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Kanak Kids -  Anna Dimitrova

Kanak Kids (eBook)

Halb angepasst und voll dazwischen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
Arctis Verlag
978-3-03880-179-5 (ISBN)
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Kanak Kids - die Culture-Clash-Comedy zwischen zwei Welten Die sechzehnjährige Dessi führt ein Doppelleben: Im Münchner Brennpunktviertel Neuperlach gibt sie mit Jogginghose und Alman-Jokes die Assi-Ausländerin, im Innenstadtgymnasium trägt Daisy eine blonde Perücke, blaue Kontaktlinsen und spricht Hochdeutsch. Ihre jeweiligen Freund*innen hält sie voreinander geheim. Lieber versucht sie, überall dazuzugehören, als sich angreifbar zu machen. Die Taktik funktioniert - bis sie eines Tages von Bo bei ihrer Verwandlung erwischt wird. Bo ist nicht nur Dessis Nachbar, sondern auch ihr Mitschüler und damit der Einzige, der ihre beiden Persönlichkeiten kennt. Kann Dessi ihn überzeugen, dichtzuhalten? Oder prallen ihre beiden Welten endgültig aufeinander? »Ich glaube, wir sehnen uns alle nach einem Ort, wo wir einfach dazugehören, ohne uns verstellen oder anpassen zu müssen. An dem wir so sein können, wie wir wirklich sind. Ich wünsche meinen Leser*innen, diesen Ort mithilfe von Kanak Kids zu finden.« Anna Dimitrova »Hier im Kartoffelland gibt's genau zwei Arten von Ausländern: die Angepassten, die ihren Döner, ohne Zwiebeln, ohne scharf' essen, und die Kanaks, die sie dafür auslachen. Zu wem du gehören willst, musst du ziemlich früh entscheiden.« Aus »Kanak Kids«

Anna Dimitrova, geb. 1998 in Sofia/Bulgarien, absolvierte einen Schreibkurs an der Film Academy in L.A. und studierte an der HFF München Drehbuch. Ihre Comedys errangen mehrere Preise und Nominierungen (ProSiebenSat.1-Mainstreampreis, Dt. Nachwuchsfilmpreis, First Steps Award der Dt. Filmakademie, up-and-coming/Dt. Nachwuchsdrehbuchpreis). Sie lebt und arbeitet als freiberufliche Autorin (u. a. Schloss Einstein) in München.

Anna Dimitrova, geb. 1998 in Sofia/Bulgarien, absolvierte einen Schreibkurs an der Film Academy in L.A. und studierte an der HFF München Drehbuch. Ihre Comedys errangen mehrere Preise und Nominierungen (ProSiebenSat.1-Mainstreampreis, Dt. Nachwuchsfilmpreis, First Steps Award der Dt. Filmakademie, up-and-coming/Dt. Nachwuchsdrehbuchpreis). Sie lebt und arbeitet als freiberufliche Autorin (u. a. Schloss Einstein) in München.

Kapitel 1


Hier im Kartoffelland gibt’s genau zwei Arten von Ausländern: die Angepassten, die ihren Döner »ohne Zwiebeln, ohne scharf« essen, und die Kanaks, die sie dafür auslachen. Zu wem du gehören willst, musst du ziemlich früh entscheiden.

Mir passierte es vor fünf Jahren im Bus, als sich eine ältere Dame bei mir über »die lauten Südländer mit den McDonald’s-Tüten dahinten« beschwerte. Ich hatte zwei Möglichkeiten: zugeben, dass ich zu ihnen gehöre, oder ganz schnell meinen letzten Big-Mac-Bissen runterschlucken und empört den Kopf schütteln. So wie die Deutschen, wenn sich die Bahn verspätet – sie waren offensichtlich noch nie in Bulgarien, wo es nicht mal Fahrpläne gibt.

Jedenfalls kann die Konsequenz aus dieser Entscheidung oft weitreichende Folgen haben. Mein Ex-Onkel Christo lebt jetzt mit seiner Frau Susanne und ihrem blonden Sohn Tim in einem Reihenhaus in Deisenhofen. Es gibt Gerüchte, dass sie sogar richtiges Alman-Zubehör wie SodaStreams besitzen. Aber darüber wird bei uns nicht gern gesprochen, denn die Angepassten haben hier nicht den besten Ruf.

Willkommen in Neuperlach, wo der Migrationsanteil ungefähr so hoch ist wie die Arbeitslosenquote, aber nicht ganz so hoch wie die Plattenbauten. Wo die größte Sehenswürdigkeit das PEP ist: die Perlacher Einkaufspassagen und die Droge, die dort vertickt wird. Und wo du mit der U5 zwar hinfahren kannst, spätabends aber niemals aussteigen würdest. Sounds shady, ich weiß, aber für mich ist es der beste Ort der Welt.

