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The Wilderness of Girls (eBook)

Einst waren wir die Wildnis, doch dann versuchten sie uns zu zähmen. Packender Roman, der unter die Haut geht!
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
464 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0623-7 (ISBN)

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Einst waren wir die Wildnis, doch dann versuchten sie, uns zu zähmen Als Rhi im Morgengrauen durch die Wälder im Happy Vally streift, öffnet sich auf der anderen Seite der Lichtung das Unterholz. Heraus treten vier offenbar »wilde« Mädchen, bewacht von zwei ausgewachsenen Wölfen. Eines der Mädchen ist schwer verletzt und braucht dringend medizinische Hilfe. Rhi tut, was jede und jeder von uns tun würde: Sie bringt die Mädchen ins Krankenhaus, wo sie sofort für Aufsehen und landesweites mediales Interesse sorgen. So beginnt die »Zähmung« der Wolfsmädchen, und Rhi ist bald nicht mehr sicher, ob sie das Richtige getan hat. In ihrem atemberaubenden Debüt zeigt Madeline Claire Franklin, wie unsere Gesellschaft jungen Mädchen beibringt, ihre eigene Wildheit zu zähmen - und was passiert, wenn sie sich selbst befreien.

Madeline Claire Franklin studierte Kreatives Schreiben am Vermont College of Fine Arts. Inzwischen lebt sie in Buffalo, NY, mit zwei Hunden, drei Katzen und zwei Roombas in einem kleinen gelben Haus namens Cluckleberry Farms. Wenn sie nicht gerade außergewöhnliche Romane für junge Erwachsene schreibt, versucht sie, das Patriarchat abzuschaffen und/oder Hexerei zu praktizieren. THE WILDERNESS OF GIRLS ist ihr Debütroman.

Madeline Claire Franklin studierte Kreatives Schreiben am Vermont College of Fine Arts. Inzwischen lebt sie in Buffalo, NY, mit zwei Hunden, drei Katzen und zwei Roombas in einem kleinen gelben Haus namens Cluckleberry Farms. Wenn sie nicht gerade außergewöhnliche Romane für junge Erwachsene schreibt, versucht sie, das Patriarchat abzuschaffen und/oder Hexerei zu praktizieren. THE WILDERNESS OF GIRLS ist ihr Debütroman.

2


Kurz nachdem die Polizei Edens Vater in Handschellen abgeführt hat, rauscht Vera mit zwei großen Koffern die Treppe hinunter. Weinend schreit sie in der Eingangshalle »Mit diesem Haus bin ich fertig!« und poltert durch die große Eingangstür.

Eden stellt sich vor, wie Vera theatralisch das Haar zurückwirft und ihre größte Gucci-Sonnenbrille aufsetzt, bevor sie ins Taxi steigt. Aber ihre Verachtung für Veras Verhalten bewahrt sie nicht vor dem Schmerz des Verlassenwerdens; sollte sie je, und sei es nur für einen Augenblick, geglaubt haben, Vera könnte irgendwelche mütterlichen Gefühle für sie hegen, so ist dieser Gedanke nun zerstört.

Das Jugendamt steht vor der Tür, noch bevor Veras Taxi vom Bordstein losgerollt ist. Als Eden öffnet, fordert der Beamte, ein unscheinbarer, nervös wirkender weißer Mann Anfang dreißig, sie auf, ihre Sachen zu packen.

»Etwa so, wie du für eine lange Reise packen würdest. Du wirst eine Weile weg sein.«

Eden war noch nicht oft auf Reisen. Mit ihrem Stiefbruder Kevin hat sie ein Wochenende in Harlem verbracht, bevor er zu seinem Auslandsjahr aufgebrochen ist – aber das hilft ihr jetzt nicht weiter. Dies ist kein Wochenendtrip in die Stadt.

Es ist ein Wendepunkt.

Eine Schwelle.

Auf dem Weg in ihr Zimmer stellt Eden – nicht zum ersten Mal in ihrem Leben – fest, dass sie wirklich allein ist. Nur dass diese Erkenntnis sie diesmal nicht zu Boden drückt wie ein Felsbrocken auf ihrer Brust. Diesmal zieht sich ihre Brust vor nervösem Staunen zusammen, während sie die Möglichkeiten betrachtet, die sich vor ihr auftun: Vater im Gefängnis, Vera weg, Eden in der Obhut des Jugendamts.

Vielleicht kann sie neu anfangen.

Alles vergessen, was ihr je widerfahren ist.

Vielleicht.

Eden greift nach ihrem Rucksack, aber es gibt nicht viel, was sie in dieses potentielle Nachher mitnehmen will. Ein paar Hygieneartikel. Ein Bild von ihrer Mutter. Sie wirft einen Blick auf ihr übervolles Bücherregal, dessen Bretter sich unter den zerfledderten Werken biegen, Geschichten, in die sie sich im Laufe der langen, einsamen Jahre geflüchtet hat, aber sie beschließt, die Bücher zurückzulassen. Stattdessen packt sie ihre Schulsachen, saubere T-Shirts, BHs und Unterwäsche, mehrere weiche, abgetragene Jeans, ihr Handy-Ladegerät und den alten Kapuzenpullover ihrer verstorbenen Mutter von der Syracuse University ein.

