König Matz der Erste (eBook)
352 Seiten
Atlantis Kinderbuch (Verlag)
978-3-7152-7019-7 (ISBN)
Janusz Korczak, geboren 1878 als Henryk Goldszmit in Warschau, war ein polnischer Kinderarzt und Schriftsteller und gilt als einer der berühmtesten Pädagogen des 19. und 20. Jahrhunderts. Schon während seines Medizinstudiums sammelte er erste pädagogische Erfahrungen bei der Betreuung von Kindern in Armenvierteln, arbeitete später in einem Kinderkrankenhaus, gründete ein Waisenhaus, in dem er seine Theorien in die Praxis umsetzte, und eine Zeitung, die ausschließlich von Kindern verfasst wurde. Im Ersten Weltkrieg musste er als Feldarzt an die Front, nach seiner Rückkehr leitete er ein jüdisches Waisenhaus, das während des Zweiten Weltkriegs in das Warschauer Ghetto umgesiedelt wurde. Korczak wurde 1942 gemeinsam mit seinen Schützlingen in Treblinka ermordet. Er verfasste über zwanzig Bücher. Seine Belletristik war zu seinen Lebzeiten so bekannt wie Peter Pan, in seinen Sachbüchern verbreitete er leidenschaftliche Plädoyers zum Schutz von Kindern, die er zeit seines Lebens ermunterte, für ihre Rechte einzustehen. König Matz der Erste erschien erstmals 1923.
Janusz Korczak, geboren 1878 als Henryk Goldszmit in Warschau, war ein polnischer Kinderarzt und Schriftsteller und gilt als einer der berühmtesten Pädagogen des 19. und 20. Jahrhunderts. Schon während seines Medizinstudiums sammelte er erste pädagogische Erfahrungen bei der Betreuung von Kindern in Armenvierteln, arbeitete später in einem Kinderkrankenhaus, gründete ein Waisenhaus, in dem er seine Theorien in die Praxis umsetzte, und eine Zeitung, die ausschließlich von Kindern verfasst wurde. Im Ersten Weltkrieg musste er als Feldarzt an die Front, nach seiner Rückkehr leitete er ein jüdisches Waisenhaus, das während des Zweiten Weltkriegs in das Warschauer Ghetto umgesiedelt wurde. Korczak wurde 1942 gemeinsam mit seinen Schützlingen in Treblinka ermordet. Er verfasste über zwanzig Bücher. Seine Belletristik war zu seinen Lebzeiten so bekannt wie Peter Pan, in seinen Sachbüchern verbreitete er leidenschaftliche Plädoyers zum Schutz von Kindern, die er zeit seines Lebens ermunterte, für ihre Rechte einzustehen. König Matz der Erste erschien erstmals 1923.
Das Begräbnis des Königs fand mit großem Gepränge statt. Die Straßenlaternen waren mit Trauerflor umwunden. Alle Glocken läuteten. Das Orchester spielte einen Trauermarsch. Kanonen fuhren vorüber, das Militär paradierte. Blumen wurden mit Eisenbahnzügen aus den wärmsten Ländern geliefert. Alle Menschen waren sehr traurig. Die Zeitungen schrieben, das ganze Volk beweine den Verlust des geliebten Königs.
Matz saß traurig in seinem Zimmer, denn er sollte zwar König werden, hatte aber seinen Vater verloren – und nun hatte er niemanden mehr auf der Welt.
Matz erinnerte sich an seine Mama; sie hatte ihm den Namen Matz gegeben. Obwohl Mama Königin war, war sie überhaupt nicht hochmütig gewesen; sie spielte mit ihm, türmte Bauklötze mit ihm auf, erzählte ihm Märchen, zeigte ihm Bilder in Büchern. Seinen Vater sah Matz seltener, denn der König fuhr oft zum Militär oder zu Besuch oder empfing verschiedene Könige. Dann hatte er wieder Beratungen und Sitzungen.
Aber es kam vor, dass auch der König einen Augenblick Zeit für Matz fand, mit ihm kegelte oder einen Ausritt durch die langen Alleen des königlichen Gartens unternahm: der König auf einem Pferd, Matz auf einem Pony.
Und was sollte jetzt werden? Immer dieser langweilige ausländische Erzieher, der ein Gesicht machte, als hätte er soeben ein Glas scharfen Essigs getrunken.
Und war es denn so angenehm, König zu sein? Eher wohl nicht, oder? Ja, wenn wirklich Krieg wäre, könnte man sich wenigstens schlagen. Aber was hat ein König zu tun, wenn Frieden herrscht?
Matz war traurig zumute, als er allein in seinem Zimmer saß, und ihm war traurig zumute, als er durch das Gitter des königlichen Gartens zusah, wie die Kinder der Schlossbedienten fröhlich im königlichen Hof spielten.
