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Der letzte Rabe des Empire (eBook)

Historischer Abenteuerroman für Jugendliche

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eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
480 Seiten
Thienemann Verlag GmbH
978-3-522-62185-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der letzte Rabe des Empire -  Patrick Hertweck
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Spannender Schmöker über unheimliche Mordfälle im viktorianischen England. London 1888. Eine Mordserie versetzt die Stadt in Angst und Schrecken. Voller Entsetzen verfolgt Melvin die Ereignisse, denn er kannte jedes einzelne Opfer. Als auch noch das Mädchen getötet wird, das er heimlich liebt, setzt er alles daran, den Mörder aufzuspüren. Noch ahnt er nicht, dass in den dunklen Gassen des East End unheimliche Wesen auf ihn lauern. Und dass ihm ein einbeiniger Rabe auf Schritt und Tritt folgt ...

Patrick Hertweck, geboren 1972, bereiste nach dem Abitur mit dem Fahrrad viele Gegenden Europas, arbeitete danach im Management eines Medienunternehmens und beschloss irgendwann, seine heimliche Passion zum Beruf zu machen. Seither lebt und arbeitet der Vater von drei Söhnen als freier Schriftsteller an der Schweizer Grenze unweit von Basel.

Commercial Road, Spitalfields, East End of London


Melvin saß nach seinem Abstecher zu Mr Packer auf seinem angestammten Platz. Er zog an diesem Morgen jedoch nicht nur einen Apfel aus der Jackentasche. Weil er auf seinem Fußmarsch an einigen Mülltonnen haltgemacht hatte, befand sich darin zudem eine Auswahl zerknitterter Zeitungsseiten aus dem Daily Telegraph, der Morning Post und dem East End Advertiser. Alle enthielten Berichte über die Whitechapel-Mordserie.

Melvin breitete sie nun neben sich aus und platzierte einen Stein auf dem Stapel, damit die Blätter nicht vom auffrischenden Wind fortgeweht wurden.

Als er wieder aufsah, kullerte auf dem Gehsteig unter ihm ein Hut vorbei, verfolgt von einem barhäuptigen Fußgänger, der seinem Bowler hinterherjagte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite schlenderten derweil zwei Knocker-Ups an den Häuserzeilen entlang, die mit einer Stange über der Schulter allmorgendlich durch die Arbeitersiedlungen streiften und mit ihrem Klöppel an schmutzige Scheiben hämmerten. Die Londoner Wachklopfer sorgten auf diese Weise dafür, dass die Fabrikarbeiter rechtzeitig aus ihren Betten kamen, um sich an dampfspeienden Maschinen für einen Hungerlohn die Gesundheit zu ruinieren.

Als Melvin den Apfel verputzt hatte, machte er sich daran, einzelne Zeitungsseiten unter dem Stein hervorzuziehen und diese zu studieren. Er unterstrich gerade mit einem Kohlestück einen Namen in einem Artikel zu den Ripper-Morden, da schob sich ein Schatten zwischen ihn und die Morgensonne. Eilig drehte er das Blatt um und wandte den Kopf. Direkt neben ihm auf der Mauer stand Wilkie.

Neugierig und mit verschränkten Armen betrachtete der Lockenkopf die Zeitungen.

»Ich denke, du bist mir eine Erklärung schuldig«, sagte er und fixierte Melvin dabei mit strengem Blick.

»Hast du Zeit?«, erwiderte Melvin.

»Jede Menge.«

»Gut.«

Melvin faltete sorgfältig das Blatt zusammen, steckte es in eine Jackentasche und richtete sich auf, denn auf der anderen Straßenseite hatte Ms Marsh soeben ihren Laden aufgeschlossen.

»Komm.« Er winkte Wilkie hinter sich her.

Die Betreiberin der Gemischtwarenhandlung stand auf einem Stuhl und schrieb mit weißer Kreide die Angebote des Tages auf die Tafel über der Eingangstür.

»Ms Marsh?«

Die Frau sah die Halbwüchsigen kurz desinteressiert an und kritzelte dann weitere Buchstaben auf die Tafel.

