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Winterpferde (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
288 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0817-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Winterpferde -  Philip Kerr
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Es ist ein eisiger Winter 1941 auf Askania-Nowa, wo sich das jüdische Mädchen Kalinka versteckt hält. Hier auf dem alten Naturreservat leben auch die seltenen Przewalski-Pferde. Sie scheinen zu spüren, dass Kalinka eine von ihnen ist - denn wie Kalinka sind sie in großer Gefahr vor den Nazis, die Askania-Nowa besetzen. Mit Hilfe des treuen Tierwärters Max flieht Kalinka mit zwei Pferden und einem Wolfshund Hunderte von Kilometern über die weiße Steppe der Ukraine. Doch können ein Mädchen und drei Tiere der Übermacht der Deutschen entkommen? Spannend und stimmungsvoll erzählt Philip Kerr von der Flucht im ukrainischen Winter - aber auch davon, wie die Liebe zu den Pferden das erstarrte Herz eines einsamen Mädchens mitten im Krieg zu erwärmen vermag.

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.

Es war im Sommer 1941, als die gesamte Belegschaft des Staatlichen Naturreservats der Ukrainisch-Sozialistischen Sowjetrepublik die Flucht ergriff. Bevor ihr oberster Leiter, Boris Demianowitsch Krajnik, in seiner schwarz glänzenden Limousine davonfuhr, hatte er Maxim Borisowitsch Melnik, der für die Tiere des Reservats zuständig war, ebenfalls die Flucht befohlen.

«Die Deutschen kommen», hatte er Max erklärt. «Ihre Armeen haben die Sowjetunion ohne jede Vorwarnung angegriffen. Kiew ist bereits eingenommen, und bald werden sie hier sein. Vielleicht schon nächste Woche.»

Während er mit Maxim Borisowitsch Melnik sprach, räumte Krajnik seinen Schreibtisch und packte seine Taschen. Dann machte er sich bereit zu gehen.

«Aber ich dachte, die Deutschen wären unsere Verbündeten», sagte Max, denn seit 1919 hatte sich in der Ukraine viel verändert.

«Das waren sie mal. Aber jetzt nicht mehr, verstehst du das nicht? Das ist Politik. Bestimmt haben sie es auf die Ölfelder der Krim abgesehen. Um ihre Kriegsmaschinerie zu bedienen. Pass auf, Maxim Borisowitsch, du brauchst nur eins zu wissen: Die Deutschen sind Faschisten, und wenn sie hierherkommen, werden sie dich töten. Natürlich wird unsere eigene Rote Armee sie bald besiegen, aber bis es so weit ist, solltest du das Reservat verlassen.»

«Aber wo soll ich hingehen?», wollte Max von Krajnik wissen.

«Das ist dein Problem, Kamerad. Aber ich rate dir, nach Osten zu gehen, in Richtung unserer eigenen Armee. So schnell du nur kannst. Doch bevor du gehst, erteile ich dir noch einen wichtigen Befehl. Sehr wichtig. Er kommt vom Zentralkomitee.»

Max wunderte sich darüber, dass das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei überhaupt von seiner Existenz wusste, ganz zu schweigen davon, dass sie ihm einen wichtigen Befehl gab. Bei dieser Vorstellung musste er lächeln.

«Ein Befehl für mich? Und wie lautet er, Kamerad?»

«Das Komitee befiehlt dir, alle Tiere im Reservat zu töten.»

«Du machst Witze, Boris Demianowitsch. Oder vielleicht macht das Komitee Witze.»

«Das Zentralkomitee macht keine Witze, Maxim Borisowitsch.»

Das Lächeln verschwand ebenso schnell aus Max’ bärtigem Gesicht, wie es gekommen war. Nachdenklich rieb er sich das Genick – es schien immer ein wenig zu schmerzen, wenn das Gespräch darauf kam, ein Tier zu töten.

«Ich soll alle unsere Tiere töten, sagst du?»

«Alle.»

«Was – die Zebras auch? Die Pfaue? Und die Lamas?»

«Ja, Kamerad.»

«Auch die Przewalski-Perde?»

«Auch die Pferde.»

«Um Gottes willen, warum?»

