Die Kinder der Otori 1 - Waisenkrieger (eBook)
400 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0365-6 (ISBN)
Lian Hearn wurde 1942 geboren und wuchs in Nigeria und Großbritannien auf. Sie studierte moderne Sprachen und arbeitete anschließend als Filmkritikerin und Redakteurin. Sie ist die Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendbücher, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Ein lebenslanges Interesse an Japan und seiner Kultur führte dazu, dass sie Japanisch lernte und das Land unzählige Male bereiste. Lian Hearn lebt heute in Australien.
Lian Hearn wurde 1942 geboren und wuchs in Nigeria und Großbritannien auf. Sie studierte moderne Sprachen und arbeitete anschließend als Filmkritikerin und Redakteurin. Sie ist die Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendbücher, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Ein lebenslanges Interesse an Japan und seiner Kultur führte dazu, dass sie Japanisch lernte und das Land unzählige Male bereiste. Lian Hearn lebt heute in Australien. Henning Ahrens lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Frankfurt am Main. Er veröffentlichte diverse Lyrikbände sowie die Romane »Lauf Jäger lauf«, »Langsamer Walzer«, »Tiertage« und »Glantz und Gloria«. Für S. Fischer übersetzte er Romane von Richard Powers, Kevin Powers, Khaled Hosseini. Zuletzt erschien sein Roman »Mitgift«.
Kapitel 2
Der Tag, an dem die Gemälde lebendig geworden waren und Kasho die Ankunft des Fremden in der Sänfte beobachtet hatte, lag noch nicht lange zurück, da kam Gemba in die Halle des Lernens, um ihn und seinen Bruder abzuholen.
»Eure Tante will euch sehen«, sagte er.
Kasho hatte seine Tante Shirakawa Kaede, die von Hisao die »Witwe« genannt wurde, nicht mehr gesehen, seit sie ihn und seinen Bruder zum Tempel gebracht hatte. Das war nun über zwei Monate her. Gemba nahm denselben Weg, auf dem er Kasho zum Abt geführt hatte. Der Nachmittag war kalt und grau. Auf den Innenhöfen und den Dächern türmte sich der Schnee, und obwohl Blüten an den knorrigen Ästen des Pflaumenbaums leuchteten, lag der Frühling noch in weiter Ferne.
Die Brüder hatten seit Wochen kaum ein Wort gewechselt. Kasho hatte Chikara noch nicht mit dessen neuem Namen – Sozo – angeredet. Er sagte ihn immer wieder vor sich hin, um sich daran zu gewöhnen. Sozo, der dicht neben ihm ging, streifte ihn manchmal. Kasho hatte sofort gesehen, wie schlecht es seinem Bruder ging. Er hustete immer noch bellend und war kurzatmig. Er hatte seine kindliche Pummeligkeit verloren und war stark abgemagert. Nachdem sie den verschneiten Garten vor dem Wohngebäude der Frauen durchquert hatten, zitterte er wie Espenlaub. Kasho kam der Gedanke, dass sie mit ihren kahlgeschorenen Köpfen, den alten, abgetragenen Gewändern und nackten Füßen, grau-lila vor Kälte und voller Frostbeulen, einen erbärmlichen Anblick boten. Das entsetzte Gesicht seiner Tante bestätigte dies.
Sie eilte zu ihnen, strich ihnen über den Kopf und ergriff Sozos Hand.
»Er ist nicht wohlauf!«, entfuhr es ihr.
»Er hatte Fieber, und sein Husten ist zäh«, erklärte Gemba. »Aber er war schon vorher nicht ganz gesund.«
Sie wechselten einen Blick.
»Wie können wir ihm helfen?«, fragte Kaede. »Kann er eine Weile bei mir und meiner Tochter wohnen?« Sie zog Sozo zu sich heran und schloss ihn in die Arme.
Kasho merkte, dass sein Bruder stumm weinte, denn seine Schultern bebten.
»Sie kümmern sich ja schon um unseren neuen Gast«, antwortete Gemba. »Und Sie sind nicht bei Kräften.«
Kaede wirkte tatsächlich angeschlagen. Ihr einstmals schönes Gesicht war grau und verhärmt. Sie bedeckte ihr Haupt stets mit einem Tuch. Wenn es abrutschte, waren die Narben der Brandwunden zu sehen.