»Ms Marsh! Dürfen wir kurz stören?«

»Dürft ihr nicht.«

»Es dauert auch nicht lange.«

»Ihr seht doch, dass ich zu tun hab.«

»Eine einzige Frage.«

Ms Marsh musterte Melvin missbilligend vom Kopf bis zu den erdkrustigen Stiefeln. »Ich kenn dich. Du sitzt jeden Morgen auf diesem Schandfleck in der Landschaft und glotzt wie ein Bekloppter zu der Spelunke. Jungchen, ich geb dir mal einen Rat: Die Biertränke macht erst abends auf.« Die beleibte Frau rümpfte die Nase. »In deinem Aufzug würdest du sowieso nicht reingelassen – nicht mal in so eine üble Pinte wie das Ten Bells

Melvin ignorierte diese Unfreundlichkeit. »Wir suchen eine Frau …«

»… die hab ich grad nicht im Angebot. Also macht die Fliege!«

Melvin ließ sich nicht beirren. »Wissen Sie, wo Mary Kelly so ungefähr vor zwei Jahren hingezogen ist? Sie wohnte damals im ...«

»Ich weiß, wo die gewohnt hat«, unterbrach ihn die Ladenbesitzerin. Sie betrachtete ihn plötzlich mit erwachtem Interesse. »Was wollt ihr Früchtchen von der?«

»Hören Sie mal zu«, mischte sich jetzt Wilkie ein. »Entweder Sie beantworten die Frage meines Kumpels und verkneifen sich Ihre blöden Bemerkungen oder ich werde Ihren Plunderschuppen heute Nacht mal mit meinen Kumpels besuchen kommen.«

Melvin warf seinem Freund einen tadelnden Blick zu und linste zu Ms Marsh. Eine dunkle Röte war auf ihre Wangen getreten. Doch anstatt loszubrüllen, lachte die Frau lauthals los. Dabei wackelte ihr Stuhl so bedenklich, dass man Angst bekam, sie würde gleich runterfallen.

Als ihr Lachen verebbt war, sah sie friedfertiger zu den Jungen. »Na, dann sollte ich wohl lieber auspacken. Mal sehen, wo deine frühere Zimmergenossin abgeblieben ist.« Sie zwinkerte Melvin zu, der ein verwundertes Gesicht zog. »Glaubst du, ich erkenne meinen Stammgast von damals nicht wieder? Die Rose hat jede Menge Schotter für ihren Fusel bei mir gelassen. Wenn mich meine grauen Zellen nicht täuschen, hast du den immer für sie abholen dürfen. Zu schade, dass sie von uns gegangen ist. Vor allem schade für meine Finanzen.«

Melvin ignorierte Wilkies fragende Grimassen. Unterdessen wischte die Betreiberin des kleinen Ladens die Kreide an ihrer Schürze ab und rieb sich nachdenklich übers Kinn.

»Lasst mich mal überlegen. Die Kelly wohnt, glaub ich, nicht weit weg. Hat, so viel ich gehört hab, ein neues Leben angefangen und verdient jetzt auf anständige Weise ihre Kohlen für den Winter. Wie hieß denn die Straße bloß? Ah, jetzt hab ich’s! In der Dorset soll sie ein Zimmer gemietet haben. Aber fragt mich bloß nicht, in welchem Haus.«

»Vielen Dank, M’am«, stieß Melvin erleichtert hervor und hob zufrieden die Hand zum Abschied.

Aus dem wolkenlosen Himmel über dem East End flutete ein klares Sonnenlicht auf die Giebel der Häuser und warf ihr verzerrtes Abbild in die Straßen.

Melvin bummelte mit Wilkie die engen und verwinkelten Gassen Whitechapels entlang. Ihr Ziel, die Dorset Street, war nicht mehr weit.

Melvin war froh, Wilkie an seiner Seite zu haben, auch wenn er ihm wohl oder übel einiges erklären musste. Wilkie war nicht entgangen, dass ihn etwas beschäftigte. Darum hatte er ihm einen Besuch abgestattet. Der Freund wollte wissen, was los war. Melvin sah zu seinem Begleiter, der geduldig schweigend neben ihm hermarschierte.

Er wartet, bis ich so weit bin, dachte Melvin. Wilkie ist ein echter Freund!

Genau genommen war Wilkie der einzige Freund, den er hatte. Und umgekehrt verhielt es sich ebenso.

Sie kamen nun an einem verwitterten Torbogen vorbei, aus dem ein vielstimmiges Schnarchen auf den Gehsteig drang. Flüchtig blickten die beiden zu den Stadtstreichern, die dort gemeinsam vor der Nachtkälte Schutz gesucht hatten und noch ihren Rausch ausschliefen. Mit vornübergekippten Köpfen lehnten die Männer wie achtlos abgestellte Mehlsäcke aneinander.

