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Goldmädchen (eBook)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
320 Seiten
Dragonfly (Verlag)
978-3-7488-5024-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Goldmädchen - Jennifer Iacopelli
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Manchmal erfordern Mut und Loyalität einen Balanceakt der Extraklasse...

Ihr Leben lang hat Audrey auf diesen Moment hingefiebert: Sie und ihre beste Freundin Emma haben die Chance, bei den Olympischen Spielen zu zeigen, dass sie zu den besten Turnerinnen der Welt gehören. Aber es kommt anders als geplant. Denn ihr Trainer, dem beide Mädchen vertrauen, seit sie drei Jahre alt sind, wird wegen Missbrauch an ihrer Mannschaftskollegin verhaftet. Das Team steht vor einem Scherbenhaufen. Obwohl Audrey in Leo, dem Sohn der neuen Trainerin, ihre große Liebe findet, hat sie keine Ahnung, wie sie Olympia bestehen soll. Und sie muss sich entscheiden: Ist sie bereit, für ihren Traum von Gold ihre Freundinnen zu verraten?

»Mit Insiderblick zieht Jennifer Iacopelli den Vorhang vor weltberühmten Athleten zurück, deren harte Arbeit und unglaubliche Leistungen oft wegen ihrer einzigartigen Fähigkeit übersehen werden, das Unmögliche einfach aussehen zu lassen. Das Ergebnis ist sportlich, überwältigend und macht süchtig.«
Sarah Henning, Autorin

»Goldmädchen ist ein überzeugendes Buch rund um den Spitzensport, das sich an tatsächliche Ereignisse anlehnt und doch keinen Abklatsch der bekannten Geschehnisse darstellt.« Rita Dell'Agnese, Jugendbuch-Couch, 08.2021




Jennifer Iacopelli ist in New York aufgewachsen und liebt die Stadt über alles. Sobald sie lesen konnte, hat sie verschlungen, was ihr in die Hände fiel. Aber ihre Lieblingsautorinnen sind L.M. Montgomery und Frances Hodgson Burnett, die beide zu den ersten Autorinnen mit frechen Mädchen im Fokus gehören. Als High-School-Bibliothekarin weiß Jennifer Iacopelli, was Jugendliche beschäftigt. Sie liebt die Welt des Sports und siedelt ihre Romane gern dort an.

Erstes Kapitel

Glühend weiß zuckt der Schmerz durch meine Wirbelsäule, zieht brennend durch meine Hüfte und in meine Schenkel. Ich beiße die Zähne zusammen und balle die Fäuste, bohre die stumpfen Fingernägel tief in die Handflächen.

Komm schon, Audrey, stell dich nicht so an. Reiß dich zusammen.

Ich klopfe mit den Fingerknöcheln meine Wadenmuskeln ab, um mich von dem Schmerz abzulenken, während ich im Spagat auf dem Boden sitzend auf meinen Einsatz warte.

Das einzige Geräusch in der ausverkauften Halle ist das nachhallende Quietschen des Barrens, das bis zu den Dachsparren hinaufsteigt. So geht es seit zwei Tagen. Eine nach der anderen gehen wir an den Sprungtisch, den Schwebebalken, den Stufenbarren oder auf die Bodenfläche und zeigen unsere Küren, während das Publikum den Atem anhält.

Den Atem anhält wie ich. Würde ich es nicht tun, könnte alles zu viel werden, und niemand darf merken, wie sehr mein Rücken schmerzt.

Schon gar nicht er.

Trainer Gibson – oder Gibby, wie wir Kunstturnerinnen der US-Nationalmannschaft ihn nennen – patrouilliert zwischen den einzelnen Tribünen umher und hält mit Adleraugen nach den geringsten Anzeichen von Schwäche Ausschau. Er ist überall gleichzeitig, kühl und analytisch, bemerkt jedes Zögern, jedes Zucken, saugt noch die winzigste unserer Schwächen auf.

Er steht in seinem rot-weiß-blauen Trainingsanzug zu meiner Linken und verschränkt die Arme über dem glänzenden Stoff.

»Was macht der Rücken, Audrey?«, fragt er.

»Alles super. Kann losgehen.«

Er zieht die Augenbrauen hoch und gibt ein ungläubiges Brummen von sich, ohne seinen starren Blick auch nur eine Sekunde von meiner Mannschaftskollegin und besten Freundin Emma Sadowsky abzuwenden, die gerade am Barren schwingt.

Gibby kann starren, so viel er will, Emma wird es nicht vermasseln. Er weiß es, obwohl er mit betont kritischer Miene ihre Handstände und Holmwechsel beobachtet. Sie ist die Perfektion in Person.

Doch auch nur das kleinste Zucken von mir? Das ist quasi das Eingeständnis, dass ich zu große Schmerzen habe, um weiterzumachen.

