Sie brachten uns Hoffnung: Die Geschichte von Edward Galinski und Mala Zimetbaum (eBook)
Edward Galinski, genannt Edek, ist sechzehn Jahre alt, als er mit dem ersten Gefangenentransport nach Auschwitz kommt. Er lernt schnell, sich anzupassen, und kann nach zwei Jahren eine Schlosserwerkstatt eröffnen. Mala Zimetbaum wird 1942 von den Nazis verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Sie spricht fünf Sprachen und bekommt bald schon Verantwortung als Dolmetscherin und Bürokraft. Doch Edek und Mala führen beide ein gefährliches Doppelleben. Durch ihre besonderen Positionen genießen sie die Sympathie und das Vertrauen der Befehlshaber des KZs. Heimlich nutzen sie diese aus, um ihren Mithäftlingen zu helfen.
Als Edek und Mala sich zum ersten Mal begegnen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Immer wieder können sie sich heimlich treffen. Doch wie soll ihre geheime Liebe in Auschwitz Bestand haben? Gemeinsam wagen sie die Flucht und geben sich ein Versprechen: Sie werden immer zusammenbleiben.
Nach einer wahren Geschichte, einfühlsam nacherzählt von preisgekröntem Autor Reiner Engelmann
Reiner Engelmann wurde 1952 in Völkenroth geboren. Nach dem Studium der Sozialpädagogik war er im Schuldienst tätig, wo er sich besonders in den Bereichen der Leseförderung, der Gewaltprävention und der Kinder- und Menschenrechtsbildung starkmachte. Für Schulklassen und Erwachsene organisiert Reiner Engelmann regelmäßig Studienfahrten nach Auschwitz. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Anthologien und Bücher zu gesellschaftlichen Brennpunktthemen. Für sein engagiertes Wirken in der Gedenk- und Erinnerungsarbeit wurde Reiner Engelmann mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Mala
Der Umzug
Mala war traurig. Heute war der 26. Januar, ihr zehnter Geburtstag. Sie hatte so sehr gehofft, die Familie wäre an diesem Tag wieder vereint. Wie lange war der Vater mit den beiden älteren Geschwistern jetzt schon weg? Auch ihren neunten Geburtstag hatte Mala ohne sie feiern müssen.
»Ich werde euch bald nachholen!«, hatte ihr Vater versprochen, als er sich mit den beiden Großen vor über einem Jahr auf den Weg machte. Lange hatte er ihr in die Augen geschaut, sie schließlich fest an sich gedrückt und ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt.
Dann waren sie gegangen, alle drei.
»Ich hoffe, wir können hierbleiben«, schrieb Malas Vater nach einigen Wochen aus Deutschland. »In Ludwigshafen habe ich eine Arbeit gefunden. Es sind allerdings schwere Zeiten. Der Antisemitismus* breitet sich hier, genauso wie in unserem geliebten Polen, immer mehr aus.«
Danach hörten sie lange nichts mehr von ihm.
Chaja, Malas Mutter, merkte, dass ihre Tochter traurig war, und nahm sie in den Arm.
»Wir werden bald wieder zusammen sein«, versuchte sie Mala zu trösten.
»Warum gehen wir überhaupt weg? Es ist doch schön hier!« Mala hatte sich die Frage schon oft gestellt.
»Ja, es ist schön hier. Und glaub mir, wir würden auch lieber bleiben, als schon wieder wegzugehen. Du hast es vielleicht noch nicht so gemerkt wie wir Erwachsenen. Wir werden hier nicht nur abgelehnt, sondern regelrecht angefeindet. Und warum? Weil wir Juden sind! Wenn irgendetwas passiert, heißt es sofort, die Juden sind schuld. Wenn zu wenig Geld in der Gemeindekasse ist, heißt es, die Juden müssen mehr Steuern bezahlen. Wenn wir unseren Shabbat* feiern, betrachten uns die Menschen als Faulenzer, weil wir am Samstag nicht arbeiten. Sie wissen nichts über unsere Religion und wollen auch gar nichts wissen.«
Chaja unterbrach sich und sah ihre Tochter lange an.
»Aber du hast ja heute Geburtstag, da lass uns über anderes reden. Was möchtest du tun?«
»Nein«, widersprach Mala, »ich hör dir gern zu, wenn du erzählst. So erfahre ich wenigstens etwas über uns, unsere Stadt und das Land.« Mala lächelte ihre Mutter an. »Erzähl mir, warum ihr in diese Stadt gezogen seid. Habt ihr vorher nicht gewusst, dass die meisten Leute hier gegen Juden sind, oder hat sich das erst in den letzten Jahren so entwickelt?«
Chaja nickte.
