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Leuchtfische (eBook)

Berührender Coming-of-Age-Roman über zwei Schwestern und einen Schicksalsschlag
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
200 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0674-9 (ISBN)

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Zwei Schwestern, ein Fluch und jede Menge Strickwolle. Ein leichtfüßiger Roman über Herkunft, Familie, Schuldgefühle - und den Mut, sich seinen Ängsten zu stellen Malina ist noch klein, als ihre Eltern die gleichaltrige Melek adoptieren. Sie hat sich zwar immer eine Schwester gewünscht, aber diese Melek kann sie nicht akzeptieren. Im Gegenteil - als die Perseiden eine Sternschnuppe nach der anderen vom Himmel schleudern, wünscht sie sich, dass Melek einfach verschwindet. Und nun, zehn Jahre später, scheint ihr Wunsch in Erfüllung zu gehen. Ausgerechnet in der Nacht, in der Malina mit Meleks großer Liebe Micha rumknutscht und die Perseiden wieder durch den Himmel fegen, fährt Melek mit dem Fahrrad in eine Autotür und fällt ins Koma. Und Malina glaubt fest, dass sie daran Schuld ist. Und so beschließt sie, in Meleks Heimatstadt Istanbul zu fliegen, um das Schicksal gnädig zu stimmen. Wie, weiß sie selbst nicht. Doch auf ihrer Reise findet Malina heraus, dass die Geschichte ihrer Adoptivschwester auch ihre eigene ist - und zwar mehr, als sie ahnte. Ein gefühlvoller und emotionaler Jugendroman ab 14 Jahren über das Erwachsenwerden ...

Filiz Penzkofer, 1985 in München geboren, studierte Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Turkologie in Bamberg und Ankara. Sie lebt in Berlin, wo sie als freie Autorin und Journalistin tätig ist. Zuvor war sie viele Jahre als Radio-Kolumnistin im Bayerischen Rundfunk zu hören, hat Theaterkurse für Kinder geleitet, Filme mit Jugendlichen gedreht und Deutsch unterrichtet.

Filiz Penzkofer, 1985 in München geboren, studierte Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Turkologie in Bamberg und Ankara. Sie lebt in Berlin, wo sie als freie Autorin und Journalistin tätig ist. Zuvor war sie viele Jahre als Radio-Kolumnistin im Bayerischen Rundfunk zu hören, hat Theaterkurse für Kinder geleitet, Filme mit Jugendlichen gedreht und Deutsch unterrichtet.

Das Anschnallzeichen erlischt. Der Flieger hat die Wolkendecke durchbrochen. Vorletzte Nacht habe ich noch die Perseiden am Himmel über dem Tiergarten gesehen, jetzt könnte ich mich selbst sehen, wenn ich noch da unten wäre. Auf dieser verfluchten Bismarck-Statue, wo alles angefangen hat. Also nein, nicht angefangen. So richtig angefangen hat alles vor zehn Jahren, als Melek zu uns kam. Oder kurze Zeit später mit den Perseiden, die damals zum ersten Mal als Sternschnuppen vom Himmel gefallen sind.

Egal.

Jedenfalls hat es vor zehn Jahren angefangen. Seitdem hat mein Fluch vor sich hin geschmurgelt, in irgendwelchen Töpfen oder Fässern oder keine Ahnung wo, bis er reif genug war. Und vorgestern Nacht war es dann eben so weit. Gut Ding will Weile haben, sagt ein Sprichwort, aber das gilt für die bösen Dinge anscheinend genauso. Nach zehn Jahren konnten die Töpfe oder Fässer, oder wie auch immer, dem Druck des Fluches nicht mehr standhalten und sind allesamt plötzlich explodiert, haben all das Aufgestaute in die Atmosphäre geschleudert, wo sie dann wieder mit den Perseiden auf die Erde gefallen sind. «Die Ereignisse haben sich überstürzt», würde man dazu in den Nachrichten sagen, weil eine Nachricht ja keinen Platz hat für die ganze Wirklichkeit. Da braucht man eben so Sätze wie «Die Ereignisse haben sich überstürzt», weil man damit tausend Seiten Geschehen zusammenpressen kann wie einen Berg Klamotten in einem Vakuumbeutel.

Jedenfalls: Flüche kann man nicht einfach so ungeschehen machen. Sonst wäre ja alles ganz einfach. Ich müsste nur ein bisschen Weihrauch auf Meleks Krankenhausbett verteilen, und sie würde die Augen öffnen und wäre wieder da. Aber so funktioniert das eben nicht. Keine Ahnung, wie es sonst funktioniert oder ob überhaupt.

Aber ich denke schon, man kann Buße tun und richtig dafür arbeiten, dass einem das Schicksal wohlgesinnt ist und sagt: «Ja, das hast du jetzt unendlich verkackt. Aber ich sehe, du bemühst dich aufrichtig, du durchgedrehtes Menschenkind! Na gut, wollen wir mal nicht so sein …» Keine Ahnung.