«Damit sie nicht in die Hände der Feinde gelangen, natürlich. In diesem Reservat spaziert genug Fleisch herum, um eine kleine Armee zu versorgen. Wild, Ziegen, Bisons, Pferde, Hühner … sie müssen alle erschossen werden. Ich würde dir ja helfen, aber – ich habe selbst wichtige Befehle zu befolgen. Ich werde dringend in Charkiw erwartet. Darum muss ich heute gehen. Jetzt. Sobald wir unser Gespräch beendet haben.»

«Aber ich kann unsere Tiere nicht töten, Kamerad», sagte Max. «Einige von ihnen sind sehr selten. So selten, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Und nicht nur das – einige von ihnen sind meine Freunde.»

«Das ist sentimentaler Quatsch. Wir befinden uns im Krieg, verstehst du das nicht? Und unsere Leute sind es, die vom Aussterben bedroht sind. Die Deutschen wollen unser Land besetzen und uns alle ausrotten, damit sie hier leben können. Also, wenn ich zurückkomme und feststelle, dass du meine Befehle nicht ausgeführt hast, dann rufe ich die Geheimpolizei und lasse dich erschießen. Du hast ein Gewehr. Also benutz es.»

«Jawohl», sagte Max, obwohl er ganz offensichtlich nicht die Absicht hatte, irgendein Tier zu töten; außerdem bezweifelte er sehr, dass Boris Demianowitsch Krajnik so bald wiederkommen würde. «Es gefällt mir nicht, aber ich tue, was du mir sagst, Kamerad.»

«Mir gefällt es auch nicht, Maxim Borisowitsch, aber wir kämpfen hier um unser Vaterland. Wir kämpfen ums nackte Überleben. Entweder die Deutschen oder wir. Und nach dem, was ich so gehört habe, haben sie in Polen schon ein paar schreckliche Dinge angestellt. Du tust also gut daran, dich vor ihnen zu fürchten.»

Und mit diesen Worten fuhr Krajnik so schnell er konnte davon.

Max verließ das Haus und ging zurück in seine einfache Hütte am Rande der Steppe.

Das Reservat, über das er nun die alleinige Aufsicht hatte, war ein entlegener, verzauberter Ort mit einem Zoo und einer offenen Steppe, die mehr als dreihundert Quadratkilometer umfasste. Es war eine wilde, öde wirkende Region mit offenem baumlosem Weideland, abgesehen von Abschnitten mit dichten Wäldern, die sich in der Nähe von Flüssen und Seen befanden. Die Steppe ist dafür bekannt, dass sie so kahl ist wie die Handfläche eines Menschen; dass es hier im Winter vor Wind und Kälte nicht auszuhalten ist und im Sommer vor Hitze. Doch in Wahrheit ist das Wetter viel unberechenbarer.

Max glaubte nicht, dass er Krajnik sehr vermissen würde. Einer der Gründe, weshalb der alte Mann das Reservat so sehr liebte, war, dass man nur selten Menschen wie Krajnik begegnete: Es gab nur sechs kleine Dörfer im Reservat, und die nächste Stadt, Mykolajiw, lag über drei Stunden mit dem Auto entfernt. Max gefiel das, schließlich war es der Sinn eines Naturreservats, den Tieren Schutz vor den Menschen zu gewähren, einen Platz zu geben, wo sie leben konnten, ohne arbeiten zu müssen oder gejagt zu werden. Und trotz allem, was Krajnik über die Deutschen gesagt hatte, hoffte der alte Mann, dass sie besser waren als die ukrainische Sowjetregierung. Und er glaubte nicht, dass seine Hoffnung unbegründet war.

Denn schließlich war es ein Deutscher gewesen, kein Ukrainer oder Russe, der die Tiere so geliebt hatte, dass er das Reservat in Askania-Nowa gegründet hatte. Derselbe Deutsche – Baron Falz-Fein – war außerdem der einzige Mensch gewesen, der zu Max je wirklich freundlich gewesen war. Max’ Bild von den Deutschen auf Askania-Nowa ließ ihn glauben, dass er mit ihnen würde reden können, falls sie wirklich hier auftauchten und versuchten, die Tiere zu töten. Immerhin sprach er Deutsch, auch wenn es schon viele Jahre her war, seit er es gebraucht hatte. Und als Krajnik aus Askania-Nowa abfuhr, tötete Max kein Tier, sondern kehrte stattdessen in seine Hütte zurück und suchte nach dem deutschen Wörterbuch und der Grammatik, die ihm der Baron vor über vierzig Jahren zu seinem Geburtstag geschenkt hatte. Und da er nur ein kleines Regal besaß, auf dem die Bibel stand, ein langes Gedicht namens Eugen Onegin und Die hypermoderne Schachpartie von Savielly Tartakower, fand er die Bücher schnell und begann, seine Erinnerung an die deutsche Sprache aufzufrischen.

