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Hier ist es immer noch schön (eBook)

Erste Liebe und der Umgang mit Alltagsrassismus - ein beeindruckendes Debüt!

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93568-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hier ist es immer noch schön -  XiXi Tian
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Annalie traut ihren Augen kaum. Mit roter Farbe hat irgendjemand 'Schlitzaugen' auf die Garage geschmiert. Es fühlt sich an wie ein Schlag in den Magen. Bisher hat Annalie in den Ferien in der örtlichen Eisdiele gejobbt und sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass der süßeste Junge der Schule sie endlich wahrnimmt. Ihre ältere Schwester Margaret hingegen will die verschlafene Kleinstadt endlich hinter sich lassen und hat ihr Praktikum in New York auch deshalb angetreten, um ihrem Ex-Freund nicht mehr zu begegnen. Doch als die Familie Opfer eines rassistischen Anschlags wird, kommt Margaret zurück nach Hause und versucht alles, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Annalie dagegen will so schnell wie möglich wieder zur Tagesordnung übergehen. Die Own-voices-Autorin XiXi Tian schreibt ergreifend und sensibel von alltäglichem Rassismus und der Schwierigkeit der Opfer sich dagegen zur Wehr zu setzen. Ein beeindruckendes Debüt! 

XiXi Tian wurde in China geboren und zog schon als Kind mit ihren Eltern in die USA. Sie studierte Geschichte und besuchte danach die Harvard Law School. Heute arbeitet sie tagsüber als Anwältin, nachts als Autorin und lebt in der Nähe von New York. 

XiXi Tian wurde in China geboren und zog schon als Kind mit ihren Eltern in die USA. Sie studierte Geschichte und besuchte danach die Harvard Law School. Heute arbeitet sie tagsüber als Anwältin, nachts als Autorin und lebt in der Nähe von New York.  Sylke Hachmeister, geboren 1966, studierte Kommunikationswissenschaften, Anglistik und Soziologie. Zunächst arbeitete sie als Lektorin, bevor sie sich als Übersetzerin selbstständig machte. Ihre Bücher wurden bereits vielfach ausgezeichnet.

1
Annalie

Der für den ersten Sommertag vorhergesagte Regen bleibt aus, das bedeutet erstens, dass meine Mutter den Vormittag garantiert größtenteils im Garten verbringt, und zweitens, dass Thom Froggett garantiert beim Eiscafé vorbeikommt und sich seine zwei Kugeln Rocky Road in der Waffel abholt.

Meine Mutter ist eine Supergärtnerin, deshalb verbringt sie einen übergroßen Teil ihrer Freizeit damit, ihre preisgekrönten Prachtrosen zu schneiden. Meine Schwester Margaret ist eine Superschülerin, deshalb hat sie die Highschool als Jahrgangssprecherin und Jahrgangsbeste abgeschlossen, sich dann für ein Doppelstudium in Ökonomie und Politologie plus Gender Studies als Nebenfach an der NYU eingeschrieben und schiebt jetzt vor dem zweiten College-Jahr noch ein cooles Ferienpraktikum bei einer McKinsey-mäßigen Consultingfirma in Manhattan ein.

Ich dagegen liege in der Schule bestenfalls im Zweierbereich, spiele die zweite Flöte und marschiere in der Blaskapelle immer noch manchmal aus Versehen rechts statt links. Wenigstens den Lidstrich ohne Absetzen morgens im Rückspiegel meines Autos kriege ich überdurchschnittlich gut hin.

Eins kann ich aber wirklich besser als Mama und Margaret, nämlich Eiskugeln portionieren (hauptsächlich, weil beide laktoseintolerant sind und nie Eis essen), und deshalb habe ich einen Ferienjob im Sprinkle Shoppe ergattert. Ich bin wild entschlossen, mit meinem unspektakulären Talent etwas Spektakuläres zu erreichen: Ich will die Aufmerksamkeit eines gewissen Thom Froggett gewinnen, haselnussbraune Augen, Fußballstar, könnte aber auch als Wäschemodel durchgehen.

Thom und ich haben schon seit der Grundschule am Rande miteinander zu tun, weil sein Nachname und meiner (Flanagan) im Alphabet nah beieinander sind, wenn auch immer ein gewisser Justin Frick dazwischen war. Von der ersten bis zur achten Klasse standen wir in der Mensaschlange also fast nebeneinander, nur dass ich, anstatt mit Thom zu quatschen, in der ersten Klasse Justins Spuckespritzer im Haar ertragen musste, in der achten dann seine Versuche, mich zu einem Date zu bewegen.