Jeden Morgen um sechs klingelt es bei uns an der Tür: Baba Penka kommt zum Kaffeetrinken vorbei. Und weil eine alte osteuropäische Tradition besagt, dass man niemals mit leeren Händen zu Besuch kommen darf, bringt sie uns immer mindestens ein Ei mit. Inzwischen haben wir so viele davon, dass Oma nur noch Eiergerichte zubereitet. Gestern hatte ich Spiegeleier, vorgestern Omelett, am Tag davor Rührei … Inzwischen wird mir davon ein bisschen schlecht, aber ich traue mich nicht, was dagegen zu sagen. Wir haben nämlich richtig Glück, dass Oma das Kochen übernimmt. Mom würzt so, als würde sie nicht wissen, dass Salz überhaupt existiert, und wenn es nach Dad gehen würde, würden wir nur abgelaufene Tiefkühlpizza essen.

Die Küche überlassen wir daher gern Oma und Baba Penka, die sich dort über den neuesten Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft unterhalten, während Mom, Dad und ich uns wie immer im Bad versammeln. Man könnte denken, dass es mit einem einzigen Klo ganz schön eng werden würde, aber für uns ist das kein Problem. Mom sitzt auf der Toilette, ich putze Zähne und Dad rasiert sich den Kopf. Seitdem die Preise so angestiegen sind, hat er sich selbst zum Hausfriseur ernannt und besteht darauf, auch uns seine kostenlosen Haarschnitte zu verpassen. Daher kommen unsere Pusteblumen-Frisuren: Wir haben alle dunkle, extrem lockige Haare, die bei einer gewissen Kürze nach allen Seiten abstehen. Wie bei einer Pusteblume eben. Der Look gefällt mir eher wenig, Nein sagen kann ich aber auch nicht, denn Geldsparen ist für uns kein Scherz. Und mein Vater ist der Sparkönig. Um seine Ausgaben zu reduzieren, wohnt er schließlich immer noch mit seiner Mutter zusammen – etwas, das meine Mutter verrückt macht. Im Gegensatz zu Dad arbeitet sie Vollzeit als Finanzberaterin und könnte es sich locker leisten, eine neue Wohnung zu mieten. Das würde aber auch bedeuten, dass sich Dad von seinen Neuperlacher Freunden, seiner Werkstatt und Oma zumindest örtlich trennen müsste, und das geht für ihn auf gar keinen Fall. Deswegen quetschen wir uns gerade zu dritt ins Bad.

»Ihhh!« Ich höre auf, meine Zähne zu putzen und fische mir ein kleines Haar aus dem Mund, das von Dads Rasierer zu mir herübergeflogen ist. Ekelhaft.

Dad lacht, bis ich anfange, ihn mit dem Haar durch die Gegend zu jagen. Er lässt den Rasierer ins Waschbecken fallen, läuft an mir vorbei und versteckt sich in der Duschkabine. Resigniert drehe ich mich zu Mom, die von der Toilette springt, damit ich das Haar dort reinwerfen kann. Nachdem ich das getan habe, setze ich mich selbst darauf.

»Dessi!«, ruft sie und deutet auf ihren nackten Po. »Ich war noch nicht fertig.«

Aber zum Glück hat Dad dafür eine Lösung. »Das Waschbecken wäre noch frei«, sagt er grinsend.

Bevor ich zur Schule gehe, bekomme ich wie immer eine Tupperdose in die Hand gedrückt. Darin befindet sich mein Mittagessen. Heute: Moussaka. Mit extra vielen Eiern. Ich bedanke mich dafür bei meiner Oma, die mir im Anschluss ein Glas Wasser vor die Füße schüttet. Ein bulgarisches Glücksritual, das für mehr Unfälle als für Glück sorgt, weil es meistens dazu führt, dass ich auf der Treppe ausrutsche. Trotzdem lächle ich Oma dankbar an, verabschiede mich von meinen Eltern und verlasse die Wohnung. Danach laufe ich ein Stockwerk runter und klopfe an die mittlere Tür.

Schon ein paar Sekunden später kommt meine beste Freundin Aylin raus. Sie hat zwar überhaupt kein Gespür für Fashion, schafft es aber irgendwie immer, auch die unpassendsten Farbkombinationen zu rocken. Heute trägt sie zum Beispiel ein dunkelblaues Oberteil, eine helle Jeans und schwarze Air Force. Eigentlich ist das ein absolutes No-Go, aber ich würde trotzdem eine Wette eingehen, dass sie auf dem Weg zur Schule mindestens fünf Komplimente dafür kriegen wird.

Wenn unser Leben ein Film wäre, würde Aylin die hübsche Hauptfigur spielen. Und ich – die skurrile beste Freundin.

Doch im Gegensatz zu den meisten anderen Protagonistinnen ist Aylin nicht die stumme, charakterlose Schönheit, die seit Ewigkeiten auf ihren mysteriösen Typen wartet. Denn sie interessiert sich für Pop Culture genauso viel wie für Männer: nämlich gar nicht. Manchmal glaube ich, dass ihre Liebe für Autos gar keinen Platz für andere Dinge in ihrem Herzen übrig lässt. Mit einer kleinen Ausnahme: Baklava.

Ich sehe runter zur Tupperdose, die Aylin heute in der Hand hält. »Baklava?«, frage ich hoffnungsvoll.

