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Das Mädchen, das ein Stück Welt rettete (eBook)

Nach einer wahren Geschichte | Ein einfühlsamer Roman über Stefania Podgórska, die dreizehn Menschen vor den Nazis versteckte | Für Leserinnen und Leser ab 12 Jahren

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
474 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76727-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Mädchen, das ein Stück Welt rettete - Sharon Cameron
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Polen, 1939: Stefania und Izio sind frisch verliebt. Doch dann beginnt der Zweite Weltkrieg und ihre Heimatstadt wird von den Nazis besetzt. Izio und seine Familie müssen als Juden ins Ghetto ziehen, Stefanias Mutter wird in ein Zwangsarbeiterlager deportiert - und so ist die Sechzehnjährige mit ihrer kleinen Schwester Helena plötzlich ganz auf sich allein gestellt. Gleichzeitig schmuggelt sie Lebensmittel und Medikamente für Izios Familie ins Ghetto, obwohl dies bei Todesstrafe verboten ist. Als Izio und seine Eltern ermordet werden, bricht für Stefania eine Welt zusammen. Izios Bruder Max gelingt im letzten Moment die Flucht - zu Stefania. Und das junge Mädchen muss eine Entscheidung treffen: Neben Max versteckt sie zwölf weitere Jüdinnen und Juden auf ihrem Dachboden. Bis eines Tages die Nazis vor ihrem Haus stehen ...

Einfühlsam und eindringlich erzählt der Roman die wahre Geschichte eines Mädchens, das dreizehn Menschen vor den Nazis versteckte und ihnen so das Leben rettete.



<p>Sharon Cameron ist eine US-amerikanische Kinder- und Jugendbuchautorin. Ihr Debütroman <em>Stranwyne Castle - Das trügerische Flüstern des Windes</em> erschien 2012. Sie lebt mit ihrer Familie in Nashville, Tennessee. Die Geschichte von Stefania und Helena Podgórska beeindruckte sie so sehr, dass sie beschloss, sie in einem Roman zu erzählen.</p>

2


1936

Vor Przemyśl war mein Leben voller Hühner. Und Pferde. Sauberer Luft und Bäume und ausgedehnter brauner Felder, die sich mit den Hügeln wölbten wie Flicken auf einer knitterigen Decke. Im Frühling und Herbst rannte ich auf gewundenen Straßen zur Schule und aß, wenn im Winter der Schnee zu hoch war, in unserer dampfigen Küche Roggensuppe mit Brot. Und jeden Sonntag, ob es stürmte oder schneite, fuhr ich zur Messe nach Bircza: Auf einem Heuwagen, dicht gedrängt mit meinen Geschwistern, inzwischen acht an der Zahl. Es war eine perfekte Kindheit.

Und ich fand es schrecklich. Der Schweinestall stank, ebenso wie das Plumpsklo, die Abfallgrube und die Feldarbeiter, die in der Sonne ackerten. Ich hasste die Dreckhaufen, die sich böswillig im Gras versteckten, damit ich mir die Schuhe schmutzig machte. Schrecklich, wie rot die Hände meiner Mutter waren, wenn sie die Wäsche geschrubbt oder dem Baby einer anderen Frau auf die Welt geholfen hatte. Und ich hasste das nervige und endlose Gackern unserer Hühner. Sie hörten einfach nie auf. Ich war mir sicher, dass sie niemals schliefen. Außer dem verrückten Hahn, der hartnäckig den aufgehenden Mond ankrähte anstatt die Sonne.

Die Hühner zu rupfen, machte mir nichts aus.

Mit elf Jahren versuchte ich zum ersten Mal abzuhauen. Mama nahm mich auf dem Postwagen mit in die Stadt, um zwei meiner erwachsenen Schwestern zu besuchen, die dort arbeiteten. Ein Geburtstagsgeschenk, wie sie sagte. Mein Geburtstag fiel in die Karwoche. Wir hatten alle um Ostern herum Geburtstag, alle neun, oder jedenfalls wurden alle Geburtstage dann gefeiert. Mama hatte nicht die Zeit, sich unsere richtigen Geburtstage zu merken. Oder unsere richtigen Namen. Ich wurde nie Stefania genannt. Ich war Stefi. Oder Stefusia. Oder Stefushka. Aber meistens einfach nur Fusia.

Wenn ich neun Kinder hätte, könnte ich mir ihre Namen auch nicht merken.

