The Upper World – Ein Hauch Zukunft (eBook)
Esso, ein afrikanischstämmiger Teenager aus dem Süden Londons, gehört zwar keiner Gang an, doch er ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Weil er zugesehen hat, wie ein berüchtigtes Gangmitglied zusammengeschlagen wurde, muss er um sein Leben fürchten. Als er vor ein Auto läuft und bewusstlos wird, entdeckt er, dass er Zugang zu einer anderen Welt hat - er kann dort Szenen seines zukünftigen Lebens sehen. Und etwas, was er unbedingt verhindern möchte.
Im Jahr 2035 kämpft Rhia mit anderen Problemen: Sie ist ohne Eltern aufgewachsen, ihr Fußballtalent ist die einzige Chance auf eine bessere Zukunft. Da bekommt sie einen neuen Schultutor: Esso. Niemand weiß, wo er herkommt, doch er trägt ein Bild von Rhias Mutter bei sich. Und er erzählt ihr, dass er ihre Hilfe braucht: Rhia ist seine einzige Hoffnung, sein Leben zu retten, das seiner Freunde und das seiner großen Liebe Nadia ...
Femi Fadugbas spektakuläres Debüt: ein hoch spannender Zeitreise-Thriller mit politischer Botschaft, der alle Genregrenzen sprengt
Femi Fadugba, ein in Togo geborener Nigerianer, hat einen Master in Quantenphysik von der University of Oxford und hat für die Huffington Post und die Financial Times geschrieben. Sein Debüt »The Upper World« bringt nicht nur zwei Erzählstränge, sondern sehr unterschiedliche Welten zusammen, die er selbst gut kennt: die der Straßengangs in Londons Süden und die der Physik. Der Roman hat es auf die Shortlist des YA Book Prize und des renommierten Branford Boase Award geschafft. Eine Netflix-Verfilmung mit Daniel Kaluuya ist in Arbeit. Fadugba lebt zurzeit im Londoner Stadtviertel Peckham und in Baltimore, USA.
Kapitel 1
Esso · Jetzt
Es braucht schon eine beeindruckende Mischung aus Dämlichkeit und Pech, um mitten in einen Bandenkrieg zu geraten, obwohl man nicht einmal Mitglied einer Gang ist. Ich schaffte das in weniger als einer Woche. Und das war noch vor der Sache mit dem Zeitreisen.
Ich kniete mich hin und lehnte mich mit den Ellbogen auf die einzige Ecke der Matratze, wo das Laken noch ordentlich festgesteckt war. Ich war in meinem Zimmer, ich war müde und allein und ich hätte dringend etwas himmlische Unterstützung gebraucht. Aber ich konnte mich nicht entscheiden, wen ich um Hilfe bitten sollte: Jesus, seine Mum, Thor, den Propheten Mohammed (und den großen Mann, für den er arbeitet), diesen asiatischen Kahlkopf in dem orangefarbenen Betttuch, den Dad von Jesus, Kaiser Haile Selassie, die Voodoo-Puppe meines Großvaters, Morgan Freeman oder den schwarzen Monolith auf dem Mond aus diesem alten Film 2001. Also betete ich zum ganzen Team, nur um sicherzugehen.
»Ihr heiligen Avengers«, flehte ich in meine verschränkten Finger. »Zuallererst: Vergebt mir, dass ich am Montag ein solcher Scheißer war. Und dass ich meine Mum angelogen und ihr nicht erzählt habe, was passiert ist.«
Montag (vor vier Tagen)
Bevor am Montag alles den Bach runterging, habe ich tatsächlich etwas in der Schule gelernt. Und zum ersten Mal bekam ich eine Ahnung davon, wie Schule eigentlich immer sein sollte.
Die Penny Hill Secondary School stand auf der Grenze zwischen Peckham und Brixton. In den 1940ern, als die Schule errichtet wurde, war das kein Thema, aber es wurde eins, als sie von den Jungs überrannt wurde. Mittlerweile gab es in der Penny Hill Kids zweier rivalisierender Banden, die gezwungen waren, jeden Tag sieben Stunden miteinander zu verbringen, während von uns anderen erwartet wurde, dass wir mit dieser Faust im Nacken etwas lernten.
Unser Klassenzimmer bestand aus vier Reihen mit jeweils acht Schreibtischen. Die Decke war ein paar Handbreit zu niedrig, sodass man sich fühlte wie eine Henne in einer Legebatterie, wenn man wie ich in der Mitte saß. Miss Purdy war Leiterin der Sportabteilung und unterrichtete außerdem Mathe. Und sie konnte wirklich unterrichten, will sagen: Sie wusste, wovon sie redete, und wir waren ihr nicht scheißegal. In ihrer Klasse gab es deshalb die wenigsten Prügeleien und die besten Noten. Selbst meine Hausaufgaben landeten hin und wieder mit einer Zwei auf meinem Schreibtisch. Mathe hatte schon immer einen gewissen Reiz auf mich ausgeübt. Mein naives Ich träumte davon, dass ich eines Tages einen Haufen Geld haben würde, und alles nur wegen Mathe.