Lustig, dass ausgerechnet ich das sage, vor allem nach der Sache mit Latein, aber: Geschadet hat es bestimmt noch nie, sich um Dinge zu bemühen. Und: Wer wagt, gewinnt!

Was soll also schon schiefgehen …?

Gehen so nicht immer die «Letzte Worte»-Witze? Die letzten Worte des Elektrikers: «Was is ’n das für ein Kabel …?» Die letzten Worte des Fallschirmspringers: «Immer diese Scheißmotten …» Die letzten Worte von Malina, bevor sie ans andere Ende der Welt fliegt ohne Plan und nix: «Was soll schon schiefgehen …?»

Gut, Weltende ist Istanbul nicht wirklich. Aber landen werde ich auf einem anderen Kontinent, und das fühlt sich schon genug unendlich weit an.

Vorhin, als ich an der Check-in-Schlange nach Flughafen Sabiha Gökçen, Istanbul, stand, wäre ich am liebsten wieder umgekehrt. Weil man bei Stillstand viel zu viel Zeit hat, über die nächsten Schritte nachzudenken. Das ist wie mit dem Fünfmeterbrett im Schwimmbad: Wer wirklich springen will, der muss schneller sein als seine Zweifel: schnell die Leiter nach oben, Anlauf und zack. Wer sich ganz nach vorne ans Brettende stellt und nach unten guckt, hat eh schon verloren.

Eigentlich war ich mir bis vorhin sicher, dass Sabiha Gökçen irgendein alter General war, so wie die meisten Statuen. Aber nope! Sabiha Gökçen war die erste Kampfpilotin der Welt. Das habe ich vorhin noch in der Schlange beim Einchecken gegoogelt, als Ablenkungsmanöver vor meinen eigenen Gedanken.

Und was dabei sonst noch rauskam, war zu heftig, um Zufall zu sein: Sabiha Gökçen war die Tochter des Staatsgründers Atatürk. Aber nicht einfach die Tochter, sondern die Adoptivtochter! Ausgerechnet und genau wie Melek! Melek, wegen der ich überhaupt in die Türkei fliege und genau auf diesem Flughafen lande. Es hätte ja noch den Atatürk-Flughafen gegeben, aber nein, mein Flieger hat sich Sabiha Gökçen ausgesucht bzw. ich den Flieger. Egal. Viel wichtiger ist, dass hier Schicksalsregel Nummer 1 greift: Dinge, die sich genau dann doppeln, wenn man dringend nach einem Zeichen sucht, sind nichts anderes als ein Schicksalsnicken! Im Sinne von: «Gut, durchgedrehtes Menschenkind, weiter so!»

Deswegen bin ich dann am Ende doch noch ins Flugzeug gestiegen. Trotz einem Haufen wilder Hornissen im Bauch.

Jetzt, in keine Ahnung wie vielen Tausend Meter Höhe über Berlin, kann ich nur hoffen, dass ich das Schicksal richtig verstanden habe. Ist ja alles irgendwie auch Interpretationssache, ein bisschen wie bei Flüsterpost. Vielleicht hat das Schicksal ja überhaupt nicht meinen Flug in die Türkei abgenickt, sondern im Gegenteil mein Bauchgefühl, es sein zu lassen. Das wäre unendlich blöd gelaufen.

Um mich zu beruhigen, krame ich nach meinem Strickzeug. Beim Stricken gibt es klare Strukturen, da gibt es nichts falsch zu verstehen. Man hat zwei Arten von Maschen: die Links- und die Rechtsmaschen. Das ist die Basis. Und daraus lässt sich ein Universum an Mustern kombinieren: eine Reihe links, eine Reihe rechts, zwei Reihen links, eine Reihe rechts usw. Man kann die Maschen verschränken, zunehmen, abnehmen oder zusammenstricken. Das ist alles, und gleichzeitig ist es unendlich.

Was ich am Stricken aber eigentlich liebe, ist das: Wenn ich mich verstrickt habe, dann ribble ich die Maschen einfach wieder auf und mache sie neu.

Ich wünschte, alles wäre so einfach. Im echten Leben, meine ich. Einfach zurück zum Fehler, die Masche neu stricken, fertig. Dann würde ich jetzt nicht hier im Flugzeug sitzen und in irgendein Land fliegen, mit dem ich überhaupt nichts zu tun habe.

Wobei das auch nicht ganz richtig ist.

Es ist nicht irgendein Land.

Es ist Meleks Heimat.

Das Land, in dem sie geboren wurde.

In dem sie die ersten sieben Jahre ihres Lebens verbracht hat, bevor sie an diesem einen Mittwoch zu uns kam.

Das Verrückte ist, dass Melek nie über ihre Kindheit geredet hat. Als hätte es diese Zeit in der Türkei nie gegeben. Als wäre dieser eine Mittwoch bei uns ihr Anfang gewesen. Als könnte man sich die Jahre einfach vom Körper zupfen wie bei so einem Abreißkalender.