Emma ist eine großartige Turnerin, aber selbst an ihren besten Tagen ist sie am Barren nicht besser als ich. Dafür ist sie sonst in allem besser als ich, was die eine Sache mehr als ausgleicht. Wir trainieren zusammen, seit unsere Mütter uns im Alter von drei Jahren zum Mutter-Kind-Turnen angemeldet haben. Jetzt, vierzehn Jahre später, sind wir bei der Qualifikation für Olympia.

Ich bin mir sicher, dass sie es ins Team schafft. Als letztjährige Gewinnerin der National- und der Weltmeisterschaft gilt sie als Favoritin für gleich mehrere Goldmedaillen in Tokio. Bis jetzt hat Emma alles erreicht, wovon wir als kleine Mädchen geträumt haben. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie olympisches Gold gewinnt.

Für mich hingegen würde es an ein Wunder grenzen, wenn ich es überhaupt ins Team schaffe. Die Schmerzen spielen dabei keine Rolle. Nicht wirklich. Abgesehen von den glückseligen Tagen nach einer Kortisonspritze fühlt sich mein Rücken immer so an. Die Ärzte haben gesagt, ich solle aufhören, woraufhin ich ihnen gesagt habe, den Vorschlag könnten sie sich sonst wohin schieben. Dann habe ich mich entschuldigt, und wir haben uns auf einen Kompromiss geeinigt: Nach Olympia höre ich auf.

Ich habe also nur noch ein paar Wochen vor mir. Oder, wenn meine nächste Übung danebengeht, nur noch ein paar Minuten.

Mit einem befriedigenden Klatschen, als ihre Füße auf der Matte aufkommen, beendet Emma ihre Übung mit einem gestreckten Doppelsalto. Ihr Körper biegt sich auf diese bewundernswerte Art, bei der mein vierter Lendenwirbel anfängt zu zucken. Vielleicht liegt das aber auch am Tosen der Menge, die ihrem Liebling zujubelt.

Freude für meine beste Freundin durchströmt mich, während sie beide Arme hebt, um sich beim Kampfgericht abzumelden, und dann ihren Fans winkt. Ein Stachel der Aufregung schießt durch meinen Körper. Der Schmerz tritt in den Hintergrund. Gleich ist es Zeit für meine Kür, und mein Körper und mein Geist sind völlig im Einklang.

Ein paar Minuten zum Durchatmen habe ich noch, denn zwanzig Meter vor mir beginnt Chelsea Cameron, die aktuelle Mehrkampf-Olympiasiegerin, gerade ihre Bodenübung. Sie staffeln die Übungen für die Fernsehübertragung, damit die Fans zu Hause alles sehen können.

»Du hast es gerockt«, sage ich und stehe auf, als Emma vom Podium springt, ein breites künstliches Lächeln im Gesicht. Ich kenne sie lange genug, um den Unterschied zu sehen.

»Ich weiß«, sagt sie und streicht sich die Haare zurück. Ihre Hände stecken noch in den staubigen Turnriemchen. Die kreideähnliche Magnesia hinterlässt helle Strähnen in ihren orangeroten Haaren, nur Nuancen heller als ihre Haut. Ich muss lächeln. Sonst bin ich es immer, die Kreidesträhnen in den dunklen Haaren hat. »Du packst das, Rey.«

»Klar.«

Sie lächelt wieder, diesmal ehrlich, und ein Teil der Anspannung fällt von meinen Schultern ab, obwohl Gibby immer noch neben mir steht. Es sieht vielleicht so aus, als würde er Chelsea beobachten, die auf der anderen Seite der Arena auf der Bodenfläche turnt, aber ich zweifle keine Sekunde daran, dass zumindest ein Teil seiner Aufmerksamkeit auf mich gerichtet ist.

Ich lasse die Arme kreisen, strecke sie über meinen Kopf und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass mir Gibbys Anwesenheit deutlich bewusst ist, während ich in Gedanken ganz bei der Übung sein sollte, die vor mir liegt. Er ist kaum größer als ich, aber das Ausmaß seiner Macht über meine Welt lässt ihn für mich riesenhaft erscheinen.

Er fährt sich durch die dichten braunen Haare, die an den Schläfen ganz leicht ergraut sind. »Zeig mir, was du kannst, Audrey«, sagt er. Sonst … füge ich im Kopf hinzu.

Chelsea landet nach ihrer finalen Sprungkombination. Ihre Tage als Spitzenturnerin sind vorbei, doch an ihrem Namen hängt noch immer das Gewicht von olympischem Gold und millionenschweren Sponsorenverträgen. Außerdem ist sie selbst mit zwanzig noch der Hammer am Sprungtisch und am Boden.

