Shit Bag (eBook)
304 Seiten
Arctis Verlag
978-3-03880-189-4 (ISBN)
Xena Knox lebt mit ihrem Mann in London und auf einer Farm in Schottland - gemeinsam mit einer widerspenstigen Mädchenbande aus schwarzen Teufelsschafen, Shetlandponys und Vollblütern. Xenas Debütroman »Shit Bag« basiert auf ihren eigenen Erfahrungen mit akuter »Colitis Ulcerosa« und dem Jonglieren zwischen Leben mit Stoma, Studium und Dating.
Xena Knox lebt mit ihrem Mann in London und auf einer Farm in Schottland - gemeinsam mit einer widerspenstigen Mädchenbande aus schwarzen Teufelsschafen, Shetlandponys und Vollblütern. Xenas Debütroman »Shit Bag« basiert auf ihren eigenen Erfahrungen mit akuter »Colitis Ulcerosa« und dem Jonglieren zwischen Leben mit Stoma, Studium und Dating.
Kapitel 2
Ich fühle mich wie Cinderella. So war das nicht gedacht. Lockie und ich hätten heute Abend zusammen auf den Ball gehen sollen. Ich war mir sicher, dass er wenigstens kurz vorbeikommt. Mir Blumen bringt. Sagt, dass der Ball ohne mich scheiße wird.
Wenn das alles nicht passiert wäre, dann wären wir jetzt garantiert wieder zusammen.
Hör auf damit, Freya!
Schwerfällig schlüpfe ich aus dem Bett und schleppe mich über den Gummifußboden, den klapprigen Infusionsständer hinter mir herziehend wie ein altersschwaches Porzellinchen – ihr wisst schon, aus Toy Story. Damit ich meinen Bauch nicht überstrapaziere, greife ich gebückt nach dem sperrigen Plüschklumpen namens Winston und schubse den Teddy über die Stangen und Stützkissen aufs Bett. Ich schlurfe zurück und mache auf dem Rückweg die Tür zu und das Licht aus. Dann setze ich mich auf den Bettrand. Nacheinander hieve ich die Beine hinauf, schlüpfe unter die Decke und ziehe Winston vom Bettende zu mir hoch.
Dad hat mir den riesigen Teddy gekauft, als ich auf der Intensivstation lag. Er und Nibblet – der alte Stoffhase, der mich schon seit meiner Geburt begleitet – haben in den letzten Wochen abwechselnd auf mich aufgepasst. Mit »er« meine ich übrigens Winston, nicht Dad. Klar, der hat auch auf mich aufgepasst. Und Mum – auf ihre eigene Art … Aber meine Eltern können mir nicht dabei helfen, die Krankenhausnächte zu überstehen, so wie Winston und Nibblet es tun. Sie sind nicht da, wenn das Pflegepersonal morgens um halb sieben die Schicht wechselt und uns alle aufweckt, bevor sie nach Hause gehen. Ein echter Albtraum, sage ich euch. Meistens bin ich grade erst weggedöst und Frühstück gibt es frühestens anderthalb Stunden später, ich kapier also nicht, warum sie uns unbedingt wecken müssen. Vielleicht, um sicherzugehen, dass wir nicht während ihrer Schicht gestorben sind. Das wäre wahrscheinlich ziemlich peinlich. Ja, also Freya war heute Nacht zweimal wach, deshalb dachten wir, wir lassen sie bis zu ihrem ausgewogenen, vollwertigen Frühstück aus klaren Flüssigkeiten schlafen.
Ähm …, sagt dann die Ablösung, Freya ist ziemlich kalt und rührt sich nicht. Ich glaube, sie ist schon eine ganze Weile tot.