Ich habe immer die einfache Tatsache respektiert, dass zwei plus zwei vier ist. Die meiste Zeit schaltete ich ständig zwischen meinen verschiedenen Stimmen hin und her: meiner afrikanischen Zuhause-Stimme, meiner coolen Straßengang-Stimme, meiner Lesestimme in Englisch und der Telefon-Stimme, die ich hervorhole, wenn die Telefongesellschaft jemanden schicken soll, der den Router repariert. Mir gefiel es, dass so was in Mathe keine Rolle spielte. Die Lehrerin konnte mich für einen totalen Arsch halten, wenn sie wollte, aber zwei plus zwei war trotzdem immer noch vier.
Was ich an jenem Montagmorgen nicht ahnen konnte war, dass die dreiseitigen Formen, die Miss Purdy ans Whiteboard malte, mir die Augen für alle vier Dimensionen öffnen würden. Wenn mir jemand erzählt hätte, dass ich mich bis zum Ende der Woche wie ein Hellseher-Superheld bewegen würde, hätte ich ihm ins Gesicht gesagt, dass er auf Crack ist, und ihm die leer stehende Wohnung in Lewisham gezeigt, wo er mit seinesgleichen rumhängen konnte.
»Heute beschäftigen wir uns wieder mit dem Satz des Pythagoras«, sagte Purdy und kreiste eine Gleichung ein, die sie gerade an die Tafel geschrieben hatte. »Mit diesem Satz werden wir die Länge der längsten Seite in dem Dreieck darunter berechnen.«
Purdy wartete mit verschränkten Armen, dass es in der Klasse ruhig wurde.
»Schschsch!«, sagte Nadia, ruckte mit dem Kopf zu den beiden tratschenden Mädchen hinter ihr und warf ihnen einen bösen Blick zu.
Nadia war nun wirklich keine Streberin, und sie war auch nicht immer mit Feuereifer im Unterricht dabei. Aber die Probeklausuren für die GCSE-Prüfungen standen bevor, und sie wollte sich eindeutig nicht von irgendwelchen Kids, denen alles sonst wo vorbeiging, die Noten versauen lassen.
Ich starrte in die Ferne und legte dabei den starrenden Schmollmund-Blick auf, den ich heute Morgen im Spiegel geübt hatte. Nadias Augen mussten auf ihrem Weg zurück zum Whiteboard an mir vorbeikommen und ich wollte einen möglichst guten Eindruck hinterlassen. Echt jetzt, es ist so was von peinlich, wie oft ich diese Dinge mache, nur wegen ihr. Ich verbringe etwa sechzig bis siebzig Prozent meiner Zeit in der Schule entweder damit, a) wie ein Depp ihren Hinterkopf anzustarren, b) ihr aus dem Augenwinkel Blicke zuzuwerfen oder c) einen Schmollmund zu ziehen und zu hoffen, dass sie mich bemerkt, was ich nie wirklich erkennen kann, weil ich ja wie ein Aftershave-Model in die Ferne starre.
Purdy wandte sich mit zwei verschiedenfarbigen Markern in der Hand zur Tafel. »Damit das alles nicht so abstrakt klingt, nehm ich mal ein Beispiel aus dem Leben. Sagen wir, ihr geht durch den Burgess Park. Ihr fangt hier am Südtor an zu laufen und müsst die Straße hoch bis ans Ende der Old Kent Road. Es gibt eigentlich nur zwei Wege, die ihr nehmen könnt: den ersten, an der Seite hoch und dann oben entlang, wahrscheinlich viel zu lang für euch coole Kids.«
Sie wartete, ob jemand – irgendjemand – lachen würde. Nach einer langen, kalten Dosis aus Schweigen fuhr sie fort. »Tja, ist wohl ein harter Montag. Also, wenn man den langen Weg nimmt, muss man auf dem Gehweg bleiben und ganz bis nach oben gehen und dann die ganze Strecke nach drüben. Aber die Alternative, die kürzere Strecke, führt quer über den Rasen.«
Als sie ein paar Schritte beiseitetrat, sahen wir, dass sie an zwei Seiten des Dreiecks Zahlen geschrieben hatte, an die längste Seite aber ein Fragezeichen. Ein gemeinschaftliches Seufzen ertönte im Raum, als uns klar wurde, dass sie einen von uns verhören und praktisch bis aufs Hemd nach der Antwort ausfragen würde.
