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Blätterrauschen (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0847-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blätterrauschen -  Holly-Jane Rahlens
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Als es an einem stürmischen Herbstabend plötzlich an die Hintertür zum Leseclub der Buchhandlung «Blätterrauschen» klopft, ahnen Oliver, Iris und Rosa noch nicht, dass sie bereits mitten in einem großen Abenteuer stecken. Denn der Junge vor der Tür kommt aus der Zukunft. Und er braucht eine Weile, um zu erkennen, dass er sich nicht in einem virtuellen Spiel befindet, sondern gegen seinen Willen in die Vergangenheit gereist ist - ins 21. Jahrhundert. Gemeinsam mit Colin gelangen die Kinder zunächst in eine Parallelwelt und schließlich in die Zukunft - und müssen feststellen, dass sie alle möglicherweise nur Figuren in einem großen Komplott sind, in dem es um nicht weniger geht als um ihr Leben!

Holly-Jane Rahlens kam Anfang der 70er-Jahre aus ihrer Heimatstadt New York nach Berlin. Mit Funkerzählungen, Hörspielen und Solo-Bühnenshows machte sie sich dort in den 80ern und 90ern einen Namen. Außerdem arbeitete sie als Journalistin, Radiomoderatorin und Fernsehautorin, bis sie sich ganz dem Schreiben widmete.

Holly-Jane Rahlens kam Anfang der 70er-Jahre aus ihrer Heimatstadt New York nach Berlin. Mit Funkerzählungen, Hörspielen und Solo-Bühnenshows machte sie sich dort in den 80ern und 90ern einen Namen. Außerdem arbeitete sie als Journalistin, Radiomoderatorin und Fernsehautorin, bis sie sich ganz dem Schreiben widmete. Joachim Knappe, geboren 1962 in Hamburg, studierte nach seiner Ausbildung zum Tischler an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg. Seit seinem Diplom im Fach Illustration arbeitet er als freier Illustrator für verschiedene Verlage.

1. Kapitel Blätterrauschen


Irgendetwas stimmte nicht. Alles war auf einmal so still. Das Rauschen der Blätter an den Bäumen draußen im Hof war verstummt. Ebenso das Stimmengemurmel hinter der Tür zur Buchhandlung. Selbst die Uhr an der Wand tickte nicht mehr. War es nicht schon zehn nach vier gewesen, als er das letzte Mal hingeschaut hatte? Außerdem war es viel kälter im Zimmer.

Oliver lauschte auf Geräusche, irgendwelche Geräusche, egal was – und hatte plötzlich das Gefühl, dass jemand direkt hinter ihm stand und ihm ins Ohr flüsterte. Er fuhr herum. Aber da war niemand. Nichts.

Rosa, die ihm gegenüber am Tisch saß, blickte von ihrem Buch auf. «Was?», sagte sie. «Was ist denn?»

Jemand war im Zimmer, ganz bestimmt. Oliver öffnete den Mund, um Rosa zu warnen, aber da schreckte sie bereits hoch und drehte den Kopf ruckartig zur Seite wie ein Hund, der die Ohren spitzt. Was immer es war, jetzt hatte sie es auch gespürt. Sie umklammerte ihre Stuhllehne.

Und dann drehte sich auch Iris, die bis dahin gedankenverloren vor dem Regal mit den Leseexemplaren gestanden hatte, blitzartig herum. Ihre Augen huschten durch den Raum. Selbst sie schien diese merkwürdige Veränderung in der Atmosphäre wahrzunehmen. Iris hatte zwar ein Gehirn von der Leistungsfähigkeit des Genfer Teilchenbeschleunigers, aber wenn es darum ging, die Signale ihres Körpers zu deuten, war sie hoffnungslos unterentwickelt. Doch jetzt hatte sie immerhin gemerkt, dass ihr Herz sehr viel heftiger klopfte als normal, denn sie griff sich an die Brust, als wollte sie es beruhigen, wobei sie das Buch vergaß, das sie noch immer in der Hand hielt. Genau in dem Moment, als es zu Boden fiel, krachte ein Donnerschlag. Ein Blitz erhellte den Raum – kraaack!

Die Kinder fuhren zusammen.

