Imogen, Obviously (eBook)
432 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-5978-6 (ISBN)
Bestsellerautorin Becky Albertalli schreibt gefühlvoll über Identität, Freundschaft & Liebe - und die vielen Facetten dazwischen.
Die 17-jährige Imogen sieht sich schon immer als größte Ally: Sie unterstützt ihre queeren Freunde, wo sie nur kann. Als sie ihre beste Freundin Lili - frisch geoutet und ziemlich glücklich in ihrem Leben - an der Uni besucht, weiß jedoch niemand in Lilis neuer Clique, dass Imogen selbst nicht queer ist. Denn Lili hat rumerzählt, dass sie und Imogen in der Vergangenheit ein Paar waren. Plötzlich beschäftigt sich Imogen mit Fragen, die sie bisher immer verdrängt hat. Noch dazu verbringt sie mehr und mehr Zeit mit der charmant-chaotischen Tessa, die ihr ganz schönes Bauchkribbeln beschert. Imogen muss sich eingestehen: Vielleicht ist sie doch mehr als ein Ally - aber wer ist sie wirklich?
Erstauflage exklusiv mit Pageoverlay, Farbschnitt und Charakterkarte!
<p>Becky Albertallihat viele Jahre als Psychologin gearbeitet, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Heute lebt sie mit ihrem Mann und zwei Söhnen in der Nähe von Atlanta. Für ihren ersten Roman,<strong>NUR DREI WORTE</strong>, erhielt sie 2017 den Deutschen Jugendliteraturpreis.<strong>IMOGEN, OBVIOUSLY</strong>ist ihr wohl persönlichster Roman und ihr Debüt bei ONE.<br /></p>
1
Noch habe ich mich nicht abgeschnallt, aber ich bin gleich so weit. Logisch. Ich warte nur darauf, dass mein Gehirn aufhört, so zu tun, als würde ich bei einer Talkshow vor dem leicht feindseligen Studiopublikum live interviewt werden.
Imogen, ist es wahr, dass du Lili gerade das erste Mal auf dem Campus besuchst, obwohl sie eine deiner beiden (2) besten Freundinnen ist und sie dich schon fünfzehn Milliarden Mal eingeladen hat und das Blackwell College so nah an deinem Zuhause liegt, dass du letzte Woche auf dem Weg zum Einkaufen bei Wegmans buchstäblich daran vorbeigefahren bist?
Vom Fahrersitz aus sieht Gretchen mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Sollen wir noch kurz mit reinkommen?«
»Oder auch länger«, fügt Edith hinzu, und ich drehe mich zu ihr um. Sie ist noch angeschnallt, hat die Beine überschlagen und ihre Jeansjacke wie eine Decke auf ihrem Schoß ausgebreitet. Leuchtend blaue Augen und windzerzauste Locken. Mein Haar ist zwei Nuancen dunkler und ein bisschen glatter, aber davon abgesehen sehen wir beinahe identisch aus. Das sagen alle.
Otávio sitzt ebenfalls dahinten und spielt etwas auf seinem Handy. Der Campus ist für ihn mittlerweile nichts Neues mehr – er fährt oft mit seinen Eltern her, manchmal auch nur, um mit Lili und ihren Freunden irgendwo essen zu gehen. Diesmal ist er allerdings einfach so mitgekommen. Nur ich bleibe hier.
Für drei Nächte. Also ungefähr fünfundsechzig Stunden. Nicht, dass ich die gezählt hätte.
»Alles gut.« Ich setze ein Lächeln auf. »Ich will nicht, dass ihr in die Rushhour kommt.«
»Die Rushhour ist mir total egal«, sagt Gretchen.
Und ich weiß genau, dass sie das auch so meint. Ich musste ihr gar nicht erzählen, dass meine Eltern dieses Wochenende beide Autos brauchen. Sie hat mich dabei erwischt, wie ich mir den Busfahrplan des Yates Transit angesehen habe, und ist mir sofort zur Rettung geeilt. Über Gretchen Patterson kann man sagen, was man will, aber für ihre Freunde lässt sie alles stehen und liegen – ausnahmslos.
»Ich kann gar nicht glauben, dass du Lilis queere College-Freunde kennenlernst.« Edith starrt aus dem Fenster, plustert ihre Wangen auf und seufzt. »Ich will auch queere Freunde haben.«
Gretchen blinzelt. »Ähm. Hallo?«
»Klar, aber du bist eher so was wie eine Mentorin«, sagt Edith.
