Full Dive (eBook)
384 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0657-2 (ISBN)
Nina Scheweling war während ihres Studiums der Anglistik, Germanistik und Neueren Geschichte als Literaturübersetzerin tätig. Nach ihrem Abschluss entdeckte sie ihre Liebe fürs Kinderbuch und arbeitet seitdem als freie Übersetzerin, Lektorin und Autorin in der Nähe von Freiburg.
Nina Scheweling war während ihres Studiums der Anglistik, Germanistik und Neueren Geschichte als Literaturübersetzerin tätig. Nach ihrem Abschluss entdeckte sie ihre Liebe fürs Kinderbuch und arbeitet seitdem als freie Übersetzerin, Lektorin und Autorin in der Nähe von Freiburg.
Teil 1 Aufbruch
1
Irgendwo über ihm raschelte es. Jess sah nach oben, doch in der Dunkelheit, in der sich die Decke verlor, konnte er nichts erkennen. Sein Herzschlag hallte dumpf in seinen Ohren wider. Worauf hatte er sich bloß eingelassen?
Noch ein Geräusch, dieses Mal hinter ihm. Waren das Schritte? Hektisch riss er den Kopf herum. Der Schwindel ließ kurz seine Sicht verschwimmen. Jess biss die Zähne zusammen und drängte das schwammige Gefühl in seinem Kopf zurück. Die Lagerhalle hinter ihm wirkte verlassen, doch in Wahrheit konnten sie überall sein: zwischen den riesigen Metallfässern, den stapelhohen Paletten, den Rohren, aus denen zischend Dampf entwich. Jess fluchte lautlos. Sie durften ihn nicht erwischen. Er besaß den Schlüssel nach draußen. Wenn er es nicht bis zur Tür am Ende der Halle schaffte, war es aus.
Ein metallisches Klappern erklang, hektische Rufe, Schüsse. Erschrocken sah Jess zu dem Steg, der oberhalb von ihm an der Wand entlanglief. Eine junge Frau in einem ledernen Kampfanzug rannte Richtung Ausgang. Yara. Sie hatte sich für den riskanteren, aber schnelleren Weg entschieden, vorbei an den zwei Söldnern, die auf Höhe der Leiter patrouillierten. Jess war den beiden vorsichtshalber aus dem Weg gegangen, huschte seitdem mühsam von einer Deckung zur nächsten und versuchte, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen. Denn die Söldner waren nicht die Einzigen, die in den Schatten lauerten.
Wieder polterte es auf dem Steg. Eine massige Gestalt stürmte hinter Yara her, eine Waffe im Anschlag, die beinahe so groß war wie Jess selbst. Entsetzt stellte er fest, dass sie viel zu wenig Vorsprung hatte – ihr Verfolger war in der perfekten Schussposition. Er musste etwas tun, Yara warnen, den Gegner ablenken, irgendwas. Stattdessen kauerte er wie festgefroren hinter der Kiste, unfähig, sich zu rühren.
Ein Schuss peitschte durch die Halle. Jess erkannte das Mündungsfeuer der Waffe, den grellgrünen Strahl, der direkt auf Yaras Rücken zuschoss. Sie warf sich nach vorn, wich in einer eleganten Vorwärtsrolle aus, und noch bevor sie wieder auf den Füßen stand, hatte sie ihre eigene Waffe gezogen und feuerte eine Salve ab, die den Söldner mitten in die Brust traf und seinen massigen Körper nach hinten warf. Die Energieleiste über seinem Kopf wechselte von rot zu schwarz, und in Jess’ Blickfeld blinkte kurz die Nachricht Enemy down auf. Irgendwo in der Dunkelheit des Stegs musste noch der zweite Söldner sein, aber nun hatte Yara genug Vorsprung, um den Ausgang zu erreichen und von hier zu verschwinden.
Sofern Jess bis dahin die Tür aufgeschlossen hatte.