Ich hole tief Luft und verbanne Chelsea aus meinen Gedanken. Gibby will sehen, was ich am Barren draufhabe, und ich muss ihm zeigen, dass ich ins Olympia-Team gehöre. Dass ich meiner Träume würdig bin.

Auf geht’s, Audrey, rock diese Nummer, und du fährst nach Tokio.

Die Menge hat sich nach Chelseas Bodenkür wieder beruhigt, gerade rechtzeitig, damit der Ansager noch rufen kann: »Und jetzt am Barren für die New York City Gymnastics Elite, Audrey Lee!«

Mein Herz setzt kurz aus, als ich meinen Namen höre, und ein Schauer der Aufregung durchfährt mich. Wenn das hier das letzte Mal ist, dann will ich mich später an jedes Detail erinnern. Ich schaue meiner Trainerin Pauline in die Augen. Sie reibt den Barren genau so mit Magnesia ein, wie ich es mag, nur eine hauchdünne Schicht, damit nichts klumpt. Ein angespanntes Lächeln huscht über ihr Gesicht, und ich lächle zurück.

Die Zeit reicht nicht, um all die Worte auszusprechen, die mir durch den Kopf gehen, wie dankbar ich ihr bin und wie sehr ich sie liebe und dass sie, egal, was passiert, immer wie eine zweite Mutter für mich sein wird. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass die Zeit nicht reicht. Jetzt ist eindeutig der falsche Zeitpunkt zum Heulen.

Die Menge tobt, aber nicht laut genug, um das Rauschen des Bluts in meinen Ohren zu übertönen. Die Ampel neben dem Podium ist noch rot, daher lasse ich den Blick durch die Arena schweifen. Alle möglichen Geräte spiegeln das Licht, Kameraleute mit ihrer Ausrüstung, die bei dem Versuch, unauffällig zu sein, kläglich scheitern, und über alldem liegt feiner Kreidestaub.

Es ist wunderschön.

Der Kampfrichter am Ende der Reihe gibt mir grünes Licht. Es kann losgehen.

Alles andere tritt in den Hintergrund. Ich hebe einen Arm zum Gruß, strecke den anderen zur Seite, eine affektierte Geste, die ich mir bei den russischen Turnerinnen abgeschaut habe, mit denen ich mich fast schon zwanghaft beschäftigt habe, als ich jünger war. Dann drehe ich mich um und richte den Blick auf die zylindrischen Fiberglasholme, die mir mein Ticket zu den Olympischen Spielen verschaffen könnten.

Ich schwinge hoch in den Handstand, halte ihn lange genug, um meine Kontrolle zu zeigen, aber nicht so lange, dass das Blut in meinen Kopf rauscht, dann falte ich meinen Körper in der Mitte zusammen und grätsche die Beine zum V, gestreckt von der Hüfte bis zu den Zehenspitzen. Bei einer Barrenkür, besonders bei meiner, ist kaum Zeit zum Atmen. Es ist einer der schwierigsten Bewegungsabläufe der Welt, jedes Element ist mit dem nächsten verbunden, eine geschmeidige Melodie, die unter dem Ächzen des Barrens und dem Sirren der Schwünge dahinfließt. Auf dem oberen Barren lasse ich los und greife um, dann wieder auf den unteren, Umschwung und gleich wieder nach oben.

Es ist nicht wie fliegen, aber es ist so nah dran, wie man als Mensch nur kommen kann. Jetzt ein großer Schwung in die Drehung, zurückschnellen und loslassen, den Körper stocksteif in ein, zwei, drei Schrauben drehen und landen, den winzigen Ausfallschritt voll unter Kontrolle, kaum ein Wanken.

Geschafft.

Eine perfekte Kür und ein großer Seufzer der Erleichterung. Ich klatsche in die Hände, wobei eine Magnesiawolke aufstäubt, und hebe die Arme, um mich beim Kampfgericht abzumelden, vielleicht zum letzten Mal.

Als ich vom Podium springe, umarmt Emma mich schon, bevor meine...

Erscheint lt. Verlag 22.6.2021
Übersetzer Maren Illinger
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Original-Titel For All The Girls Before And After
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Erste Liebe • Freundschaft • Jugendbuch • Jugendbücher • Jugendbücher ab 16 • jugendbücher drama • jugendbücher roman • jugendbücher sexueller missbrauch • jugendbücher sport • jugendbuch olympia • jugendbuch sport • Lebenstraum • Leistungssport • Loyalität • Missbrauch • Mut zur Wahrheit • Olympiade • Plötzlich berühmt • Tokio • Turnerin • USA • Zivilcourage
ISBN-10 3-7488-5024-7 / 3748850247
ISBN-13 978-3-7488-5024-3 / 9783748850243
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