 

Es dauerte noch zwei Wochen, bevor die deutsche SS in Lastwagen und auf Motorrädern heranfuhr und das Haupthaus in Beschlag nahm. Die Männer schienen in sehr guter Stimmung zu sein und benahmen sich höflich, als Max sich einem der Wachmänner vorstellte und darum bat, den befehlshabenden Offizier zu sprechen. Trotz des Totenschädels und der gekreuzten Knochen auf ihren Mützen und Helmen hatte Max keine Angst vor ihnen. Sie führten ihn in das ehemalige Arbeitszimmer des Barons, wo Max sich die Mütze vom Kopf riss und sich einem Hauptmann Grenzmann vorstellte. Er kramte sein Deutsch hervor und erklärte dem Hauptmann, dass das Naturreservat Askania-Nowa von einem deutschen Baron namens Ferdinand von Anhalt-Köthen gegründet worden und später an den Baron Fein verkauft worden war, für dessen Urenkel, Friedrich Falz-Fein, Max gearbeitet hatte. Der Hauptmann hörte geduldig zu und machte deutlich, dass ihn die Geschichte von Maxim Borisowitsch faszinierte.

«War es Baron Falz-Fein, der dir Deutsch beigebracht hat?», fragte er Max.

«Ja, Herr Hauptmann.»

«Das dachte ich mir.»

«Tatsächlich war es genau hier, wo er es mir beibrachte. Ich bin seit zwanzig Jahren nicht mehr in diesem Zimmer gewesen.»

Der Hauptmann lächelte. «Ich möchte nicht unhöflich sein – Max, nicht wahr?»

Max nickte.

«Aber du musst zugeben, dass dein Deutsch ein wenig merkwürdig klingt. Aristokratisch. Wenn man dich so ansieht, ist das schon amüsant. Nimm es mir nicht übel, aber es klingt so wie der Schwan, der aus dem hässlichen Entlein spricht.»

«So habe ich es noch nicht betrachtet, Herr Hauptmann.»

«Was ist mit ihm passiert? Mit dem Baron und seiner Familie?»

«Ich glaube, der Baron lebt mit seiner Familie in Deutschland, Herr Hauptmann. Aber die alte Baronin wurde von der Roten Armee getötet. Und ich wurde eingesperrt und gefoltert, weil ich für sie gearbeitet habe.»

«Und darum bist du wohl auch nicht von hier geflohen. Weil du wusstest, dass du von den Deutschen nichts zu befürchten hast.»

«Ja, Herr Hauptmann.»

«Und was tust du hier auf dem Gelände?»

«Ich bin eine Art Zoowärter, Herr. Nur dass es keine Käfige oder Gehege gibt – zumindest nicht für die meisten Tiere. Wir halten ein oder zwei in Gehegen, wenn wir wollen, dass sie sich vermehren. Aber die meisten Tiere laufen hier so frei herum, wie die Natur es vorgesehen hat.»

Hauptmann Grenzmann stand auf und ging zu einer gerahmten Landkarte des Reservats, die an der Wand des Arbeitszimmers hing.

«Zeig es mir.»

Max deutete auf die wichtigsten Merkmale des Reservats und versuchte, sich beim Hauptmann beliebt zu machen, und sei es nur zum Wohl der Tiere von Askania-Nowa.

«Nun, ich danke dir, Max. Du hast mir...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2024
Übersetzer Christiane Steen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Abenteuer • Askania-Nowa • Flucht • Höhlenpferd • Jüdisches Mädchen • Kalinka • Nazi • Przewalski-Pferd • Rote Armee • russischer Feldzug • Ukraine • Winter • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-7336-0817-8 / 3733608178
ISBN-13 978-3-7336-0817-0 / 9783733608170
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