More Happy Than Not (eBook)
368 Seiten
Arctis Verlag
978-3-03880-158-0 (ISBN)
Adam Silvera wurde in der Bronx, New York, geboren. Bevor er mit dem Schreiben begann, arbeitete er als Buchhändler und Rezensent für Kinderbücher. Sein Roman Am Ende sterben wir sowieso steht seit vielen Monaten auf Platz 1 der New York Times-Paperback-Bestsellerliste und hat auch in Deutschland die SPIEGEL-Bestsellerliste erreicht. Silvera lebt in Los Angeles und hat inzwischen eine riesige internationale Fangemeinde; sein Werk wurde bis dato in über 30 Sprachen übersetzt.
Adam Silvera wurde in der Bronx, New York, geboren. Bevor er mit dem Schreiben begann, arbeitete er als Buchhändler und Rezensent für Kinderbücher. Sein Roman Am Ende sterben wir sowieso steht seit vielen Monaten auf Platz 1 der New York Times-Paperback-Bestsellerliste und hat auch in Deutschland die SPIEGEL-Bestsellerliste erreicht. Silvera lebt in Los Angeles und hat inzwischen eine riesige internationale Fangemeinde; sein Werk wurde bis dato in über 30 Sprachen übersetzt.
TEIL EINS: GLÜCK
1 ERINNERUNGEN, DIE RICHTIG REINHAUEN
Der Leteo-Eingriff ist offenbar doch kein Fake.
Als ich das Plakat in der U-Bahn zum ersten Mal sah, dachte ich, es wäre Werbung für irgendeinen Science-Fiction-Film und kein echtes Institut, das einem beim Vergessen hilft. Und als ich die Überschrift »Heute da, morgen weg!« auf dem Titelblatt einer Zeitung las, dachte ich an ein neues Grippemittel oder so was Lahmes – wer hätte auch ahnen können, dass von Erinnerungen die Rede war. An dem Wochenende hat es total geregnet, deshalb chillten meine Freunde und ich im Waschmaschinenraum vor dem alten Fernseher des Wachmanns. Auf allen Nachrichtensendern wurden Vertreter vom Leteo-Institut interviewt, die was über die »revolutionären Erkenntnisse zur Gedächtnisanpassung und Erinnerungsunterdrückung« erzählten.
Alles Fake, dachte ich nach jedem einzelnen Interview.
Inzwischen wissen wir allerdings, dass der Eingriff zu hundert Prozent wirksam und zu null Prozent Fake ist, weil einer von uns ihn hinter sich hat.
Zumindest laut Brendan, meinem fast-besten Freund. Und der ist genauso für seine Ehrlichkeit bekannt wie Baby-Freddys Mutter dafür, auf Teufel komm raus jedem Gerücht auf den Grund zu gehen. (Angeblich macht sie gerade einen Französischkurs, weil sie wegen der Sprachbarriere nicht zweifelsfrei feststellen kann, ob ihre Nachbarin wirklich eine Affäre mit dem verheirateten Hausmeister hat. Aber gut, das ist auch nur ein Gerücht.)
»Also ist das mit Leteo kein Quatsch?« Ich setze mich neben die Sandkiste, in der keiner spielt, weil man sich sonst was darin einfangen kann.
Brendan läuft hin und her und dribbelt mit dem Basketball von unserem Kumpel Deon zwischen seinen Beinen herum. »Deswegen sind Kyle und seine Eltern weggezogen«, sagt er. »Neustart.«
Ich muss nicht fragen, was Kyle vergessen wollte. Sein Zwillingsbruder Kenneth wurde im Dezember erschossen, weil er mit der kleinen Schwester von Jordan geschlafen hat. Dabei war es eigentlich Kyle, der mit ihr im Bett war. Was Trauer angeht, kenne ich mich ziemlich gut aus, aber mit so was zu leben, kann ich mir nicht vorstellen – zu wissen, dass der Bruder, mit dem ich Gesicht und Geheimsprache geteilt habe, mit Kugeln aus dem Leben gerissen wurde, die eigentlich für mich bestimmt waren.
»Ist doch schön für ihn, oder?«
»Klar, Mann«, sagt Brendan.
