The 99 Boyfriends of Micah Summers - Ein Märchen in Chicago (eBook)
368 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93793-0 (ISBN)
Adam Sass hat seine ersten Bücher mit Filzstift auf Starbucks-Brötchentüten geschrieben. (Es tut ihm leid, dass es ihn davon abgelenkt hat, deinen Latte zu machen.) Seine Jugendromane wurden vielfach ausgezeichnet. Zudem ist der Autor ein wiederkehrender Co-Moderator des beliebten Podcasts Slayerfest98, wo er Marvel-Shows und andere Stücke der Popkultur bespricht.
Adam Sass hat seine ersten Bücher mit Filzstift auf Starbucks-Brötchentüten geschrieben. (Es tut ihm leid, dass es ihn davon abgelenkt hat, deinen Latte zu machen.) Seine Jugendromane wurden vielfach ausgezeichnet. Zudem ist der Autor ein wiederkehrender Co-Moderator des beliebten Podcasts Slayerfest98, wo er Marvel-Shows und andere Stücke der Popkultur bespricht. Anja Hansen-Schmidt studierte Amerikanistik, Anglistik und Politik in Tübingen und St.Paul/Minnesota. Durch ein Verlagsvolontariat begann sie mit dem Übersetzen und ist seitdem nicht mehr davon losgekommen. Sie übersetzt in erster Linie Kinder- und Jugendbücher, Fantasy und Sachbücher aus dem Englischen, darunter Autor*innen wie Jenny Han, Erin Hunter, Tom Leveen, Jason Reynolds und J.K. Rowling.
Woher ich weiß, dass es Liebe ist? Weil ich mich schon zweimal übergeben musste. Und dabei habe ich ihn noch nicht mal nach einem Date gefragt. Auch wenn meine Freund*innen gern auf diese Info verzichtet hätten, sind alle der Meinung, dass meine angstbedinge Übelkeit die perfekte Ausrede bietet, um die Schule zu schwänzen und zum ersten Mal in meinem Leben einen Jungen nach einem Date zu fragen.
Und wer könnte sich an einem solchen Tag schon auf imaginäre Zahlen oder die Korruptionsskandale der 1920er-Jahre konzentrieren? Die Zeichen, dass ich endlich den ersten Schritt wagen sollte, sind überall: Die typische graue Suppe über Chicagos Skyline hat sich verzogen und der wolkenverhangene Himmel ist einem hoffnungsvoll strahlenden Blau gewichen. Es ist der erste warme Tag seit einem halben Jahr, perfekt für meine Mission, weil ich mein schwarzes Lieblingstanktop anziehen kann – darin sehen meine Arme richtig muskulös aus (Spoiler: Sie sind es nicht!). Ich fühle mich nicht mal schlecht, weil ich schwänze. Die Klausuren sind alle geschrieben, damit ist mein vorletztes Schuljahr so gut wie vorbei, und der halbe Abschlussjahrgang wird heute sowieso fehlen.
Darunter auch Andy McDermott.
Den ganzen Mai über habe ich, mit der Entschlossenheit eines Hais, der einen ertrinkenden Seemann belauert, meine Kreise um Andy gezogen. Fast ein Jahr lang war er mit diesem Mädchen aus meinem Kunstkurs zusammen gewesen, aber dann ist sie in den Frühlingsferien fremdgegangen und sie haben sich getrennt. Danach tauchte Andy plötzlich bei den Treffen des LGBTQ+-Clubs unserer Schule auf.
Da ich der Schriftführer des Clubs bin, lautete der einzige Protokolleintrag an diesem Tag: OHMEINGOTT ANDY IST HIER.
Hannah, meine beste Freundin (und beste Spionin), hat herausgefunden, dass Andy heute den Unterricht schwänzt und in den Grant Park geht, um TikToks für seine Band aufzunehmen. Deshalb bin ich jetzt auch dorthin unterwegs, und zwar so schnell, wie mich mein Pennyboard durch die Straßen befördert.
Das winzige knallpinke Skateboard kippelt unter der Last meines übervollen Schulrucksacks, aber ich finde ohne Probleme das Gleichgewicht wieder. Schließlich bin ich nur ein dünner Lauch, der mit siebzehn noch so aussieht, als wäre er zwölf. Der Frühlingswind weht mir ins Gesicht, während ich über die rostbraune Brücke rolle, die von meinem Zuhause an der sogenannten Goldküste (wo die Reichen wohnen) zum Loop führt, dem Innenstadtviertel von Chicago.