Keine Ahnung, woran es liegt, aber irgendwas haben Krankenhäuser an sich, dass man solche Gedanken bekommt. Morbide Gedanken, meine ich. Ich habe sogar Briefe geschrieben – von Hand – und in meiner Nachttischschublade versteckt. Nur für den Fall. Ihr wisst schon. Dass ich doch abkratze. In Morvens Brief steht eine lange Liste mit Songs, die sie auf meiner Beerdigung spielen sollen. Lockies Brief würde ich am liebsten zerreißen und einen neuen schreiben. Aber irgendwie will ich nicht, dass die letzte Erinnerung an seine erste Liebe – in der vierten Klasse haben wir es offiziell gemacht – ein wütendes und melodramatisches Gekritzel voller Rotzflecken und Tränen ist. Nee. Soll Lockie mal schön den Brief mit den glücklichen Erinnerungen lesen, in dem ich ihm dafür danke, dass er immer für mich da war, wenn ich ihn gebraucht habe. Dann kann er sich so richtig schlecht fühlen, dass er mich geghostet und dafür gesorgt hat, dass mich alle für den traurigen und einsamen Rest meines kurzen, kläglichen Lebens Shit Bag nennen.
Ich stelle mein iPad auf den kleinen Nachttisch, der sich geschickt über das Bett schieben lässt, und klicke mich durch die Filme, die der Algorithmus heute Abend zu meinem privaten Vergnügen vorsieht … Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Perfekt. Sehr aufmunternd.
Nach etwa einer Stunde öffnet sich die Tür und ich erstarre mitten in der Bewegung. Mit einem leisen Pling geht die Deckenlampe an und blendet mich.
»Na, gönnen wir uns einen kleinen Snack?«
Erwischt. Ich rümpfe die Nase, als Julie, meine Lieblingspflegerin, hineinkommt. Der Film war echt depri. Deshalb habe ich alle Vorsicht über Bord geschmissen und mir den Großteil der Schokokekse reingezogen, die Suriya mir mitgebracht hat.
»Cola light?«, fragt Julie und schüttelt probeweise eine der leeren Dosen auf dem kleinen Tisch.
Ähm, ja, anscheinend habe ich auch zwei Dosen von Morvens Viererpack Cola light getrunken. Schlechte Idee, ich weiß. Ganz schlechte Idee.
»Wie fühlst du dich?«, fragt Julie. Ihr Gesicht ist ernst, aber sie hebt spöttisch eine Augenbraue.
»Den Umständen entsprechend eigentlich ganz gut.«
»Hmm. Dann brauchst du das hier ja nicht mehr.« Julie streckt den Arm aus und wischt den Hinweis »Nur klare Flüssigkeiten« von dem Whiteboard über meinem Kopf. »Hast du trotzdem Hunger?«
»Na ja …«
»Wie wär’s mit ein bisschen Toast mit Honig?«
»Echt? Das wär toll!«
»Und ich bringe dir eine Tasse Pfefferminztee. Vielleicht hilft das gegen die Blähungen.«
Oh, Mist! Die Blähungen. »Julie!«, rufe ich ihr hinterher. »Kannst du die restliche Cola mitnehmen? Sonst trinke ich die auch noch.«
»Wenn du darauf bestehst.« Sie zwinkert, dreht sich auf dem Absatz ihrer Crocs um und verschwindet.
Ach ja, die Blähungen … Irgendwann um Mitternacht halte ich es nicht mehr aus, traue mich aber nicht, es einfach rauszulassen. Das kann ich niemandem antun … Und schlafen kann ich natürlich auch nicht. Trotz der Tablette, die ich bei der abendlichen Medikamentenrunde bekommen habe, hält mich das ganze Koffein aus der Cola wach. Allerdings kann ich auch mit Schlaftablette nicht so richtig gut schlafen.
Ich ergebe mich also meinem Schicksal, schiebe den thrombosebestrumpften Fuß über die Bettkante und setze ihn auf den glänzenden Gummifußboden. Dann stütze ich mich auf das Tropfgestell und roll-schlurfe mehr schlecht als recht zur Tür. Ich spähe hinaus auf den Flur. Vor dem Pflegestützpunkt ist niemand zu sehen. Aus einem der Zimmer dringt das Weinen eines Babys. Das Schreien wird lauter, als die Tür aufgeht und eine Pflegerin hinaus- und in den Entsorgungsraum eilt. Ich warte und sehe, wie Julie mit einem Papptablett aus dem Medikamentenraum kommt, im Eilschritt den Gang hinunterläuft und im Zimmer des Babys verschwindet.
Julie hat gesagt, dass sie mir hilft, aber jetzt gerade kann ich sie wohl schlecht unterbrechen. Nein, ich muss es allein versuchen.
