erkennen war. Später fiel der Stimmbruch dann dem Sprechtrainer auf und er schickte mich in die Logopädie, um die fehlende Mikrofonstimme herauszulocken. Die Übungen brachten nichts und so suchte ich auf eigene Faust eine Lösung. Singen, war meine Idee, würde die verlorene Sprechstimme reparieren. Als der Sprechtrainer mich auslachte, musste ich an das Sprichwort denken – wer zuletzt lacht, lacht am besten – und so war es auch. Das war der Start meiner heimlichen Belcanto-Karriere, die zwar nicht auf die Opernbühne, doch zu Konzerten und Büchern führte. Der Lebenslauf meiner Stimme ist zugleich eine Abenteuerreise von der Stimme zur Seele, voller verrückter Stories und unentwegter Hindernisse. Nach mehr als zwei Jahrzehnten voll abenteuerlicher Erfahrungen kann ich sagen, dass es mit meiner persönlich entdeckten Methode möglich ist, die vielen unterschiedlichen Wege zum Rom des Belcanto wirklich auf der kürzesten Route zu beschreiten, obwohl diese Reise für mich persönlich zu einer langwierigen Pilgerfahrt zur singenden Seele wie auf dem St. Jakob’s Weg wurde. Ich will hier nur einige der komischen Episoden auf dem Weg zum Rom des Belcanto berichten, um alle, die nach der authentischen Stimme streben, vor den typischen Fallen zu bewahren, in die der naive Singlustige unterwegs stolpern kann. Meine Stimmreparatur gestaltete sich buchstäblich wie eine 20 Jahre dauernde Wanderschaft auf den Knien rutschend, nur um endlich das Heiligtum des Belcanto und meiner authentischen Stimme zu erreichen. Seit der Veröffentlichung meines ersten Buches – Sänger ABC- Belcanto, singen kann doch jeder! 2007, sind mir so viele herzzerreißende Geschichten von Sänger/innenträumen zu Ohren gekommen, die mit gebrochener Stimme und gebrochenem Herzen auf der Strecke blieben. Allein schon aufgrund der Schamgefühle, die viele Gesangsstudenten, die die Karriere an den Nagel gehängt haben, anscheinend davon abhält, weiter nach der richtigen professionellen Hilfe zu suchen, gewann ich den Eindruck, es sei geradezu eine moralische Pflicht, dieses Buch zu Papier zu bringen, um jedem Stimmbesitzer zu zeigen, dass etwas Beobachtungsgabe und ein paar simple Tricks ausreichen, sich von den kleinen Unvollkommenheiten zu befreien, die den Stimmklang mindern und das Herz so unglücklich machen. Falscher oder halbherziger Unterricht ist dabei auch ein Thema, denn leider habe ich die üblen Folgen falscher Anleitung wiederholt am eigenen Leib zu spüren bekommen und werde häufig Zeuge, an welchen Stellen manche Opern- und Profistimmen einfach klemmen. Zwar kann ich aus der Rückschau über viele Erfahrungen lächeln, doch erzähle ich sie hier weniger zur Belustigung oder Bloßstellung von Lehrern, sondern einfach, um darauf hinzuweisen, wo die Gefahren bei falschem Stimmtraining liegen. Hier nur die Beispiele, wie oft ich falsch eingeschätzt wurde: die erste Lehrerin am Nürnberger Konservatorium, eine argentinische Jüdin mit einer wunderbaren Altstimme, stufte mich als tiefen Mezzosopran ein und sagte, sie nähme nur wahrhaft talentierte Damen in den Unterricht auf. Mir sank das Herz in die Hose, ich wagte nicht einmal, mein Stimmproblem zu schildern. Sie ließ mich Skalen und Läufe singen, während ihre Finger über den Flügel tanzten und gratulierte mir dann zu meinem musikalischen Ohr und fragte, ob ich sie als Lehrerin denn akzeptieren würde. Erstaunt bejahte ich das. Leider verschwand sie