Das Herz der Zeit: Die vergessenen Geschichten (eBook)
432 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00315-6 (ISBN)
Monika Peetz studierte Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Philosophie in München. Nach Ausflügen in die Werbung und ins Verlagswesen war sie Dramaturgin und Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk. Seit 1998 lebt sie als Drehbuchautorin in Deutschland und den Niederlanden. Monika Peetz ist die Autorin der Bestsellerreihe »Die Dienstagsfrauen«. Ihre Romane um die fünf Freundinnen waren Spiegel-Bestseller und verkauften sich allein im deutschsprachigen Raum über 1 Million Mal. Ihre Bücher erscheinen in 25 Ländern und sind auch im Ausland Bestseller.
Monika Peetz studierte Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Philosophie in München. Nach Ausflügen in die Werbung und ins Verlagswesen war sie Dramaturgin und Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk. Seit 1998 lebt sie als Drehbuchautorin in Deutschland und den Niederlanden. Monika Peetz ist die Autorin der Bestsellerreihe »Die Dienstagsfrauen«. Ihre Romane um die fünf Freundinnen waren Spiegel-Bestseller und verkauften sich allein im deutschsprachigen Raum über 1 Million Mal. Ihre Bücher erscheinen in 25 Ländern und sind auch im Ausland Bestseller.
1 Der Fall
Lenas Hand zitterte über dem Schalter. Eine einzige Berührung sollte die mächtige Dachkonstruktion öffnen und den Weg frei machen für den Höhepunkt der Zeremonie: das Einschweben der Eulen mit den Chronometern für eine neue Generation Unsichtbarer. Lena spürte, wie Schweiß ihren Rücken hinunterlief. Die Zeitreisenden, die sich zur Nacht der Eulen im prunkvoll geschmückten Kuppelbau versammelt hatten, schienen geschlossen die Luft anzuhalten. Alle Blicke richteten sich nach oben, in der Erwartung, dass die enorme Glaskonstruktion sich in Bewegung setzte. Unruhe breitete sich unter den Kandidaten aus. Nervöses Getuschel schwoll an und wogte durch den Saal.
Lena thronte auf der eigens für die Zeremonie hochgezogenen Empore, wo sich das Führungsgremium um die Zeitmeisterin versammelt hatte. Sie blickte in das feixende Gesicht des Zauber-Königs, den die mächtige Chefin der Unsichtbaren an den Ehrentisch eingeladen hatte. Alle Augen ruhten erwartungsvoll auf ihr und ihrer unschlüssig schwebenden Hand.
Was sollte sie nur tun? Irgendwo da draußen irrten Bobbie und Dante durch die Zeit. Mit Chronometern, deren Nummern in dieser Zeremonie anderen Trägern zugewiesen werden sollten. Lena wusste, die Neuvergabe kam für den ursprünglichen Besitzer einem Todesurteil gleich. Verzweifelt suchte sie nach einer Lösung. Die Zeitmeisterin durchbohrte sie mit ihrem harten Blick. Ungeduldig riss sie ihren eigenen Chronometer vom Handgelenk. Die Chefin der Unsichtbaren war bereit, alles in die Waagschale zu werfen: ihre Macht, ihre Führungsrolle, ihre eigene Familie. Sie hatte den Tod von Lenas Mutter in Kauf genommen, um den Fortbestand der Zeitreisenden zu sichern. Und jetzt war sie bereit, sich selbst zu opfern, um Lena zu zwingen, sich in ihr vorbestimmtes Schicksal zu fügen.
Lena zögerte einen Moment zu lang. Ohrenbetäubender Lärm erschütterte den Raum. Eine der majestätischen, blau schimmernden Eulen krachte ungebremst durch die gläserne Kuppel und taumelte hinab auf die Zeitreisenden, um am Boden zu zerschellen und in Flammen aufzugehen. Eine Eule nach der anderen stürzte aus dem Himmel auf die entsetzten Unsichtbaren herab. Die führungslosen Tiere verwandelten sich in Bomben und den Festsaal in ein Schlachtfeld. Ein Regen aus Glas und Feuer ging auf die Versammlung nieder. Panisch schlug Lena mit der flachen Hand auf den Knopf, um das Dach zu öffnen. Wieder und wieder, so, wie es die Zeitmeisterin von ihr verlangt hatte. Doch ihr Einsatz kam zu spät. Nichts konnte die Katastrophe mehr aufhalten. In rasender Geschwindigkeit griff das Feuer um sich, erfasste Kleidung von Unsichtbaren, verschlang die Dekoration und fraß sich über den roten Teppich in Richtung Podium, das mit dunklem Samt abgehängt war. Flammen schlugen in die Höhe und sprühten Funken über den gesamten Saal. Die Unsichtbaren drängten alle gleichzeitig auf die Ausgänge des Kuppelsaals zu.