»Fangen wir mit der kürzesten Seite des Dreiecks an. Kann mir jemand sagen, was herauskommt, wenn ich die Zahl Drei zum Quadrat nehme?«
Nadias Hand schoss hoch – die einzige Stecknadel im Heuhaufen – aber Purdy ignorierte sie. Sie musste uns anderen auch hin und wieder eine Chance geben. Deshalb pickte sie jemanden heraus, der ihr viel weniger Aufmerksamkeit schenkte.
»Rob, wie viel ist drei zum Quadrat?«
Man hätte glauben können, Miss Purdy wäre aus Glas, denn Rob starrte geradewegs durch sie hindurch.
Bitte sag mir, dass du weißt, dass drei mal drei neun ist, flehte ich innerlich. Neben Kato war Rob mein bester Freund, und ich wusste, dass Mathe nicht sein Ding war. Um ehrlich zu sein, war die ganze Schule nicht unbedingt Robs Ding. Aber wenn man ihn nach dem Unterschied zwischen UK Drill, NY Drill und Chicago Drill fragte, verwandelte er sich in Einstein. Und wenn man ihm eine Geschichte erzählte, die man in den Abendnachrichten gehört hatte, dann fand er unter Garantie irgendeine geniale Möglichkeit, dieses Ereignis mit den Illuminati in Verbindung zu bringen und ihrem Bestreben, Menschen mit (mehr oder weniger) dunkler Hautfarbe und Osteuropäer zu vernichten. Rob war selbst Pole, aber das allein sagte überhaupt nichts über ihn aus.
Kato, der neben Rob saß, flüsterte ihm zu: »Afghanistan, Rob! Die Antwort lautet: Afghanistan. Ich schwör’s!«
»Afghanistan«, plapperte Rob gehorsam nach und präsentierte Purdy seine stolze Miene.
Sie blinzelte ungefähr drei- oder viermal aus lauter Verwirrung. Seine Antwort war so dermaßen daneben, dass ihr die Worte fehlten. Sie konnte nicht anders, als den Mund zuzuklappen und den Blick abzuwenden.
Kato lachte sich schlapp und wischte sich mit den Ärmeln die Tränen aus den Augenwinkeln. Für diesen Kerl war alles eine Lachnummer. Vielleicht, weil ihm alles im Leben so leichtfiel.
Rob funkelte ihn an und zog verächtlich die Luft durch die Zähne, bis ihm die Spucke herauslief. Manchmal fragte ich mich, ob unsere fragwürdige Freundschaft in drei Teile zerbrechen würde, wenn ich mal länger als eine Woche nicht in der Schule wäre. Aber jeder in der Penny Hill hätte geschworen, dass wir unzertrennlich waren – der fröhliche Dreierpack: Kato, Esso und Rob. Selbst wenn nur einer von uns Mist baute, bekamen es alle drei ab. »Das waren Kato, Esso und Rob!«, hieß es dann. Als ob alle drei Namen in meinem Pass stünden.
»Esso?« In Purdys Augen stand Verzweiflung.
»Man muss doch nur die Zahl mit sich selbst malnehmen?«, sagte ich. Ich wollte eigentlich nicht, dass meine Antwort wie eine Frage klang, aber meine Stimme setzte hinter das letzte Wort unwillkürlich ein Fragezeichen. Sie legte den Kopf leicht schräg und wartete auf meine endgültige Aussage. »Also drei mal drei, das macht neun«, setzte ich hinzu.
Sie jagte mich durch alle Schritte der Gleichung, bis ich sie in ihren Augen ausreichend gewürdigt hatte. »Also ist c – die lange Seite – gleich fünf« sagte ich schließlich.
Ich hatte die Antwort schon in meinem Kopf bereitgelegt, und während sie alles an die Tafel schrieb, debattierte ich mit mir selbst, ob ich die Frage stellen sollte, die sich in meinem Kopf festgesetzt hatte. Miss Purdy hatte uns am Anfang des Unterrichts erzählt, dass...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2021 |
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Reihe/Serie | Die The-Upper-World-Reihe | Die The-Upper-World-Reihe |
Übersetzer | Alexandra Ernst |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Upper World #1 |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | ab 14 • Angie Thomas • BAME • Bandenkrieg • Black History Month • Black lives matter • blue story • Chancengleichheit • Concrete Rose • Daniel Kaluuya • Diversity • eBooks • Gangs of London • gegen Rassismus • Höhlengleichnis • Jason Reynolds • Jugendbuch • Jugendbücher • Kinderkrimi • London • Netflix • Nic Stone • own voices • Physik • Platon • poc • Relativitätstheorie • scifi thriller • Shortlist Branford Boase Award 2022 • Soziale Ungleichheit • The Hate U Give • Young Adult |
ISBN-10 | 3-641-27779-5 / 3641277795 |
ISBN-13 | 978-3-641-27779-6 / 9783641277796 |
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