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Sanctuary - Flucht in die Freiheit (eBook)

Ein dystopischer Jugendroman über die Sehnsucht nach Freiheit und Zuflucht - packend und hochaktuell
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
352 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93405-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sanctuary - Flucht in die Freiheit -  Paola Mendoza,  Abby Sher
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Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis! USA, 2032: Alle Bürger*innen werden durch einen ID-Chip überwacht. Es ist beinahe unmöglich, undokumentiert zu leben, doch genau das tut die 16-jährige Vali. Nachdem sie aus Kolumbien geflohen ist, hat sich ihre Familie ein Leben in Vermont aufgebaut. Als jedoch der ID-Chip ihrer Mutter nicht mehr funktioniert und ihre Stadt nach Undokumentierten durchsucht wird, müssen sie fliehen. Das Ziel: Kalifornien, der einzige Bundesstaat, der sich der Kontrolle entzogen hat. Doch als Valis Mutter festgenommen wird, muss Vali allein mit ihrem Bruder weiter, quer durchs gesamte Land, bevor es zu spät ist. Eine erschreckende, aber zu Herzen gehende Geschichte über den Willen zu überleben, konsequent aus der Sicht einer Migrantin geschrieben.

Paola Mendoza ist Autorin, Filmregisseurin, Aktivistin und Künstlerin, die sich an vorderster Front für Menschenrechte einsetzt. Sie ist Mitbegründerin des »Women's March« und Co-Autorin des New-York-Times-Bestsellers »Together We Rise«. Mendoza hat ebenfalls bei preisgekrönten Filmen mitgewirkt.

Paola Mendoza ist Autorin, Filmregisseurin, Aktivistin und Künstlerin, die sich an vorderster Front für Menschenrechte einsetzt. Sie ist Mitbegründerin des »Women's March« und Co-Autorin des New-York-Times-Bestsellers »Together We Rise«. Mendoza hat ebenfalls bei preisgekrönten Filmen mitgewirkt. Abby Sher ist Performerin und preisgekrönte Autorin. Neben Jugendromanen schreibt sie auch für diverse Zeitungen und Magazine, wie die New York Times, die LA Times, Elle u. v. m. Eins ihrer Essays war Vorlage für eine Fernsehshow. Sie schreibt Drehbücher und tritt selbst auf der Bühne und in Fernsehshows auf. Stefanie Frida Lemke, geboren 1977 und aufgewachsen in der Nähe von Hannover, studierte nach einer Ausbildung zur Buchhändlerin Deutsche und Englische/Amerikanische Literaturwissenschaften in Hannover und Bristol. Nach verschiedenen Stationen in München und New York lebt und arbeitet sie seit 2010 als Übersetzerin in Berlin.

Kapitel 1

Nach fünfzehn Schritten war sie tot.

Fünfzehn – einer für jedes Jahr ihres Lebens, bevor es ausgelöscht wurde.

Ich saß am Küchentisch und hätte eigentlich Hausaufgaben machen müssen. Ich machte sogar Hausaufgaben, aber mein Handy vibrierte die ganze Zeit, also tippte ich schließlich auf die Benachrichtigungen, und da war sie.

Ihren Namen habe ich nie erfahren. In den Berichten wurde sie bloß »illegale Fünfzehnjährige« oder »fünfzehnjährige Immigrantin« genannt, je nachdem, wer über sie sprach.

In den Meldungen aus dem Untergrund wurde sie auch als »mutig«, »rebellisch«, »furchtlos« bezeichnet.

Und in den Nachrichten der Regierung hieß es, sie sei »von Krankheiten gebeutelt«, »illegal«, »kriminell« gewesen.

X

Dabei war sie einfach ein Mädchen in meinem Alter. Sie trug ein ausgeblichenes Mickey-Mouse-T-Shirt und Jeans-Shorts, die sie am Bund umgekrempelt hatte und die ihr trotzdem fast von den schmalen Hüften rutschten. Irgendwie hatte sie es über den Maschendrahtzaun entlang des ausgebrannten Streifens Land zwischen Tijuana und San Diego geschafft. Über die verrostete, kaputte Barrikade, welche die Menschen auf mexikanischer Seite zurückhalten sollte. Sie stand da als Narbe. Als Mahnung. Als Warnung. Ihre einzige Funktion war, zu sagen:

BLEIBT WEG. IHR HABT HIER NICHTS VERLOREN.

Das Mädchen im Mickey-Mouse-T-Shirt hatte keine Zeit für Warnungen. Sie wollte sich nicht einschüchtern lassen. Völlig unerschrocken löste sie sich vom Zaun und betrat das Niemandsland zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. Das Mädchen war unbewaffnet, allein. Ihre dunklen Haare waren zu einem hüpfenden Pferdeschwanz zurückgebunden, und unter dem linken Auge hatte sie einen hellroten Kratzer. Abgesehen davon wirkte ihr Gesicht unversehrt, ruhig sogar, während sie über den staubigen Streifen Buschland zwischen Tijuana und der Mauer ging.