Mama bezahlte den Postwagenfahrer und nahm mich dann an die Hand. Ihre Haut war rau und kratzig. Mama passte meistens gut auf mich auf, ebenso mein Tata, als er noch lebte. Sie kümmerten sich gut um uns alle, aber ich wollte nicht an der Hand meiner Mutter gehen.

Jetzt vermisse ich ihre Hände manchmal.

Ich zerrte und wand mich auf dem Weg hinein nach Przemyśl, doch irgendwann vergaß ich, wie peinlich mir das Händchenhalten war. Wagen rumpelten über das Kopfsteinpflaster, Autohupen blökten wie Schafe. Ein Zug kreischte Rauch in den Himmel. Und das Gezeter der Bauersfrauen, die auf dem Markt lauthals ihre Waren feilboten, gefiel mir so viel besser als das der Hühner. Es war Musik in meinen Ohren. Eine Blaskappelle. Eine Symphonie.

Wir kauften an Marktständen und in Läden mit Schaufenstern ein. Ein Kleid für Mama, Schuhe für mich und ein Häubchen für Helena, das Baby. Ich zog rote Seidenbänder und die glänzende Silberverpackung von einer Schokoladentafel. Meine Schwestern luden uns in der Wohnung im dritten Stock, die sie sich teilten, zu einem eleganten Mittagessen ein; das bedeutete, dass das Fleisch nicht aus einem Metzgerladen kam, sondern aus einer Blechbüchse, und auf einer sauberen Tischdecke serviert wurde. Mama schnaufte schon bevor wir dort oben waren, ich hingegen wäre die Treppe am liebsten wieder hinuntergelaufen, um noch einmal hinaufzurennen.

Mama und meine Schwestern tranken Tee, während ich mir die Nase am Fensterglas plattdrückte und beobachte, was sich auf der Straße abspielte. Als wir gehen mussten, weinte ich. Bettelte. Stampfte mit den Füßen. Drohte und flehte, hierbleiben zu dürfen. Ich würde auf dem Boden schlafen. Oder unter der Treppe. Meine Schwestern würden nichts dagegen haben. Ich würde ihnen keine Mühe machen. Aber jetzt gerade machte ich große Mühe. Mamas raue Hände zerrten mich in den Postwagen.

Erst achtzehn Monate später durfte ich wieder in die Stadt. Als ich jetzt in den Lärm von Przemyśl eintauchte, war ich schon fast dreizehn. Älter. Klüger. Mein Kleid war zu eng für meinen Busen. Und ich wusste, wie ich mit Mama umgehen musste. Ich sprach im Flüsterton mit meinen Schwestern, denen ich einen Monat zuvor schon einen Brief geschickt hatte. Ich tupfte mir nach dem Mittagessen die Mundwinkel ab, schlug die Beine übereinander, trank den Tee und hörte zu, wie Mama erzählte. Als es fast Zeit war, in den Wagen zu steigen, offenbarte ich ihr, dass ich nicht mitfahren würde.

Mama bettelte. Sie flehte. Sie weinte sogar ein bisschen. Mit dem Fuß stampfte sie nicht auf. Ich erzählte ihr, dass Marysia eine Stelle für mich gefunden hatte. »Das stimmt, Mama«, sagte Marysia. »Frau Diamant sucht eine Aushilfe für ihr Geschäft. Gleich hier in der Nähe.« Und Angia hatte hinter dem Sofa ein Klappbett aufgestellt. »Mit zwei Decken, Mama. Und jeden Sonntag gehen wir zur Messe«, versprach Angia. Ich erklärte, dass ich einen Teil meines Lohnes an meine Schwestern abtreten würde, damit sie mich versorgen konnten. Und dass ich sogar noch einen größeren Teil nach Hause schicken würde, damit Mama einen weiteren Knecht anstellen konnte. Oder noch ein paar Hühner kaufen. »Wäre das nicht eine große Hilfe, Mama?« Marysia lächelte.

»Aber, Fusia, was ist mit deiner Ausbildung?«, zauderte meine Mutter.

Ich strich mein Kleid glatt. »Przemyśl wird für meine Ausbildung sorgen, Mama.«

Sie nahm den Postwagen ohne mich.

