Taking Chances (eBook)
368 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65572-9 (ISBN)
Kira Licht ist in Japan und Deutschland aufgewachsen. In Japan besuchte sie eine internationale Schule, überlebte ein Erdbeben und machte ein deutsches Abitur. Danach studierte sie Biologie und Humanmedizin. Sie lebt, liebt und schreibt in Bochum, reist aber gerne um die Welt und besucht Freunde. Aktuelle News zu Büchern, Gewinnspielen und Leserunden verrät die Autorin auf Instagram (@kiralicht).
Kapitel 1
LILA
Die aufgehende Sonne tauchte die Insel Maui in tausend strahlende Farben. Diese Zeit des Tages war mir die liebste. Der sanfte Kaiāulu-Wind trug den nebligen Schleier der Morgendämmerung davon. Er rollte in flüsternden Böen die Ausläufer des Vulkans hinab und weckte die Natur aus ihrem Tiefschlaf. Die Amahiki zwitscherten laut, ihr gelbes Gefieder leuchtete zwischen den dunklen Blättern der Palmen. Ein roter I’Iwi saß in einem Pūkiawe-Busch am Wegesrand und pickte mit seinem spitzen Schnabel nach den rosafarbenen Blüten.
Ich umfasste mein Surfboard fester und lenkte mit der anderen Hand mein Mountainbike über den Trampelpfad. Je weiter ich den Strand hinter mir zurückließ, desto dichter wurde das Grün um mich herum. Niedrige Bodendecker streckten sich über das Erdreich und die uralten Farn-Bäume hinauf. Die Palmen wichen einem Regenwald, dessen Baumkronen so nah beieinanderstanden, dass sie die Feuchtigkeit der Nacht gespeichert hatten. Ich spürte sie auf meinem Gesicht, als ich fester in die Pedale trat, weil der Weg ein Stück bergauf ging. Anders als am Strand roch die Luft hier intensiv nach Erde, nach Regen, nach Leben. Überall raschelte es im Unterholz, Insekten summten durch das Laubwerk und der schrille Ruf einer Manguste hallte zwischen den breiten Stämmen der Kāwa’u-Bäume bis zu mir.
Ich bog um eine sanfte Kurve und wich dabei einem hellgrünen Gecko aus, der mitten auf dem Weg saß. Vor mir ragte das Keanae Wildlife Shelter auf, Mauis älteste Tierauffangstation und seit 18 Jahren mein Zuhause.
Der Gebäudekomplex war aus dunkelbraunem Holz errichtet und bestand aus einem Haupthaus samt Büro und Praxis, dem Gästehaus und meinem Elternhaus. Mit seinen Erd- und Grüntönen fügte er sich perfekt in den Regenwald ein. Über der breiten Doppelflügeltür des Haupthauses war der Name der Tierauffangstation in das Holz gebrannt. Und auf der Schwelle lag ein hellblaues Bündel. Ich blinzelte, sicher, dass mich meine Augen getäuscht hatten. Aber nein … War das ein Handtuch? Vielleicht hatte Noah, einer unserer Tierpfleger und wie ich überzeugter Surfer und Frühaufsteher, das Handtuch verloren? Aber dann hätten wir uns unterwegs getroffen, oder? Außerdem war das Bündel zu rund für ein achtlos fallen gelassenes Handtuch. Ich stoppte mein Bike, stieg ab und ließ das Board auf den Boden gleiten. Irgendetwas schimmerte dunkel unter dem Stoff. Obwohl sich ein flaues Gefühl in meinem Magen breitmachte, beschleunigte ich meine Schritte.
Es war tatsächlich ein Handtuch, ziemlich ausgeblichen und mit einigen Löchern. Und durch diese Löcher schimmerte braunes Fell.
»Mein Gott …« Ich hatte die Worte nur geflüstert, während ich vor dem Bündel in die Hocke ging. Ganz vorsichtig nahm ich eine Ecke des Tuchs und zog sie zur Seite. Vor mir lag ein Wallaby. Sie gehörten zur Gattung der Kängurus, waren nur kleiner und dichter behaart. Hierbei musste es sich um ein Jungtier handeln, fast noch ein Baby.