nach wenigen Wochen auf eine Japantournee. Danach begegnete ich einer Sopranistin, die dramatische Opernrollen gesungen hatte und ein Sopran war. Sie hatte aus Protest gegen die Vorschrift im transparenten Negligé auftreten zu sollen, ihre Arbeit niedergelegt und unterrichtete nun. Sie definierte in der ersten Stunde meine Stimme als hohen und leichten Sopran. Ich sang die gleichen altitalienischen Arien in der Ausgabe für hohe Stimme anstatt für Mezzo. Als ich beruflich nach München zog, hatte ich das Glück bei ihr als Professorin an der Musikhochschule privat weitermachen zu können, doch nach kurzer Zeit bekam ich Schmerzen beim Gesangstraining und hörte dann auf, weil sie mir nicht sagen konnte, was zu tun sei. Selbst der Medizinprofessor, den ich konsultierte, ein ausgebildeter Tenor, mit einer Sängerin verheiratet, war ratlos. Wieder kam ich zur Logopädie gegen verspannte Muskeln und es half nichts. Aufgrund meiner ausgeprägt langen Stimmbänder wurde ich vom Arzt als Alt definiert. Bestürzt über die gebrochene Stimme und die fehlenden Perspektiven unterbrach ich den Unterricht. Schmerz und Kummer wurden überwältigend, sobald ich versuchte zu singen. Meine Stimme drückte den Überlebenskampf aus, der sich seit der Scheidung wie eine Dunstglocke über den Alltag gesenkt hatte. Ich sang zwischendurch lange mit Begeisterung in Bachchören und suchte weiter nach des Stimmrätsels Lösung und dem idealen Lehrer. Da der Opernvirus mich heftig infiziert hatte, wollte ich meine Gesangsausbildung nicht aufgeben. Als ich sonntags im Gottesdienst einer amerikanischen Kirche saß, trat ein Solist auf und sang eine Tenorarie. Ich lauschte gebannt und bekam Gänsehaut bei den großen Tönen, die jeden Zuhörer warm einzuhüllen schienen, eine himmlische Erfahrung. Flüsternd fragte ich meinen Nachbarn, wer das sei und, ob er wohl Unterricht geben würde. „Er ist Solotenor am Opernhaus!“ war die Antwort, „wir können ihn nachher gemeinsam fragen. Nach dem Gottesdienst wurde ich dem gutaussehenden, hochgewachsenen Tenor vorgestellt, der gleich wissen wollte, wo ich denn schon überall gesungen hätte. Rot vor Scham, bekannte ich mich als Neuling, erzählte von der Musikwissenschaft und meinen Chorerfahrungen. “So, dann bist Du also keine Sängerin! Und ich bin kein Gesangslehrer!” kam in heftigem amerikanischem Akzent mit einem breiten Lächeln zurück. „Wir versuchen es einfach gemeinsam!“ Wir trafen uns am Bühneneingang der Bayerischen Staatsoper. Nachdem ich den ersten Schritt in die heiligen Hallen durch die Personal-Glastür getan hatte, lieferte er mir Jim einen Beweis für seinen unwiderstehlichen amerikanischen Humor. Er zog mich am Arm durch einen schmalen engen Korridor im Dunkeln über mehrere Holzstufen und plötzlich standen wir auf der Bühne vor leerem Haus. Ich starrte verdutzt in den riesigen Zuschauerraum und hörte ihn lachend sagen: „ So sieht die Bühne aus der Perspektive der Sänger aus. Du stehst jetzt auf diesen Brettern, die für uns die Welt bedeuten!“ In den winzigen Solo-Probenräumen mit Piano begannen wir die Zusammenarbeit mit Vaccai. Dann wurde mein Wunsch nach Mozartarien endlich erfüllt. Es war der Beginn einer wunderbaren, sängerischen Freundschaft, die mir die Praxis und die Bühne näherbrachte. Der Unterricht hatte mit nichts Ähnlichkeit, was ich vorher als Gesangsunterricht genossen hatte. Die Demonstrationen glichen eher einer Anatomieklasse für Gesang. „Der Sänger singt von Kopf bis Fuß!