Am See angekommen, stelle ich fest, dass die gesamte Stadt heute blaumacht: Auf dem Wasser sind jede Menge Segeljachten unterwegs, und der Park ist voller Menschen, die Rad fahren, joggen und picknicken. Alle wollen unbedingt die ersten warmen Sonnenstrahlen seit Oktober genießen.
Aber nicht mal der kühlende Wind kann meinen brodelnden Magen besänftigen.
Heute ist der Tag, an dem Micah Summers zum ersten Mal einen Jungen nach einem Date fragt. Sieg oder Niederlage.
Und es sollte besser nicht mit einer Niederlage enden!
Als ich mein Board endlich vor den Steinpollern am Parkeingang abbremse, lande ich sofort einen Glückstreffer: Andy McDermott ist schon da. Und er ist allein unterwegs. Dabei kommt es fast nie vor, dass man Andy ohne seine einschüchternde Freundes-Clique antrifft.
Doch jetzt steht er ohne die anderen in der Warteschlange vor einem Hotdog-Wagen.
Andy sieht aus wie aus einem Märchen – aber von der düsteren Sorte, wie in dem Disneyfilm Descendants – die Nachkommen. Er hat dunkle, lockige Haare, die an den Spitzen blau gefärbt sind, supersüße Sommersprossen auf den leicht gebräunten Wangen, einen Ohrstecker, Ringe an jedem Finger, und um seine Taille ist ein Flanellhemd geknotet. Der perfekte Retro-Musikvideo-Vibe.
Nach einem langen, tiefen Atemzug fahre ich mir mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen, schnalle mein Board hinten an meinen Rucksack und stelle mich zu Andy in die Schlange.
Er hat mich noch nicht gesehen. Mein hämmerndes Herz will sich gar nicht mehr beruhigen.
Die Hotdog-Verkäuferin – eine ältere weiße Frau, die von Kopf bis Fuß in Chicago-Bulls-Merch gekleidet ist – winkt Andy heran, um seine Bestellung entgegenzunehmen.
Wie soll ich bloß ein Gespräch mit ihm anfangen? Und selbst wenn ich das schaffen sollte: Wie frage ich ihn beiläufig nach einem Date, um ihn nicht abzuschrecken, aber auch eindeutig genug, um nicht in der Friendzone zu landen?
Im echten Leben sind Jungs nun mal keine Märchenprinzen; sie sind Furcht einflößende, unverständliche Wesen, aus den dunklen Wäldern im Land der Rätselhaftigkeit.
Keine Zeit, um zu atmen. Für seelischen Beistand fische ich mein Handy aus der Tasche und schreibe Hannah: Notfall! McDermott steht vor mir in der Schlange bei den Hotdogs. Was soll ich tun?
Ihre Antwort kommt sofort: Frag ihn nach einem Date!
Fast hätte ich mein Handy zerquetscht. Seit der siebten Klasse ist Hannah mit einem gut aussehenden, beliebten Jungen nach dem anderen zusammen – und immer war sie diejenige, die zuerst nach einem Date gefragt wurde. Keine Ahnung, warum ich denke, sie könnte ausgerechnet mir einen brauchbaren Ratschlag geben – einem schwulen Jungen, der noch nicht mal das Dating-Level eines Mittelstuflers erreicht hat. Danke, Hannah, aber wie?, antworte ich.
Frag ihn, ob er mit dir einen Hotdog essen will. Aber betone »Hotdog« so, dass eindeutig was ANDERES damit gemeint ist …
Das ist ein echter Notfall und du machst dich über mich lustig!
Lad ihn auf den Hotdog ein!
Endlich ein konkreter, umsetzbarer erster Schritt! Hannah ist echt die Beste.
»– und bitte mit allem«, sagt Andy mit seiner rauen Stimme zu der Hotdog-Verkäuferin.
»Das macht dann vier fünfzig«, sagt die Frau.
Ich stürze einen Schritt nach vorn und halte ihr die Kreditkarte hin, bevor Andy seinen Geldbeutel rausholen kann. »Ichzahldas«, platzt es in einer einzigen zusammengepressten Silbe aus mir heraus.
Andy weicht zurück, einen erschrockenen Ausdruck auf seinem hübschen, leicht unrasierten Gesicht.
Oh nein. Das war zu schnell.