»Mein Gott«, stieß ich ein zweites Mal hervor. Das Kleine lag auf der Seite und das mir zugewandte Auge wirkte trüb. Es atmete noch, doch an seiner winzigen Nase klebte Schorf und sein Fell war verschmutzt. Und dann sah ich die Schnitte. Zwei lange Wunden, die sich über den Oberschenkel zogen. Ich presste eine Hand auf den Mund, als ich meinen Blick wandern ließ. Die dunklen Flecken auf der Unterseite des Stoffs, die ich für ein Muster gehalten hatte, waren Blut. Ich hatte schon viele Verletzungen bei Tieren gesehen, aber dieser Anblick brach mir das Herz. Panik machte sich in mir breit, als das Tier röchelnd Luft holte. Hier ging es um Minuten! Es war sechs Uhr morgens, das ganze Haus schlief und ich hatte mein Handy nicht mit. Ich zog das Handtuch wieder etwas höher und hob das Tier dann so behutsam wie möglich hoch.
»Hilfe!«, rief ich, während ich in Richtung der Häuser rannte. »Ich brauche Hilfe. Ich habe hier einen Notfall!« Ich folgte dem Weg, der vom Gästetrakt zu meinem Elternhaus führte. »Mom! Dad! Brooke, Noah, Manaia! Irgendjemand! Bitte!« Das kleine Wallaby fühlte sich federleicht an in meinen Armen und ich bangte, ob es noch atmete.
Bitte, betete ich lautlos. Bitte, bitte, bitte …
In diesem Moment flog die Tür meines Elternhauses auf. Mom war die Erste, die herausstürmte. Ihre wilden braunen Locken wippten beim Rennen. Sie trug nur Schlafshorts und ein Unterhemd. Als Dad ihr folgte, war auch die Tür des Gästehauses aufgegangen. Brooke, Manaia und Noah rannten auf mich zu.
»Es ist ein verletztes Wallaby«, sagte ich, kaum dass die Ersten mich erreicht hatten. »Es ist noch ein Jungtier und ich glaube, es hat viel Blut verloren.«
»Um Himmels willen.« Mom schlug das Handtuch zurück. Ihre Miene verfinsterte sich. »Die Wunden sind groß.« Sie drehte sich zu meinem Dad, der sich im Laufen ein T-Shirt übergezogen hatte. »Henry, ruf Sharif an. Sag ihm, es ist ein Notfall. Noah und Manaia, bereitet die Praxis vor. Sharif wird eine Narkose einleiten, plus alles zum Nähen und Desinfizieren vorbereiten.« Die beiden, ebenfalls nur in Schlafanzügen, nickten und rannten los. Mom sah zu mir, nachdem sie das Handtuch vorsichtig wieder über den Körper des Wallabys gelegt hatte. »Hast du es zur anderen Seite gedreht?«
Ich schüttelte den Kopf. Allein es hochzuheben war riskant gewesen. Ich wollte ihm nicht noch mehr Schaden zufügen, indem ich es mehr als nötig bewegte.
Meine Mom nickte knapp, drehte mich an den Schultern herum und schob mich vorwärts. »Bring es in den großen Behandlungsraum.«
Mein Dad war verschwunden, doch Brooke schloss zu uns auf. »Wo hast du es gefunden?«
»Es lag direkt am Tor, eingewickelt in dieses Handtuch.«
»Also hat es jemand dort abgelegt.« Brooke zog sich ein Haargummi vom Handgelenk und band sich die langen roten Dreadlocks hoch. »Hast du jemanden gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf und ließ meinen Blick wieder zu dem Wallaby gleiten. Es bewegte das Auge, das uns zugewandt war, als wolle es alles mitbekommen. Das war zumindest ein gutes Zeichen. Es wirkte nicht mehr so lethargisch wie zu dem Zeitpunkt, als ich es gefunden hatte.