Thom auf der anderen Seite von Justin bekam überhaupt nichts mit, außer wenn Justin mal nicht zwischen uns stand. Die paar Tage im Jahr, an denen Justin fehlte, waren die besten meiner frühen Jugend. Leider wollte beim Warten auf wabbelige Chicken Nuggets und Kakao in diesen Plastikpackungen mit Strohhalmpiksloch die romantische Stimmung nicht recht aufkommen, und so blieb die junge Liebe meiner prägenden Jahre unerwidert.

Auf der Highschool gab es keine Mensaschlange mehr und wir gingen in unterschiedliche Kurse, sodass uns mehr trennte als nur der unglückselige Justin Frick. Die Pubertät traf Thom mit der Wucht eines Güterzugs. Praktisch über Nacht schoss er dreißig Zentimeter in die Höhe und lernte seine dunkelblonden Haare so zu stylen, dass sie ihm engelflügelgleich in die Stirn fielen.

Gegen Ende der neunten Klasse hatte er eine Freundin. Und das wars, bis sie sich diesen Januar trennten, was ich etwa vier Tage später von meiner Freundin Violet erfuhr (die nicht nur ein besonderes Talent für die philippinische Küche hat, sondern auch alles Mögliche über ihre Mitmenschen in Erfahrung bringen kann, was die sozialen Medien nicht preisgeben).

Während wir nach der letzten Stunde unsere Rucksäcke aufsetzten und zum Schultor gingen, erzählte Violet mir von ihrem Plan. „Das ist jetzt deine Chance“, sagte sie.

„Das hat aber schon was Gruseliges, wie du mir die Nachricht überbringst.“ Wir gingen den Hügel zum Parkplatz hoch und ich wich vor dem scharfen Wind des Mittleren Westens zurück. „Als hätte ich ihn schon mein Leben lang gestalkt.“

Sie zuckte ungerührt die Achseln.

„Ich finde es schon ein bisschen krass, sich direkt nach der Trennung auf ihn zu stürzen.“

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Der Typ ist schneller wieder weg, als du gucken kannst. Während du dir eine Strategie überlegst, hat er womöglich schon ein Auge auf Cheerleader Numero zwei geworfen. Das müssen wir verhindern.“

„Sie haben Namen, Violet. Außerdem will ich keine Lückenbüßerin sein.“

„Das ist gerade eine ziemlich abstrakte Sorge. So als würdest du dich fragen, ob es dir in Georgia nicht vielleicht zu heiß ist, um dort aufs College zu gehen, bevor du dich auch nur irgendwo beworben hast. Um das Problem kannst du dich später kümmern.“

„Da hast du wohl recht“, gab ich zu.

Schneebestäubt quetschten wir uns in Violets winzigen Honda Civic und drehten erst mal die Heizung auf.

„Du gehst folgendermaßen vor“, sagte Violet. War ja klar, dass sie schon einen Plan im Kopf hatte.

Der Plan bestand vor allem darin, dass ich im Sprinkle Shoppe anfangen sollte. Violet und Thom hatten einen Kurs zusammen und er hatte ihr gegenüber einmal erwähnt, dass er sich im Sommer jeden Nachmittag nach seiner Laufrunde ein Eis dort holte, immer die gleiche Sorte, als wäre es sein Job, das Eiscafé lag nämlich auf seinem Heimweg. „Er liebt Eis“, verkündete Violet, als hätte sie gerade ein neues Element für das Periodensystem entdeckt.

Ich sagte nichts und dachte darüber nach. „Vi, das ist ein extrem dämlicher Plan.“

„Absolut nicht!“

„Doch.“

„Na ja.“ Sie sah mich herausfordernd an. „Dann bist du jetzt dran. Hast du eine bessere Idee?“

Hatte ich nicht.

„Bewirb dich einfach, wenn es so weit ist“, sagte sie nur.

Als ich an meinem ersten Arbeitstag die Tür zum Sprinkle Shoppe aufmache, kommt mir ein Schwall kalter Luft entgegen. Die kleine silberne Glocke über der Tür bimmelt.

Das Eiscafé bringt mir nicht nur gutes Geld und die Gelegenheit, Thom zu observieren, ich finde es auch richtig schön. Es liegt in einem kleinen Backsteingebäude in der City und hat ein altmodisches Flair. In großen geschwungenen Buchstaben steht der Name in weißer, leicht abgeblätterter Farbe auf einem Holzschild unter dem Vorsprung des spitzen Dachs. Ich mag den schweren silbernen Türgriff und die Vitrinen, den Boden mit den Schachbrettfliesen und die Spitzenborte am Tresen. Das Café erinnert mich an so einen typischen Fünfzigerjahre-Treffpunkt, wo Jungs in Collegejacken Mädchen auf ein Eis einluden und sie fragten, ob sie mit ihnen gehen wollten.