»Lokum«, antwortet sie enttäuscht.

Wir seufzen. Es gibt keine türkische Süßigkeit, die wir mehr hassen als Lokum. Es ist viel zu süß, es klebt, und man kann nach dem Verzehr mit mindestens vier Karieszähnen rechnen.

Frustriert gehen wir die Treppe runter und holen im vierten Stock Ozan ab, der statt eines Rucksacks mal wieder eine Sporttasche trägt. Er glaubt, das ist cool. Wir glauben auch, dass er glaubt, dass das cool ist.

Ozan würde sich am liebsten »Ich gehe pumpen« auf die Stirn tätowieren lassen, als wäre das nicht schon offensichtlich genug. Inzwischen ist er genauso breit wie groß und sieht dementsprechend quadratisch aus. Er denkt, dass er unverwundbarer wirkt, je »männlicher« er aussieht. Hinter seinen Muskelbergen versteckt er jedoch in Wahrheit einen süßen, weichen Kern, den nur Aylin und ich kennen.

»Na, was geht?« Ozan checkt mit uns ein. Als Kinder haben wir einen peinlichen, viel zu langen Handcheck erfunden, den wir immer noch nicht aufgegeben haben. Daran, dass wir ihn heute nicht so begeistert ausführen wie sonst, erkennt unser Kumpel, dass etwas nicht stimmt. Er sieht uns nachdenklich an. Dann: »Lokum-Tag?«

Wir nicken traurig, und Ozan wirft seine Arme um unsere Schultern.

»Yallah, kommt, ich gönn euch Baklava.«

Im PEP gibt’s einen geilen türkischen Laden, der uns an Lokum-Tagen mit Premium-Baklava versorgt. Genau dahin wollen wir gerade, als wir kurz davor auf Berkant und seine Jungs – die lokalen Grasdealer – treffen.

»Aylin, Süße, wie geht’s?«, erkundigt sich Berkant und versucht, seine Hand auf Aylins Hüfte zu legen.

Meine beste Freundin weicht seiner Geste gekonnt aus und bahnt sich den Weg zum Baklava-Shop, ohne Berkant in die Augen zu schauen. Ozan und ich tun das Gleiche, bis sich Berkant uns in den Weg stellt.

»Geh weg, Alter!« Ozan schubst ihn aggressiv zur Seite. Er hat es sich zum Ziel gemacht, mindestens eine Schlägerei pro Woche zu starten, damit sein Testosteron-Level ja nicht sinkt.

Weil ich keine Lust habe, ihn schon wieder ins Krankenhaus zu begleiten, stelle ich mich dieses Mal dazwischen. »Jungs, chillt mal kurz. Prügeln ist uncool.«

Mit diesen Worten nehme ich Ozans Hand, ziehe ihn an Berkant vorbei und betrete entschlossen den Laden, in dem Aylin bereits auf uns wartet.

»So ’n Abfuck«, beschwert sie sich, als wir wieder unter uns sind, und nimmt eine Packung Baklava in die Hand. »Ich könnt nicht weniger Bock auf Jungs haben grad.«

»Chill, du darfst nicht auch noch gay sein. Die Hood verkraftet’s nicht«, erwidert Ozan mit einem bitteren Lächeln.

Als er sich vor einem Jahr geoutet hat, haben seine Eltern nicht sonderlich einfühlsam reagiert. Genau genommen, haben sie eigentlich gar nicht reagiert. Sie haben ihn einfach kühl angeschaut, so getan, als hätte er nichts gesagt, und das Thema nie wieder angesprochen. Dafür versuchen sie ihn umso intensiver mit der Tochter einer Familienfreundin zu verkuppeln. Seitdem geht Ozan noch öfter trainieren – ich vermute, das ist seine Art, sich ein dickeres Fell zuzulegen.

Auch Oma und Baba Penka haben monatelang über nichts anderes als sein Outing gesprochen. Sie haben ständig betont, wie schade sie es finden. Sie hätten gedacht, dass er ein netter Kerl ist. Als würde seine Sexualität einen Einfluss auf seinen Charakter haben.

Was politische Korrektheit angeht, ist Neuperlach noch nicht auf dem neusten Stand.

Wir erreichen die Kasse und stellen uns hinter zwei Typen an, die extra ihre Ärmel hochgekrempelt haben, um ihre schicken Armbanduhren zu präsentieren. Aylin legt die Baklava auf das Fließband und greift...

Erscheint lt. Verlag 14.2.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Ausländer • Ausländer-Community • Authenzität • Bulgarien • Clash of Cultures • Comedy • Community • Doppelleben • Fake-Beziehung • Familie • Freundschaft • Ghetto • Gymnasium • Homosexualität • Hood • Integration • Jugendbuch • Jugendliche • Jugendsprache • Kanak Kid • Liebe • Migration • Multikulturalität • München • Queer • Queerness • Schule • Türkendeutsch • Viertel • Vorurteile • Zusammenhalt
ISBN-10 3-03880-179-8 / 3038801798
ISBN-13 978-3-03880-179-5 / 9783038801795
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