Lena war so paralysiert von dem Grauen, dass sie nicht mitbekam, welches Unheil sich in ihrem Rücken zusammenbraute. Der Angriff kam aus dem Nichts. Noch bevor sie die Tragweite der Tragödie vor ihr überriss, traf sie ein heftiger Stoß. Xaver hatte sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen sie geworfen. Lena krachte in das hölzerne Geländer der Tribüne, die eilig für die Nacht der Eulen in der Kuppel hochgezogen worden war. Ein jäher Schmerz durchzuckte ihren Körper. Das Knirschen und Knacken zerberstenden Holzes ging ihr durch Mark und Bein, sie spürte, wie die provisorisch zusammengezimmerten Balken unter ihrem Gewicht nachgaben. Panisch suchte sie Halt, doch ihre Hand griff ins Leere. Ihr Oberkörper befand sich bereits jenseits der Kante, nur die Zehenspitzen berührten gerade noch den Boden der Tribüne. Sosehr sie auch ruderte: Die Schwerkraft packte Lena und zog sie gnadenlos in den Abgrund. Sie rechnete jede Sekunde damit, schmerzhaft auf dem Boden aufzuschlagen, als der Chronometer, den Xaver ihr heimlich zugesteckt hatte, an ihrem Handgelenk aufflammte. In dieser Sekunde wurde Lena bewusst, welch ungeheures Wagnis Xaver eingegangen war. Der knurrige Mitarbeiter der Revision hatte sie mit einem beherzten Stoß aus der Gefahrenzone katapultiert. Vielleicht hatte er ihr sogar das Leben gerettet.
Ein mächtiger Strudel erfasste Lena und riss sie mit sich. Die Nacht der Eulen, glanzvoller Höhepunkt im Kalender der unsichtbaren Stadt, löste sich in Tausende Puzzleteile auf. Ein glitzernder Kosmos aus schwebenden Glasscherben verschluckte sie. Im Funkenregen schwirrten Bilder von Chaos und Verderben, von abstürzenden Eulen, wütenden Feuern und flüchtenden Zeitreisenden. Aufnahmen fallender Körper und panischer Gesichter schwebten an ihr vorbei. Jedes einzelne Bruchstück erzählte von Verwirrung und Untergang. Lena taumelte zwischen Erinnerungsfetzen hindurch, die den Zauber-König zeigten, der den Chronometer der Zeitmeisterin an sich riss. Sie las den Triumph in seinen Augen, hörte sein verzerrtes Lachen, sah die schwarzen Wachen, die sich wie seelenlose Roboter auf seine Seite stellten. Die entmachtete Zeitmeisterin registrierte ihren Untergang mit versteinertem Blick, unbewegt und ungebrochen – im nächsten Moment explodierte ihr Bild vor Lenas Augen. Aufnahmen von Xaver flogen heran, wahnwitzig verlangsamt, als dehne sich die Zeit ins Unendliche. Hundertfach wandte er sich Lena zu, öffnete den Mund wie ein Fisch, der nach Luft schnappte. Aus seinem Mund flossen abgehackte Worte: Zeit. Zuhause. Kontakt. Chronometer. Umgekehrt. Nur zusammen. Du musst … Als Xaver merkte, dass er sich mit Worten nicht verständlich machen konnte, ging er zu Handzeichen über. Mehrfach wiederholte er eine flatternde Bewegung mit der rechten Hand. Wollte er damit andeuten, dass sie sich irgendwo durchschlängeln sollte? Lena hatte den Eindruck, dass er versuchte, sie irgendwohin zu dirigieren. Aber wohin nur? Die wirbelnden Scherben fügten sich beim besten Willen nicht zu einer zusammenhängenden Botschaft. Bevor es Lena gelang, aus Xavers verzweifelten Gebärden eine konkrete Anweisung herauszulesen, lösten sich auch diese Erinnerungssplitter auf. Zuhause? Kontakt? Was meinte er bloß? Neu heranschwirrende Bilder zeigten, wie Xaver nun selber angegriffen wurde. Der Zauber-König riss ihn wutentbrannt an der Schulter zurück und brachte ihn zu Fall. Bevor Lena erkennen konnte, was mit ihrem unerwarteten Verbündeten geschah, kollidierte das Puzzlestück mit einem anderen Erinnerungsfragment und zerbarst vor ihren Augen. Winzige Glassplitter bohrten sich schmerzhaft in ihre Haut wie tausend kleine Nadelstiche.