Da spielten sieben Jungen – meist Militär. Zum Angriff geführt, exerziert und geleitet wurden sie immer von demselben kleinen, ungemein lustigen Jungen. Er hieß Feli. So riefen ihn die anderen Jungen.
Schon oft hatte Matz ihn rufen wollen, um durch das Gitter mit ihm zu sprechen, aber er wusste nicht, ob er es durfte und ob es sich schickte, und er wusste auch nicht, was er sagen und wie er das Gespräch beginnen sollte.
Unterdessen waren in allen Straßen große Bekanntmachungen angeklebt worden, dass Matz König geworden sei, dass er seine Untertanen begrüße, dass die Minister dieselben blieben wie vorher, und dass sie dem jungen König bei seiner Arbeit helfen würden.
Alle Schaufenster waren voll mit Fotografien von Matz. Matz auf dem Pony, Matz im Matrosenanzug, Matz in Militärkleidung. Matz bei der Truppenschau. Auch in den Lichtspieltheatern wurde Matz gezeigt. Alle in- und ausländischen Illustrierten waren voll von Matz.
Und die Wahrheit ist: Alle mochten Matz. Die Erwachsenen bedauerten ihn, weil er so früh schon beide Eltern verloren hatte. Die Jungen freuten sich, dass wenigstens einer unter ihnen war, auf den alle hören mussten, vor dem sogar Generäle strammstanden und erwachsene Soldaten das Gewehr präsentierten. Den Mädchen gefiel dieser kleine König auf dem flinken Pferdchen. Am meisten aber liebten ihn die Waisenkinder.
Als die Königin noch lebte, hatte sie zu den Feiertagen stets Bonbons in die Waisenhäuser schicken lassen. Als sie starb, hatte der König befohlen, weiterhin Bonbons zu schicken. Und auch wenn Matz nichts davon wusste, so wurden den Kindern seit Langem in seinem Namen Süßigkeiten und Spielsachen geschickt. Und viel später verstand Matz dann, dass man mit einem Posten im Staatshaushalt den Menschen viel Gutes tun konnte, ohne es auch nur zu ahnen.
Ungefähr ein halbes Jahr nach der Thronbesteigung wollte es der Zufall, dass Matz große Beliebtheit erlangte. Das heißt, alle sprachen von ihm, aber nicht weil er König war, sondern weil er etwas getan hatte, das allen gefiel.
Ich will erzählen, wie das geschah.
Durch seinen Doktor erbat Matz die Erlaubnis, Spaziergänge durch die Stadt zu unternehmen. Lange hatte Matz den Doktor bedrängt, er möge ihn doch wenigstens einmal pro Woche in den Garten führen, wo alle Kinder spielten:
»Ich weiß, im königlichen Garten ist es schön, aber allein langweilt man sich auch im allerschönsten Garten.«
Schließlich hatte der Doktor es versprochen und sich vom Hofmarschall zur Schlossverwaltung führen lassen, damit der königliche Betreuer beim Ministerrat für König Matz die Erlaubnis zu drei Spaziergängen in zweiwöchentlichem Abstand erwirkte.
Es mag seltsam erscheinen, dass ein König es so schwer hat, einen ganz normalen Spaziergang zu machen. Hinzuzufügen ist, dass der Hofmarschall nur deshalb damit einverstanden war, weil der Doktor ihn kurz zuvor von Leibschmerzen befreite, nachdem er nicht mehr frischen Fisch gegessen hatte. Die Schlossverwaltung bemühte sich schon seit Langem um Geld für den Bau eines Pferdestalls, den auch der königliche Betreuer benutzen sollte, und der Innenminister gab seine Zustimmung, um den Finanzminister zu ärgern, denn für jeden königlichen Spaziergang erhielt die Polizei dreitausend Dukaten, und die Sanitätsabteilung bekam ein Fass Kölnisch Wasser und tausend Taler in Gold.
Vor jedem Spaziergang des Königs Matz säuberten nämlich zweihundert Arbeiter und hundert Frauen gründlich den Garten. Es wurde gekehrt, es wurden die Bänke angemalt, die Alleen mit Kölnisch Wasser gesprengt und der Staub von Bäumen und Blättern gewischt. Die Doktoren achteten darauf, dass es sauber war, dass es keinen Staub gab, denn Schmutz und Staub schaden der Gesundheit. Die Polizei achtete darauf, dass während des Spaziergangs keine Lümmel im Garten waren, die Steine warfen, schubsten, sich prügelten und laut schrien.