Oliver hörte eilige Schritte. Die Tür flog auf, und der frische, feucht-erdige Geruch der Bonsaibäume aus dem Laden strömte ins Hinterzimmer. Cornelia Eichfeld, die Inhaberin der Buchhandlung BLÄTTERRAUSCHEN, steckte den Kopf herein. Hinter ihr konnte Oliver mehrere Kunden sehen und die zwei Meter hohen, vollgestopften Bücherregale, in denen hier und da Miniaturbäume standen, beleuchtet wie in einer Kunstgalerie, jeder eine eigene kleine Topflandschaft. «Ihr müsst leider ohne mich anfangen», sagte Cornelia. «Bernd hat sich verspätet. Er hat gerade angerufen. Sorry.» Ihre atemlose Art zu sprechen erweckte immer den Eindruck, als wäre sie in Eile. «Muss wieder zu meinen Kunden. Ciao, ciao.» Sie warf den Kindern ein Lächeln zu, doch diese starrten sie nur verstört an. «Hey, alles in Ordnung mit euch?» Cornelias Augen bohrten sich in Oliver.

Oliver nickte, aber als er den Mund öffnete, um zu bejahen, kam nur ein Keuchen heraus.

«Oliver?», fragte Cornelia.

«Alles okay», brachte er mühsam hervor, räusperte sich und griff in seinen Rucksack. Er zog den Mini-Inhalator heraus, den er immer dabeihatte. «Ich bin bloß gegen irgendwas hier im Zimmer allergisch.» Er schob das Mundstück zwischen die Lippen, drückte und inhalierte die Sprühwolke. Er schenkte Cornelia ein munteres Lächeln und wartete darauf, dass seine Brust sich entspannte.

«Ihr drei habt doch wohl keine Angst vor dem kleinen Gewitter da draußen, oder? Weil, wenn doch –»

«Ach, was! Du hast uns bloß überrascht, das ist alles», sagte Iris und hob das Buch auf, das sie fallen gelassen hatte. «Ich war gerade dabei, über die Komplexität von Blitzentladungen nachzudenken, deren Schwingungen sich in der Luft fortsetzen und einen Knall auslösen, gemeinhin als Donner bezeichnet, als du reinkamst und –»

«So, so», sagte Cornelia abgelenkt. Sie schien gar nicht richtig zuzuhören.

Aber Iris, bemerkte Oliver, wollte Cornelia offensichtlich nicht erzählen, dass eben etwas sehr Seltsames im Zimmer geschehen war. Und auch Rosa nicht. Was auch immer da gewesen war, es ging nur sie drei etwas an und niemanden sonst.

«Das kannst du mir später ja noch genauer erklären», sagte Cornelia und lächelte Iris freundlich an. Dabei fiel ihr Blick auf die Mangas und alten Comichefte, die vor Oliver lagen, und auf Rosas Stapel Romantasy-Romane. «Ihr habt ja genug zu lesen, um euch die Zeit zu vertreiben. Heute seid ihr nur zu dritt. Emil hat sich krankgemeldet, und alle anderen sind in den Ferien. Okay?»

Die Kinder nickten brav.

«Und streitet euch bitte nicht wegen irgendwelcher Bücher.» Cornelia sah erst Iris an, dann Rosa. «Wie wollt ihr je rausfinden, was euch gefällt, wenn ihr nicht alles mal ausprobiert?» Sie wandte sich zum Gehen, schaute sich dann aber noch mal im Raum um. Oliver glaubte zu sehen, wie sich ihr Gesicht kurz verdunkelte, aber er war sich nicht ganz sicher, weil es so viel in ihrem Gesicht gab, das ihn davon ablenkte. Cornelia hatte Lachfältchen um den Mund, Krähenfüße an den Augen wie Strahlenkränze und Sorgenfalten quer über der Stirn wie eine Bulldogge. Olivers Vater meinte immer, sie sähe genauso aus wie ihre Bonsais – prähistorisch. Er meinte es als Scherz, aber in Wahrheit klang es bloß gemein.

Cornelia rief den Kindern ein letztes «Ciao, ciao» zu, warf sich den langen weißen Zopf auf den Rücken und eilte zurück zu ihren Kunden. Die Tür fiel hinter ihr zu.

Rosa, Oliver und Iris waren wieder allein.

Oder etwa nicht?

Sie warteten auf ein weiteres Zeichen, aber was auch immer sie eben aufgeschreckt hatte, war nicht mehr da. Sie atmeten auf.

«Ihr wisst natürlich», begann Iris, «dass Donner eigentlich –»

«Jaja, wir wissen Bescheid», sagte Oliver, der kein bisschen Bescheid wusste, was Donner anging. Er wollte bloß nicht, dass Iris ihnen wieder einen Vortrag hielt. Sie war ihm unheimlich. Sie redete wie eine Erwachsene. Die Komplexität von Blitzentladungen … Hallo? Konnte sie nicht wie eine Zwölfjährige sprechen? Für ihr Alter wusste sie einfach viel zu viel. Oliver war dreizehn, und sie war trotzdem schon eine Klasse über ihm, was zugegebenermaßen ebenso sehr an ihm lag wie an ihr: Er war einmal sitzengeblieben, in dem Jahr, als er Asthma bekam und jede Menge Unterricht verpasst hatte. Aber er hatte es trotzdem aufs Gymnasium geschafft – sehr zur Überraschung seines Vaters. «Du und Gymnasium?», sagte sein Vater immer, wenn er von seinen Videospielen oder dem fünften Bier oder einem Tippzettel aufsah. «Ha! Das wird doch sowieso nix.»

