Sie sind überall (eBook)
112 Seiten
Gabriel Verlag
978-3-522-63081-8 (ISBN)
Lisa Duhm, geboren 1991 in Hamburg, arbeitet als Redakteurin bei SPIEGEL ONLINE. Sie arbeitete als freie Journalistin in den USA, bevor sie den internationalen Masterstudiengang 'Journalism, Media and Globalization' an den Universitäten Aarhus und Hamburg absolvierte. Im Jahr 2016 wurde ihre Arbeit zu den Rassenunruhen in den USA mit dem Medienpreis der Kindernothilfe ausgezeichnet.
Auf Instagram postet Juli ein neues Bild. Auf einem schwarzen Hintergrund prangen die Buchstaben: „Steh zu dir selbst!“ Dazu hat sie einen langen Text geschrieben. Er beginnt mit dem Satz: „Lotta kenne ich schon seit der Grundschule.“ Gerade, schreibt Juli dann, hat Lotta angerufen. Und wollte wissen, warum Juli nie Zeit hat. „Sie mag meine neuen Freunde nicht“, schreibt Juli. „Wahrscheinlich Eifersucht.“
Schließlich fragte Lotta, ob Juli jetzt auch zu dieser rechten Szene gehört. Mit den anderen aus der alten Clique hat Lotta auch schon gesprochen, sagte sie. Sie alle machen sich Sorgen um Juli. „Das ist totaler Quatsch“, findet Juli. Sie sage einfach endlich mal ihre Meinung, damit kämen ihre alten Freunde nicht klar. „Ich bin doch nicht rechts!“, schreibt Juli.
Hat Juli recht? Ist das alles gar nicht schlimm, was sie macht und sagt, oder sogar ganz normal? Vielleicht siehst du ihr Verhalten aber auch kritisch. Stell dir vor, du bist einer von Julis alten Freunden. Wie würdest du auf ihren Insta-Post antworten?
Wer sich mit rechten Überzeugungen beschäftigt, muss einen kurzen, aber mächtigen Satz unbedingt kennen. Er besteht aus nur sechs Worten, und doch ist er die Grundlage dafür, wie wir in Deutschland leben. Er legt fest, auf welche Rechte sich jeder Mensch in der Bundesrepublik Deutschland berufen kann und wie wir miteinander umgehen sollen. Weil er so zentral ist, steht der Satz ganz am Anfang des Grundgesetzes:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Übersetzt heißt der Satz in etwa: Jeder Mensch ist wertvoll. Denn jeder, der einen Wert hat, hat auch Würde. Ganz bewusst wird da nicht von Frauen, Männern oder Kindern; von Schwarzen, Weißen oder Asiaten gesprochen. Sondern einfach nur von Menschen. Dieser Satz gilt für jeden. Er steht auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union an erster Stelle. Nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa hat sich auf diesen Satz verständigt.
Der Satz hat viele Folgen für unseren Alltag – zum Beispiel, dass sich jede und jeder auf die gleichen Rechte berufen kann. Das klingt erst mal nicht besonders, ist bei genauem Hinsehen aber eine große Sache. Denn es bedeutet zum Beispiel, dass ein reicher Mensch sich nicht einfach von einer Strafe freikaufen kann. Oder dass Frauen das Gleiche erreichen können wie Männer – und wenn sie merken, dass das nicht so ist, können sie es vor Gericht einfordern.
Der Satz bedeutet auch, dass man keinen Menschen danach bewerten darf, wie er aussieht. Die Hautfarbe eines Menschen darf nicht darüber entscheiden, was jemand erreichen kann. Oder danach, ob er in einem Rollstuhl sitzt. Oder ob derjenige an einen Gott glaubt. So jedenfalls will es das Deutsche Grundgesetz.
Das Grundgesetz
Im Grundgesetz stehen die wichtigsten deutschen Gesetze, abgekürzt spricht man vom GG. In insgesamt 146 Artikeln ist darin geregelt, wie unsere Demokratie funktioniert. Das Grundgesetz wurde in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben. Seine Macher hatten vor allem das Ziel, dass nie wieder ein solches Unheil geschehen sollte wie die Herrschaft der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler. Das Grundgesetz ist deshalb ein kraftvolles Dokument über die Gleichberechtigung von Menschen. Bis heute ist das GG die Grundlage, wenn in Deutschland neue Gesetze erlassen werden: Keines darf dem Grundgesetz widersprechen.
Rechte Ideologen sind vom Gegenteil überzeugt. Influencer wie Juli sagen das meist nicht offen. Manchen ist selbst nicht klar, was sie da erzählen. Andere wollen sich mit ihren Aussagen nicht strafbar machen. Und natürlich wissen wir nicht, was Juli wirklich denkt. Aber es gibt bestimmte Themen, über die Rechte immer wieder reden. Zusammen genommen ergeben sie eine Ideologie. Und die verrät die Grundlage der rechten Gedanken: Menschen sind in den Augen der Rechten ungleich. Und einige, so sehen sie das, sind mehr wert als andere.
Die nächsten Seiten helfen dir dabei, die rechte Ideologie zu verstehen. Denn nur zu dem, was wir kennen, können wir uns eine eigene Meinung bilden. Folgende Themen sind besonders wichtig, wenn es um rechte Ideologie geht: Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Verschwörungstheorien. Ziemlich große Worte, aber keine Sorge – hier ist nur kurz das Wichtigste zu ihnen erklärt, damit du einen Überblick bekommst.