“ zeigte er mich. Im Fitnesscenter und mit Yoga entdeckte ich alle Muskeln, die zur Stimme gehören und den Stimmklang ausmachen,denn zu Beginn klang ich wie ein vom Himmel gefallener Engel, der nur Flügel jedoch keinen Klangkörper besitzt. Zu meiner Freude ließen die starken Spannungsschmerzen nach. Trotz Fitness, Gewichtheben und Yoga, schien es zu nicht mehr als einem stimmlichen Moutainbike anstelle eines Opern-porsche zu reichen. Trotzdem wollte ich wissen, warum. Die Schmerzen beim Singen waren nun weg, doch in einer der Samstagsklassen brach ich unerwartet in Tränen aus, als ich die ersten Töne einer Mozartarie sang, anscheinend ohne Grund. Jim blieb unerschüttert und sagte. „Macht nichts, lass‘ das einfach raus! Wir machen weiter. “ Als ich erneut versuchte, kam ein ganzer Schwall von Tränen wie ein kleiner Gewitterregen und ich konnte nicht aufhören zu schluchzen. Jim sagte mir, dass das oft bei Sängern in der Ausbildung vorkomme und er habe auch emotionale Krisen erlebt, das sei eigentlich ein gutes Zeichen. Ich solle es hinnehmen und weitermachen.“ Die Tränenattacken dauerten insgesamt vier Monate. Immer, wenn die Attacke vorüber war, sangen wir mit großem Vergnügen Rachearien...So lernte ich wie jede Muskelfaser in eine Emotion eingetaucht ist, die dort in der Vergangenheit abgespeichert wurde. Indem ich mein Kinn zurückbewegt hatte, hatte ich auch meinen Gefühlsausdruck blockiert. Während ich es vorstreckte in die Normalposition, pflegten sich die gestauten Emotionen einfach beim Singen zu entladen. Muskelanspannung in der Zunge oder um die Kehle herum, steife Kiefergelenke, eine Asymmetrie am Gaumen, Schiefstellungen der Zähne und Haltungsfehler an Schultern und Wirbelsäule, alles machte sich beim Singen in der Tonqualität bemerkbar. Nach und nach wurde ich zu einem Sherlock Holmes für Verspannungen, Fehlhaltungen und Asymmetrie in meinem Körper. Es blieb mir nicht erspart, das Instrument Körper von Grund auf neu einzurichten und zu stimmen, bevor ich meine authentische Stimme fand..... Näheres findet der geneigte Leser in meinem autobiografischen Kapitel des Buches - Belcanto in Theorie und Praxis sowie in den kleineren Büchern über Gesang wie Singen wie Callas und Caruso oder Sänger ABC Belcanto - singen kann doch jeder. ...
Erscheint lt. Verlag | 20.4.2013 |
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Reihe/Serie | Belcanto in Theorie und Praxis: Stimme, Körper, Atem ; 1 |
Zusatzinfo | Diverse Abbildungen und Fotos zu den praktischen Übungen und zum anatomischen Teil |
Verlagsort | München |
Sprache | englisch; deutsch; italienisch |
Original-Titel | Belcanto in Theorie und Praxis |
Maße | 234 x 156 mm |
Einbandart | Paperback |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Musik ► Instrumentenunterrricht |
Kunst / Musik / Theater ► Musik ► Klassik / Oper / Musical | |
Kunst / Musik / Theater ► Musik ► Musikgeschichte | |
Schlagworte | Achtsamkeit • awareness • Belcanto • Classical Singing • Gesang • Gesangsunterricht • Gewahrsein • Körperergonomie • Oper • Opernausbildung • Operngesang • Singen • Stimmbildung • Stimme • Stimmtraining • Stimm- und Körper-Balance • Stimmyoga • Vocal Coaching • Voicetraining • Yoga |
ISBN-10 | 3-9815954-0-8 / 3981595408 |
ISBN-13 | 978-3-9815954-0-6 / 9783981595406 |
Zustand | Neuware |
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