Außer uns sind die üblichen Verdächtigen unterwegs. Skinny-Dave und Fat-Dave – sie sind nicht verwandt oder so, dass sie beide Dave heißen, ist Zufall – kommen mit Trinkpäckchen und Chipstüten aus dem Good Food’s Store, unserem Laden an der Ecke, in dem ich seit ein paar Monaten jobbe. Baby-Freddy fährt auf seinem neuen Rad in Orange-metallic vorbei, und ich weiß noch, dass wir ihn ewig wegen seiner Stützräder fertiggemacht haben – dabei bin ich der Letzte, der sich lustig machen darf, immerhin ist mein Vater nicht mal dazu gekommen, mir überhaupt Fahrradfahren beizubringen. Me-Crazy sitzt auf dem Boden und unterhält sich mit der Wand, und alle anderen, genauer gesagt alle Erwachsenen, bereiten sich auf das Event des Jahres vor, das am Wochenende ansteht.
Family Day.
Das wird der erste Family Day ohne Kenneth und Kyle, ohne Brendans Eltern und ohne meinen Dad. Nicht dass ich mich auf Vater-Sohn-Aktionen wie Schubkarrenrennen oder Basketball gefreut hätte – wenn, dann waren sowieso immer nur Dad und mein Bruder Eric ein Team –, aber alles Vater-Sohn-Mäßige wäre besser als nichts. Für Brendan ist es garantiert auch nicht leichter, dabei leben seine Eltern noch. Vielleicht ist es sogar schlimmer, weil sie unerreichbar in zwei winzigen Zellen sitzen, aus unterschiedlichen Gründen: seine Mutter wegen bewaffnetem Raubüberfall und sein Vater, weil er einen Polizisten angegriffen hat, der ihn beim Meth-Dealen erwischt hat. Jetzt wohnt Brendan bei seinem achtundachtzigjährigen Großvater, von dem man auch nicht so genau wissen will, wie der sich durchschlägt.
»Die erwarten bestimmt freundliche Gesichter von uns«, sage ich.
»Die können die sich sonst wo hinstecken«, kontert Brendan. Er schiebt die Hände in die Hosentaschen, in denen er garantiert Gras hat – Dealen ist seine Taktik, schneller erwachsen zu werden, dabei hat genau das seinen Dad vor acht Monaten in den Knast gebracht. Er guckt auf die Uhr, und es fällt ihm sichtlich schwer, die Zeiger richtig zu lesen. »Muss los, bin verabredet.« Und schon ist er weg, ohne auf meine Antwort zu warten.
Er redet nie viel, deshalb ist er auch nur mein fast-bester Freund. Ein echter bester Freund würde einem mit richtig vielen Worten klarmachen, dass das Leben doch irgendwie schön ist, wenn man drüber nachdenkt, es zu beenden. So wie ich. Stattdessen ist er auf Abstand gegangen, weil er sich verpflichtet fühlte, mit den anderen Schwarzen Kids abzuhängen, was totaler Schwachsinn ist – fand ich damals und finde ich auch immer noch.
Ich vermisse die Sommerabende, an denen wir viel länger draußen geblieben sind, als wir durften, auf der schwarzen Gummimatte unter dem Klettergerüst rumlagen und über Mädchen und die Zukunft geredet haben – beides gefühlt unerreichbar. Damals hatte ich das Gefühl, alles könnte gut werden, solange wir zusammen hier festhängen. Inzwischen ist es eher Gewohnheit als Freundschaft, die uns verbindet.
Noch was, womit ich klarkommen muss, oder zumindest so tun, als ob.
Wir vier wohnen in einer Zweizimmerwohnung. Ich meine, wir drei. Drei.
Ich teile mir das Wohnzimmer mit Eric, der demnächst von seiner Schicht im Secondhand-Videospielladen auf der Third Avenue nach Hause kommen müsste. Dann wird er eine seiner beiden Spielkonsolen anschmeißen, sich per Headset mit seinen Online-Freunden unterhalten und zocken, bis sein Team um vier Uhr morgens aussteigt. Ich wette, Mom will ihn wieder überreden, Collegebewerbungen zu schreiben. Die Diskussion tu ich mir dann aber nicht an.
Auf meiner Zimmerseite liegen stapelweise ungelesene Comics. Die kaufe ich billig in meinem Lieblingscomicladen, für irgendwas zwischen fünfundsiebzig Cent und zwei Dollar, auch wenn ich sie eigentlich gar nicht unbedingt lesen will. Ich hab einfach gerne eine Sammlung zum Angeben da, wenn Freunde vorbeikommen, die mehr Geld haben als ich. Eine Serie, The Dark Alternates, hab ich sogar abonniert, als letztes Jahr auf einmal die halbe Schule drauf stand, aber bisher bin ich nur dazu gekommen, sie durchzublättern, um zu gucken, ob den Künstlern irgendwas Spannendes eingefallen ist.