»Das ist eine gute Frage. Ich glaube, wir haben uns vorher keine Gedanken darüber gemacht. Wir sind hergezogen, weil wir gehofft hatten, hier, im Schtetl*, zur Ruhe zu kommen. Die Zeit, die hinter uns lag, war sehr schwer, besonders für mich.«
Chaja starrte vor sich hin. Die Erinnerungen waren wieder da.
»Wieso war die Zeit denn so schwer? Ich weiß nur, dass ihr in Deutschland gelebt habt. Was war in Deutschland, warum seid ihr dort weggegangen?«
»Ich hole uns noch was zu trinken, dann erzähl ich es dir.«
Als Chaja zurückkam, begann sie zu reden.
»Bevor du geboren wurdest, lebten wir etwas mehr als drei Jahre in Mainz. In der ersten Zeit haben wir uns dort sehr wohl gefühlt. Wir hatten eine schöne Wohnung in einem Hinterhaus. Die Synagoge*, die wir regelmäßig besuchten, war ganz in der Nähe.«
Pinkas, Malas Vater, war ein angesehener Kaufmann gewesen, von dessen Einkommen die Familie gut hatte leben können. Die beiden älteren Kinder, Gitla und Salomon, gingen in eine Mainzer Schule, Jidel war gerade ein Jahr alt. Die Familie sprach gut Deutsch, einzig zu Hause unterhielten sie sich gelegentlich noch in Polnisch, besonders die Eltern, wenn sie allein waren.
Chaja war in dieser Zeit wieder schwanger geworden.
»Wir freuten uns riesig auf das Kind. Wir waren eine glückliche Familie. Obwohl wir nicht wussten, ob es ein Junge oder ein Mädchen werden würde, hatten wir schon einen Namen. Wir waren fest überzeugt, dass es ein Mädchen sein würde. Es sollte Merjan heißen. Doch dann …«
Chaja stockte. Tränen liefen ihr plötzlich über die Wangen.
»Du musst nicht weitererzählen«, sagte Mala. »Ich weiß, dass Jidel bei einem Unfall gestorben ist.«
Chaja nickte.
»Nach Jidels Tod war es so unendlich schwer, mich auf das neue Kind zu freuen. Mein Jidele war nicht mehr da, er war ein so lustiges Kind. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute habe ich ihn vermisst.«
Chaja wischte sich die Tränen ab, bevor sie weitersprach.
»Ich war froh, dass ich ein Mädchen bekommen habe, ein Junge hätte mich bestimmt immer an Jidel erinnert. Natürlich bekam die Kleine den Namen ›Merjan‹, wurde aber bald nur noch ›Jochka‹ gerufen.«
Chaja lehnte sich zurück und atmete tief durch.
»Mainz ist eine schöne Stadt, in der wir uns lange wohlgefühlt haben. Doch nach Jidels Tod war das vorbei. Wir waren dort nicht mehr zu Hause. Viele Kontakte, die wir hatten, sind abgebrochen, weil wir einfach nicht mehr unbeschwert mit den sehr lebenslustigen Menschen dort reden und uns mit ihnen treffen wollten. Danach war für Pinkas und mich klar, dass Polen unser Heimatland ist und es dort vielleicht leichter wäre, ein neues Leben anzufangen. In Mainz wurde ich ständig, egal was ich tat oder wo ich hinging, an Jidel erinnert. Hinzu kam, dass sich Deutschland damals im Krieg befand, und je länger der andauerte, umso weniger Geld hatten die Menschen, sich Dinge zu kaufen. Unsere Einnahmen wurden immer geringer. Lange würden wir so nicht mehr über die Runden kommen, da waren Pinkas und ich uns einig. Also haben wir Kontakt aufgenommen zu unseren Verwandten in Polen, und letztlich war es dein Urgroßvater, der uns die Wohnung hier in Brzesko, diesem beschaulichen Schtetl, besorgt hat.«
Es war nicht einfach für die Zimetbaums gewesen, in ihrem Heimatland wieder heimisch zu werden. Sie kamen aus Deutschland, sprachen Deutsch, und sie waren Juden. Oft wurden sie als »die Deutschen« beschimpft. Doch sie waren optimistisch, glaubten, das seien bloß Startschwierigkeiten, die bald überwunden wären.
»Die ersten Jahre waren auch ganz schön. Dein Urgroßvater besuchte uns oft, und ihr Kinder habt euch gefreut, wenn er kam. Und ich wurde erneut schwanger, diesmal mit dir.«
Jetzt strahlte Chaja wieder, als sie sich erinnerte.