Ehrlich gesagt habe ich auch nie nach ihrem Leben davor gefragt. Mama und Papa auch nicht, jedenfalls habe ich das nicht mitbekommen. Vielleicht wollten sie keine tiefen Wunden aufreißen. Und ich … Keine Ahnung, mir ist überhaupt nicht in den Sinn gekommen, mit ihr darüber zu reden. Vielleicht war ich viel zu beschäftigt damit, mir mein altes Leben zurückzuwünschen. Am Anfang jedenfalls. Und später war es zwischen uns schon zu abgekühlt, um solche Fragen zu stellen. Fragen, die warme Blicke brauchen, wenn man sie stellt.

Ich krame nach meinen Kopfhörern, lehne meine Stirn gegen das Fenster. Ich hätte Melek einfach fragen sollen. Ich hätte es versuchen müssen. Und jetzt ist es dafür zu spät, wie so oft im Leben. Melek liegt im Koma, kann nicht antworten. Wenn sie überhaupt wieder aufwacht, dann weiß keiner, in welchem Zustand sie sein wird. Ich habe Stunden damit verbracht, alles über Kopfverletzungen zu googeln, habe mich von einem schlimmen Artikel zu noch schlimmeren geklickt. Ich reibe mir über die Stirn, als könnte ich damit das Gelesene, das mir jetzt wieder ungefiltert in den Sinn kommt, zusammen mit tausend anderen üblen Gedanken, einfach so aus meinem Kopf kehren.

Als ich gestern bei ihr am Bett stand, habe ich mir vorgenommen, nur noch positiv zu denken. Für Melek! Vielleicht fühlt sie das ja irgendwie. Vielleicht macht ihr das Hoffnung.

Weil es mir gerade aber nicht so wirklich gelingt, positiv zu denken, versuche ich zumindest, an etwas anderes zu denken, also eben nicht an das Allerschlimmste, was eintreffen könnte. Ich konzentriere mich auf das Zählen der Maschen und auf Nouvelle Vague, This is not a love song, auf die Wolken, die Schwerelosigkeit, das alles. Aber meine Gedanken müssen sich irgendwo da unten auf der Startbahn festgebissen haben. Jedenfalls lösen sie sich nicht von dem, was da unten passiert. Als würde ich mich in Gedanken da unten festkrallen. Häuser, Straßen, Felder sind inzwischen schon zu Miniaturen geschrumpft, aber die Sache mit Melek, die bleibt so groß, wie sie ist. Da kann ich so hoch sein, wie ich will.

Irgendwie habe ich geahnt, dass etwas passieren wird. Schon vor Wochen. Das ist immer so. Nennen wir es mal Schicksalsregel Nummer 2: Zunächst geschieht eine kleinere doofe Sache, um dann erst die richtig doofe Sache loszutreten. Als würde einen das Schicksal nur kurz anstupsen: «Tock, ja genau, durchgedrehtes Menschenkind! Genau dich nehme ich!» Um dann, im nächsten Moment, mit seinen Klauen auszuholen und dann: Wumms.

So wie bei Gin zum Beispiel: Vorletzten Monat wurde ihr in der Bahn der Geldbeutel geklaut, zwei Wochen später hat ihre Mutter sie nach der Schule abgeholt und ihr in einem Café beim Erdbeerkuchen erzählt, dass sie sich von Gins Papa trennen wird. Und dass sie und Gin in eine andere Stadt ziehen werden und dass alles schon geregelt ist. Der Umzug, die neue Wohnung usw. Seitdem sitzt Gin in irgendeinem Vorstadtkaff 645 Kilometer entfernt von mir, und das Einzige, was ich machen kann, ist, ihr Katzenvideos zu schicken und ellenlange Nachrichten auf WhatsApp aufzusprechen, die zu einer Art Tagebuch 2.0 eskalieren. «Liebe Gin, du kannst dir nicht vorstellen, was heute passiert ist …» Aber egal. Ich will gar nicht über Gin reden. Schließlich geht es um Melek. Und der ist jetzt genau das Gleiche passiert wie Gin. Das Schicksal: einmal Tock, dann Wumms. Nur eben in noch tausendmal schlimmer!

Melek schicke ich...

Erscheint lt. Verlag 27.11.2024
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Aberglaube • Adoptivkind • Adoptivschwester • Bücher die Mut machen • Coming of Age • Erwachsen werden • Familiengeschichte • Herkunft • inspirierende bücher • Istanbul • Jugendbücher ab 14 Jahre • Jugendroman ab 14 • moderne Familie • Patchworkfamilie • Real Life Buch • Reisegeschichten • Schicksalsschlag • Schuldgefühle • Schwestern-Beziehung • Starke Mädchen • Türkei
ISBN-10 3-7336-0674-4 / 3733606744
ISBN-13 978-3-7336-0674-9 / 9783733606749
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