Kaum hatten die Freunde die Einbuchtung passiert, mussten sie einem Kerzenzieher ausweichen, der auf einem Holzbalken über seinen Schultern zwei Körbe balancierte, aus denen heißer Talg auf den Boden tropfte.

»Hör zu, Wilkie ...«, setzte Melvin an, als sie den Gehsteig wieder für sich hatten.

»Na, wird auch Zeit«, brach es aus seinem Begleiter hervor. »Ich dachte schon, du lässt mich bis zum Sankt Nimmerleinstag schmoren.«

Melvin lächelte matt und kramte in seiner Tasche. Schließlich faltete er eine Seite der Post mit einem Artikel auseinander, in dem die Namen aller Ripper-Opfer standen. Er reichte Wilkie das Blatt, der es sogleich gewissenhaft studierte und schließlich hilflos die Hände hob.

»Mel, was steht da?«

Erst jetzt fiel Melvin wieder ein, dass Wilkie wie die allermeisten Straßenjungen weder lesen noch schreiben konnte. Woher denn auch? Kaum einer von ihnen hatte jemals eine Schule von innen gesehen. Er selbst jedoch konnte lesen, wenn auch nur bruchstückhaft und unbeholfen. Diese Fähigkeit war eines der wenigen sinnvollen Dinge, die er aus seinem früheren in sein heutiges Leben mitgenommen hatte.

Peggy Rose hatte ihm außer einer ganzen Litanei an Flüchen auch das Lesen nahegebracht. Natürlich hatte sie ihm keinen Unterricht erteilt. Für Melvin stand es außer Frage, dass diese Schreckschraube bestenfalls ihren eigenen Namen schreiben konnte. Vielmehr hatte sie ihm irgendwann ein dünnes, reichlich bebildertes Schulbüchlein hingestreckt, das sie allein für diesen Zweck irgendwo aufgetrieben haben musste. Er erinnerte sich noch gut an die damalige Ansprache seiner Ziehmutter: »Lern das! Es kann nicht schaden, wenn du das kannst. Merk dir eines: Wenn du in Zukunft irgendwo ein Schild siehst, auf dem VERBOTEN! steht, lohnt es sich, mal genauer nachzusehen. Dann hat nämlich jemand was zu verstecken.«

So hatte er an diesem Morgen den eingesammelten Zeitungen die wichtigsten Informationen entnehmen können.

»Siehst du die unterstrichenen Wörter?«, erklärte er nun seinem Freund. »Das sind die Namen der Frauen, die von Jack the Ripper ermordet wurden. Mary Ann Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catherine Eddowes.«

Wilkie blickte ihn fragend an. »Worauf willst du hinaus, Mel?«

Melvin holte Luft und offenbarte dem Freund, dass er bis vor zwei Jahren mit einer Kupplerin und deren Dirnen in der Dachkammer des Ten Bells gehaust hatte.

Als er geendet hatte, zog Wilkie zuerst die Stirn kraus, dann weiteten sich seine Augen. »Du meinst, das sind alles Frauen, mit ...«

»... denen ich damals unter einem Dach gelebt habe. Richtig.«

»Heiliger Strohsack!« Wilkie blieb stehen und kratzte sich am Nacken.

Beide sahen in die Straße, die vor ihnen lag und von hinfälligen Behausungen gesäumt wurde. Sie waren in der Dorset angekommen.

»Jetzt sind von meinen ehemaligen Mitbewohnerinnen nur noch Ayleen und Mary Kelly am Leben«, sagte Melvin.

»Darum kennst du also die Kleine!«, rief Wilkie erstaunt aus. »Und deswegen hast du vorhin Ms Marsh gefragt, wo diese Kelly wohnt! Was für einen Grund sollte der Ripper denn haben, sich ausgerechnet diese Frauen vorzuknöpfen?«

»Ich habe keinen...

Erscheint lt. Verlag 24.8.2021
Mitarbeit Designer: Maximilian Meinzold
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Abenteuer Geschenk • Abenteuerroman • fantasy buch • Fantasy Bücher • fantasy bücher ab 12 • Fantasy Jugendbücher • Fantasy Romane • historische Abenteuerromane • Jack the Ripper Buch • Jugendbücher ab 12 • vampir bücher • viktorianisch
ISBN-10 3-522-62185-9 / 3522621859
ISBN-13 978-3-522-62185-4 / 9783522621854
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