Simpel (eBook)
304 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0766-1 (ISBN)
Marie-Aude Murail stammt aus einer Schriftstellerfamilie aus Le Havre, Frankreich, und studierte Philosophie an der Sorbonne. Sie zählt zu den beliebtesten zeitgenössischen Kinder- und Jugendbuchautorinnen Frankreichs und wurde mit zahlreichen Preisen geehrt. Für ihr Gesamtwerk erhielt sie 2022 die höchste internationale Auszeichnung für Kinder- und Jugendliteratur, den Hans Christian Andersen-Preis. Ihr Roman ?Simpel? wurde mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Ihre Jugendbücher erscheinen auf Deutsch exklusiv bei Fischer. Literaturpreise: Gesamtwerk: Hans-Christian Andersen-Preis 2022 ?Simpel? Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2008 (Jugendjury) Empfehlungsliste des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises 2008 Jugendbuchpreis 2008 der Jury der Jungen Leser (Altersstufe 13/14) ?Das ganz und gar unbedeutende Leben der Charity Tiddler? Die besten 7 Bücher, Januar 2012 ?Vielleicht sogar wir alle? Auswahlliste des Heinrich-Wolgast Preises ?Ein Ort wie dieser? Platz 3 Landshuter Jugendbuchpreises 2015
Marie-Aude Murail stammt aus einer Schriftstellerfamilie aus Le Havre, Frankreich, und studierte Philosophie an der Sorbonne. Sie zählt zu den beliebtesten zeitgenössischen Kinder- und Jugendbuchautorinnen Frankreichs und wurde mit zahlreichen Preisen geehrt. Für ihr Gesamtwerk erhielt sie 2022 die höchste internationale Auszeichnung für Kinder- und Jugendliteratur, den Hans Christian Andersen-Preis. Ihr Roman ›Simpel‹ wurde mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Ihre Jugendbücher erscheinen auf Deutsch exklusiv bei Fischer. Literaturpreise: Gesamtwerk: Hans-Christian Andersen-Preis 2022 ›Simpel‹ Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2008 (Jugendjury) Empfehlungsliste des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises 2008 Jugendbuchpreis 2008 der Jury der Jungen Leser (Altersstufe 13/14) ›Das ganz und gar unbedeutende Leben der Charity Tiddler‹ Die besten 7 Bücher, Januar 2012 ›Vielleicht sogar wir alle‹ Auswahlliste des Heinrich-Wolgast Preises ›Ein Ort wie dieser‹ Platz 3 Landshuter Jugendbuchpreises 2015 Tobias Scheffel, 1964 in Frankfurt am Main geboren, studierte Romanistik, Geschichte und Geographie an den Universitäten Tübingen, Tours (Frankreich) und Freiburg. Seit 1992 arbeitet er als literarischer Übersetzer aus dem Französischen und lebt in Freiburg im Breisgau. 2011 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet. Literaturpreise: 2011: Deutscher Jugendliteraturpreis, Sonderpreis für das Gesamtwerk als literarischer Übersetzer
Kapitel 2 In dem Monsieur Hasehase einen nicht besonders tollen Bau findet
Enzo schätzte es nicht sonderlich, um sieben Uhr morgens von Aria und ihrem Freund geweckt zu werden. Zu hören, wie sie auf der anderen Seite der Wand miteinander schliefen, führte ihm seine Situation als Männchen ohne Weibchen vor Augen. Enzo war einundzwanzig, blond und ziemlich hübsch – mit ein bisschen Mühe hätte er leicht eine Freundin finden können. Aber er wollte, dass die Mädchen ihm in die Arme fielen, ohne dass er sie selbst zum Fallen bringen musste. Eine Frage der Trägheit oder der Würde, das hatte er noch nicht entschieden.
»Ist noch Kaffee da?«, fragte Corentin, der in die Küche kam.
»Mmm …«
Zu früh für Worte.
»Da hat gestern jemand wegen der Zimmer angerufen«, begann Corentin erneut. »Soll für ihn und seinen Bruder sein.«
»Noch mehr Jungs«, sagte Enzo seufzend.
In der Rue du Cardinal-Lemoine lebten vier Studenten: Enzo, Aria und ihr Freund Emmanuel sowie Corentin, Arias Bruder.
»Warum finden wir für die Zimmer keine Mädchen?«, jammerte Enzo.
»Such doch!« Corentin goss sich eine große Schale Kaffee ein. »Der Typ wirkte sympathisch. Er ist zweiundzwanzig und sein Bruder siebzehn.«
»Jetzt hör mal, das ist doch hier kein Kindergarten!«
Am Telefon hatte Colbert sich für den Älteren ausgegeben.
»Was studiert er?«
Corentin versuchte, sich zu erinnern.