Richtig, der Mauer. Der Great American Wall.

An der überhaupt nichts großartig war. Sie war vielmehr grotesk. Mit den fünfzehn Meter hohen Stahlbetonpfeilern und dem dichten Metallgeflecht verstellte sie den Himmel. Stacheldrahtspulen verliefen in mehreren Reihen quer da­rüber, und obendrauf befand sich ein Gewirr von Funken sprühenden Elektrokabeln. Die Regierung hatte Milliarden von Dollar dafür ausgegeben und die komplette Reserve einberufen, um dieses Ungetüm zu bauen. Um uns vom restlichen amerikanischen Kontinent abzuriegeln.

Stehen bleiben! Sofort!, knurrte es aus einem Lautsprecher an der Mauer.

Genau genommen befand sich das Mädchen noch nicht einmal auf US-amerikanischem Boden. Doch wie der Präsident gern sagte, die Vereinigten Staaten von Amerika waren die großartigste Nation in der Geschichte der Großartigkeit, und wir mussten tun, was auch immer nötig war, um unsere heiligen Grenzen zu schützen. Deswegen war oben auf der Mauer eine ganze Kolonne der Grenzschutzpolizei aufgereiht. Grüne Zombies, wie ich sie nannte. In ihren olivgrünen Uniformen standen sie mit blassen, ausdruckslosen Gesichtern bewegungslos da, während sie auf das Mädchen hinabsahen. Sie trugen die neuesten AK-87-Gewehre auf dem Rücken und um ihre Beine liefen Deutsche Schäferhunde.

Denn das hier war ihr Land.

Und es war ihre Pflicht, die Vereinigten Staaten von Amerika zu schützen und zu verteidigen.

Was auch immer diese Fünfzehnjährige in Flipflops und rutschenden Shorts vorhatte, sie war jetzt zu einer nationalen Bedrohung geworden.

X

Wie gebannt beobachtete ich die langsamen, bedächtigen Schritte des Mädchens. Ich hatte Angst, hörte meinen eigenen keuchenden Atem.

»Mi’ja, was machst du da?«, fragte mich Mami. »Wenn du mit deinen Hausaufgaben fertig bist, geh ins Bett.«

»Warte, das musst du dir ansehen.«

»Nein, muss ich nicht.«

»Doch, Mami, musst du«, sagte mein kleiner Bruder Ernie, der gerade im Schlafanzug aus dem Badezimmer kam. Eben noch hatte er auf dem Handy Fußball geguckt, aber anscheinend hatte er dieselben Benachrichtigungen bekommen wie ich. »An der Mauer passiert was Seltsames«, erklärte er.

Mami nervten die ständigen Mitteilungen und Unterbrechungen von unseren Smartphones, auf die wir lange gespart hatten. Doch jetzt hörte sie auf, den Küchentresen zu wischen, und stellte sich hinter mich, um mit auf mein Handy zu gucken.

»¿Qué es eso? Ich kann überhaupt nichts sehen. Der Bildschirm ist winzig«, seufzte sie.

Mami erzählte uns gern, wie es früher war, als unsere kleine Familie in dieses Land gekommen war und wir alle zusammen auf einem einzigen Fernseher dieselbe Sendung gesehen hatten. Das war natürlich, bevor die Regierung das gesamte Rundfunksystem übernommen hatte. Bevor sämtliche Nachrichtensprecherinnen und -sprecher, die dagegen protestierten oder zu viel zu sagen hatten, rausgeschmissen und alle Filme und Sendungen, die unpatriotisch schienen, gestrichen wurden. Wenn wir etwas Unverfälschtes oder Außergewöhnliches mitbekommen wollten, mussten wir uns Livestreams im Darknet ansehen. Genau das taten wir gerade. Ich tippte noch einmal aufs Display, um den Livestream in ein Hologramm zu verwandeln. Wir drei pressten die Köpfe zusammen und blickten auf das flackernde Bild. Die Verbindung war schlecht. Die Kamera schwenkte umher und zeigte zwischen Hoffnung und Panik gefangene Gesichter.

»Das gefällt mir nicht«, sagte Ernie. Mir gefiel es auch nicht, aber wir konnten uns nicht davon losreißen. Wir konnten uns nicht bewegen. Wir konnten nur auf diese verrauschten Bilder starren, während das mutige Mädchen einen Fuß vor den anderen setzte – eins, zwei, drei.