Oliver fischte einen grünen Gelstift aus seiner Federtasche.

«Es freut mich, dass du dich mit Donner auskennst», sagte Iris zu Oliver. «Dann muss ich dir ja eine Sache weniger erklären.» Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Sie war ein pummeliges Kind und ein bisschen tollpatschig, und sie stieß Oliver aus Versehen mit ihrem Bein an. Oliver sah sie so erschrocken an, als wäre sie ein Zombie.

Iris tat so, als hätte sie nichts gemerkt. Solche Blicke erntete sie ständig. Sie kam nicht gut mit anderen Kindern aus. Und diese nicht mit ihr. Vielleicht wäre es einfacher, wenn sie sich anders anziehen würde, dachte Oliver. Aber heute sah sie wieder aus wie ein Papagei: verwaschene rote Cordhose, die ihr zu groß war; lila-orange karierte Bluse, bei der ihm schon vom bloßen Hingucken schwindelig wurde; grüne Daunenweste. Aha – vielleicht japste er deshalb so nach Luft. Daunenfedern. Dagegen war er allergisch.

Oliver fing an, einen Papagei zu zeichnen: den Kopf, den Körper, den –

«Also», sagte Iris und goss sich eine Cola ein. «Was war das eben? Wie ominös.» Sie nahm einen Schluck und rülpste leise.

Keiner sagte etwas – Oliver, weil er überlegte, was «ominös» bedeutete, und Rosa (die wusste, dass es «unheimlich» hieß), weil sie noch zu aufgewühlt war, um zu antworten.

Oliver fiel auf, dass die Knöchel von Rosas rechter Hand ganz weiß waren, so fest umklammerte sie die Stuhllehne. Ihre linke Hand dagegen lag still auf der Tischplatte, leblos unter diesem fleischfarbenen gummiartigen Handschuh, den sie immer trug. Er hätte gern gewusst, was darunter war. Wahrscheinlich eine Art mechanische Hand, vermutete er, wie bei Robotern, und der Handschuh sollte sie schützen und aussehen lassen wie eine echte Hand. Das hatte seine Mutter ihm jedenfalls so erklärt, und die wusste fast alles über jeden im Haus. Sie war die Hausmeisterin. Eigentlich war sein Vater der Hausmeister, aber der machte überhaupt nichts mehr im Haus – außer Krach, wenn er von der Eckkneipe nach Hause kam. Oliver und seine Mutter erledigten alle Arbeiten. Oliver hatte sogar einen eigenen Generalschlüssel. Früher hatte auch Thilo manchmal mitgeholfen, aber jetzt war er weg. Keiner wusste, ob er – Nein! Oliver wollte nicht an seinen Bruder denken. Nicht jetzt. Das machte ihn nur wütend. Auf Thilo. Auf seinen Vater. Sogar auf seine Mutter. Und auch auf sich selbst.

Oliver starrte auf Rosas Prothesenhandschuh. Es war eine gute Nachahmung einer Hand, mit Adern, Falten an den Knöcheln und Fingernägeln mit Halbmonden. Aber sie wirkte irgendwie nicht richtig echt, weil sie so leblos war – Oliver hatte noch nie gesehen, wie sie sie benutzte. Er sah Rosa überhaupt nur noch selten, und heute war er erst zum dritten Mal hier im Leseclub. Er fragte sich, ob die Finger richtig beweglich waren – elektronisch, versteht sich. Vielleicht ließ sich sogar das ganze Handgelenk drehen. Es wäre bestimmt cool, die Prothese zu zeichnen.

«Was glotzt du so?», sagte Rosa zu Oliver. Es klang hochnäsig, zornig, genervt, gekränkt, unsicher – eine ganze Reihe...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2024
Reihe/Serie Blätterrauschen
Illustrationen Joachim Knappe
Übersetzer Klaus Timmermann, Ulrike Wasel
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte Blätterrauschen • Blühende Fantasie • Buchhandlung • Dark Winter • Iris • Leseclub • Moca Mola • Oliver • Parallelwelt • Rosa • Science Fiction • Virtual Reality • Zeitreise • Zukunft
ISBN-10 3-7336-0847-X / 373360847X
ISBN-13 978-3-7336-0847-7 / 9783733608477
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