Wenn ich ein Buch wirklich mag, zeichne ich meine Lieblingsszenen: Bei World War Z den Sieg der Zombies in der Schlacht um Yonkers; bei Die Legende von Sleepy Hollow den Moment, in dem der Kopflose Reiter auftaucht, weil die Geistergeschichte, die bis dahin so lala war, mich da auf einmal gepackt hat; und bei Scorpius Hawthorne und der Sträfling von Abbadon – dem dritten Teil meiner Lieblings-fantasyreihe über einen bösen jungen Zauberer – die Szene, in der Scorpius den grausamen Abbadon mit seinem Zerreiß-Spruch erledigt.
In letzter Zeit habe ich kaum gezeichnet.
Die Dusche braucht immer ein paar Minuten zum Warmwerden, also drehe ich das Wasser auf und gehe nach Mom gucken. Ich klopfe an die Schlafzimmertür, aber sie reagiert nicht. Nur der Fernseher ist zu hören. Wenn dein einziger noch lebender Elternteil nicht reagiert, musst du automatisch daran denken, dass dein Vater tot in der Badewanne gefunden wurde – und an die Möglichkeit, dass hinter der Tür ein Leben als Waise wartet. Ich gehe rein.
Sie wacht gerade aus dem zweiten Schläfchen des Tages auf, Law & Order läuft. »Alles okay, Mom?«
»Alles okay, mein Sohn.« Sie nennt mich kaum noch Aaron oder »mein Baby«, und obwohl ich auf Letzteres nie besonders scharf war, vor allem in Gegenwart meiner Freunde, war es wenigstens ein Zeichen, dass noch Leben in ihr steckt. Jetzt ist sie einfach nur fertig.
Neben ihr liegen ein angebissenes Stück Pizza, das ich von Yolandas Pizzeria holen sollte, der leere Kaffeebecher, den ich ihr von Joey’s mitgebracht hab, und ein paar Leteo-Flyer, die sie selbst irgendwo mitgenommen haben muss. Sie hat schon immer an den Eingriff geglaubt, aber das muss nichts heißen, sie glaubt ja auch an Santería. Sie setzt ihre Brille auf, die praktischerweise die tiefen Falten kaschiert, die sie dem krassen Schichtdienst zu verdanken hat. Fünf Tage die Woche ist sie als Sozialarbeiterin im Washington Hospital und zusätzlich vier Abende an der Fleischtheke im Supermarkt, damit wir dieses mickrige Dach über dem Kopf nicht verlieren.
»Hat die Pizza nicht geschmeckt? Ich kann dir auch was anderes holen.«
Mom sagt nichts. Sie steht auf, zieht den Ausschnitt des Shirts zurecht, das sie irgendwann mal von ihrer Schwester geerbt hat und das jetzt dank ihrer »Armutsdiät« auch endlich passt, und umarmt mich so fest, wie sie es seit Dads Tod noch nicht getan hat. »Ich wünschte, wir hätten irgendwas tun können.«
»Äh …« Ich lege die Arme um ihre Schultern und weiß wie immer nicht, was ich sagen soll, wenn sie wegen dem weint, was Dad gemacht hat und was auch ich fast gemacht hätte. Mein Blick fällt auf die Leteo-Flyer. Wer weiß, vielleicht hätten die ihm helfen können – aber wir hätten eh nicht die Kohle dafür gehabt. »Ich muss mal unter die Dusche, sonst ist sie gleich wieder kalt. Tut mir leid.«
Sie lässt mich los. »Alles gut, mein Sohn.«
Ich tue so, als wäre alles gut, und gehe ins Bad, wo der Spiegel schon beschlagen ist. Schnell ziehe ich mich aus. Aber vor...
Erscheint lt. Verlag | 16.3.2022 |
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Übersetzer | Lisa Kögeböhn |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Erinnerung • Erinnerungslöschung • Freundschaft • Homosexualität • Identität • LGBTQ • Liebe • Plot Twist • sccience fiction • Suizid |
ISBN-10 | 3-03880-158-5 / 3038801585 |
ISBN-13 | 978-3-03880-158-0 / 9783038801580 |
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