König Matz amüsierte sich ausgezeichnet. Er trug normale Kleidung, sodass niemand wusste, dass da der König ging, denn man erkannte ihn nicht. Und es kam auch niemandem in den Sinn, dass der König sich in den gewöhnlichen Garten begeben könnte. König Matz ging zweimal um den ganzen Garten herum und bat, sich auf die Bank an dem Platz setzen zu dürfen, wo die Kinder spielten. Doch kaum saß er, da kam schon ein Mädchen gelaufen und fragte ihn:
»Möchten Sie Ringelreihen spielen, junger Mann?«
Sie nahm Matz bei der Hand, und sie spielten zusammen. Die Mädchen sangen Lieder und drehten sich im Kreis. Als sie dann auf ein neues Spiel warteten, begann das Mädchen sich mit ihm zu unterhalten.
»Haben Sie eine kleine Schwester?«
»Nein, ich habe keine.«
»Und was macht Ihr Papa?«
»Mein Papa ist gestorben. Er war König.«
Womöglich dachte das Mädchen, Matz mache Witze, denn sie lachte und sagte:
»Wenn mein Vati König wäre, müsste er mir eine Puppe kaufen, die bis zur Decke reicht.«
König Matz erfuhr, dass der Vater des Mädchens Hauptmann bei der Feuerwehr war, dass sie Reni hieß und die Feuerwehrleute sehr mochte, die ihr manchmal erlaubten, auf dem Pferd zu reiten.
Matz wäre gern länger geblieben, aber seine Erlaubnis galt nur bis vier Uhr zwanzig Minuten und dreiundvierzig Sekunden.
Ungeduldig wartete Matz auf den nächsten Spaziergang, doch es regnete, und man fürchtete um seine Gesundheit.
Beim zweiten Mal hatte Matz einen Unfall. Er spielte wieder mit den Mädchen Ringelreihen. Da kamen einige Jungen heran, und einer rief:
»Seht mal, der Junge spielt Ringelreihen mit den Mädchen!«
Und sie lachten los.
Und König Matz bemerkte, dass er tatsächlich als einziger Junge Ringelreihen spielte.
»Komm und spiel lieber mit uns«, sagte der Junge.
Und Matz sah ihn aufmerksam an:
Ach, das war ja Feli, derselbe Feli, den Matz früher hatte kennenlernen wollen.
Feli sah ihn jetzt aufmerksam an und rief aus vollem Hals:
»Oh, der sieht ja aus wie König Matz!«
Matz schämte sich sehr, denn auf einmal schauten ihn alle an. Er wäre gern so schnell wie möglich zu dem Adjutanten gelaufen, der zur Tarnung ebenfalls gewöhnliche Kleidung trug, doch vor Eile oder auch vor Scham stürzte er und schürfte sich das Knie auf.
Im Ministerrat wurde beschlossen, dass man dem König nicht erlauben durfte, in den Garten zu gehen. Sie würden alles tun, was der König nur wolle, aber in einen gewöhnlichen Park dürfe er nicht gehen, denn dort seien unartige Kinder, die ihn belästigt und ausgelacht hätten, und der Ministerrat könne nicht zulassen, dass sie den König auslachten, denn das vertrage sich nicht mit der Königswürde.
Matz war sehr bekümmert und dachte lange an seine beiden frohen Spiele im gewöhnlichen Garten, bis ihm Renis Wunsch wieder einfiel.
›Sie möchte eine Puppe, die bis zur Decke reicht.‹
Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe.
›Ich bin doch der König, also darf ich befehlen. Stattdessen muss ich allen gehorchen. Ich lerne Lesen und Schreiben wie alle anderen Kinder. Ich muss mir die Ohren und den Hals waschen und die Zähne putzen, genau wie alle anderen Kinder. Das Einmaleins ist dasselbe für Könige wie für alle anderen. Was habe ich also davon, König zu sein?‹
Matz begehrte auf, und bei einer Audienz verlangte er mit lauter Stimme vom Ministerpräsidenten, dass man die größte Puppe der Welt kaufen und Reni schicken sollte.
»Eure Majestät geruhen zu bemerken«, hub der Ministerpräsident an.
Matz konnte sich sofort denken, was folgen würde; dieser unausstehliche Mensch würde lange und viele unverständliche Dinge reden – und am Ende wäre es nichts mit der Puppe. Matz fiel ein, wie derselbe Minister einmal seinem Vater etwas zu erklären anfing; damals hatte der König mit dem Fuß aufgestampft und gesagt:
»Ich verlange es unwiderruflich.«
Also...
Erscheint lt. Verlag | 16.11.2023 |
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Übersetzer | Hans Gregor Njemz |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Freundschaft • Gerechtigkeit • Kind • Klassiker • König • Liebe • Macht • Selbstbestimmung |
ISBN-10 | 3-7152-7019-5 / 3715270195 |
ISBN-13 | 978-3-7152-7019-7 / 9783715270197 |
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