In dem Moment entdeckte Yara ihn hinter der Kiste. «Was hockst du denn da rum?», rief sie genervt. Ihre Stimme klang verzerrt und blechern in Jess’ Ohren. Der Unfall mit der Cola hatte dem Headset offenbar mehr zugesetzt als gedacht. «Beeil dich, sonst schaffen wir es wieder nicht.»
«Ich will nur sichergehen, dass –»
«Sichergehen.» Yara seufzte. «Dafür spielen wir das falsche Spiel, Jess. Beweg deinen Arsch!»
Sie steckte ihre Waffe zurück in den Waffengürtel und lief weiter. Nur Sekunden später tauchte auch der zweite Söldner auf, sprang über den leblosen Körper seines Kollegen, als bemerke er ihn gar nicht, und rannte Yara nach.
Jess schloss die Augen und atmete durch. Es war nur ein Spiel, sagte er sich wieder und wieder. Nur ein Spiel.
Vorsichtig spähte er um die Kiste herum in den Gang, an dessen Ende der Ausgang lag. Er schien verlassen zu sein, doch Jess wusste, dass der erste Eindruck meist trog. In jedem Spalt konnte jemand lauern, jeder Schatten konnte zum Leben erwachen, alles hier in dieser Halle war darauf ausgerichtet, ihn zu töten. Rasch kauerte Jess sich wieder hinter die Kiste. Sein Herz schlug bis zum Hals, und sein Körper war so vollgepumpt mit Adrenalin, dass er anfing zu zittern. Er konnte das nicht. Das war einfach nicht sein Ding. Warum zum Teufel hatte er bloß mitgemacht?
Hör auf mit dem Gejammer, schalt er sich. In Wahrheit hast du bloß Angst. Angst vor einem Spiel … So was Bescheuertes!
Beweg deinen Arsch.
Jess drückte den Joystick seines Controllers nach vorn. Seine Spielfigur setzte sich in Bewegung und bog um die Kiste in den Gang. Ein Schatten huschte in eine Lücke zwischen zwei Fässern. Er hörte ein Scharren, dann ein Trippeln. Diese verdammte Dunkelheit! Er konnte so gut wie nichts erkennen.
Sein Herz schlug so schnell, dass er das Gefühl hatte, es würde gleich explodieren. Ihm fiel der Nachtsicht-Modus wieder ein. Hektisch drückte er eine Tastenkombination, doch anstatt seine Umgebung schemenhaft aufleuchten zu sehen, erkannte er nur noch verschwommenes Grau-Braun. Den Zoom. Er hatte aus Versehen den Zoom eingeschaltet. Wieder ein Trippeln, näher diesmal. Rasch schaltete Jess das Fernglas wieder aus. Warum konnte er sich diese verfluchten Tasten nicht merken?
Er hörte das Fauchen erst, als es schon zu spät war. Sein Körper blinkte auf, und die Energieleiste unten in seinem Sichtfeld begann zu schrumpfen. Jess drehte sich um und sah in die toten Augen eines Zombies, der sich von hinten auf ihn gestürzt hatte. Hektisch wählte Jess eine Waffe aus seinem Inventar, irgendeine, Hauptsache, er bekam das Ding abgeschüttelt, bevor seine Energie endgültig verbraucht war. Unbeholfen schlug er auf den Zombie ein, bis er endlich von ihm abließ und ein paar Schritte zurücktaumelte. Aus seinem Maul troff Blut – sein Blut, nahm Jess an, und war heilfroh, dass er die Schmerzen seiner Spielfigur nicht wirklich empfand. Die rote Energieleiste über dem Kopf des Untoten war geschrumpft, Jess musste ihn also getroffen haben. Noch zwei, drei Treffer, und er wäre endgültig erledigt.
Der Zombie fixierte Jess mit starrem, lauerndem Blick. Dann stieß er ein gurgelndes Fauchen aus und sprang auf ihn zu. Jess drehte sich um – und rannte los.