»Ich weiß nicht mehr genau. Sein Bruder besucht die Abschlussklasse im Henri IV.«
»Ätzend, diese jungen Leute«, brummte Enzo. »Die unterscheiden zwischen Hip Hop und Trip Hop, sagen ›Mädels‹ und rauchen Shit. Ich hasse junge Leute.«
»Gib mir die Nutella, Opa.«
»Siehst du, du bist jung. Nutella ist jung. Ich mag nur Honigbrote.«
»Oh, wie lieb, das erinnert mich an Pu der Bär.«
»Glaubst du, Mädchen stehen auf Pu der Bär? Im besten Fall werd ich Tieger abkriegen. Gib mir die Nutella zurück.«
Melancholisch fuhr Enzo mit dem Löffel ins Glas. »Ich hab immer gedacht, der wär schwul.«
»Pu?«
»Ach was!«, erwiderte Enzo empört. »Tieger.«
»Ey, hör auf, direkt aus dem Glas zu essen. Das ist widerlich.«
»Nein, das ist jung.«
Corentin seufzte. An solchen Morgen war mit Enzo nicht viel anzufangen.
»Hallo Jungs!«
Das war Aria, die Wangen noch gerötet von der Lust, die kurzen Haare verstrubbelt, fürchterlich sexy in ihrem halb zugeknöpften Schlafanzug. Sie gab ihrem Bruder einen Kuss, Enzo einen Klaps auf den Kopf und biss genüsslich in ein Stück hartes Weißbrot. Sie war die Anmut in Person, ohne sich im Geringsten um ihre Wirkung auf die beiden zu kümmern.
Enzo und Corentin starrten sie mit offenem Mund an.
»Wann kommen die neuen Mitbewohner?«, fragte sie und setzte sich, ein Bein angewinkelt unter dem Po.
»Jetzt wart doch mal, die müssen mir nicht unbedingt gefallen!«, sagte Enzo.
»Vor allem müssen die Zimmer ihnen nicht unbedingt gefallen«, erwiderte Aria.
Die vier hatten sich die besten Räume der Wohnung genommen. Die beiden verbleibenden Zimmer waren klein, kalt und unpraktisch geschnitten.
Emmanuel kam herein. Er war fünfundzwanzig und damit der Älteste in der WG.
»Sieh an, da kommt Tieger«, empfing ihn Enzo.
Arias Freund sah Enzo mit einem misstrauischen Lächeln an.
»Warum Tieger?«
Corentin lachte.
»Weil ich Pu der Bär bin«, antwortete Enzo und streckte sich. »Und Corentin ist Kaninchen.«
»Er ist immer noch genauso bescheuert«, brummte Emmanuel. »Obwohl, als I-Ah wärst du ziemlich überzeugend.«
Enzo ahmte die depressive Stimme des Esels nach: »Guten Morgen. Falls es ein guter Morgen ist, was ich bezweifle …«
Emmanuel warf Aria einen entgeisterten Blick zu. Und dieser Typ war im dritten Studienjahr!
Um ihn zu bestrafen, gab Aria ihm einen weiteren Klaps auf den Kopf, worauf Enzo reagierte, indem er ihr die Finger in die Seite piekste. Aria gluckste und boxte Enzo. Emmanuel blieb verdutzt stehen. »Es reicht! Beruhigt euch!«
Enzo sprang mit einem Satz auf und deutete auf den Stuhl. »Setz dich, der Platz ist warm.«
Sie starrten sich an. Emmanuel witterte in Enzo einen jungen Konkurrenten, der ihn vom Thron stoßen wollte.
Nach dem Frühstück machten sich alle an ihr Tagesprogramm. Enzo ging zurück und legte sich wieder aufs Bett.
»Stör ich?«
Corentin war gerade ins Zimmer gekommen.
»Kannst du dir ja denken«, sagte der andere und stützte sich auf einen Ellbogen.
»Was machst du?«
»Nichts.«
Corentin setzte sich. Er war ein anständiger Junge, der sich seit der fünften Klasse Enzo zum Vorbild genommen hatte.
»Sie kommen auf einen Kaffee vorbei.«
»Wer?«, fragte Enzo mit leidender Stimme.
Er hatte sich wieder hingelegt, als ob er die Last der Welt nicht mehr tragen könnte.
»Na, die Mitbewohner. Also, die Kandidaten. Du musst sie sehen.«
Corentin vermutete, dass die Brüder genommen würden, wenn Enzo ja sagen würde. Wenn er nein sagte, würden sie abgelehnt.
»Lass mich in Ruhe«, murmelte Enzo mit geschlossenen Augen.
»Was hast du?« Corentin war kein begnadeter Kenner des menschlichen Herzens, aber er ahnte, dass bei seinem Freund etwas nicht stimmte.
»Ich habe …«
Plötzlich richtete Enzo sich auf und schlug mit der Faust gegen die Wand. »Ich will einfach nicht um sieben Uhr morgens von deiner Schwester und diesem anderen Leichensezierer geweckt werden!«
Emmanuel studierte Medizin. Aria auch. Enzo legte sich wieder hin, nicht besonders zufrieden damit, sich geoutet zu haben.
»Bist du verliebt?«, fragte Corentin schließlich.