»Ist das alles?«, fragt der Beamte, als Eden nur mit ihrem Rucksack die Treppe herunterkommt.

»Ja«, sagt Eden und wartet darauf, dass er sie ausschimpft oder belehrt.

Doch der Beamte zuckt nur mit den Schultern. »Wie du willst. Dann fahren wir jetzt zum Amt.«

 

Während Eden in dem Hartplastikstuhl neben dem Schreibtisch des Beamten der Staatsanwaltschaft sitzt, versucht sie, nicht daran zu denken, dass ihr Vater irgendwo im selben Gebäude ist und sich vermutlich darüber aufregt, dass jemand die Frechheit besessen hat, ihn bei einem Verbrechen zu erwischen, oder daran, dass ihre Stiefmutter sie verlassen hat, um Gott weiß wohin zu gehen. (Eigentlich weiß Eden genau, wohin: Vera wird an irgendeinen tropischen Urlaubsort fliegen, wo sie den ganzen Tag am Pool oder am Strand sitzen und sich elegant mit Cocktails volllaufen lassen wird.) Wird Vera sich überhaupt die Mühe machen, Kevin anzurufen? Eden kommt der Gedanke, dass sie diejenige sein sollte, die es ihm sagt. Aber ihr Stiefbruder ist weg/keine Option/verbringt sein letztes Studienjahr in Deutschland. Solange seine Studiengebühren bezahlt werden, wird ihn Vaters Verhaftung wenig kümmern.

Er ist weit weg. Zu weit, um sie diesmal zu retten.

»Gute Neuigkeiten, Kleine«, sagt der Beamte. »Wir haben deinen Onkel ausfindig gemacht. Er ist bereit, dich aufzunehmen – es sei denn, es gibt einen Grund, warum du nicht zu ihm willst. Du solltest allerdings wissen, dass Pflegefamilien … na, sagen wir mal, ein bisschen riskant sind.«

»Mein … Onkel?« Eden hat einen Blackout.

»James Abrams. Er ist …«, der Beamte schaut blinzelnd auf seine Notizen, »… der jüngere Bruder deiner verstorbenen Mutter.«

Eden strafft die Schultern. »Onkel Jimmy? Ja. Klar. Ich ziehe gerne zu ihm.«

»Gut!« Der Beamte grinst und richtet die Hand wie eine Pistole auf Eden, bevor er zum Hörer greift.

Wie sich herausstellt, ist Onkel Jimmy nicht nur bereit, Eden bei sich aufzunehmen, er lässt auch alles stehen und liegen, um sie sofort abzuholen. Der Beamte sagt, sie habe Glück. Meistens sei der neue Vormund nicht zu erreichen und die Kinder müssten die Nacht in der Arrestzelle verbringen, bis das Jugendamt sie am nächsten Morgen abhole.

Viel Glück kann Eden an ihrer Lage nicht erkennen, aber ihr ist klar, dass sie das nicht laut sagen darf. Sie kennt Onkel Jimmy nicht gut, sie weiß nur, dass er der sehr viel jüngere Bruder ihrer Mutter ist. Nach deren Tod, als Eden vier Jahre alt war, konnte sie ihn nicht mehr besuchen, und an ihr Leben davor hat sie kaum Erinnerungen. Sie hat ihren Onkel nach der Beerdigung ihrer Mutter gesehen (damals war er noch ein Teenager, und Eden war zu schüchtern, um mit ihm zu reden), und dann noch einmal ein paar Jahre später, bei seinem ersten und einzigen Besuch, als Vater nicht zu Hause war. Jimmy war damals auf dem College, an der SU (genau wie Edens Mutter), und Eden war etwa zehn Jahre alt und schüchterner denn je. Es war ein netter Besuch, dafür, dass er für sie praktisch ein Fremder war (und ist), aber sie spürte auch seine Ernsthaftigkeit. Welcher College-Student nimmt sich schon Zeit, um seine zehnjährige Nichte zu besuchen, die er kaum kennt?

Zwei Stunden nach ihrer Ankunft auf dem Polizeirevier klingelt Edens Handy. Sie erwacht aus dem Halbschlaf auf einem Stuhl im Wartebereich und zieht es aus dem Rucksack.

Nachricht von: NEIN

Plötzlich ist sie hellwach. Ihr Gesicht wird kalt, während sie das Handy fest in der Hand hält und lange überlegt, ob sie die Nachricht lesen soll oder nicht. Schließlich wischt sie die Benachrichtigung vom Display, ohne die SMS zu lesen.