Seine Tante lächelte ihn über Sozos Kopf hinweg an. »Kommt herein und setzt euch an das Kohlebecken, während ich mich mit Gemba berate.«
Sie führte sie in ein langes, elegantes Zimmer, ausgelegt mit goldenen Strohmatten, jede mit purpurner Seide gesäumt, in die man den Reiher, das Wappentier der Otori, gewebt hatte. Das Schneelicht verlieh den geschlossenen Papierjalousien einen perlweißen Ton. Lampen brannten in der Ecke, und der Duft getrockneter Zitronenschalen, der ihm auf angenehme Art zu Kopf stieg, lag in der warmen Luft.
Eine junge Frau kniete vor einem Spalier von Kissen, auf denen ein Mann lag. Kasho begriff, dass es der Fremde war, den man in der Sänfte gebracht hatte. Kaede löste ihre Hand behutsam aus Sozos Griff und setzte die beiden Jungen neben ein eisernes Becken, dessen Holzkohle eine wohltuende, seit Wochen entbehrte Wärme verströmte.
»Meine kleinen Cousins«, sagte die junge Frau. »Wie schön, euch wiederzusehen.«
Sie hieß Miki. Kasho wusste noch, dass es früher geheißen hatte, er werde sie später einmal heiraten. Damals hatte ihn diese Vorstellung angewidert, denn sie hatte ihn gemeinsam mit ihrer Schwester oft geärgert, und am Ende hatte er sie nicht mehr gemocht. Nun aber, da eine solche Verbindung unmöglich war, trauerte er ihr nach.
»Ich nehme an, wir sind nicht mehr Cousin und Cousine«, sagte er.
»Wir werden immer Cousin und Cousine sein«, erwiderte Miki. »Selbst, wenn wir das verleugnen müssten. Wie ich höre, habt ihr neue Namen bekommen.«
»Kasho und Sozo«, bestätigte er.
»Gut, dann koche ich jetzt einen Tee und schaue, ob es etwas Süßes für Kasho und Sozo gibt. Dies ist Sugita Hiroshi. Er wurde in der Schlacht von Takahara schwer verwundet, hat jedoch überlebt, und dafür sind wir unendlich dankbar.«
Der Mann schien zu schlafen. Kasho betrachtete ihn. Er wusste alles über Hiroshi, war ihm auch schon begegnet. Er hätte ihn allerdings nicht wiedererkannt. Hiroshi war so bleich und mager wie ein Gast aus dem Jenseits, doch sein Zustand verlieh ihm eine spezielle Schönheit. Seine dichten, schwarzen Haare waren seit Monaten nicht mehr gestutzt worden und über der Stirn von einem weißen Streifen durchzogen. Sie verwandelten sein Gesicht in eine kantige, leidzerfurchte Maske.
Hiroshi riss die Augen auf. Er drehte den Kopf, um die Jungen betrachten zu können. Seine Augen verengten sich, die Miene wurde härter. Kasho senkte mit pochendem Herzen den Blick.
Als Miki mit einem Teekessel, Tonschalen und einem kleinen Teller mit Würfeln aus roter Bohnenpaste zurückkehrte, stemmte sich Hiroshi auf einen Ellbogen und fuhr sie an: »Wer sind diese Jungen?«
»Zwei junge Mönche«, antwortete sie. »Ganz gewöhnliche Jungen.«
»Du kannst mich nicht belügen, Miki. Ich kenne dich seit deiner Geburt.«
»Ich lüge nicht«, entgegnete sie, wobei ihr blasses Gesicht leicht errötete. »So lautet die Wahrheit, die ab jetzt zu gelten hat.«
»Sie sind die Söhne von Arai Zenko«, sagte Hiroshi. »Der eine ist seiner Mutter und ihren Schwestern wie aus dem Gesicht geschnitten, der andere ist das Ebenbild seines Vaters. Zenko und Hana, die schlimmsten Verräter. Warum sind ihre Söhne noch am Leben?«
Kasho hatte das Gefühl, eine Ohrfeige bekommen zu haben. Er zwang sich, den Blick zu heben, und sah Hiroshi in die Augen.
»Lord Hiroshi«, sagte Miki, »sie sind doch nur Kinder. Meine Mutter hat sie hierhergebracht. Sie werden ihr Leben Terayama und dem Weg der Houou weihen.«
»Der eine ist kein Kind mehr. Er ist doch sicher bald volljährig.«
»Er ist jünger, als er aussieht, und man sollte ihn nicht anhand der Untaten seines Vaters beurteilen.«
»Warum nicht? Ich liebe dich und deine Schwestern, und ich diene euch, weil euer Vater einen edlen Charakter hatte und von hoher Tugend war.«
»Wir sind aber auch die Töchter unserer Mutter«, sagte Miki. »Wenn du so denkst, müsstest du uns hassen.«
»Ich werde dich niemals hassen«, entgegnete Hiroshi. »Und ich habe deiner Mutter nichts vorzuwerfen.« Sein Blick verlor sich, Erinnerungen an die Vergangenheit holten ihn ein. Schließlich seufzte er. »Verzeih mir. Die Schmerzen machen mich mürbe, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie nun täglich die Ehe schließen könnte.«
»Ob sie das wirklich tun wird?«, fragte Miki.