Rassismus
Menschen sind unterschiedlich, das kann jeder sehen. Sie haben unterschiedlich lange Haare und verschiedene Geschlechter. Manche sind so groß, dass sie ganz oben ans Bücherregal kommen, andere so gelenkig, dass sie einen Spagat machen können.
Rechte Ideologen behaupten, dass sich diese unterschiedlichen Eigenschaften eines Menschen mit seiner „Rasse“ begründen lassen. Und sie denken, dass eine bestimmte Volksgruppe nicht nur äußere Merkmale, sondern auch ihre inneren Werte und Eigenschaften vereint. Sie schließen also vom Äußeren aufs Innere.
Wissenschaftlich gesehen ist das Unsinn. Schon vor über 20 Jahren fanden Forscher heraus, dass Menschen einander genetisch so ähnlich sind, dass man schon ganz genau hinschauen muss, um überhaupt Unterschiede zu finden: 99,9 Prozent unseres Erbmaterials stimmen überein. Egal, ob wir aus Europa, Australien oder Afrika stammen.
Natürlich ist es auch ausgeschlossen, von der Haarfarbe eines Menschen auf seine inneren Einstellungen zu schließen. Niemand ist schließlich intelligenter, nur weil er braune Haare hat. Doch genau davon sind rechte Ideologen überzeugt: Sie verbreiten zum Beispiel, dass bestimmte Völker klüger oder gewaltbereiter als andere seien.
Die heute aktive „Neue Rechte“, zu der auch Influencer wie Juli gehören, argumentiert versteckter. Juli zum Beispiel erzählt, dass sie sich nicht mehr im Dunkeln auf die Straße traut, weil das zu gefährlich sei. Das Argument der rechten Ideologen lautet so: Einwanderer und Geflüchtete seien gewalttätiger als andere Menschen. Weil mehr von ihnen nach Europa kämen, könne man sich nicht mehr sicher fühlen. Deshalb sollten sie Europa am besten wieder verlassen.
In Deutschland zum Beispiel sollen nach ihrer Ansicht nur Menschen leben, die „deutsch“ sind. Dafür gibt es ein kompliziertes Fachwort: Ethnopluralismus. Man könnte stattdessen auch „moderner Rassismus“ sagen.
Nach dieser Logik besteht ein Volk als eine Einheit, in der alle Mitglieder die gleichen Eigenschaften, Wünsche und Ziele haben. Jeder Mensch gehört demnach zu einer dieser Einheiten. Alle Deutschen, behaupten sie, seien im Kern gleich – und andersherum gedacht auch alle Türken, Amerikaner oder Franzosen.
Dass das nicht stimmt, ist offensichtlich: In Deutschland leben Menschen unterschiedlichen Glaubens; Muslime, Christen und Juden etwa. Sie alle haben verschiedene Traditionen. Und wer als Hamburger mal die Verwandten in Bayern besucht hat, weiß: Bei denen geht es ganz anders zu. Sie essen andere Dinge und sprechen vielleicht sogar Dialekt. Die eine deutsche Kultur gibt es nicht.
Das Gleiche gilt für Menschen, die nach Europa kommen. Sie alle haben einen eigenen Charakter, bestimmte Vorlieben und Abneigungen. Das liegt vielleicht zu einem Teil daran, wo sie herkommen. Aber ganz sicher ist auch: Nicht alle Menschen aus einem Land sind gewalttätig. Und nicht alle aus einem anderen besonders klug.
Trotzdem hetzen rechte Ideologen mit dieser Begründung unter anderem gegen Geflüchtete und Migranten, die aus Not und in Hoffnung auf ein besseres Leben ihre Heimat verlassen – und lassen außer Acht, dass Einwanderung seit Jahrtausenden Normalität ist. Es besteht schon immer ein Austausch zwischen der Bevölkerung unterschiedlicher Länder.
Eine Gemeinsamkeit gibt es übrigens doch unter allen Deutschen: Jeder und jede kann sich auf das Grundgesetz berufen. Und ist verpflichtet, sich an diese Regeln zu halten.
Islamfeindlichkeit
In Deutschland leben schätzungsweise etwa fünf Millionen Muslime, ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung. Und doch richtet sich gegen sie viel Hass: Jeder zweite Deutsche gibt heute an, dass der Islam eine Bedrohung darstelle.1 Viele denken dabei wahrscheinlich an Terroranschläge oder den sogenannten „Islamischen Staat“, eine Gruppe gewalttätiger Extremisten. Sie verüben schreckliche Anschläge und berufen sich dabei auf den Koran, die Heilige Schrift des Islams.
Die Angst vor dem Islam hat aber auch ganz reale Auswirkungen auf den Alltag von Muslimen. Für eine Studie fragten Forscher nach, ob die Befragten gern muslimische Nachbarn hätten. In Ostdeutschland sagte fast jeder Dritte: „Lieber nicht.“ In den westdeutschen Bundesländern gaben halb so viele Menschen diese Antwort.
Studien belegen übrigens, dass sich vor allem Menschen vor dem Islam fürchten, die besonders wenig mit ihm in Kontakt kommen – die also gerade keine muslimischen Nachbarn oder Freunde haben.
Auch die „Neue Rechte“ schürt den Hass gegen Muslime. Viele Geflüchtete, die nach Europa kommen, sind muslimischen Glaubens. Die rechten Ideologen setzen den Glauben mit Gewaltbereitschaft gleich. Alle Muslime, vor allem die jungen Männer, stellen...
Erscheint lt. Verlag | 5.4.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch |
ISBN-10 | 3-522-63081-5 / 3522630815 |
ISBN-13 | 978-3-522-63081-8 / 9783522630818 |
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