Hinter der Barrikade in Tijuana hatte sich eine Traube von Menschen angesammelt, die riefen:

¿Qué estás haciendo? ¡Cuidado!

Was machst du denn da? Pass auf!

Ein Signalhorn ertönte. Ein zweiter grüner Zombie bellte durch die Lautsprecher:

Sofort zurück hinter den Zaun! Es ist untersagt, US-amerikanischen Boden zu betreten! Ich wiederhole: Es ist untersagt, US-amerikanischen Boden zu betreten!

Das Mädchen blieb stehen und hob die Hände, um zu zeigen, dass sie nichts Böses im Schilde führte. Sie blinzelte in die helle Westküstensonne, lächelte leicht und ließ die schlaksigen Arme wieder fallen. Ich fragte mich, ob sie mit dieser wilden Tapferkeit auf die Welt gekommen war oder ob sie einfach schon zu viel verloren hatte, um Angst zu haben.

Sie ging weiter.

»Warum macht sie das?«, flüsterte Ernie. »Warum hört sie nicht auf die Polizei?«

Ich wollte eine Antwort murmeln, aber meine Zunge fühlte sich viel zu groß an. Ich wechselte zu einem anderen Livestream in Tijuana – alle filmten jetzt das Mädchen. Manche von so weit entfernt, dass sie wie ein Fleck auf dem Display oder der Kameralinse wirkte, der zwischen den Betonpfeilern über das Bild kroch. Andere zoomten so nah heran, dass ich fast die Nasenhaare des Mädchens erkennen konnte. Wir beobachteten das Geschehen aus Tausenden Kilometern Entfernung, in der Sicherheit des abendlichen Vermont. Aber ich fieberte mit ihr, mein ganzer Körper zitterte. Ich wünschte, nur einen Funken ihres Muts zu besitzen.

Kein unbefugtes Betreten der entmilitarisierten Zone!, riefen die Zombies. Ich wiederhole: Kein unbefugtes Betreten der entmilitarisierten Zone!

»Dios mío«, sagte Mami leise und schnalzte mit der Zunge. Sie bekreuzigte sich und schluckte. Mami war ziemlich zäh und begegnete der Welt eigentlich immer mit Fassung. Trotz der Falten um ihre Augen ließ sie sich nichts von all ihren Sorgen und dem Kummer anmerken. Wenn sie jetzt Gott um Hilfe bat, war dies eindeutig die Stunde der Wahrheit.

Währenddessen machte das Mädchen noch einen Schritt vorwärts. Und noch einen. Es sah aus, als würde sie jetzt richtig lächeln. Zumindest möchte ich sie so in Erinnerung behalten.

Das ist unsere letzte Warnung!, brüllten die Zombies.

¡Eres un héroe! ¡Cuidado!, rief die Menge hinter dem Zaun in Tijuana. In San Diego hatten sich inzwischen auch ziemlich viele Menschen hinter der Mauer versammelt. Sie riefen etwas, das klang wie: Lasst sie durch! Lasst sie durch!

Die Stimmen auf beiden Seiten wurden immer lauter und schienen das Mädchen zu beflügeln, es sah aus, als schwebte sie die nächsten paar Schritte. Elf, zwölf.

Ich zählte leise mit.

Sie hatte gerade den fünfzehnten Schritt in ihren Flipflops gemacht, da explodierte der Boden unter ihr. Flammen in Rot, Gelb und Orange schossen in die Höhe und rissen das Mädchen in Stücke. Verwandelten sie in Staub.

Alles um mich herum bebte. Es fühlte sich an, als wäre die Bombe in meinem eigenen Bauch explodiert und die Stoßwelle würde sich grollend durch mich hindurch ausbreiten. Noch nie hatte ich ein Licht so grell wie von diesen Flammen gesehen. Und am erschreckendsten war: Es gab keinerlei Geräusch. Oder vielmehr gab es nur die Abwesenheit von Geräuschen. Als wäre ein Loch in die Welt gerissen worden und wir müssten alle Luft, die noch übrig war, in einem riesigen Atemzug einsaugen und sie so lange wie möglich anhalten.

Ernie hielt die Stille nicht mehr aus. »Was ist passiert? Wo...

Erscheint lt. Verlag 29.7.2021
Übersetzer Stefanie Frida Lemke
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Kinder- / Jugendbuch Sachbücher
Schlagworte Buch Migration und Flucht • Donald Trump • Dystopie • Dystopie Jugendromane • Dystopische Jugendbücher • dystopischer Roman • Flüchtlingsbuch • jugendbuch flucht • Jugendbuch Verfolgung • Mexiko • realistisches Jugendbuch • Spannende Dystopie
ISBN-10 3-646-93405-0 / 3646934050
ISBN-13 978-3-646-93405-2 / 9783646934052
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