Ich verdammter Idiot! Warum habe ich ihn nicht ausgeschaltet? Jess hätte sich am liebsten geohrfeigt. Aber nun war es zu spät. Seine Deckung war aufgeflogen. Er konnte förmlich spüren, wie sämtliche Gegner bei dem Gepolter seiner Schritte aufhorchten. Er hatte nur noch eine Chance: Er musste den Ausgang erreichen, bevor sie ihn erreichten. Er rannte den Gang entlang auf die Tür zu, die sich als schemenhaftes Rechteck am Ende der Halle abzeichnete. Daneben erkannte er die Umrisse von Yaras Spielfigur.
«Hey, Mann, was machst du denn?», drang ihre blecherne Stimme aus dem Headset.
«Wenn ich schnell genug an der Tür bin, dann …»
Die beiden Zombies kamen wie aus dem Nichts. Aus einem Gang zwischen aufgestapelten Fässern sprangen sie ihm in den Weg, die Mäuler zu einem triumphierenden Grinsen verzogen.
Jess stoppte abrupt ab, sah sich verzweifelt nach einem Ausweg um. Doch es gab keinen. Nur wenige Meter hinter ihm tauchten vier massige Gestalten auf, Söldner wie der, der Yara verfolgt hatte. Und über ihm in der Luft hörte er das Rauschen von Flügeln, die den Gargoyles gehören mussten, die an der Decke der riesigen Lagerhalle lebten. Die Umgebung begann zu ruckeln, wurde unscharf und verpixelt. Jess stöhnte auf. Das schaffte auch nur er – so viele Gegner auf einmal anzulocken, dass der Prozessor nicht mehr hinterherkam. Gegen diese Übermacht hatte er keine Chance. Er schloss die Augen und biss sich so fest auf die Lippen, dass er Blut schmeckte. Das war’s. Jesper Adams hatte wie immer versagt.
«Kämpf, verdammt noch mal!», rief Yara. «Gib nicht einfach auf. Noch bist du nicht tot!»
Jess öffnete die Augen und sah, wie Yara auf ihn zustürmte und bereits die ersten zwei Gegner ausgeschaltet hatte. Hastig griff er nach seiner Waffe, doch es war zu spät. Der giftgrüne Strahl eines Ziellasers war direkt auf sein Herz gerichtet. Bevor er reagieren konnte, sah er die Mündung der Waffe aufblitzen. Der Schuss knallte wie ein Peitschenschlag durch die Halle. Sein Körper blinkte wieder auf, seine Energieleiste leerte sich mit einem Schlag. Dann wurde alles schwarz.
Das rote Game Over waberte und pulsierte anklagend vor seinen Augen. Nachdem der deprimierende Jingle verstummt war, der den Tod seiner Spielfigur tragisch untermalte, blieb Jess noch für einen Moment sitzen und lauschte dem Geräusch seines eigenen Atems. Er hatte es mal wieder verbockt.
Seufzend zog er die VR-Brille ab und brauchte zwei, drei Sekunden, um sich zu orientieren – wie immer, wenn er aus einem Spiel kam. Anstatt in der düsteren, riesigen Lagerhalle voller Zombies und Söldner befand er sich auf dem Boden in Yaras abgedunkeltem Zimmer zwischen Umzugskartons und auseinandergebauten Möbeln. Seine beste Freundin saß neben ihm und funkelte ihn genervt an.
«Warum hast du den Typen denn nicht die Rübe abgehauen?», fragte sie. «Das kann doch nicht so schwer sein.»
«Für dich vielleicht», erwiderte Jess und rieb sich über die Druckstellen, die die Brille auf seiner Stirn...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2024 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Actionroman • All Age Roman • Bücher mit Drachen • Buch für Jungs • Buch für Teenager • cooles Buch • Erebos Buch • für gamer • Gaming Roman • Jugendbuch ab 14 • Kampf zwischen Gut und Böse • Mittelalter Fantasy • Ready Player One • science fiction jugendbuch • spannender Jugendroman • Thriller für Jugendliche • Ursula Poznanski • Videospiel • Videospiele Buch • Virtuelle Welten |
ISBN-10 | 3-7336-0657-4 / 3733606574 |
ISBN-13 | 978-3-7336-0657-2 / 9783733606572 |
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