»Alles wird gut, Kleines«, flüsterte ich. Ich strich mit dem Daumen ganz sanft über eins der flaumweichen Ohren. »Wir helfen dir. Alles wird gut, ich verspreche es.« Mir war klar, dass es hart werden würde, dieses Versprechen zu halten. Doch in diesem Moment wollte ich daran glauben. Ich musste einfach daran glauben.
»Ich gehe vorn am Tor nachsehen, ob ich irgendwelche Spuren finde«, sagte Brooke. »Oft sind ja Zettel dabei, wenn die Leute Tiere abgeben. Vielleicht ist er davongeweht worden.«
Mom nickte knapp und schlug im Gehen das Tuch erneut zur Seite. Die Art, wie sie die Stirn runzelte, gefiel mir gar nicht. Meine Mom hatte als Biologin in Forschungsstationen auf der ganzen Welt gearbeitet. Sie hatte im Dschungel, in der Wüste und dem ewigen Eis geforscht. Wenn jemand sich mit Tieren auskannte, dann sie. »Ich hoffe, Sharif ist bald hier.« Sie presste die Lippen aufeinander und deckte das Wallaby wieder zu.
Ich kannte diesen Blick meiner Mom und er war nie ein gutes Zeichen. Als Tierauffangstation waren wir es zwar gewohnt, verletzte Tiere zu versorgen, meistens jedoch keine dramatischen Fälle. Eine eingewachsene Kralle, ein abgebrochener Zahn oder ein eingerissenes Ohr. Autounfälle waren die schlimmsten, aber auch wenn Jungtiere von Bäumen fielen, waren die inneren Verletzungen oft groß. Doch wir hatten Glück, in Sharif einen wunderbaren Tierarzt gefunden zu haben, dem das Wohl seiner Patienten über alles ging.
Dad erschien an Moms Seite. »Sharif ist in zehn Minuten hier.« Er hielt uns die Tür zum Haupthaus auf und gemeinsam betraten wir den Eingangsbereich. Unzählige Türen zweigten von hier aus ab. Zu den Büros, einem Tagungsraum, einer Bibliothek und natürlich den Schulungsräumen. Wir bekamen oft Besuch von Schulklassen oder Studentengruppen, die mehr über unsere Arbeit erfahren wollten. Emmy, ein zahmer Schimpanse, der so etwas wie das Maskottchen der Station war, schwang sich an den massiven Balken unter der Decke entlang und folgte uns. Ich schenkte ihr ein Lächeln, doch heute hatte ich keine Zeit für eine ausgiebige Begrüßung. Emmy schien enttäuscht, dass niemand sie beachtete, und blieb zurück. Dad hielt uns die Tür mit dem großen rot-weißen Schriftzug »Praxis« auf. Hier gab es zwei Behandlungsräume, einen OP, einen Röntgenraum und einen Bereich, in dem die kranken Patienten untergebracht und versorgt wurden, die zur Beobachtung bleiben mussten. Manaia stand in der Tür des Behandlungsraums. Sie hatten den Tisch bereits hochgefahren und eine sterile Unterlage darauf ausgebreitet. Das kleine Wallaby blinzelte wegen der plötzlichen Helligkeit der Strahler, die direkt über dem Tisch angebracht waren.
»Helft mir, bitte«, sagte ich und streckte vorsichtig die Arme aus, kaum dass ich vor dem Tisch stand. Noah und Manaia assistierten mir, damit ich das kleine...
Erscheint lt. Verlag | 27.4.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Booktok • BookTok Romance • cozy romance • enemies to lovers • liebesroman hawaii • Maui • New Adult • new adult bücher • new adult deutsch • New adult Romance • Romance Highlight • Romance Neuerscheinungen 2024 • Romane am Meer |
ISBN-10 | 3-522-65572-9 / 3522655729 |
ISBN-13 | 978-3-522-65572-9 / 9783522655729 |
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