»Du kennst deine Schwester. Nichts kann Shigeko von dem abbringen, was sie für ihre Pflicht hält. Lord Saga hat zugesagt, die Drei Länder zu verschonen, und im Gegenzug wird sie ihn heiraten.«
»Wenn das Gemetzel damit ein Ende nimmt, trifft sie die richtige Entscheidung.«
»Mein Verstand pflichtet dir bei, nicht aber mein Herz. Lord Saga ist unberechenbar und aufbrausend. Und er ist von Vipern umgeben – angefangen mit seinen drei ehrgeizigen Söhnen. Warum sollten sie eine neue Stiefmutter dulden, die eine Bedrohung darstellt, weil sie dem Vater weitere Kinder schenken könnte, die er vielleicht vorzieht? Sie werden jede Gelegenheit nutzen, um sie zu verleumden und ihr Schaden zuzufügen. Sie ist viel zu gütig, um eine solche Bosheit durchschauen zu können.«
Das Reden schien ihn zu ermüden, er legte sich wieder hin und schloss die Augen.
Miki schenkte Tee in die Schälchen und reichte sie den Jungen. Sie tranken die würzige Flüssigkeit und aßen wortlos die Süßigkeiten, wobei sie versuchten, sie möglichst lange zu genießen.
Nachdem sie fertig waren, wollte Sozo leise von Miki wissen: »Welche Verwundungen hat Lord Hiroshi davongetragen?«
Hiroshi schlug die Augen auf. »Wollt ihr mal sehen?« Er zog die Decke weg und enthüllte die Narben an seinen Beinen. Die Wunden waren sowohl lang als auch tief gewesen. Das frisch verheilte Gewebe sorgte für hässliche rote Male und eine fahl und silberig glänzende, überdehnte Haut. Die prallen Muskeln hatten sich zurückgebildet. Seine Füße waren weiß, makellos sauber und so zart, als wäre er seit Monaten nicht mehr gelaufen.
»Das muss eine schreckliche Schlacht gewesen sein«, sagte Sozo. In der Wärme war sein Fieber gestiegen, seine Augen glänzten unnatürlich, und seine Wangen glühten.
»Viele sind gestorben und mit ihnen viele Illusionen und Pläne«, erwiderte Hiroshi.
»Bleibst du jetzt hier?«, fragte Sozo.
»Nur, bis ich wieder laufen kann.« Er wandte sich an Miki. »Ich habe mich in Inayuma nicht sicher gefühlt. Lord Sonoda und deine Tante Lady Ai haben alles für mich getan, was in ihrer Macht stand, aber sie mussten ihr einziges Kind, ihre Tochter Kei, als Geisel an Lord Saga überstellen. Hätte Saga ihnen befohlen, mich auszuliefern, dann hätten sie sich nicht widersetzen können.«
»Warum sollte er das tun? Es herrscht doch Friede«, sagte Miki.
»Im letzten Jahr wurde Saga von deiner Schwester Shigeko, Gemba und mir in Anwesenheit des Kaisers bei einem Wettkampf mit Jagdhunden besiegt. Er wird uns das nie verzeihen. Er besitzt nun Shigeko, und er wird alles daransetzen, Gemba und mich zu töten. Aber vielleicht habe ich hier genug Zeit, um zu genesen.« Er verstummte kurz und sagte dann so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnten: »Jedenfalls körperlich. Mein Herz wird sich niemals erholen.«
Kasho hatte tiefes Mitleid...
Erscheint lt. Verlag | 28.7.2021 |
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Reihe/Serie | Die Kinder der Otori | Die Kinder der Otori |
Mitarbeit |
Cover Design: Irmela Schautz |
Übersetzer | Henning Ahrens |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Chris Bradford • Clan der Otori • Fuchs • Im Schatten des Fuches • Japan • Julie Kagawa • Kloster • Samurai • Schlacht • Tempel • Totenschädel • Voodoo-Puppe • Wolf |
ISBN-10 | 3-7336-0365-6 / 3733603656 |
ISBN-13 | 978-3-7336-0365-6 / 9783733603656 |
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