»Sorry!« Aus einem mir unbekannten Grund hebe ich ergeben die Arme. »Ich, äh, zahle das?«
Andys lange Wimpern flattern und auf seinem erstaunten Gesicht breitet sich ein verschmitztes Lächeln aus. Gott sei Dank. Endlich dringt wieder Sauerstoff in meine Lungen. »Oh, hi«, sagt er. »Du bist doch Micah, oder? Von diesem Club in der Schule?«
Er erkennt mich!
»Äh, ja …«, sage ich und gebe der Verkäuferin meine Karte. Mein Blick huscht wild durch die Gegend und landet überall, nur nicht auf Andy. Der Plan geht wirklich verdammt schnell in die Hose. Was soll Andy bloß von mir denken, wenn ich einfach so aus dem Nichts auftauche und nicht einmal erkläre, warum.
»Willst du auch einen Hotdog, Kleiner, oder bezahlst du nur seinen?«, fragt die Frau.
Alles dreht sich. Ich könnte keinen Bissen runterkriegen. »Nur seinen«, murmele ich.
»Oh, dann vielen Dank«, sagt Andy. Nicht mal sein freundlicher Ton kann mich beruhigen.
Mit unmenschlicher Anstrengung begegne ich seinem Blick, seine Augen sind dunkelbraun mit goldenen Sprenkeln. Er lächelt.
Viel zu viel Aufmerksamkeit. Sofort zieht sich mein Magen zusammen.
Lächeln, Micah. Ich gehorche. Zu viele Zähne! Ich kneife die Lippen zusammen. Jetzt siehst du aus, als wäre dir schlecht. Mir ist schlecht! Andys Lächeln verblasst schon wieder. Du verlierst ihn!
»Ich weiß nicht, was du heute Abend vorhast«, platzt es aus mir heraus.
Andy zieht eine gepiercte Augenbraue in die Höhe. »Du … weißt nicht, was ich heute Abend vorhabe?«
Der Satz sollte eigentlich so klingen: Ich weiß nicht, was du heute Abend vorhast, aber falls du Zeit haben solltest, hättest du dann Lust, mit mir ins Kino oder essen zu gehen, oder sonst was in der Art? Aber natürlich habe ich vor dem entscheidenden Teil den Schwanz eingezogen und klinge deshalb wie ein Irrer!
»Hier ist deine Karte, Kleiner«, sagt die Verkäuferin, dann reicht sie Andy den in Alufolie gewickelten Hotdog und eine Tüte Chips. Die Frau hinter mir schiebt ihre Kinder vor, um eine Bestellung aufzugeben, und Andy und ich treten gemeinsam aus der Warteschlange.
Was mache ich hier eigentlich? Will ich ihm den ganzen Tag wie ein Schoßhündchen hinterherlaufen?
»Ich meine, wenn du heute Abend nichts vorhast … äh …«, stottere ich.
Zum Glück begreift Andy, worauf ich hinauswill. Er windet sich ein bisschen und beugt sich zu mir. »Hey, Micah … ich fühle mich echt geschmeichelt, aber –«
»Kein Ding!«, ächze ich. »Guten Appetit und schöne Ferien, tschüs!«
Mit der Energie einer Gazelle, die sich jeden Moment in das Mittagessen eines Jaguars zu verwandeln droht, sprinte ich in die entgegengesetzte Richtung davon. Und erst, als sich die giftige Säurebrühe in mir allmählich beruhigt, werde ich langsamer.
Mein Herz schrumpft in meiner Brust zusammen. Ich habe es wieder nicht geschafft.
Sobald ein sicherer Abstand von mehreren Häuserblocks zwischen Andy und mir liegt, lasse ich mein Pennyboard fallen und skate zum Millennium Park – da sind zwar immer viele Tourist*innen, aber wenigstens kann ich in der Menge verschwinden. Und das brauche...
Erscheint lt. Verlag | 29.6.2023 |
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Übersetzer | Anja Hansen-Schmidt |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Buch Chicago • Buch Instagram • buch märchen • Cinderella Buch • friends to lovers deutsch • LGBTQAI+ Romance • LGBTQ Roman • Queere Liebesgeschichte • Queere Literatur • Rom-Com Buch • Social Media Buch Jugendliche • Young Adult Liebesroman |
ISBN-10 | 3-646-93793-9 / 3646937939 |
ISBN-13 | 978-3-646-93793-0 / 9783646937930 |
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