»Malka, wir haben dich Malka genannt. Weißt du, was der Name bedeutet?«
»Klar!«, sagte Mala und nickte. »Er bedeutet ›Königin‹, das habt ihr mir oft erzählt. Und dass es ein hebräischer Name ist.«
»Aus ›Malka‹ wurde schnell ›Mala‹, weil in Polen die Vornamen oft geändert werden«, fuhr Chaja fort. »Und noch etwas haben wir gemacht, das wenige Jahre zuvor noch undenkbar schien.«
Mala schaute ihre Mutter neugierig an.
»Über Jahrhunderte war es üblich gewesen, dass die Kinder den Familiennamen der Mutter bekamen. Wir waren nicht die Ersten, die das geändert haben, aber auch wir wollten uns von der alten Tradition abwenden und haben unseren Kindern den Familiennamen des Vaters gegeben. Zimetbaum. Hätten wir die jüdische Tradition fortgesetzt, würden alle meine Kinder heute ›Schmelzer‹ heißen.«
Chaja machte einen ganz zufriedenen Eindruck. Es tat ihr gut, mit Mala über die Vergangenheit zu reden.
»Wo steckt Jochka eigentlich?«, fragte Mala ganz unvermittelt, als sie merkte, dass sie ihre Schwester schon seit ein paar Stunden nicht mehr gesehen hatte.
»Sie besucht ihre Freundin Aliyah. Sie will ihr heute sagen, dass wir bald wegziehen werden. Das wird sicher nicht einfach, für beide.«
Mala kannte Aliyah und wusste, dass sie Jochkas beste Freundin war. Manchmal dachte sie, die beiden könnten auch Schwestern sein, so eng verbunden schienen sie miteinander.
»Wo du mich gerade dran erinnerst, wann wird denn der Umzug sein? Gehen wir dann wirklich für immer hier weg und kommen nie wieder zurück?« Mala konnte sich nicht vorstellen, die Stadt zu verlassen. Sie kannte nichts anderes, Brzesko war ihre Heimat. Aber sie war auch neugierig auf das, was kommen würde.
Pinkas Zimetbaum hatte mit den beiden älteren Kindern Ludwigshafen nach zwei Jahren wieder verlassen und war nach Antwerpen gezogen. In Antwerpen fanden sie nicht nur eine passende Wohnung, sondern auch eine jüdische Gemeinde mit sehr vielen Mitgliedern, die wie er und Chaja aus Osteuropa stammten.
Bevor seine Frau mit den beiden jüngeren Kindern nachkommen sollte, wollte Malas Vater erst in Antwerpen Fuß fassen, Geld verdienen, damit sie ein ausreichendes Einkommen hätten.
»Wir haben fast alle für die Ausreise notwendigen Dokumente zusammen«, erklärte Chaja jetzt ihrer Jüngsten. »Und das, was noch fehlt, werden wir in den nächsten Wochen bekommen. Ich denke, es wird noch in diesem Frühjahr losgehen.«
Sie klang ganz zuversichtlich. Zu lange war sie schon von ihrem Mann und den beiden älteren Kindern getrennt.
Mala Zimetbaum als Jugendliche in Antwerpen
Im März 1928 war es schließlich so weit. Chaja und die beiden jüngeren Kinder, Jochka und Mala, hatten alle für die Einreise nach Belgien erforderlichen Dokumente zusammen und reisten mit dem Zug nach Antwerpen. Doch Chaja und ihre beiden Töchter fanden Pinkas nicht mehr so vor, wie sie ihn in Erinnerung hatten. Er war erblindet. Seiner Arbeit als Hausierer, der seine Waren an Haustüren anbot, konnte er nur noch eingeschränkt nachgehen.
Es war zwar nicht das gute neue Leben, das Chaja sich erhofft hatte. Trotzdem war sie froh, dass die Familie wieder zusammen war, und gerne bereit, ihren Beitrag...
Erscheint lt. Verlag | 11.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | 2024 • ab 14 • aloida, du bist jetzt alice! • Auschwitz • Deportation • der buchhalter von auschwitz • Der Fotograf von Auschwitz • Deutsche Geschichte • eBooks • edward galinski • eine liebe in auschwitz • Erinnerungskultur • Eva Mozes Kor • Funktionshäftling • Geschichte • Holocaust • Ich habe den Todesengel überlebt • Judenverfolgung • Jugendbuch • Jugendbücher • Konzentrationslager • mala und edek • mala zimetbaum • Monica Hesse • Nationalsozialismus • Neuerscheinung • Oskar Schindler • Schindlers Liste • Schullektüre • wir haben das kz überlebt • Young Adult • Zweiter Weltkrieg |
ISBN-10 | 3-641-30702-3 / 3641307023 |
ISBN-13 | 978-3-641-30702-8 / 9783641307028 |
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