Die Zeit bis zu meinem ersten Arbeitstag im Laden der Diamants verging wie im Flug. Ich schlug Tauben in die Flucht, spähte in schmale Gassen zwischen den Gebäuden, betrachtete das Schaufenster eines Fotostudios und spielte mit einer streunenden Katze. Das Läuten der Kirchenglocken klang durch den Himmel, der von einem tiefen, vollkommenen Blau war.

Als ich schließlich die Tür zum Laden öffnete, klingelte eine kleinere Glocke, und eine Frau, die hinter einem Tresen saß, blickte auf. Es roch nach frischem Brot, Äpfeln, Packpapier und Schnur, und ich sah viele Reihen verpackter Pralinen hinter Glas. Die Frau musterte mich von oben bis unten, während ich auf den Zehen wippte. Ihr Po hing auf beiden Seiten des Stuhls über.

»So«, sagte sie. »Was hat mir die Sonne denn da geschickt? Du bist also das Podgórska-Mädchen. Wie heißt du, mein ketzele

»Stefania.« Der Klang meines richtigen Namens ließ mich angenehm erschaudern.

»Und ich bin Frau Diamant. Kannst du lesen, Stefania?«

»Ja, Frau Diamant.«

»Kannst du schreiben?«

Ich nickte. So aus der Welt war unser Bauernhof nun auch nicht.

»Gut. Sehr gut. Dann zähl doch bitte mal alle Waren durch, die ich in den Regalen habe.«

Ich verstaute meine Jacke und mein Käsebrot für mittags in einer Ecke hinter dem Tresen, und Frau Diamant reichte mir Papier, das auf ein Brett geklemmt war, an dessen einer Ecke ein Bleistiftstummel an einer Schnur hing. Meine Schuhe klackerten hörbar auf dem knarzenden Fußboden. Das klang irgendwie wichtig, und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich schrieb das Inventar in großen, klaren Lettern auf. Frau Diamant war mit Zahlenreihen in ihrem Buch beschäftigt und beobachtete mich gleichzeitig. Als ich gerade die Wasserflaschen zählte, starrten mich von der anderen Seite des Regals zwei braune Augen an.

»Singst du immer bei der Arbeit?«, fragte eine Stimme. Eine Jungenstimme. Eine tiefe Jungenstimme.

Ich presste mein Schreibbrett an die Brust und wurde rot. Ich hatte gesungen. Vor mich hin gesungen. Wie ein kleines Mädchen.

Ich war ein kleines Mädchen. Das wusste ich damals bloß noch nicht.

Die Augen zwischen den Wasserflaschen wurden schmaler, und dann waren sie verschwunden. Um gleich darauf oberhalb der Regale aufzutauchen und über sie hinwegzulinsen. Ein hochgewachsener Junge, noch dünn vom schnellen Wachstum, zwei dunkle Augenbrauen, die fast bis zu seiner schwarzen, lockigen Mähne reichten. Er grinste.

»Hör jetzt bloß nicht auf«, sagte er. »Du bist meine Morgenunterhaltung. Wie heißt du?«

»Stefania.«

Er legte den Kopf schief. »Aber so nennt dich keiner, oder?«

Womit er recht hatte.

»Also, wie wirst du genannt? Stefi?«

»Stefushka.«

Er wartete.

»Und Stefusia«, fügte ich hinzu. »Und Fusia. Aber...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2020
Übersetzer Katharina Förs, Naemi Schuhmacher
Sprache deutsch
Original-Titel The Light in Hidden Places
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte 1. September 1939 • 50plus • Alliierte • Als Hitler das rosa Kaninchen stahl • Anne Frank • Antisemitismus • Best Ager • Generation Gold • Gerechte unter den Völkern • Gerechtigkeit • Golden Ager • Helena Podgorska • Hitler • Holocaust • insel taschenbuch 4926 • IT 4926 • IT4926 • Josef Burzminski • Judentum • Judenvernichtung • Jüdisches Leben • KIMI-Siegel für Vielfalt in Kinder- und Jugendbuchliteratur 2021 • Konzentrationslager • KZ Janowska • Leben retten • Lemberg • Lwow • Nationalsozialismus • neues Buch • Polen • Przemysl • Rentner • Rentnerdasein • Ruhestand • Schindlers Liste • Senioren • Shoah • Sowjetunion • Stefania Podgorska • The Light in Hidden Places deutsch • Yad Vashem • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-458-76727-4 / 3458767274
ISBN-13 978-3-458-76727-5 / 9783458767275
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