Was passierte jetzt mit der unsichtbaren Stadt und ihrer Herrscherin? Mit den Unsichtbaren? Mit Xaver? Was wollte er ihr mitteilen? Wohin versuchte er sie zu schicken? Warum nur fühlte sich dieser Sprung so anders an als all ihre bisherigen Reisen durch die Zeit?
Die Nacht der Eulen verwandelte sich in eine ferne Erinnerung. Erst verschwanden die Bilder, dann die Geräusche. Alles kam zum Stillstand. Lena fiel es zunehmend schwer, sich zu bewegen. Jenseits von Zeit, Raum und Schwerkraft drohte sie in einer dickflüssigen, gallertartigen Substanz zu erstarren. Eine ungeheure Müdigkeit erfasste sie. Es war so verlockend, sich der Leere hinzugeben. Unwillkürlich dachte sie an Bobbies Tintenfisch im Regal ihres Kinderzimmers, der seit Jahren in konzentriertem Alkohol schwamm. Vielleicht war auch sie nun auf immer und ewig konserviert im Tunnel zwischen den Zeiten? Der Gedanke an die Freundin trieb Lena Tränen in die Augen. Wo waren Bobbie und Dante abgeblieben? Mit letzter Kraft versuchte sie, über den Chronometer eine Nachricht an Dante abzusetzen. Es gelang ihr nicht einmal, den Arm zu heben. Ihre Kräfte und ihr Wille, sich gegen die Erstarrung zur Wehr zu setzen, schwanden mit jeder Sekunde. Schlafen, einfach schlafen. Endlich wieder Ruhe. Seit sie den Chronometer gefunden hatte, raste sie atemlos durch ihr Leben und die Zeiten. Alle Versuche, die verhängnisvollen Fehler zu korrigieren, die ihr auf ihrem Weg als Zeitreisende unterlaufen waren, hatten zu immer neuen Kettenreaktionen und Verwicklungen geführt, um schlussendlich in die Katastrophe zu münden. Wehmütig dachte sie an die Zeit zurück, als ihr Leben um so alltägliche Dinge wie ihre nervigen Schwestern, die überforderte Tante, Citybox, Bobbie, die Schule und Handball kreiste. Wann hatte sie zuletzt das Gefühl gehabt, ihr Leben im Griff zu haben? Vor ihrem inneren Auge zogen Bilder aus ihrer Vergangenheit vorbei. Die zweiflügelige Tür der Sporthalle flog auf. Mit wehendem schwarzem Mantel, Sonnenbrille und einem unverschämten Grinsen betrat Dante das Spielfeld und eilte auf sie zu. So nah und doch so fern. Die Erinnerung an ihre magische erste Begegnung wärmte Lenas Herz. Würde sie Dante je wiedersehen? Der Gedanke an ihren eigentümlichen Gefährten rüttelte Lenas Lebensgeister noch einmal richtig wach. Nein, sie durfte nicht aufgeben. Sie durfte nicht zulassen, dass ihr gemeinsamer Weg an dieser Stelle zu Ende war und feindliche Kräfte ihre gemeinsame Zukunft zerstörten. Xaver hatte sich nicht umsonst für sie geopfert und ihr einen Chronometer zugeschoben. Solange sie atmete, war noch nichts verloren!
Mit äußerster Kraftanstrengung bewegte sie den kleinen Finger, dann die Hand und den Unterarm. Lena boxte energisch Luftlöcher in die unsichtbare Materie, die sie fest umklammerte. Schon erreichte sie ein leiser Windzug, der mit jeder Bewegung anschwoll. Ungekannte Kräfte rissen an ihrem Arm wie ein gewaltiger Staubsauger. Doch der Rest ihres Körpers saß fest, als wäre er in Beton gegossen. Sie trampelte und trat, ruderte und boxte und bemerkte, wie sich die zähe Masse...
Erscheint lt. Verlag | 16.6.2020 |
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Reihe/Serie | Lena und Dante | Lena und Dante |
Zusatzinfo | Mit 2 4-farb. Karten |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | All Age • Beste Freundin • Dienstagsfrauen • Erste Liebe • Fantasy • Gegenwart • Jugendbuch • Uhren • Verfolgung • Vergangenheit • Verlieben • Zeitreise • Zukunft |
ISBN-10 | 3-644-00315-7 / 3644003157 |
ISBN-13 | 978-3-644-00315-6 / 9783644003156 |
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