Ich atme ein. »Okay, ich schreibe Lili jetzt.«
»Möchtest du sicher nicht, dass –?«
»Jepp!«
Edith klatscht. »Sieh einer an. Du einsame Wölfin wirst deinem Ruf als toughes Mädchen gerecht.«
Richtig, und jetzt versuche ich, mir das Paralleluniversum auszumalen, in dem mein Ruf auch nur im Entferntesten dem eines toughen Mädchens entspricht. Ich meine, schreiben wir das mal kurz in Fettschrift. Imogen Scott: toughes Mädchen. Allein die Vorstellung fällt ja schon schwer. Ich bin eine von diesen Personen, die ein Lieblingsadverb haben (und zwar logisch. Obviously).
Edith hingegen ...
Ich meine, unsere Babyfotos sagen schon alles. Wie das eine, auf dem ich bei der Yates County Fair im Tierstall neben einem Schild stehe, auf dem Den Esel bitte nicht streicheln!!! steht.
Und im Hintergrund ist Edith zu sehen, wie sie den Esel streichelt.
Oder das Bild, das zeigt, wie ich vor einer Staffelei stehe und sorgfältig einen blauen Streifen als Himmel male. Während Edith nur in Windel bekleidet neben mir hockt und lauter grüne Abdrücke ihrer eigenen kleinen Hände ihre Brust bedecken. Und vergessen wir nicht die Fotostrecke von meinem siebten Geburtstag, an dem Edith ohne Spaß angezogen war wie Jason, der Macheten-Killer aus Freitag der 13.
Fairerweise muss man sagen, dass ich an Halloween Geburtstag habe. Trotzdem.
Es war mittags. Und sie war fünf.
Als ich die Beifahrertür öffne, springt sie sofort von ihrem Sitz – als würde Otávio Cardoso, zertifizierter Teddybär, mit ihr um den vorderen Platz kämpfen wollen. Doch anstatt nach vorn zu gehen, folgt sie mir zum Kofferraum des Wagens.
»Immy, hör mal zu. Als deine große Schwester –«
»Das ist faktisch inkorrekt –«
»Chronologisch gesehen? Sicher«, sagt sie. »Aber spirituell? Äußerlich?«
Tatsächlich ist Edith eine moderne Version der Amy March aus Little Women. Wohingegen ich absolut in die Kategorie »Wäre gerne Jo, ist aber eigentlich Meg« falle.
»Ich sage ja nur, der ganze Sinn am College –«
»Sagst du, die noch Junior an der Highschool ist.«
»Der ganze Sinn am College«, wiederholt sie, »ist, dass es dir die Gelegenheit bietet, aus deiner Komfortzone auszubrechen. Ich habe eine Menge darüber nachgedacht, und ... Immy, ich glaube wirklich, dass du das mit der Zahnseide dieses Wochenende mal lassen solltest.«
»Der Sinn am College ist ... dass ich keine Zahnseide benutze?«
»Ganz genau.«
Ich hieve mein Gepäck aus dem Kofferraum, bevor ich die Klappe zuziehe. »Ich werde darüber nachdenken.«
»Außerdem denke ich, dir würden ein paar spontane Campus-Dummheiten guttun.«
»Hmm.«
»Es sind Frühlingsferien! Am College! Mit coolen queeren Leuten!«
»Du weißt schon, dass es in Penn Yan auch queere Leute gibt, oder? Sogar einen ganzen Club?« Ich drehe meine Handflächen nach oben. »Du könntest versuchen, einfach mal zu einem der Treffen zu gehen?«
Sie schüttelt den Kopf. »Dienstags kann ich nicht.«
Am Dienstag hat Edith immer ein Zoom-Date mit ihrer Freundin. Genau wie an allen anderen Tagen. Aber schon bevor sie mit Zora zusammen war, hat sie immer einen Grund gefunden, warum sie nicht zur Pride Alliance konnte. Ich hingegen war seit dem Freshman Year bei fast jedem einzelnen Treffen, als einzige Ally der Gruppe. Zumindest war ich das, bis Otávio Anfang des aktuellen Schuljahrs beigetreten ist, nachdem Lili sich geoutet hatte. Wegen ihm sind alle Gruppenmitglieder total ausgeflippt. Woke King, Bruder des Jahres und so weiter. Irgendwie lustig. Währenddessen fragen sich die Leute immer noch, warum ich dabei bin.