Daran darf sie jetzt nicht denken.

Glücklicherweise trifft ihr Onkel nur wenige Minuten später, kurz vor Mitternacht, auf dem Polizeirevier von Saratoga Springs ein, ein paar Schneeflocken auf den Schultern, während er sich im Wartebereich nach seiner Nichte umsieht. Er ist genauso groß, wie sie ihn in Erinnerung hat, mindestens 1,80 Meter, mit den gleichen dunklen Augen und dem ethnisch unbestimmbaren Teint, den sie beide mit Edens Mutter teilen: ein Honigbeige im Winter, das sich im Sommer in ein tiefes Oliv verwandelt. Soweit Eden weiß, haben sie ihre Hautfarbe von ihrer Großmutter, deren gesamter Stammbaum jüdisch war.

Onkel Jimmy umarmt Eden herzlich, obwohl sie sich seit Jahren nicht gesehen haben. Gegen ihren Willen, trotz ihrer Fremdheit und der Tatsache, dass alles okay, alles okay, alles okay ist (denn alles in allem ist es doch besser so, oder?), bricht Eden beinahe in Tränen aus, als er sie in die Arme schließt. Sie weiß selbst nicht, was sie fühlt, aber es versucht, sie zu überwältigen, flutet ihre Brust und ihre Augen mit stechender, nasser Hitze. Bevor der erste Schluchzer über ihre Lippen kommen kann, unterdrückt sie den Impuls, beißt die Zähne zusammen und hält den Atem an, bis der Druck in ihrer Kehle nachlässt. Kein Grund zu weinen, sagt sie sich. Schon gar nicht vor einem Fremden.

»Okay«, sagt Onkel Jimmy, nachdem er die erforderlichen Formulare unterschrieben und sich den Vortrag des Beamten über seine gesetzlichen Pflichten als Vormund angehört hat. Eden und er stehen im Vorraum und machen sich bereit, in die winterliche Nachtluft hinauszugehen. »Hast du alles, was du brauchst, in deinem Rucksack? Ich habe vermutlich nicht alles da, was junge Mädchen so benötigen. Wir können also entweder irgendwo unterwegs anhalten und ein paar Sachen besorgen, oder wir warten bis morgen. Wir werden so oder so erst spät ins Bett kommen, aber das ist kein Problem. Morgen machen wir blau. Also, was meinst du?«

Seine Stimme ist bemüht fröhlich, sein leichter Central New York-Akzent nicht so stark wie Veras aus New York City, aber hörbar verwandt. Eden fragt sich, ob sie auch einen Akzent hat und ihn nur nicht bemerkt.

»Wie du willst«, sagt Eden leise. »Ich glaube, ich habe alles, was ich brauche.«

Aus dem Augenwinkel sieht sie, dass ihr Onkel sie mustert. Sie dreht sich nicht zu ihm um. Stattdessen betrachtet sie die graue Betontreppe, die durch die durchsichtigen Glastüren des Polizeireviers zu sehen ist und über der dicke Schneeflocken wirbeln wie zerbrechliches Konfetti.

Onkel Jimmy reibt sich die dunklen Stoppeln an seinem Kinn. »Wie wäre es mit etwas zu essen? Hast du Hunger?«

Eden zuckt mit den Schultern. Sie hat immer Hunger, aber daran ist sie gewöhnt.

»Mir wurde gesagt, dass die Polizisten euch beim Essen unterbrochen haben. Ziemlich unhöflich, wenn du mich fragst.«

»Schon okay«, sagt Eden, aber ihr Magen knurrt beim Gedanken an das Steak, das sie nicht aufessen konnte. Sie hofft, dass Mariya den Rest gegessen hat. Und dass sie die Speisekammer und den Weinkeller geplündert hat, bevor sie gegangen ist.

»Also, ich habe Hunger. So eine nächtliche Autofahrt macht Appetit. Ich könnte eine Mahlzeit in einem guten altmodischen Greasy Spoon vertragen. Wie hört sich das an?«

Eden hat keine Ahnung, was das bedeutet. Ihre zusammengezogenen Augenbrauen sprechen wohl für sich.

Onkel Jimmy lacht. »Ein Greasy Spoon – so nennt man diese alten Diners mit Vierundzwanzig-Stunden-Frühstückskarte und...

Erscheint lt. Verlag 30.10.2024
Übersetzer Maren Illinger
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Anpassung • die wilden Mädchen von Happy Valley • Echtes Leben • Entführung Mädchen • Feminismus • Medienrummel • Missbrauch • Naturschutzgebiet • Rollenbilder • Selbstmord • Sick Lit • Suizid • Talkshow • verlorene Schwester • Wald • Wild Girls of Happy Valley • Wölfe • Wolfsmädchen • Zähmung
ISBN-10 3-7336-0623-X / 373360623X
ISBN-13 978-3-7336-0623-7 / 9783733606237
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