»Was? Jetzt geht’s aber los! Das ist einfach eine Frage des … Anstands. Sie sollten dran denken, dass ich auf der anderen Seite bin.«
Corentin fragte nicht weiter nach. Er respektierte seine ältere Schwester und war ziemlich beeindruckt von Emmanuel, dem großen männlichen, arbeitsamen, nicht besonders lustigen Typen. Er stand seufzend auf: »Bist du heute Mittag da?«
»Wo sollte ich denn sonst sein?«
Ganz entschieden war an jenem Morgen mit Enzo nichts anzufangen.
Auch Colbert war den ganzen Vormittag gestresst.
Wie sollte er seinen Bruder vorstellen? Würde er ihn reden lassen?
»Hast du dir die Hände gewaschen?«
Simpel hielt sie jetzt zum zehnten Mal unters Wasser. Die Nervosität seines Bruders verschreckte ihn.
»Okay. Und du nimmst deinen Verolver nicht mit, verstanden?«
»Ich hab mein Messer.«
Colbert sah ihn mit noch düstererem Blick an als gewöhnlich.
»Hannihösöhaseheem«, stammelte Simpel.
»Was?«
Simpel stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte seinem Bruder ins Ohr: »Kann ich Monsieur Hasehase mitnehmen?«
Er flehte. Colbert zögerte, dann dachte er an die Wirkung, die das Auftauchen des Hasen hervorgerufen hatte, und entschied klar: »Du lässt ihn hier.«
Als sie aufbrachen, suchte er jedoch sein neues Handy, und Simpel nutzte die Gelegenheit, um Monsieur Hasehase in seine Tasche zu stopfen.
»Warum hab ich denn kein Tefelon?«, fragte er mit ganz unschuldigem Gesicht.
»Weil du meins kaputtgemacht hast.«
»Warum hab ich dein Tefelon kaputtgemacht?«
»Weil du bescheuert bist.«
»Oh, oh …«
»Ja, ja, böses Wort!« Colbert wurde hysterisch.
Die WG war nur zwei Straßenecken entfernt.
»Ich drück den Knopf, ich bin’s!«, rief Simpel vor der Sprechanlage an der Haustür.
Sein Bruder schnappte ihn an der Jacke. »Jetzt hör mir mal zu. Entweder verhältst du dich ruhig, oder ich schicke dich nach Malicroix zurück.«
Simpel wurde bleich, und Colbert bekam augenblicklich Gewissensbisse. Er drückte die Klingel, neben der WG stand.
»Ja?«, antwortete eine weibliche Stimme.
»Colbert Maluri.«
Es war ein großbürgerlicher Eingang. Der Vorhang der Hausmeisterloge hob sich, und die Hausmeisterin sah die beiden Brüder an. Colbert verzichtete auf den alten Aufzug mit schmiedeeisernem Gitter und nahm die Treppe. Der rote Teppich beeindruckte Simpel, er ging die Stufen auf Zehenspitzen hinauf, als ob er fürchtete, ansonsten Eier zu zertreten.
»Habt ihr Angst vor dem Fahrstuhl?«, begrüßte sie Aria. »Guten Tag … Du bist Barnabé?«
Sie wandte sich an Colbert. Da der Jüngere einen Kopf größer war als sein Bruder, hielt sie ihn für den Älteren.
»Nein, ich bin Colbert.«
»Ach so? Entschuldige.«
Die beiden Brüder waren hereingekommen. Aria gab Simpel die Hand: »Dann bist du also Barnabé. Ich bin Aria.«
Es herrschte ein Moment der Irritation, denn Simpel schüttelte Arias Hand, ohne irgendetwas zu sagen.
»Und … äh … die anderen sind im Wohnzimmer«, fügte Aria etwas mühsam hinzu. »Kommt rein!«
Emmanuel las, Corentin rauchte, Enzo tat nichts. Auf dem Tisch standen die Tassen und die Kaffeekanne, daneben ein Teller mit Keksen. Als die Maluris hereinkamen, gab es ein Durcheinander von Begrüßungen. Alle setzten sich um den Tisch, und Emmanuel eröffnete das Gespräch: »Ihr sucht also eine Wohnung?«
Colbert erklärte, dass sie gerade vorübergehend bei einer alten Verwandten wohnten und unabhängig sein wollten.
»Was studierst du?«, fragte ihn Emmanuel, der denselben Fehler beging wie Aria.
»Ich komme in die...
Erscheint lt. Verlag | 2.5.2024 |
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Übersetzer | Tobias Scheffel |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Behindert • Behinderung • Colbert • emotionale Bücher • Erwachsen werden • Familie • Familiengeschichten • Family • Frankreich • Freundschaft und Liebe • Geschwisterbeziehung • Geschwister Buch • Himmel & Hölle • Humor • Jugendbuch ab 14 • Jugendliteraturpreis • Leben & Sterben • Lust & Liebe • Paris • Reale Geschichten • schullektüre klasse 10 • schullektüre klasse 9 • Stoffhase • Toleranz • WG • Wohngemeinschaft |
ISBN-10 | 3-7336-0766-X / 373360766X |
ISBN-13 | 978-3-7336-0766-1 / 9783733607661 |
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