Eine Zeitlang habe ich befürchtet, dass ich nicht teilnehmen sollte. Wochenlang habe ich jeden Blogbeitrag und alle Reddit-Threads zu Allies und Safe Spaces durchforstet und nachgelesen, ob es überhaupt okay ist, wenn ich bei den Treffen aufkreuze. Bin ich nur ein weiteres Hetero-Mädchen, das in den Bereich queerer Menschen eindringt? Bin ich eine Außenseiterin, die dem ganzen Raum den Sauerstoff entzieht? Der dahingehende Diskurs hat mir keine eindeutige Antwort geboten. Und das ist etwas, das ich hasse – fehlende Gewissheit. Wenn ich etwas Neues wage, herrscht in meinem Verstand nur dann Ruhe, wenn ich alle Verhaltensregeln kenne: Was ist empfohlen, was erlaubt – und was ist ausdrücklich verboten? Denn Einschränkung bringt ihre eigene Form von Gewissheit mit sich.
Nun, ich wusste, dass ich theoretisch dort sein durfte. Jedenfalls wenn ich nach den offiziellen Richtlinien für außerschulische Gruppen im Schulhandbuch der Pen Yan Highschool ging. Und natürlich wusste ich, wie wichtig es Gretchen war, nach dem, was im queeren Club an ihrer alten Schule passiert ist. Nicht, dass sie das jemals zugeben würde, aber ich glaube, ich bin ihr Hetero für emotionale Unterstützung.
Nur manchmal fühle ich mich etwas unwürdig – zu Normalo, zu eindeutig nicht queer. Zum Beispiel wenn Gretchen mich und Otávio »Heteropotamusse« nennt oder wenn Leute uns nicht mal nach unseren Lieblingssnacks fragen können, ohne dass behauptet wird, sie würden sich »mit den Heteros verbünden«.
Mein Handy vibriert, als eine Nachricht von Lili eintrifft.
Du bist hier!!! Ich komme sofort!!! Bin in fünf Minuten da!!!
Mittlerweile sind auch Gretchen und Otávio aus dem Auto gestiegen. Ich schüttele den Kopf. »Im Ernst, ihr habt schon mehr als genug –«
»Schhh.« Gretchen nimmt meinen Koffer und rollt ihn zum Rand des Parkplatzes, während der Rest von uns ihr hinterhertrottet. Als wir am Gehweg ankommen, bleibt sie stehen, um sich umzusehen: ein kleines Stück Rasen hinter einer Ansammlung von Backsteingebäuden. Noch kein Anzeichen von Lili, was wenig überraschend ist. Lili ist immer »fünf Minuten« zu spät, und das kann manchmal heißen, dass sie wirklich nur fünf Minuten braucht, und manchmal, dass sie gerade erst aufgestanden ist, sich noch anziehen muss und sich wünscht, es würde nur fünf Minuten dauern.
Haufenweise Studierende strömen aus einem der Gebäude – ausgelassen und mit strahlenden Gesichtern, schon ganz im Wochenendmodus. Gretchen beugt sich vor, und so ausgiebig, wie sie die anderen mustert, erwarte ich schon fast, dass sie gleich ihre Beobachtungen niederschreibt. Vielleicht sollte ich genau das tun: richtige College-Kids in ihrer natürlichen Umgebung observieren.
Immerhin bin ich in weniger als sechs Monaten eine von ihnen. Sogar genau hier.
Das...
Erscheint lt. Verlag | 31.5.2024 |
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Übersetzer | Bianca Dyck |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Aktion Kulturpass • ally • Bisexuell • Bücher ab 14 Jahren • College • Coming out • female empowerment • female/female • Gefühlschaos • Herzklopfen • hidden identity • Identität • Identitätssuche • Junge Erwachsene • kulturpass • Lesbisch • lgbtqia+ • Love Simon • Own Voice • Queer • Romance • Sapphic • Selbstfindung • Selbstliebe • sexual diversity • Sexuelle Orientierung • strangers to lovers • YA • youngadult |
ISBN-10 | 3-7517-5978-6 / 3751759786 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5978-6 / 9783751759786 |
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