Umständlich rolle ich ins angrenzende Badezimmer, wobei ich versuche, den Arm mit der Kanüle gerade zu halten. Wenn ich auf dem Rücken liegen würde, sähe ich aus wie ein Zombie beim Speerwurf.
Ich stoße gegen den Türrahmen, quetsche mich und den Infusionsständer irgendwie ins Bad und rückwärts aufs Klo. Na ja, immerhin weiß ich jetzt, dass mein Verdauungskanal wieder funktioniert. Der Kotz-Marathon kürzlich, der meinen Aufenthalt in der Krankenhaus-Hölle noch ein bisschen verlängert hat, kam anscheinend von einem Darmverschluss. Aber wie es aussieht, hatte der Chirurg recht und Zeit und Schmerzmittel haben meinen Darm wieder zur Besinnung gebracht. Hey, auch für kleine Wunder muss man dankbar sein …
Ich gucke hinunter auf den kleinen Messbecher, in den ich pinkeln soll. Damit überprüfen sie, ob die gute alte Kochsalzlösung an meinem Infusionsständer mich auch ordentlich mit Flüssigkeit versorgt.
Zum Pinkeln bin ich aber eigentlich nicht hergekommen.
Es ist nur so … Ich musste das hier noch nie allein machen, ich bin also nicht besonders gut darin. Aber manchmal muss eine Frau eben tun, was eine Frau tun muss, stimmt’s? Ich schiebe meine Schlafanzughose mit den aufgedruckten Donuts nach unten. Dann die Disney-Prinzessinnen-Unterhose. Die ist natürlich ironisch gemeint.
Es ist voll. Das Ding da auf meinem Bauch. Und zwar richtig voll. Es wölbt sich wie ein Ballon. Vielleicht sollte ich die Leine an der Dusche ziehen? Aber dann geht die Notfallklingel los und alle kommen angerannt und tummeln sich in diesem Besenschrank von einer Toilette. Vielleicht kommt sogar der heiße Medizinstudent mit seinen großen Händen und den Blumenkohl-Ohren. Und was soll ich dann sagen? Hey Leute! Alles okay. Geht ruhig wieder zurück zum Pflegestützpunkt zu Kaffee und Celebrations. Ich brauch nur jemanden, der mit mir aufs Töpfchen geht. Nein, danke …
Ich setze mich aufs Klo. Im Beutel schwappt es. Warum ist das so wässrig? Wird das irgendwann wieder normal? Ich ziehe mein Schlafanzugoberteil hoch und klemme mir den Saum unters Kinn. Dann fummle ich an der Plastikklemme am unteren Ende des Beutels herum. Ich bin nervös. Es ist ein bisschen wie mit einem Pflaster, das so fest sitzt, dass man sich davor fürchtet, es abzuziehen, weil man sich seit ein paar Tagen nicht die Beine rasiert hat. Entweder man beißt die Zähne zusammen und zieht. Oder man nimmt ein Bad und wartet, bis das Pflaster von allein abgeht. In meiner Situation kommt Möglichkeit zwei nicht infrage. Auf keinen Fall darf hier irgendwas von allein abgehen – vor allem nicht der Beutel und vor allem nicht jetzt.
Ich greife nach der leicht gebogenen Klemme und spiele mit dem rechten Zeigefinger am Verschluss herum. Los, tu es. Nur nicht daneben. Nachdem ich überprüft habe, dass der Beutel in die Schüssel zeigt, schließe ich die Augen und drücke ab. WUUUSSSCHHH!
Kennt ihr das, wenn man zu viel Cider getrunken hat und sich übergeben muss? Wenn einem eine richtige Fontäne aus lauter wässrigem Zeug mit ein bisschen aufgeweichtem Toastbrot und ein paar mysteriösen gekochten Karotten dazwischen aus dem Mund schießt? Keine richtigen Stücke, sondern eher ein...
Erscheint lt. Verlag | 14.8.2024 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Contemporary • Darmkrankheiten • Erste Liebe • Identität • Mobbing • Realismus • Romance • Selbstakzeptanz • teenagerliebe |
ISBN-10 | 3-03880-189-5 / 3038801895 |
ISBN-13 | 978-3-03880-189-4 / 9783038801894 |
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