Audrey steht schon mit umgebundener Schürze hinter dem Tresen. Audrey gehört zu den Cheerleadern, die Violet Sorgen machen. Sie hat rotblonde gewellte Haare und lange goldene Wimpern, dazu zarte Sommersprossen, die wie Zuckerstreusel über ihre Wangen verteilt sind. Sie ist wunderhübsch, wenn sie mich nicht gerade, so wie jetzt, unfreundlich ansieht.

„Du bist zu spät“, sagt sie.

Ich schaue aufs Handy. „Bin ich nicht“, sage ich.

„Zwei Minuten nach meiner Uhr.“

Beinahe hätte ich etwas Unfreundliches erwidert wie Bestimmt war in den hundertzwanzig Sekunden, die ich nicht da war, der Bär los, aber dann sage ich mir, dass es die Sache nicht wert ist. Schließlich muss ich noch die ganzen Ferien mit ihr verbringen. „Tut mir leid.“

„Egal.“

Audrey arbeitet schon seit vier Monaten hier. Für den Sprinkle Shoppe ist das eine Ewigkeit, denn die meisten bleiben nur den Sommer über, wenn es viel zu tun gibt. Pech für mich, dass wir in derselben Schicht sind und sie mich rumkommandieren kann.

„Du“, sagt sie und zeigt mit dem Eisportionierer auf mich wie ein Diktator, „bist für das Eis zuständig. Ich kassiere.“

Keine Einwände meinerseits. Mathe war sowieso noch nie meine Stärke.

Sie reicht mir den silbernen Portionierer. Er sieht ziemlich selbsterklärend aus, aber da kommt die erste Kundin und bestellt eine Kugel Schoko-Mint und eine Kugel normales Schokoeis. Die Schoko-Mint-Kugel gerät zu klein, und ich packe die Schokokugel nicht fest genug darauf, sodass sie mit einem weichen Platsch zu Boden fällt. Das scheint doch nicht ganz so einfach zu sein, wie es aussieht, und ich habe meine Portionierkünste offenbar maßlos überschätzt.

Audrey muss das Eis aufwischen. Die nächsten zwei Stunden verdreht sie so oft die Augen, dass ich schon befürchte, sie sieht mich demnächst einfach gleich mit zur Decke gerichteten Augen an, um Zeit zu sparen. Aber nach dem zehnten Eis hab ich den Bogen raus.

Ich komme mir schon fast vor wie ein Naturtalent, als die Tür wieder aufgeht.

Er ist es. Genau wie Violet versprochen hat.

In diesem Augenblick danke ich ihr im Stillen für ihren Weitblick. Sie ist doch wirklich weise. Dafür hat sie sich ein paar Liter Cookies ’n’ Cream verdient.

Thom hat seine Laufklamotten an. Als er zum Tresen kommt, wandert mein Blick unwillkürlich zu seinen trainierten Waden. Er schüttelt sich die Haare, die dunkel sind vor Schweiß, aus den Augen. Ich überlege, was ich als Nächstes machen soll. Wahrscheinlich seine Bestellung aufnehmen. Wahrscheinlich einfach irgendwas anderes machen, als hier dumm rumzustehen.

Da saust Audrey an mir vorbei und schnappt mir den Portionierer einfach aus der Hand. Ich bin so baff, dass ich keinerlei Widerstand leiste.

„Hi Thom“, sagt sie mit Hardcore-Grübchenlächeln. Wenn es um Thom geht, ist der Eis-Job offenbar nicht unter ihrer Würde. Mich beschleicht der Verdacht, dass andere – genauer gesagt Audrey – denselben Plan verfolgen wie ich und sich dabei geschickter anstellen.

Ich hab meine Chance verpasst. Audrey ist der Boss, also mache ich ihr Platz. Sie zeigt streng auf die Kasse. Wie Violet gesagt hat, wer zu spät kommt, den bestraft das...

Erscheint lt. Verlag 29.6.2023
Übersetzer Sylke Hachmeister
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Alltagsrassismus • Diskriminierung • Hatecrime • Own-Voice-Autorin • Selbstwahrnehmung • Umgang mit hatecrime • Umgang mit Rassismus
ISBN-10 3-646-93568-5 / 3646935685
ISBN-13 978-3-646-93568-4 / 9783646935684
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